„Der IWF relativiert den Neoliberalismus“

Mit dem Titel war den Kollegen von der FINANZ und WIRTSCHAFT die Aufmerksamkeit sicher. Endlich erfolgt die Abkehr vom Neoliberalismus angeführt vom IWF, dem bisherigen Hort eben dieser Denkschule, mag der eine oder andere denken und soll dies auch. Kritisch könnte man da schon einwenden, dass von einer wirklichen „neoliberalen“ Politik ernsthaft doch nirgends die Rede sein kann. Man blicke nur auf Staatsquoten, Regulierung und Notenbankpolitik. Nur mit Blick auf die Finanzmärkte kann man die Kritik noch üben, als Folge der Abhängigkeit der Politiker von immer mehr und immer billigeren Schulden.

Ich denke, die Selbstkritik des IWF hat auch einen politischen Hintergrund. Da ist zunächst die Zielsetzung die Schuldenkrise über Vermögensbesteuerung zumindest teilweise zu lösen, weshalb das Thema der „Gerechtigkeit“ stärker betont wird. Da ist zum anderen die Erkenntnis, dass die immer radikalere Geldpolitik ihr (Enteignungs-)Ziel nur erreichen kann, wenn es perspektivisch Kapitalverkehrskontrollen gibt. Und die Vorbereitung höherer Staatsschulden zur Überwindung der Wachstumsschwäche. Nachdem der IWF „widerruft“, kann der Politikwechsel beginnen. 

Dennoch sind es natürlich interessante Ausführungen, die wir uns mal genauer anschauen sollten:

  • „(…) was Neoliberalismus eigentlich genau meint, ist trotz der umfassenden Verwendung des Begriffs alles andere als klar, und es finden dazu intensive Debatten statt. Meist werden radikalliberale Vorstellungen wie jene von Friedrich August Hayek oder Milton Friedman darunter subsummiert. bto: Alles, was vermeintlich gegen die Arbeitnehmer gerichtet ist und gegen zu viel Sozialstaat, fällt per Definition darunter.
  • Die Autoren der Studie des IWF fokussieren sich konsequenter Weise auf zwei Aspekte:
  • a) „Die Politikempfehlung, den Kapitalverkehr völlig zu öffnen und jegliche Restriktionen in diesem Zusammenhang zwischen Ländern abzubauen. bto: was natürlich nichts anderes ist als eine Schuldenmaximierungs-Maschine.
  • b) „Die Politikempfehlung, wenn immer möglich die Staatsausgaben zu senken, um Schulden zu reduzieren. Diese Politik ist unter dem Begriff Austerität bekannt geworden. bto: Zuvor war es der Wunsch nach Steuersenkungen.
  • Beide Empfehlungen galten nicht nur als neoliberal, sie standen auch im Zentrum der wirtschaftspolitischen Länderempfehlungen des IWF selbst. Wer in den 90er-Jahren von Neoliberalismus sprach, sprach meist im gleichen Atemzug auch vom IWF.
  • „Hier die wichtigsten Punkte der Ökonomen zuerst zur Öffnung der Kapitalmärkte:
    • Beispiele dafür, dass eine Öffnung der Kapitalmärkte einem Land mehr Wachstum bringe, können kaum erbracht werden. bto: Das hat natürlich sehr viel mit der Verwendung der Mittel zu tun. Bei unproduktiver Verwendung für Spekulation, Konsum und Kauf vorhandener Assets ist die Wirkung eher negativ.
    • „Dagegen haben sie eine höhere Ungleichheit zur Folge. Die Ungleichheit wiederum bremst die wirtschaftliche Entwicklung. bto: Das hat mit der relativen Konsumneigung zu tun und der demotivierenden Wirkung für die anderen Bevölkerungsgruppen.
    • „Besonders kurzfristige spekulative Kapitalströme erhöhen in einem Land die Wahrscheinlichkeit stark, dass es zu schweren Finanz- und Bankenkrisen kommt. Das zeigt die Grafik unten links. Die Grafik rechts macht deutlich, dass in der Folge solcher Krisen die Ungleichheit im betroffenen Land deutlich zunimmt.

  • „Grund für diese Krisengefahr ist der Umstand, dass rasch zugeflossenes spekulatives Kapital ebenso rasch auch wieder abfliessen kann. Die Ursachen dafür liegen oft noch nicht einmal beim betreffenden Land selbst. Das kann etwa alleine auf die Geldpolitik der US-Notenbank zurückgehen. So hat allein die Erwartung steigender Zinsen in den USA auch jüngst zu grossen Verwerfungen auf den Kapital- und Währungsmärkten in Schwellenländern geführt. bto: was natürlich noch verschärft wird, wenn die schlechte Mittelverwendung für alle offensichtlich ist.
  • Daraus folgern die IWF-Ökonomen, dass zuweilen die Einschränkung des freien Kapitalverkehrs für ein Land die einzige Option ist, um einen nicht nachhaltigen Kreditboom zu verhindern, der von ausländischem Kapital geschürt wird.

