Der kommende wirt­schaft­liche Trendbruch

Ich habe schon vor einigen Wochen einen Beitrag zu den Folgen des demografischen Wandels auf die Kernaspekte der wirtschaftlichen Entwicklung gebracht. Auslöser ist das neue Buch von Charles Goodhart und Manoj Pradhan, “The Great Demographic Reversal”. Mit beiden diskutiere ich an diesem Sonntag in der nächsten Folge meines Podcast.

Die FINANCIAL TIMES (FT) bespricht das Buch in einem Beitrag, den ich zum Anlass nehme, die Kernthesen nochmals zu wiederholen. Es ist eine ganz wichtige Entwicklung und genau deshalb kann man sich gar nicht intensiv genug damit beschäftigen:

  • „Economics generally pays surprisingly little attention to demography, even though the ageing and shrinking of the population in so many parts of the world is a striking and new phenomenon in human history. Take Italy. Last year the country recorded the smallest annual number of births since the Risorgimento of the mid-19th century and nearly a third of its population is over 60. There has been an absolute decline in the number of people in Italy since 2015, even accounting for net inward migration. It is an extreme case, but the rest of the west, most of eastern Europe and China will follow.“ – bto: Nein, auch Deutschland ist auf diesem Weg. Das wird gern verdrängt.
  • „The implication of modern economic growth models — that the real growth rate clearly depends on the number of workers, either through the ideas in their heads or the skills they deploy — is little discussed. (…) What are the implications of this unprecedented natural experiment (…)?“ – bto: Mit Blick auf das Wirtschaftswachstum können wir es bereits beobachten. Italien stagniert auch deshalb seit zwei Dekaden.  
  • „Goodhart and Pradhan contrast the accelerating ageing and shrinking of the global labour force with the conditions that have arisen as a result of the big increase in global labour supply from China’s entry into the world economy overlapping with the baby boomers being at the peak of their powers around the turn of the century. Given that the “China shock” has been identified as a major cause behind everything from the hollowing out of middle-class jobs in the west to the financial imbalances driving the 2008 crisis, this is a big moment.“ – bto: Es war aber auch die Folge einer politischen Wahl, die Folge des Angebotsschocks aus China mit Schulden zu kaschieren.
  • „They make some strong predictions. The old, at their late stage in the life cycle, don’t save, but spend, so savings “gluts” of the kind thought to have paved the way for today’s low interest rates will vanish as populations age. Nominal interest rates will rise and so will inflation — mainly because of labour shortages and wage pressures. Rather than secular stagnation — stubbornly low growth resulting from low investment compared to savings — the world economy will experience secular stagflation, as productivity and real growth will continue to be much slower than in the past yet with prices rising faster. That means living standards will at best continue to grow slowly, and for many will be eroded further by inflation.“ – bto: Das ist kein Umfeld der sozialen und gesellschaftlichen Stabilität. Es wird massive Verteilungskonflikte geben und deshalb müssen wir schon jetzt die Weichen anders stellen. Was zu tun wäre, ist Gegenstand meines neuen Buches.
  • „(…) the authors’ (…) omit other forces driving economic change, so it is probably wiser to think of the book as a thought experiment rather than a forecast. It acknowledges technological change but does not engage much with the scope for a turnround in productivity growth, nor with the deflationary tendencies clearly associated with technologies as they bring down prices of many goods and services.“ – bto: Es vernachlässigt aber auch so teure und drastische Programme wie das Erzielen der CO2-Neutralität, was vor dem Hintergrund dieser Entwicklung massiv inflationär wirken muss.  
  • „The book makes the assumption that there will be no change in social safety nets and retirement ages, and so it can ignore what might happen in the world outside economic models. Yet there are many countries where the female participation rate could increase — including in the US — especially post-pandemic. Policies such as maternity pay and pre-school provision affect women’s employment and indeed birth rates, although of course it takes another 20 years for this to increase labour supply.“ – bto: In Deutschland ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen schon deutlich gestiegen, was bedeutet, dass in diesem Hebel nicht mehr so viel Potenzial liegt.  
  • Retirement ages may rise further. And welfare and pension provision are likely to be limited in ways that increase saving by younger workers even as pensioners start to dis-save. It certainly seems possible that the shrinking number of young people will draw the line at supporting their elders at current levels, not least given all the other massive generational inequities they are facing.“ – bto: Das wiederum halte ich für eine äußerst optimistische Annahme. Die sozialen Verwerfungen werden die Politik eher dazu zwingen, mehr Schulden zu machen und diese bei den Notenbanken abzuladen.
  • „The Great Demographic Reversal (…) presents a powerful, well-argued challenge to the ‘mainstream’ view that low growth, inflation and nominal interest rates are here to stay. Above all, its message that everyday economics needs to take demography seriously is surely correct. Whatever its implications, the demographic reversal has started.“ – bto: Mich überzeugt die Argumentation durchaus.

