Der sechste Kondratieff-Zyklus hat bereits begonnen

Morgen (28. Mai 2023) habe ich Andrea Komlosy in meinem Podcast zu Gast. Bis zum vergangenen Herbst war Komlosy außerordentliche Professorin am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, nun ist sie im Ruhestand. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit war die Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Habsburgermonarchie und ihrer Nachfolgestaaten im 18. bis 20. Jahrhundert, Migrationsforschung sowie Industrie- und Globalgeschichte. Sie hat sich in ihrer Arbeit mit den langen Wellen der ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung auseinandergesetzt. Vor kurzem erschien ihr Buch „Zeitenwende: Corona, Big Data und die kybernetische Zukunft“, wobei sie das Manuskript zu ihrem Buch bereits vor der „Zeitenwende“-Rede von Olaf Scholz abgeschlossen hatte.

Die Welt berichtete vor einigen Monaten über ihr Buch:

  • „Politiker reden gerne von der ‚Zeitenwende‘. Doch der wahre Umbruch im Westen wird kaum thematisiert: Mit dem Niedergang der Industriegesellschaft entsteht eine völlig neue Ordnung. Wirtschaftshistoriker sprechen vom ‚sechsten Zyklus‘ – und prognostizieren einen Bruch mit Freiheit und Demokratie.“ – bto: Bei dieser Aussage kann man schon hellhörig werden.
  • „(…)Andrea Komlosy (…) ist es gewohnt, große Bögen von der Ackerbaugesellschaft bis zur Digitalökonomie zu spannen, wie sie erzählt. Oder Aufstieg und Niedergang großer Handels- und Wirtschaftsimperien mit den nüchternen Begriffen ökonomischer Gesetzmäßigkeiten zu fassen. Die wissenschaftliche Distanz hilft, einen neuen Blick auch auf die eigene Gegenwart zu werfen.“ – bto: Auch das hat mich neugierig gemacht.
  • „Für Komlosy ist klar, dass das industrielle Zeitalter im Westen vorbei ist. Schon die Krise von 1973 läutet diesen Wandel ein, der die Gegenspieler USA und UdSSR zutiefst erschütterte. Die USA können immerhin noch auf die Finanzindustrie setzen. Das erinnert Komlosy an den Niedergang der Handelsmetropolen Genua und Venedig im 16. Jahrhundert oder des niederländischen Imperiums im 18. Jahrhundert. Die sowjetische Ökonomie hingegen zerbricht, nach der ‚Schocktherapie‘ bleiben nur wertvolle Rohstoffe und ein riesiger Militärapparat.“ – bto: … damals als „Ende der Geschichte“ diskutiert.
  • „Immer wieder kommen konjunkturelle Zyklen an ihr Ende, erklärt Komlosy. Dann muss etwas Neues kommen, selbst wenn noch nicht klar ist, was das sein könnte. Komlosy bezieht sich auf den österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter, der von ‚schöpferischer Zerstörung‘ spricht. Eines seiner Hauptwerke heißt ‚Konjunkturzyklen‘, dort bezieht Schumpeter sich auf die ‚langen Wellen der Konjunktur‘ des russischen Wirtschaftswissenschaftlers Nicolai Kondratieff. Nach Kondratieff kann man seit dem 18. Jahrhundert fünf große Zyklen ausmachen, zu denen jeweils Leitsektoren und -technologien gehören wie Stahl und Eisenbahn oder Petrochemie und Automobil. Komlosy vertritt – wie andere Forscher – die These, dass wir gerade den Beginn eines sechsten Zyklus erleben.“ – bto: Und wir wissen aus früheren Zyklen, dass die Übergänge nicht problemlos sind – im Gegenteil.
  • „Komlosy erklärt, dass das Zeitalter sich selbst regulierender Systeme angebrochen ist, das kybernetische Zeitalter, das ab 2030 im Westen etabliert sein wird. In China verfolgt man das gleiche Projekt. Um die Steuerung zu perfektionieren, braucht man Daten. Um Daten zu bekommen, muss man auf die Körper zugreifen. Digital, smart und grün sind die Stichworte dieses Wandels. Der erneuerte digitale Kapitalismus wird als ‚grüne Alternative‘ beworben. Komlosy verweist auf die Ideen des World Economic Forum und auf Klaus Schwabs ‚Der große Umbruch‘. Dieser ‚Great Reset‘ ist keine Sache von Hinterzimmern, er wird vom WEF öffentlich diskutiert. Überhaupt müsse man auf die Strukturen schauen, nicht auf Personen. ‚Von einem Generalplan kann nicht die Rede sein‘, sagt Komlosy.“ – bto: Wobei ich diese Aussage als widersprüchlich wahrnehme. Denn die Strukturen wirken schon nach Plan. Wenn man es so sehen will.