Ebenso kommt der IWF mit Blick auf die Sparpolitik der Staaten zu einem neuen „gewünschteren“  Ergebnis. Ich erinnere allerdings daran, dass nirgendwo wirklich „gespart wird, ein Blick nach Spanien, Portugal, Frankreich und Italien genügt. Egal, selbst das ist natürlich zu viel. Wobei ich insofern dabei bin, als man sich aus der Pleite nun mal nicht heraussparen kann, wie immer wieder auf diesen Seiten erläutert. Nun also der IWF für Vollgas:

  • „Schon die ökonomische Theorie biete keinen Anhaltspunkt für eine optimale Verschuldungsquote, schreiben die IWF-Ökonomen. Der letzte Versuch durch Kenneth Rogoff (selbst einst IWF-Chefökonom), mit einer Verschuldung von 90 Prozent gemessen am Bruttoinlandprodukt eine solche Grenzquote zu etablieren, scheiterte an einem Excel-Fehler und führte zu einem Shitstorm. bto: wobei selbst ohne den Excel-Fehler dieselben Ergebnisse herauskommen!
  • Gilt aber nicht für alle: „Bei notorisch hoch verschuldeten Ländern mit einer Geschichte von Staatsbankrotten, schwachen Institutionen und Wirtschaftsstrukturen ist der Raum für eine weitere Verschuldung besonders klein – siehe Griechenland oder Argentinien. Solche Länder erhalten Geld dann nur zu deutlich höheren Zinsen  oder sie erhalten gar kein Geld mehr, was einen Staatsbankrott unvermeidlich macht. bto: Was ist mit Italien?
  • Für vergleichsweise starke Länder gibt es keinen Grund, auf jeden Fall die Schulden zu senken. Selbst wenn ihre Verschuldungsquote (wie jetzt etwa in Deutschland oder den USA oder auch Japan) gegenwärtig relativ hoch liegt, bezahlen sie dafür rekordtiefe oder sogar negative Zinssätze. bto: Klar, vor allem wir sollen mehr Schulden machen. Bekanntlich bin ich auch dafür, aber aus der zynischen Überlegung, dass es Quatsch ist zu sparen, wenn wir auf die Mega-Pleite zulaufen.
  • „Eine ökonomische (Grenz-)Kosten/(Grenz-)Nutzen-Gegenüberstellung spreche aber gegen eine Schuldenreduktion auf jeden Fall, für alle Länder und unabhängig von der konkreten Wirtschaftslage. Die Kosten der Schuldenreduktion können in diesem Fall höhere volkswirtschaftliche Kosten verursachen, als Vorteile mit sich bringen. bto: Das ist doch mal was. Niemals Schulden tilgen. Das passt übrigens zu dem guten Beitrag von James Montier von GMO, den ich hier ausführlich besprochen habe. 
  • Auch aus Verteilungsgründen, wie der IWF ausführt: „(…) verstärken Austeritätsmassnahmen die Ungleichheit in einem Land. Die schwächere Wirtschaftsentwicklung lastet vor allem auf Empfängern niedriger Einkommen. Angesichts der damit steigenden Arbeitslosigkeit sind Lohnempfänger ohnehin übermässig betroffen. Höheren Steuern können Reiche zudem besser ausweichen, und sinkende Transfermassnahmen betreffen vor allem die Unterschicht. bto: Das ist wichtig mit Blick auf die weiteren Politikempfehlungen, die alle dazu dienen, den globalen Politikwechsel zu noch mehr Schulden und Umverteilung vorzubereiten.
  • Da sowohl vollkommen offene Kapitalmärkte wie auch Austerität die Ungleichheit erhöhen – und weil eine grössere Ungleichheit gemäss den Erkenntnissen der IWF-Ökonomen der Wirtschaftsentwicklung schadet, fordern die Ökonomen einmal mehr Umverteilungsmassnahmen. Nichts macht deutlicher, wie weit der IWF sich von seinen Standpunkten noch vor 20 Jahren entfernt hat – und damit von dem, was er als Neoliberalismus bezeichnet.

Nachdem ich diesen Beitrag fertig hatte und für heute geplant, habe ich gesehen, dass auch DIE ZEIT den Artikel in der FuW gesehen hat und natürlich die Gelegenheit sofort ergriff, um mit einer recht unreflektierten Darstellung der IWF-Überlegungen wiederum einen Beitrag im Sinne der gewünschten Richtung zu verfassen. Hauptsache pro Staat und pro Umverteilung:

  • „Nach fast drei Jahrzehnten neoliberaler Politik bleibt festzuhalten: Die Weltwirtschaft befindet sich in einem permanenten Krisenzustand, für die Fehlspekulationen einer globalen Finanzelite musste die Allgemeinheit aufkommen, und in fast allen Industrienationen ist die Kluft zwischen Arm und Reich größer geworden. Das muss man erst einmal schaffen. bto: Ach, das war Neoliberalismus? Das war das Ausschalten des Marktes durch eine gezielte Politik, die Verschuldung in jeder Hinsicht gefördert hat. Zugleich wurde es ermöglich, immer mehr Oligopole zu bilden, was nun wahrlich nichts mit „neoliberal zu tun hat.

Fazit: Ich denke, es ist mehr ein Symptom als eine wirkliche Ursachenanalyse. In die Krise geführt haben uns zu viele Schulden. Neoliberal war ein Etikett, hinter dem sich Monopolbildung und Sozialisierung von Risiken verbarg. Der Staat hat erheblich dazu beigetragen und soll nun, ebenso wie die zum Staatssektor gehörenden Notenbanken (ja, ich weiß, privat gegründet und den Banken dienend) die Lösung für die von ihm erheblich mit verursachten Probleme sein. Im Kern geht es um die Abschreibung von Schulden und Forderungen und gerade für das Letztere benötigt man ein „intellektuelles Gerüst. Das liefert nun auch der IWF, in dem er ein falsches Konzept mit falschem Namen und Inhalt mit falschen Argumenten auseinandernimmt, um damit anderen falschen Konzepten den Weg zu bereiten, weil sie nun mal opportun sind. Hauptsache, nicht an die wahren Ursachen gehen. Das Ponzi-Schema der westlichen Welt.

FINANZ und WIRTSCHAFT: „Der IWF relativiert den Neoliberalismus“, 6. Juni 2016