ft.com (Anmeldung erforderlich): “Why economics needs to wake up to ageing populations”, 2. Dezember 2020

Kommentare (14) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    Endlich einmal wieder werden die MEGATRENDS thematisiert.

    Ich versuche eine Systematisierung mit den jeweiligen Folgen:

    1) Die konventionelle Güterfertigung verlagert sich kontinuierlich weiter in die Entwicklungsländer Südostasiens

    → Tendenzieller Verlust gut bezahlter Arbeitsplätze

    → Tendenziell wachsende Ansprüche an das Sozialsystem

    → Weiter wachsender Finanzierungsbedarf des Staats

    2) Die Energiewende wird mit der EU an der Spitze massiv in den entwickelten Volkswirtschaften vorangetrieben

    → Entwertung von Sachkapital und konventioneller Wertschöpfung

    → Per Saldo tendenziell Verlust von Arbeitsplätzen im produzierenden Gewerbe

    → Weiter wachsende Ansprüche an das Sozialsystem

    → Hohe Subventionierung des Umbaus der Wirtschaft

    → Weiter wachsender Finanzierungsbedarf des Staats

    3) Zunehmender Protektionismus (Handelsbarrieren), um Billigimporte abzuwehren; Begründung: Bekämpfung der Klimawende

    → Tendenziell positiv für Güterproduktion und Beschäftigung

    → Tendenziell weniger Exporte mit Verlust von Arbeitsplätzen

    4) Demografischer Wandel

    → Beschleunigung des strukturellen Wandels zur Dienstleistungsgesellschaft

    → Zunehmende Knappheit von Arbeitskräften

    → Einsatz von mehr Ressourcen für die Versorgung der alternden Bevölkerung

    → Weiter wachsende Ansprüche an das Sozialsystem

    → Späterer Renteneintritt, um Sozialsysteme zu entlasten

    → Weiterhin hohe Sparquote wegen stark steigender Betreuungskosten im Alter

    → Auf niedrigem Niveau stark steigende Produktivität in den Dienstleistungsbranchen

    → Wachsende Verteilungskonflikte in der Gesellschaft

    → Weiter stetig wachsende Ansprüche an das Sozialsystem

    → Weiter wachsender Finanzierungsbedarf des Staats

    5) Fortwährende Stabilisierung von Eurozone/EU

    → Steigende Transfers

    → Wachsende Bürgschaft des deutschen Staats mit tendenziell abnehmender Bonität

    → Weiter wachsender Finanzierungsbedarf des Staats

    FAZIT (Technologischer Wandel implizit enthalten):

    a) Kontinuierlich wachsende Sozialbudgets vor allem wegen 1), 2) und 4)

    b) Langsam einsetzende, aber sich kontinuierlich verstärkende Inflation wegen 2), 4) und 3)

    c) Weiter stark wachsender Finanzierungsbedarf des Staats wegen 1), 2), 4) und 5)

    PER SALDO (wenn es „gut“ läuft, kein Crash):

    → Deutlich zunehmender interventionistischer Zentralismus, um Stabilität der Systeme zu erhalten

    → Massiv steigende Staatsverschuldung, um Finanzierung leisten zu können

    → Backup durch die Zentralbanken, um Finanzstabilität zu gewährleiten

    → Ultimative Entschuldung durch Inflation

    RISIKEN:

    → Abwertungswettlauf der Währungen → Handelskriege

    → Politische Destabilisierung, weil Überforderung der Bevölkerungen bzw. die Ansprüche nicht mehr hinreichend befriedigt werden können

    Meine perspektivische Einschätzung:

    KEIN genereller Trendbruch, sondern KONTINUIERLICH vorangetriebene „Weiterentwicklung“ des spätkapitalistischen Systems hochproduktiver Wertschöpfung zu einer UMFASSENDEN VERWALTUNGSWIRTSCHAFT mit den RISIKEN letztlich nicht mehr zu kontrollierender Inflation und gesellschaftlicher Disruption.