  • „So hat die in New York lebende Theoretikerin McKenzie Wark, bekannt geworden durch ‚Das Hacker-Manifest‘, schon 2019 in ‚Das Kapital ist tot‘ die ketzerische Frage gestellt, ob wir längst nicht mehr im Kapitalismus leben – sondern in einem System, das schlimmer zu werden droht. Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze schreibt in seinem Buch ‚Welt im Lockdown‘, dass schon vor Corona klar war, dass 2020 und die folgenden Jahre stürmisch werden würden. Es kündigte sich eine Rezession globalen Ausmaßes an, gerade das Finanzsystem zeigte sich marode. Von allen Seiten schreit es nach Veränderung.“ – bto: Richtig ist, dass wir uns wohl dem Endspiel eines globalen Schuldenzyklus nähern.
  • „Für Komlosy – und hier verbindet sie ihre globalhistorische Perspektive mit der unmittelbaren politischen Gegenwart – waren die staatlichen Corona-Maßnahmen in ihrer konkreten Gestalt der Ausdruck dieser großen Veränderungen – und ihr Beschleuniger. Kontaktverbote, Kontaktverfolgung, Zugangsbeschränkungen mit QR-Code, Nachweise über Gesundheits- und Impfstatus, Online-Kommunikation und Homeoffice haben Komlosy einerseits gezeigt, dass das mit einem ungeahnten Wandel der politischen Formen einhergeht, der bei vielen Menschen ein Unbehagen auslöst. ‚Diese Veränderungen brechen mit den Werten der bürgerlichen Freiheit und der bürgerlichen Demokratie‘, sagt sie. Andererseits zeigte sich, dass die kybernetische Zukunft sich auf den Feldern der Pharma-, Medizin- und Biotechnologie abspielen wird.“ – bto: In der Tat könnte man der Meinung sein, dass die Corona-Maßnahmen einem Testlauf glichen. Viele fordern ja bereits ähnliche Eingriffe mit Blick auf den Klimaschutz.
  • „Ihre Theorie ist spekulativ, wie Komlosy zugesteht. Auf der Grundlage dessen, was man wissen kann, versucht sie sich an einer durch Schumpeter und Kondratieff gestützten Voraussage für das Kommende. Der G-20-Gipfel in Bali Ende vergangenen Jahres könnte für ihre Thesen sprechen. Dort herrschte Einigkeit, eine globale Gesundheitspolitik voranzutreiben, vor allem in Bezug auf die Bekämpfung künftiger Seuchen. Digitale Impfpässe und der Ausbau der mRNA-Forschung wurden diskutiert, auch wenn die Abschlusserklärung im Ton eher allgemein blieb. Corona habe ‚die Transformation des digitalen Ökosystems und der Digitalwirtschaft beschleunigt‘, heißt es dort. Manches aus der Zeit wird bleiben oder sich verstetigen. Dieser Tage erst kündigte Gesundheitsminister Karl Lauterbach an, aus der Corona-Warn-App eine ‚allgemeine App‘ machen zu wollen. Was das bedeuten soll, ist noch unklar.“ – bto: Ich bin hier zurückhaltender. Unstrittig dürfte für mich nur sein, dass die Wirtschaft einen Wandel durchläuft.
  • „‚Wie die neue, in Formierung befindliche Welt aussehen wird, steht noch nicht fest‘, sagt Komlosy. Fest steht, dass es unter der Flagge globaler Herausforderungen – Pandemien, Umweltzerstörung – vor allem um die Probleme einer globalen Produktionsweise geht. Doch zeichnen sich tiefgreifende soziale Konflikte ab. Komlosy spricht von Aussteiger- und Parallelgesellschaften der Überdrüssigen, die noch Erinnerungen an die analoge Welt haben – ein Szenario wie in Alain Damasios Science-Fiction-Beststeller ‚Die Flüchtigen‘. Dort ist eine komplett digital erfasste Welt in verschiedene Zonen unterteilt, was bis zum Bürgerkrieg führt. ‚Wer die Welt des digitalen Kapitalismus nicht verinnerlicht hat, mag sich abgestoßen fühlen‘, sagt Komlosy. So ist das mit Zeitenwenden.“ – bto: Ist das vielleicht alles etwas abgedreht? Dennoch interessante Überlegungen, die zum Gespräch reizen.

