Der Staat wird scheitern als Organi­sator von Wirt­schaft und Klima­wandel

In der aktuellen Ausgabe des manager magazins (Print) diskutiere ich mit Mariana Mazzucato – italoamerikanische Starökonomin an der UCL – über ihre Gedanken eines starken Staates. Ihre Thesen sind gerade en vogue in den politischen Zirkeln.

manager-magazin.de: „Die Zeitenwende: Wie sich das Verhältnis zwischen Staat und Markt grundsätzlich verschiebt“, 21. Mai 2021

Doch was ist schon meine bescheidene Meinung im Vergleich zu der kompetenten Kritik anderer Ökonomen. Die Highlights eines Artikels im Handelsblatt:

  • „Von ihrem Lehrstuhl am University College London aus propagiert Mariana Mazzucato die Rückkehr des starken Staates. Die Botschaft der gebürtigen Römerin: Die Rolle von Pionierunternehmen und privatem Kapital für Innovationen und Wirtschaftswachstum werde maßlos überschätzt. Wirklich Bahnbrechendes komme vor allem dann in die Welt, wenn der Staat sich kümmere – so wie beim Internet, das in den 50er-Jahren im Rahmen eines US-Militärforschungsprogramms entstand.“ – bto: Dabei ist das nur ein Teil der Wahrheit. Es geht natürlich vor allem um eine Nachfrage-Rolle. Unsere Politiker missverstehen das allerdings so, dass sie auch den Weg zur Lösung vorgeben wollen. Das muss scheitern.
  • „Mehr Staat wagen – dieses Motto ist rund um den Globus zum neuen ökonomischen Mainstream geworden, nicht nur in Hochschulen, sondern auch in Regierungszentralen und Notenbanken. In Washington startet Präsident Joe Biden das größte staatliche Investitionsprogramm seit Franklin D. Roosevelts New Deal. Ermutigt wird er durch einen umstrittenen neuen Blick auf die Geldpolitik, demzufolge sich Staaten praktisch unbegrenzt verschulden können.“ – bto: Es ist eine völlige Überschätzung der Akteure. Ich weiß natürlich, warum es gemacht wird. Es geht darum, die Wirtschaft mit aller Macht wieder zum Wachsen zu bekommen.
  • „Mit der Corona-Pandemie befindet sich die Politik nun binnen kurzer Zeit zum zweiten Mal in der Retterrolle. 1,4 Billionen Euro nimmt der deutsche Staat zur Rettung von Menschenleben, Unternehmen und Arbeitsplätzen in die Hand. So weit, so sinnvoll. Doch anders als nach der Finanzkrise begnügt sich der Staat nicht mehr mit der Rolle des Nothelfers, der sich nach der Krise wieder zurückzieht. In vielen Industriestaaten wollen Politik und Verwaltung auf Dauer wieder zu einer Wirtschaftsmacht werden.“ – bto: Und hier liegt das Problem. Corona war kein Marktversagen und die Lösung kam vom Privatsektor, nicht von Politikern und Bürokraten.
  • „Die Protegés des neuen starken Staates wollen Bürgern und Unternehmen die Richtung vorgeben, um die großen Herausforderungen unserer Zeit wie den Klimawandel zu bewältigen. In Anlehnung an Mazzucato wollen sie den Staat zu einem „Unternehmerstaat“ ausbauen, der bestimmt, wie viele E- Autos staatlich gefördert auf den Straßen sein sollen, dass Wasserstoff eine zentrale Ressource der Zukunft ist und welche Produkte tunlichst im Inland gefertigt werden müssen (…).“ – bto: Und genau das führt dann zu so grandiosen Flops wie mit der Fotovoltaik.
  • Nicht nur Vertreter linker Parteien, selbst ein Ökonom wie DIW-Chef Marcel Fratzscher findet, die Coronakrise sei so etwas wie der ‘letzte Sargnagel für den Neoliberalismus’.bto: Ich lach mich schlapp! Der einzige Unterschied ist, dass Fratzscher kein Parteibuch hat, er dürfte aber Ehrenmitglied der SPD sein und arbeitet hart am gleichen Status bei den Grünen.