    Antworten
    • foxxly
      foxxly sagte:

      @ tischer 16:27
      → Zunehmende Knappheit von Arbeitskräften<<

      das gegenteil ist der fall: wir haben viel zuviel arbeitskräfte, welche von ihrer arbeit leben können

      Antworten
      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ foxxly

        Ich werde demnächst hier noch Romane schreiben, damit Sie verstehen, dass es hier NICHT um „haben“, sondern um TRENDS geht.

      • foxxly
        foxxly sagte:

        @ tischer 18:07
        >>damit Sie verstehen, dass es hier NICHT um „haben“, sondern um TRENDS geht.<<

        es geht ja gerade um den trend!!!!
        oder wo wollen sie mit den vielen potentiellen AK`s noch hin, die mit und durch die rationalisierungen, digitalisierungen, etc. , hinten runterfallen. heute und in der zukunft noch mehr!
        genau dieser anteil wird weltweit immer mehr!

        damit ist wirklich ihre trend-these erklärungsbedürftig!

  2. Alexander
    Alexander sagte:

    SelbstErhaltung als Minimalstanforderung an ein politisches System ist kein definiertes Ziel unserer freiheitlichden Demokratie, das Gegenteil wird mit Mehrheitszustimmung exekutiert.

    *Natürlich ist so eine Gesellschaft auch nicht willens geeignete Zuwanderung zur Selberhaltung zu entscheiden. **Die Folge ist Disintegration und Diversivikation bis zur sozialen Disfunktiion im Namen gefühlter Menschenrechte unter Missachtung unveräußerlicher Grundrechte und ökonomischer Grundfreiheiten.

    Dank aufgeklärter Wissenschaft und freien Journalismus finanziert man sich alternativlos durch das Geldmonopol eines staatlichen Zentralbanksystemes.
    **Letzter Stand: negative Zinsen, Bargeldeinschränkung, Kapitalverkehrsbeschränkung, politisch kontrollierte Kreditvegabe, Ausgangssperren, Kontakverbot, Maskenpflicht…..

    Die Mehrheit schöpft aus der Ruhe von sozialer Sicherheit ihr Vertrauen auf Systemstabilität.

    *+**+*** Merkellismus

    Antworten
    • weico
      weico sagte:

      @Alexander

      “Die Mehrheit schöpft aus der Ruhe von sozialer Sicherheit ihr Vertrauen auf Systemstabilität.
      *+**+*** Merkellismus”

      Ihr beschriebener Merkellismus erinnert stark an die ausgeprägte deutsche “Gutmenschen-Konsensdemokratie”.
      Als aussenstehender Schweizer immer herrlich anzuschauen, wenn schon vor den Wahlergebnissen …über die möglichen Koalitionen diskutiert wird und der Partei-Wähler dann,nach den Wahlen, enttäuscht in die “Röhre” schaut… . Germanische Demokratie in Reinkultur…

      Dabei ist Dissens nicht Konsens das eigentliche Wesen der Demokratie.

      Herrlich pointiert beschrieben von Hr. Broder (in seiner AfD-Fraktionsrede)
      https://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article187962993/Henryk-M-Broders-Rede-vor-der-AfD-Bundestagsfraktion.html

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  3. weico
    weico sagte:

    Das Buchthema ist schlicht “Wein in alten Schläuchen” .
    Das Thema Demografie ist zudem so “durchgekaut” und auch das Buch strotzt mit Floskeln wie …. “wenn-dann-würde-könnte sollte” usw….. …dass es schlicht zu einem Raten mutiert , wass die Zukunft bringen könnte . Zudem sind die zukünftigen Bevölkerungsprognosen der UN so unterschiedlich verschieden ,dass man schon fast lachen muss.Zwischen niedrigster Variante und höchster Variante liegen ,im Jahr 2100, mal schlappe 100%.

    https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/globalisierung/52699/bevoelkerungsentwicklung

    Wenn man darin wirklich einen Trend zur Inflation sehen will, kann man dies natürlich. Muss man aber nicht.