→ welt.de (Anmeldung erforderlich): „Der „sechste Zyklus“ hat bereits begonnen“, 15. Januar 2023

Kommentare (8) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. komol
    komol sagte:

    Es fehlt halt als Grundlage eine Theorie der Gesellschaft – somit wird ein Ansatz, welcher in die richtige Richtung geht zur Lachnummer gemacht .. Begriffsverfehlungen, Überblickslosigkeit, Aktionismus … naja man muss bedenken, dass auch das Wissenschaftssystem mit in dem ganzen Wandel steckt

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  2. Rapheth
    Rapheth sagte:

    Bereits Desert Storm und die darauf folgenden Sonderoperationen ohne jegliche Legitimation waren für die Initiatoren schlechte Geschäfte, Brunnen- und Schulbau sowie Handel mit Opiaten, oder auch eine neue afrikanische Währung eines extrovertierten Ratgeberautors mit Bombenhagel zu verhindern lohnten sich genau so wenig, wie ominöse Fässer, angeblich gefüllt mit Giftgas gegen feinstes Rohöl zu tauschen. Deshalb schielt man gierig weiter auf fremde Reichtümer, doch man richtet Gewehre und Kanonen nicht wie einst gegen Steinäxte und Federschmuck.

    Die Frage ist m.E. ob es die Zivilgesellschaft schafft, die illustre Postenzuschanztruppe in Berlin wegen Verunglimpfung aller möglichen Dinge abzusetzen oder gleichmütig dabei zusieht, wie die einst so stolze Republik von Karusellbremsenbauern zur verlängerten Werkbank für hinlänglich bekannte, notorische Lügner, Betrüger und Unruhestifter verkommen wird.

    Krieg ist und bleibt selbst für verständige Zeitgenossen der Vater der Dinge. Ob sich nun schwungvolle Graphen zu brauchbaren Modellen zurecht evaluieren lassen oder vielmehr Intuition, Mut, Integrität, kurz Menschlichkeit zu größeren Erfolgen führen wird, wird sich zeigen.

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    • Beobachter
      Beobachter sagte:

      Die sog. “Zivilgesellschaft” ist doch die von NGOs durchsetzte Hilfstruppe der Regierung. Von der ist nichts zu erwarten. Was geschehen muss, ist die Stärkung der “echten” Opposition, sprich der AfD. Wer noch klar denken kann, muss in seinem Kopf die ihm vorgegebene Dämonisierung dieser Partei überwinden.

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  3. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    Die hier vorgestellten Auszüge aus welt.de IRRITIEREN.

    Ich kommentiere einige, OHNE damit zu suggerieren oder gar zu behaupten, dass sie Frau Andrea Komlosy zuzuschreiben sind.

    Es ist fraglich, ob wir es mit einem NIEDERGANG der Industriegesellschaft oder ihrem WANDEL zu tun haben.

    Ebenso:

    Ob DAS industrielle Zeitalter im Westen vorbei ist, wäre zu erörtern. Konsens dürfte sein, dass es NICHT mehr das GLEICHE industrielle Zeitalter der Vergangenheit geben wird – und dies NICHT nur neuer Technologien wegen.

    KONJUNKTURELLE Zyklen in Verbindung mit der „schöpferischen Zerstörung“ von Schumpeter zu bringen, vermischt die Dinge.

    Denn KURZFRISTIGE konjunkturelle Zyklen kann es auch OHNE „schöpferische Zerstörung“ geben.

    Von „langen Wellen der Konjunktur“ zu reden ist missverständlich, weil die langen Wellen nach Kondratieff – durch was auch immer sie verursacht werden – KEINE konjunkturellen Zyklen sind in dem Sinn, in dem der Begriff “Konjunktur” in der Ökonomie gemeinhin gebraucht wird.

    Im 5. Absatz wird umstandslos vom „sich selbst regulierenden Systemen“ zur Steuerung übergegangen. REGELN und STEUERN sind VERSCHIEDENE Mechanismen.

    Ob wir noch im Kapitalismus leben, wenn auch einem MODIFIZIERTEN, oder NICHT mehr im Kapitalismus, wäre anhand einer Definition festzustellen. Dass es „von allen Seiten nach Veränderung schreit“ besagt nichts dazu.

