«Deutschland drängt die Euroländer an die Wand»

Vorweggeschickt: Ich teile den Tenor nicht. Es ist richtig, dass die Handelsüberschüsse Deutschlands ungesund sind und vor allem nicht in unserem eigenen Interesse. Dazu habe ich mehrfach etwas geschrieben, zuletzt in meinem heftig kritisierten Kommentar, dass wir eben nicht die Gewinner, sondern die Verlierer des Euros sind. Nun die verstärkte Version: Wir schaden Europa. Mit Blick auf die Parallele auf die Zeit vor den Kriegen, keine adäquate Näherung an das Thema, finde ich.

Heiner Flassbeck, bis Ende 2012 als Chefökonom der UNO-Organisation für Handel und Entwicklung (United Nations Conference on Trade and Development, UNCTAD), zuvor kurz Staatssekretär bei Lafontaine. Politisch eindeutig in dessen Lager, was aber nicht bedeutet, dass er von Ökonomie keine Ahnung hat.

  • “… es ist Unsinn, dass Deutschland den Leistungsbilanzüberschuss behalten soll: Die Aussage wäre dann, dass Deutschland immer der Sieger sein muss, die anderen Länder sich mit der Rolle des Verlierer abfinden müssen. Auf der Welt muss es aber Ausgleich geben. Weil Länder nicht immer Verlierer sein können, können die anderen Länder nicht immer Sieger sein. Deutschland muss an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.” ‒ bto: a) Ich habe diese Forderung nicht gehört. b) Das wird sich ohnehin mit der demografischen Entwicklung und den anstehenden Zahlungsausfällen einstellen.
  • “Der Königsweg wäre die Möglichkeit, die China gewählt hat. China war auf der Anklagebank wegen seines Leistungsbilanzüberschusses. Als Antwort wurden die Löhne stark erhöht, und damit wurde die Wettbewerbsfähigkeit geschwächt. Das ist sinnvoll, da die Lohnerhöhung positive binnenwirtschaftliche Impulse gesetzt hat.” ‒ bto: soso. China würde ich nun angesichts des massiven Schuldenbooms nicht als Beispiel sehen. Oder sollen wir auch unsere Schulden in fünf Jahren vervierfachen? Außerdem wird China bald massiv abwerten und Deflation exportieren.
  • “Der andere Weg läuft über eine Aufwertung der Währung. Dann bekommt man die Rechnung für die Leistungsbilanzüberschüsse präsentiert, wie es jetzt die Schweiz erlebt. Das ist die viel schlechtere Möglichkeit, da man über Nacht an Wettbewerbsfähigkeit verliert und es keinen starken positiven Impuls wie bei den Lohnerhöhungen gibt. Das kann in Deutschland auch passieren.” ‒ bto: Stimmt, wenn der Euro zerbricht.
  • “Früher oder später hat Deutschland die anderen Länder im Euroraum an die Wand gedrängt, sodass die Währungsunion auseinanderfliegt. Bekommt Deutschland dann seine eigene Währung zurück, wird die sich stark aufwerten. Alle Überschussländer, besonders Deutschland und die Schweiz, müssen begreifen, dass sie systematisch Probleme für die Defizitländer schaffen.” ‒ bto: Aber dies kann nicht bedeuten, dass wir uns auf das tiefere Niveau begeben, vor allem nicht angesichts der demografischen Entwicklung und des internationalen Wettbewerbs.
  • “Europa und Japan versuchen, ihre Probleme durch eine schwächere Währung zu beseitigen. Aber die Defizitländer, besonders die USA, werden sich das nicht gefallen lassen. (…)  Und gegenüber den Entwicklungsländern kann man auch keine zusätzlichen Überschüsse aufbauen, da die höllische Angst haben, Defizite zu haben und zu Schuldnern zu werden. Keiner will Schuldner sein. Das sieht man an Zinsen von 0 % auf der Welt.” ‒ bto: Naja, die Zinsen sind aber auch so tief, weil es sich nicht lohnt, zu investieren bei insgesamt stagnierender Nachfrage und bevorstehenden Technologiebrüchen. Da könnten wir selbst mit mehr Konsum nichts machen.
  • “Wenn ein Land produktiver wird, soll es gefälligst auch die Löhne erhöhen. So geht man gedeihlich und vernünftig auf dieser Welt miteinander um. Wenn Länder aber glauben, die Löhne nicht mehr erhöhen zu müssen, dann kommt es entweder zu einer Aufwertung der Währung oder zum Zusammenbruch von Strukturen wie der Währungsunion.” ‒ bto: Dass es an der besonderen Struktur unserer Industrie liegt, die von einem temporären Boom der Investitionsgüternachfrage profitiert, bleibt unerwähnt.
  • “Der Mindestlohn ist mit 8.50 € pro Stunde so niedrig (…) Dieses Jahr wird die Erhöhung der Löhne etwa 2 bis 2,5% nominal betragen. Das reicht bei weitem nicht aus, um die Ungleichgewichte in Europa abzubauen. Dafür bräuchte es Lohnerhöhungen von 5 bis 6% – über zehn Jahre jedes Jahr. (:..) Ich sehe also nicht, wie sich die Währungsunion halten soll. Frankreich hat zu Deutschland noch eine Wettbewerbslücke von 20% – mit dieser Lücke kann man auf Dauer nicht überleben.” ‒ bto: Würde der Euro überleben, wenn wir alle italienisch werden?

Es ist richtig, dass die Außenhandelsüberschüsse die Annäherung in Europa erschweren. Zwar erzielen wir diese zum überwiegenden Teil außerhalb des Euroraumes ‒ seit 2010 deutlicher Rückgang der Überschüsse ‒ aber es erhöht die politischen Spannungen. Falsch ist hingegen, das System durch Abschaffung von Wettbewerb zu retten. Das ginge in die Richtung DDR, die bekanntlich auch nicht so richtig erfolgreich war.

FINANZ und WIRTSCHAFT: «Deutschland drängt die Euroländer an die Wand», 27. April 2015