    Demografische Probleme lassen sich, für attraktive Länder ,zudem leicht lösen. Alles eine Frage der richtigen STRATEGIE
    bzw. IMMIGRATIONSPOLITIK .
    https://schweizermonat.ch/einwanderungspolitik-strategien-im-kampf-um-talente/

    Antworten
  4. foxxly
    foxxly sagte:

    ist es nicht komisch, oder schizophren, wenn die politik
    einerseits die zunehmende weltbevölkerung als problematisch einstuft und

    anderseits, wegen dem demographischen faktor im lande für zuwanderung sorgt, als lösung für das wirtschaftliche wachstum?

    einerseits ist die abnehmende demographie schlecht und andereseits, wäre sie wünschenswert?

    was nun?

    etwa 12 Mrd. menschen auf diesen globus wären verkraftbar, wenn die verteilungsfrage gelöst würde.

    genau diese verteilungsfrage besteht in jeden einzelnen lande auch, egal ob demographisches wachstum herrscht oder nicht.

    die grundprobleme bleiben: der wachstumszwang und die verteilung von ressoursen und gewinn!

    Antworten
    • Bauer
      Bauer sagte:

      @ foxxly

      >> “etwa 12 Mrd. menschen auf diesen globus … ” ? 2 Mrd. würden auch reichen, soviele waren es bei meiner Geburt und es hieß schon damals, dass der Platz nicht reicht. Ob das ein Virus eines Tages schafft?

      Antworten
    • Richard Ott
      Richard Ott sagte:

      “die grundprobleme bleiben: der wachstumszwang und die verteilung von ressoursen und gewinn!”

      … und das Schlimmste ist: Auch bei 2 Milliarden Menschen ist “Ressourcenverteilung” immer noch ein Problem. Das wird sich auch nicht ändern, solange wir keinen Replikator wie aus Star Trek und eine unbegrenzt verfügbare kostenlose Energiequelle haben. Solange Ressourcen knapp sind, wird es Konflikte um sie geben.

      So ist der Lauf der Natur, darüber in Weltschmerz zu verfallen ist sinnlos.

      Antworten
      • Bauer
        Bauer sagte:

        @ R.Ott

        Ja, so ist es, denn sonst hätte es früher nie Verteilungskämpfe gegeben. Erinnern Sie sich an meinen Kommentar for ein paar Tagen. Ich habe postuliert, dass Verteilungskämpfe immer der Grund für letzten Endes gewalttätige Auseinandersetzungen sind, auch wenn sie nicht als solche daherkommen, sondern sich hinter ethnischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen oder hochgespielten Emotionen verstecken. Das geschieht auf allen Ebenen von Familie über Gruppe/Clan bis Staat.

      • Richard Ott
        Richard Ott sagte:

        @Bauer

        “Ich habe postuliert, dass Verteilungskämpfe immer der Grund für letzten Endes gewalttätige Auseinandersetzungen sind, auch wenn sie nicht als solche daherkommen, sondern sich hinter ethnischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen oder hochgespielten Emotionen verstecken. Das geschieht auf allen Ebenen von Familie über Gruppe/Clan bis Staat.”

        Sehr oft ist das so, aber nicht “immer”.

        Ich habe passend zum antirassistisch-propagandistisch “gefeierten” Jahrestag ein schönes Gegenbeispiel: Hanau. Tatsächlich hatte der Täter von Hanau paranoide Schizophrenie, er glaubte, der amerikanische Geheimdienst könne seine Gedanken lesen und ihm störende Gedanken direkt in sein Gehirn beamen um ihn von seinem Kampf gegen den Geheimdienst abzuhalten – und um auf diese Machenschaften des Geheimdienstes aufmerksam zu machen, hat er seinen Mordanschlag begangen.

        Verteilungskonflikte hatten damit überhaupt nichts zu tun.

      • Bauer
        Bauer sagte:

        @ R. Ott

        Mord ist in diesem Fall ein persönliches Kriminaldelikt und kein Zusammenstoss von Parteien/Gruppen/Staaten.

      • Richard Ott
        Richard Ott sagte:

        @Bauer

        Das überzeugt mich nicht. Ein geisteskranker oder religiös-fanatischer Anführer kann auch eine ganze Gruppe mit sich ins Verderben führen.

        Es ist allerdings so, dass die Wahrscheinlichkeit, dass so ein Anführer entmachtet oder ersetzt wird, umso mehr steigt, je größer das von ihm geführte Gebilde (Familie / Clan / Staat) ist.

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