    Ob die staatlichen Corona-Maßnahmen bei vielen Menschen UNBEHAGEN ausgelöst haben, dürfte kaum zu bestreiten sein. OB sie allerdings mit den WERTEN der bürgerlichen FREIHEIT gebrochen haben, ist fraglich. Wenn sie mit etwas gebrochen haben, dann mit dem allgemeinem VERSTÄNDNIS dessen, was bürgerliche Freiheit ist. Man könnte jedenfalls argumentieren: Was im ZUSTAND der UNKENNTNIS der pandemischen WIRKUNGEN an staatlichen Maßnahmen verordnet wurde, war der SORGE geschuldet, dass ein möglicher Verlauf der Pandemie ohne derartige Maßnahmen zu dauerhaft destabilisierenden Zuständen mit dem VERLUST bürgerlicher Freiheit hätte führen können.

    Bevor dazu unqualifizierte Anwürfe geäußert werden, füge ich hinzu:

    Ich sage NICHT, dass man die Maßnahmen mit dem ZIEL ergriffen hat, die bürgerliche Freiheit zu erhalten. Ich sage lediglich, dass man argumentieren KANN: Die Maßnahmen haben AUCH dazu gedient, die bürgerlichen Freiheiten über die Pandemie HINAUS zu erhalten – vorausgesetzt, man akzeptiert, dass man in UNKENNTNIS darüber war, welche Wirkungen die Pandemie ohne derartige Maßnahmen haben könnte.

    Dass die Mittel und Methoden, die anhand der Pandemie-Abwehrmaßnahmen eingesetzt wurden, in ganz ERHEBLICHER Weise fortentwickelt und auch unter anderen Bedingungen weiter eingesetzt werden, darf mit Sicherheit angenommen werden. Was irgendwie BRAUCHBAR war, geht NICHT verloren.

    Dass es eine NEUE Formierung der Welt geben wird, ist ersichtlich. Dass dabei auch PANDEMIEN und UMWELTZERSTÖRUNG eine Rolle spielen, ist ebenfalls ersichtlich, denn sie haben global NEGATIVE Wirkungen.

    TENDENZEN zum Ausstieg oder paralleler Lebensgestaltung gibt es IN den Gesellschaften, aber beachtenswert KEINE Gesellschaften, die man sinnvollerweise Aussteiger- oder Parallelgesellschaften nennen könnte.

    Es gibt allerdings ersichtlich UNTERSCHIEDLICHE Gesellschaften in der Welt.

    Wenn man die Veränderungen BEGRÜNDET mit dem Begriff „ZEITENWENDE“ erklären will, muss das anders erfolgen, als hier dargelegt.

    Warten wir ab, was Frau Komlosy morgen sagen wird.

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    • Richard Ott
      Richard Ott sagte:

      @Herr Tischer

      “Ich sage NICHT, dass man die Maßnahmen mit dem ZIEL ergriffen hat, die bürgerliche Freiheit zu erhalten. Ich sage lediglich, dass man argumentieren KANN: Die Maßnahmen haben AUCH dazu gedient, die bürgerlichen Freiheiten über die Pandemie HINAUS zu erhalten – vorausgesetzt, man akzeptiert, dass man in UNKENNTNIS darüber war, welche Wirkungen die Pandemie ohne derartige Maßnahmen haben könnte. ”

      Sehr schöne, staatstragende Rabulistik von Ihnen.

      Im Vietnam-Krieg hieß das noch: “Wir müssen das Dorf zerstören, um es zu retten.”

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    • weico
      weico sagte:

      @DT

      “Warten wir ab, was Frau Komlosy morgen sagen wird.”

      Genau.

      Die Frau scheint mir ,nach kurzem Blick auf wikipedia, ganz vernünftig…. wenn man so ihre Aussagen zum Thema Corona und den Russisch-ukrainischer “Krieg liest .

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  4. foxxly
    foxxly sagte:

    wir haben die impolsion des aktuellen schuldgeldsystem noch vor uns.

    kann man dann davon sprechen, dass die sechste k-welle bereits begonnen hätte? ich glaube: NEIN !

    was nützt eine neuerste technik, erfindung etc., wenn die kaufkraft der konsumenten sich aktuell rasant verschlechtert, dann kann auch kein wirtschaftsaufschwung stattfinden.

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