Deutschland handelt merkantilistisch

Gestern habe ich mich schon mit den (unsäglich dummen, weil nicht in unserem Interesse!) Handelsüberschüssen beschäftigt. Hier nun der Nachtrag.

Zum Ersten ein Interview mit Heiner Flassbeck, ehemaliger Staatssekretär unter Lafontaine, dessen Meinungen ich überwiegend nicht teile, mit Blick auf den deutschen Überschuss jedoch schon. Im Interview mit dem Deutschlandfunk äußerte er sich klar. So klar, dass ich denke, dass der Moderator es nicht verstanden hat, natürlich auch, weil er der medial verbreiteten Jubelstimmung widerspricht. Überwiegend geht es im Gespräch um den Zirkus von Davos. Ich selber war ein paar Mal (am Rande) der Veranstaltung dabei und habe es genauso empfunden. Aber nun zum Handel:

  • Man könnte ernsthaft diskutieren, was ist eigentlich Freihandel, gibt es überhaupt Freihandel auf dieser Welt. Auch aus Deutschland müsste man das diskutieren mit dem riesigen deutschen Leistungsbilanzüberschuss. Das ist ja auch kein Freihandel. Das ist ja auch etwas anderes. Das ist eher Merkantilismus, das Gegenteil von Freihandel. Aber auch das wird nicht diskutiert, weder in Deutschland, noch in Davos, noch in den G20 – ernsthaft jedenfalls.” – bto: Da war der Moderator sichtlich überrascht. Inhaltlich stimme ich Flassbeck fast zu. Er denkt, es ist politisch gewollt durch Lohndrücken. Das denke ich nicht. Für die stagnierenden Löhne gibt es andere Gründe. Er hätte dem Moderator erklären müssen, dass wir eben auch unsere Ersparnisse exportieren und das ist nicht in unserem Interesse!
  • “(…) sie verwenden auch die Worte so einfach: Protektionist. Wenn jemand keine Leistungsbilanzdefizite haben will – und darum geht es in den USA –, ist er noch kein Protektionist, sondern dann ist er vielleicht der wahre Freihändler. Derjenige, der seine Überschüsse mit Zähnen und Klauen verteidigt wie Deutschland, ist kein Freihändler, sondern ist ein Merkantilist, auch ein Protektionist, ein Protektionist seiner eigenen Interessen. Das ist auch kein Freihandel.” – bto: Wie gesagt, es gibt ja keine zentralistische Steuerung in die Richtung, aber es ist ein Punkt, den wir wenig ernst nehmen.
  • Dann nimmt Flassbeck die neuen Zölle der USA in Schutz: “Wenn ein Land ein fundamentales Ungleichgewicht hat, dann kann es etwas dagegen tun, und das ist noch nicht Protektionismus. Und wie gesagt, wenn ein anderes Land wie Deutschland einen riesigen Überschuss hat, den größten der Welt hat – Deutschland hat den größten Leistungsbilanzüberschuss der Welt –, und andere Länder sich dagegen wehren, dann ist das überhaupt kein Protektionismus, sondern das ist absolut im Rahmen der Freihandelsregulierung, wie sie in der Welthandelsorganisation niedergeschrieben ist. Das ist erlaubt! Das sind Schutzmaßnahmen gegen aggressive Exporteure.” – bto: Von denen werden wir noch mehr sehen und sie werden auch als Begründung dienen, um unsere Forderungen nicht zu bedienen. Oh wie dumm.
  • “Macron wird sicher wieder sehr vorsichtig sein und Deutschland nicht kritisieren, obwohl er das sicher im Hinterkopf hat. Die EU-Kommission hat gerade ein Papier geschrieben für den nächsten EU-Gipfel, wo ganz klar drinsteht, die Überschussländer müssen etwas tun, weil es so nicht funktionieren kann. Die hat jetzt nicht geschrieben, Deutschland ist ein Merkantilist, was aber stimmt, aber sie hat ganz klar Deutschland kritisiert. Die Überschussländer werden klar kritisiert (…) machen wir uns nichts vor: In Frankreich und in Italien, Italien noch viel mehr als in Frankreich, wird Deutschland wegen seiner Überschüsse nicht als Freihändler bejubelt, sondern als ein wirtschaftlicher Aggressor.” bto: Und davon werden wir in den kommenden Wochen noch viel hören.

Wie ernst es den USA ist, zeigte sich auch an den Stellungnahmen der USA in Davos:

  • The US economic cabinet said America has long been the victim of daily guerrilla warfare by trade hypocrites and is at last drawing its own sword in response, no longer willing to tolerate what it deems to be systematic gouging of the open US market.” – bto: Schnell, ganz schnell kann unsere Wohlstandsillusion zu Ende sein.
  • “Mr Ross denied that President Trump is retreating into commercial isolation, insisting that the blizzard of 84 separate trade measures, probes and sanctions over the last year are a response to mercantilist abuses that have been tolerated for far too long. What has provoked a lot of the trade actions is inappropriate behaviour on the part of our trading counter-parties, said Mr Ross at the World Economic Forum. Many countries are good at the rhetoric of free trade but actually practice extreme protectionism, and that is a problem the president is quite determined to deal with. He said the US is invariably accused of protectionism whenever it tries to defend itself, but this is how others mask their own self-interest.” bto: wirklich so falsche Position?
  • The White House is deeply irritated over the way foreign leaders – China’s Xi Jinping, India’s Narendra Modi, and some of Europe’s political class – exploit the Davos forum to pose as the defenders of free markets, when in reality they game the system in subtle ways with covert barriers, tax distortions or currency manipulation. In China it is often blatant.” – bto: was stimmt!
  • “Mr Ross adopted a steely tone in Davos. While acknowledging that China and other states may retaliate, he advised them to think twice before pulling the trigger. You should also be aware to the degree that there is retaliation, there is the question of what does the US in turn do, he said.” bto: Wer kann es sich leisten, nicht in die USA zu verkaufen?
  • “All sides suffer in a trade war, but the lesson of the 1930s is that those countries running a structural trade surplus ultimately suffer more.” bto: weshalb ich nicht verstehe, dass wir uns so dämlich aufstellen. Leider nicht das einzige Thema.

→ Deutschlandfunk: “Es ist eine Show-Veranstaltung”, 24. Januar 2018

→ The Telegraph: “US draws trade sword as Davos trembles”, 24. Januar 2018