  • „‘Werbung für die Vision eines unternehmerischen Staates war die staatliche Vorstellung während der Pandemie sicher nicht’, sagt der Düsseldorfer Ökonom Justus Haucap. Während das Robert Koch-Institut selbst nach einem Jahr montags keine belastbaren Zahlen über das Infektionsgeschehen liefert, weil nicht in allen Gesundheitsämtern am Wochenende gearbeitet wird, setzten die meisten Betriebe ruck, zuck Hygienekonzepte um. Während Unternehmen ihre Besprechungen innerhalb von Tagen weitgehend reibungslos auf Digitalplattformen wie Zoom oder Teams verlegten, verzweifeln die Schüler bis heute an andauernden Abstürzen der staatlichen Bildungsserver.“ – bto: Und mit diesem Qualitätsnachweis gestärkt, werden nun die Politiker das Konzept auf die gesamte Wirtschaft ausrollen.
  • „Und nachdem ein deutsches Start-up in Rekordzeit den weltweit ersten Corona-Impfstoff entwickelt hatte, erhielten die Bundesbürger die rettende Dosis erst mit wochenlanger Verspätung. Vor allem, weil die Bundesregierung Impfstoffzulassung und -einkauf an die EU delegierte, die sich der Sache mit ähnlicher Leidenschaft widmete wie dem Ausbau des europäischen Schlafwagennetzes.“ – bto: Das ist doch mal sehr schön formuliert. Danke.  
  • „Alle demokratischen Parteien außer der FDP sind sich einig darin, die Schuldenbremse im Grundgesetz auszuhebeln, um den Weg für gewaltige schuldenfinanzierte Ausgabenprogramme freizumachen. (…) So will die SPD die staatliche KfW-Bank „zu einer modernen Innovations- und Investitionsagentur weiterentwickeln“, um die Investitionen hoch zu halten. Die Grünen gehen sogar noch einen Schritt weiter. Dabei hatte Nachhaltigkeit für die Grünen lange nicht nur eine ökologische, sondern auch eine ökonomische Dimension.  Doch ihre vergleichsweise maßvolle Position, den Spielraum der Schuldenbremse von 0,35 auf ein Prozent der Jahreswirtschaftsleistung zu erhöhen, haben sie in den vergangenen Monaten still und leise geräumt. Denn ein Prozent reicht nicht mehr aus: Die Grünen wollen ihr Investitionsprogramm von 500 Milliarden Euro zu einem großen Teil über zusätzliche Schulden finanzieren. Dazu wäre eine Grundgesetzänderung notwendig. Wenn sie dafür keine Zweidrittelmehrheit zusammenbekommen, wollen die Grünen die Schulden über einen Trick aufnehmen: über sogenannte öffentliche Investitionsgesellschaften, bei denen die Aufnahme neuer Kredite nicht unter die Schuldenbremse fällt. (…) CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet bläst ins gleiche Horn und will einen ‘Deutschland-Fonds’ gründen.“ – bto: Hier ist es für mich eine Gratwanderung. Ich denke, dass es selten dämlich ist, in der Eurozone zu sparen, befürchte aber eine völlig falsche Verwendung der Mittel.  
  • „Dass Deutschland mehr Investitionen braucht, bestreitet dabei niemand. Mit Demografie, Digitalisierung und Klimawandel steht das Land vor gleich drei riesigen Herausforderungen. Zudem sind viele Straßen, Schienen und Brücken marode. (…) Fraglich ist bereits, ob die zusätzlichen Milliarden auch tatsächlich für Investitionen genutzt würden. Denn zumindest in der Vergangenheit hat die Große Koalition Mehreinnahmen meist umgehend für andere Zwecke verfrühstückt.“ – bto: Und dies wird auch jetzt wieder passieren. Soziales und mehr oder viel weniger sinnvolle „Umbauprojekte“ werden dominieren und den Wohlstand des Landes weiter reduzieren.
  • „Während das Sozialbudget in den beiden zurückliegenden Wahlperioden um mehr als 200 Milliarden Euro ausgeweitet wurde, stieg das Investitionsbudget um eher bescheidene 25 Milliarden Euro. Jeden Monat gibt der Staat mehr für Soziales aus als im gesamten Jahr für Investitionen.“ – bto: Ähnliche Zahlen habe ich auch aufbereitet. Es war ein politischer Entscheid, keine Folge mangelnden Geldes.
  • „Seit Jahren stehen zudem Milliarden an Investitionsmitteln im Bundeshaushalt bereit, die gar nicht genutzt werden. Allein im Vorjahr blieb der Bund auf 21 Milliarden Euro sitzen, die eigentlich für Investitionen vorgesehen waren (…) Die Befürworter der Schuldenprogramme führen für diesen Investitionsstau zwei Gründe an. Erstens sei der Staat viele Jahre kaputtgespart worden und deshalb nicht in der Lage, das Geld auszugeben – zu wenige Beamten für zu viele Vorhaben. Zweitens fehle es Verwaltungen und Bauwirtschaft an Planungssicherheit. Erst wenn diese durch die langfristigen Ausgabenprogramme gesichert sei, könnten Bauverwaltungen und Bauwirtschaft mehr Leute einstellen.“ – bto: Diese Argumentation ist sicherlich nicht falsch. Aber es genügt nicht. Unsere Politiker denken nicht in der Kategorie der Zukunftssicherung für das Land.
  • „Der Investitionstau lässt sich auch nicht simpel mit kaputtgesparten Behörden erklären, eher mit falschen Prioritäten.‘Der Staat hat sich nicht verschlankt, sondern immer mehr Speck angesetzt’, sagt Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und ätzt: ‘Echte Dynamik entfaltet der Staat nur, wenn es darum geht, neue Beamtenstellen zu schaffen.’“ – bto: und zwar in einem dramatischen Umfang!
  • „So ist zwischen 2009 und 2019 die Zahl der Beschäftigten bei Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen – umgerechnet auf Vollzeitstellen – um 350.000 auf 4,3 Millionen gestiegen. (…) Auch die Bundesministerien rüsteten auf. Seit 2010 stieg die Stellenzahl von 17.080 auf aktuell 26.547, ein Plus von 55 Prozent.“ – bto: in der öffentlichen Diskussion gerne verdrängt, aber ein unstrittiges Indiz für die falsche Verwendung von Mitteln.
  • „Im Vor-Corona-Jahr 2019 lagen die Ausgaben des deutschen Staates in Relation zur Wirtschaftsleistung, lässt man Rettungspakete in der Finanzkrise mal außen vor, auf dem höchsten Stand seit 2003. Kaputtgespart sieht anders aus. (…) Dennoch wollen einige Politiker nun die nächste Staats-Ausbaustufe zünden. ‘Der deutsche Staat muss im Sinne der Ökonomin Mariana Mazzucato zu einem Unternehmerstaat werden und damit zu einem Zukunftsinvestor und Innovationsförderer’, fordert etwa SPD-Vordenker Matthias Machnig. Auch seine Partei ist ganz entzückt von der Idee.“ – bto: Das ganze Programm der SPD trieft nur so von Staatsprogrammen, die alles Mögliche bewirken sollen.
  • „Mazzucato stellt alte Weltbilder auf den Kopf. Der Irrglaube, wirtschaftliche Innovation sei am größten, wenn der Staat sich aus allem heraushalte, habe sie wütend gemacht, sagt Mazzucato. Ihren Zorn verarbeitete sie in Studien. Ihre Ergebnisse erschütterten alle Glaubenssätze: Nicht Unternehmer sorgen demnach für die großen Innovationen, sondern der Staat.“ – bto: Der Staat ist gut, wenn es darum geht, Nachfrage zu schaffen, aber er ist schlecht, wenn es darum geht, wie diese zu erfüllen ist.
  • „Die Regierungen müssten ‘die Richtung des Wachstums so beeinflussen, dass eine bessere Wirtschaft entsteht’. Seit Jahren wirbt Mazzucato daher für eine Erneuerung der Industriepolitik. Und ihre Ideen finden Anklang, auch und gerade in Deutschland. Ausgerechnet ein CDU-Wirtschaftsminister nahm ihre Vorschläge auf. Peter Altmaiers ‘Nationale Industriestrategie 2030’ ist genau das, was Mazzucato vorschwebt.“ – bto: Kann man sich jemanden vorstellen, der besser qualifiziert ist, Deutschlands Zukunft zu gestalten als Peter Altmaier? Also, mir fällt wirklich niemand ein …
  • „Die Unterschiede zwischen Staat und Unternehmen sind eben groß. Der Staat steuert zentralistisch, Wirtschaft ist dezentral. Der Staat ist vorsichtig, wirtschaftlicher Erfolg setzt Risikobereitschaft voraus. Ein Blick auf die Wirtschaftsgeschichte der vergangenen 100 Jahre sollte eigentlich ausreichen, um all jene eines Besseren zu belehren, die sich derzeit den Staat als Mikromanager zurück in die Wirtschaft wünschen.“ – bto: Aber genau darum geht es ja nicht! Ich denke, die Befürworter wissen das auch. Es geht ihnen aber um eine andere Gesellschaft und vor allem um eine starke Rolle (verbunden mit Einkommen und Privilegien) für ihre Kaste.
  • „Der Staat ist am stärksten dann, wenn er sich als entschlossener Schiedsrichter und Regelsetzer versteht und nicht selbst auf dem unternehmerischen Spielfeld mitdilettiert: Das war bereits das Credo der ersten Ordoliberalen. Deren theoretische Überlegungen geronnen in den 40er-Jahren zum politischen Programm der Sozialen Marktwirtschaft.“ – bto: Das sehe ich ganz genauso!
  • „Die erste große Wende hin zu mehr Staat folgte Ende der 60er-Jahre, nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Industriestaaten (…) Es war die Ära des technokratischen Allmachtglaubens (…) Doch die Hoffnung, die zusätzlichen Staatsausgaben würden sich über zusätzliches Wachstum selbst finanzieren, bewahrheitete sich nicht. Bald stiegen in nahezu allen Industrieländern die Schuldenstände und die Inflationsraten.“ – bto: Diesmal wiegt es viel schlimmer, weil wir erfolgreiche Wettbewerber haben und zudem vor erheblichen Herausforderungen stehen.
  • „In Deutschland war es dann ausgerechnet die erste rot-grüne Regierung, die die Angebotspolitik auch hierzulande etablierte. (…) Das Nomura Research Institute hat 2013 errechnet, dass die Hartz-Reformen etwa die Hälfte des Wiederaufstiegs ausmachten, die andere Hälfte führen die Ökonomen auf die wachstumsfreundliche Geldpolitik der EZB zurück.“ – bto: Das klingt durchaus nachvollziehbar. Sicherlich spielt die EZB eine erhebliche Rolle beim Scheinboom.
  • „(…) sehen es viele Ökonomen skeptisch, dass der Staat nun in der Klimapolitik konkrete Technologiepfade vorgeben will, ob bei E- Autos oder Wasserstoff. Schließlich wisse niemand, was wirklich die Technologie der Zukunft in 20, 30 Jahren sei. ‘Die Vorstellung vom Staat als benevolenten Planer mit weiser Voraussicht, der alle künftigen Entwicklungen genau kennt, ist trügerisch. Genau deshalb möchte ich den Staat klein halten’, sagt IfW-Chef Felbermayr.“ – bto: vor allem weil es sehr um Ideologie geht bei den ganzen Ideen, die jetzt propagiert werden.
  • „‘Eine aktive Gestaltung des Transformationspfades wird das Tempo und die Kreativität beim Klimaschutz einbremsen statt beschleunigen’, warnt deshalb die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. ‘Ich halte das Narrativ vom starken Staat für schwierig. Der Staat ist sehr wichtig, aber als Rahmengeber.’ Übersetzt auf den Klimaschutz bedeutet das: Der Staat gibt konkrete Ziele für die CO2-Reduzierung vor, die die Einhaltung der Klimaziele sicherstellen. Und von diesen Zielen lässt er sich dann auch von keinem Lobbyisten mehr abbringen – das wäre ein wahrhaft starker Staat im ordoliberalen Sinne des Schiedsrichters. In dieser Rolle wäre er auch weit wirksamer als in der des Großinvestors. Denn eines übersehen die Anhänger des starken Staats gern: Im Vorkrisenjahr 2019 investierte der deutsche Staat 86 Milliarden Euro (von denen ein erheblicher Teil nicht ausgegeben werden konnte) – die Privatwirtschaft aber über 660 Milliarden.“ – bto: Das kann man nur fett unterstreichen!
  • „‘Der Staat sollte sich darauf beschränken, Innovationen und Forschung stärker zu fördern, etwa indem er Abschreibungsmöglichkeiten oder Verlustvorträge verbessert’, so Haucap. Oder indem er mehr Geld in Grundlagenforschung steckt, von der der Fiskus später über Steuereinnahmen profitiert, wenn Unternehmen auf Basis dieser Forschung erfolgreich neue Produkte oder Prozesse entwickeln. Gerade die Coronakrise zeigt laut Haucap: Der Staat könnte etwas experimentierfreudiger sein und sich einiges von der Wirtschaft abgucken. Aber das bedeutet ganz gewiss nicht, dass der Staat selbst zum Unternehmer werden sollte.“ – bto: Dennoch ist genau dies die Haltung, die alle Parteien außer der FDP zur Bundestagswahl promoten. 

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