Der Höhe­punkt der Speku­lation? Pensions­fonds arbei­ten mit Leverage

Immer wieder habe ich darauf hingewiesen, wie “Leverage” funktioniert. Heute kommen wir zum wohl prominentesten Beispiel, wie die Nullzinspolitik selbst seriöse Institutionen in die Falle der Spekulation auf Kredit treibt.

Zuvor noch mal die Erklärung von Leverage (Eilige Leser, denen das Konzept von Leverage bekannt ist, können gleich zum nächsten Bullet springen.): Nehmen wir an, Sie könnten sich eine Aktie zu 100 Euro kaufen, die eine sichere Dividende von zehn Euro pro Jahr bezahlt. (Ja, in der heutigen Zeit undenkbar, aber dazu kommen wir gleich!) Setzen Sie für den Kauf nur Eigenkapital ein, erzielen Sie eine Rendite von zehn Prozent. Attraktiver wäre es, sich 100 Euro von der Bank zu leihen und gleich zwei Aktien zu kaufen. Gibt die Bank sich mit fünf Prozent Zinsen zufrieden, gehen fünf Euro an die Bank und 15 Euro bleiben bei Ihnen. Macht 15 Prozent Rendite. In der Praxis dürfte die Bank noch großzügiger sein und sich mit nur 20 Prozent Eigenkapital zufriedengeben. Sie können sich also zu Ihren 100 Euro noch 400 Euro von der Bank leihen und fünf Aktien kaufen. Von den 50 Euro Dividende gingen dann 20 Euro an die Bank (fünf Prozent auf 400) und Ihnen blieben 30 Euro! Eine Rendite von dreißig Prozent auf das eingesetzte Eigenkapital.

Nun merken auch andere, was für ein gutes Geschäft das ist und geben sich mit Renditen unter 30 Prozent zufrieden, zahlen also mehr für die Aktie. Steigt der Kurs auf 140 Euro, haben Sie nicht nur einen schönen Kursgewinn erzielt, sondern wieder erheblich mehr Eigenkapital. Ihre zur Beleihung zur Verfügung stehende „Margin“ erhöht sich dadurch auf 300 Euro (100 plus 200 Kursgewinne). Zwar ist die Dividendenrendite von zehn auf nur noch sieben Prozent gefallen, doch liegt sie damit weiter über dem Zinssatz der Bank. Sie leihen sich weitere 840 Euro und kaufen dazu. Dann haben Sie elf Aktien im Wert von 1540 Euro und Schulden von 1240 Euro. Die Rendite auf Ihr Eigenkapital von 300 Euro sinkt zwar auf 16 Prozent, der Gesamtüberschuss (Dividende minus Zinsen) wächst allerdings von 30 auf 48 Euro. Es lohnt sich, solange mehr Schulden aufzunehmen, wie die Dividendenrendite über dem Zinssatz der Bank liegt. Man spricht vom Hebeleffekt (Leverage).

Das funktioniert aber nur, bis die Papiere im Wert fallen und der Kreditgeber keinen Nachschuss auf das Eigenkapital („Margin Call“) verlangt. Kann man dann kein Geld nachschießen, muss verkauft werden.

Zurzeit haben wir Leverage hoch drei:

  • Die Unternehmen nehmen immer mehr Schulden auf. (1)
  • Sie kaufen damit Aktien zurück. (2)

Daraus ergibt sich bereits doppeltes Leverage auf Ebene der Unternehmen. Die Eigenkapitalrendite und der Gewinn pro Aktie steigen.

  • Gekauft werden Aktien und Anleihen der Unternehmen von Investoren, die zur Steigerung der Eigenkapitalrendite ebenfalls Schulden einsetzen. (3)

Damit ist das gesamte System immer anfälliger für Schocks, denn der Leverage-Effekt wirkt in beide Richtungen.

Wie anfällig, das konnten wir im März sehen, als nur Billionen frischer Mittel die Kernschmelze verhindert haben.

In dieses Umfeld platzt nun die Nachricht, dass CALPERS, einer der berühmtesten Pensionsfonds der Welt, beschlossen hat, nun auch mit Leverage zu arbeiten, um das Ziel von 7sieben Prozent jährlicher Rendite zu erreichen. Der Satz ist nötig, weil sonst konsequenterweise mehr Geld aus dem Staatssäckel in den Fonds überwiesen werden müsste, um die Zusagen zu erfüllen.

Die FINANCIAL TIMES (FT) berichtet:

  • “(…) the giant fund would take on additional leverage via borrowings and financial instruments such as equity futures. Leverage could be as high as 20 per cent of the value of the fund, or nearly $80bn based on current assets. The aim is to juice up returns to help the scheme, the largest public pension in the US, achieve its growth target.” – bto: 20 Prozent ist ja nicht aggressiv. Denn dann müssten die Assets 80 Prozent fallen, damit alles verloren ist. Dennoch dürfte der Druck rasch zunehmen, sobald der Wert der Assets fällt.
  • “Calpers’ assets represent just 71 per cent of what it needs to pay future benefits (…) The US stock market slide this year has increased the long-term structural problems across the entire US public pension system, particularly for the weakest plans that have ballooning unfunded liabilities. The weak funded position of these funds poses a huge long-term risk for millions of US employees and retired workers.” – bto: und die Steuerzahler.
  • “Its perpetual nature allows it to make longer-term investments, while its size gives it access to top managers in private equity markets where performance is widely dispersed.“Given the current low-yield and low-growth environment, there are only a few asset classes with a long-term expected return clearing the 7 per cent hurdle. (…) Leverage will increase the volatility of returns but Calpers’ long-term horizon should enable us to tolerate this.” – bto: Sie kaufen also Private Equity (die ja mit viel Leverage arbeiten) und leveragen den anderen Teil selbst.
  • “He added that leverage would not ‘be tied to any specific strategy, asset, fund or deal’.” – bto: einfach nur höhere Schulden, um den Leverage Effekt zu nutzen. Klar ist, dass viele andere Fonds CALPERS folgen werden und dass es nicht bei 20 Prozent bleibt.

→ ft.com (Anmeldung erforderlich) “Top US pension fund aims to juice returns via $80bn leverage plan”, 14. Juni 2020

Kommentare (15) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. asisi1
    asisi1 sagte:

    Die Haftung für diese Tricksereien wird einzig Deutschland übernehmen müssen!
    Es zeichnet sich doch schon seit Jahren ab durch die Kürzungen in den ganzen sozialen “Zwangssystemen”! Rente nur noch 50%, Zuzahlungen im Krankheitsfall steigend, Zähne nur noch gegen Kasse, vom Arzt hört man nur noch Blödsinn usw. Corona bietet jetzt den Grund für massive Steuererhöhungen! Na denn Prost!

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  2. The Big Big Short
    The Big Big Short sagte:

    Auf der Anleiheseite haben Pensionskassen in großem Stil in CLO´s investiert, die ja eine Bündelung von Leveraged Loans sind. Über die Risiken und Funktionsweise dieser Produkte besteht oftmals unzureichende Kenntnis. Aber die Renditen sind für die Pensionskassen einfach zu verlockend. Hier scheinen die nächsten Bail-outs vorprogrammiert. Je tiefer die Renditen, desto höher der Leverage, desto stärker der Absturz, desto mehr Bail-Outs. Wundervolle Kette.

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  3. RaS
    RaS sagte:

    M.E. ist ein Kernproblem die Trennung von Handlung und Haftung. Das gilt nicht nur für die “Spekulation auf Kredit”, sondern auch für Wirtschaft, Verwaltung und Politik.

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    • Joerg
      Joerg sagte:

      Also war CALPERS bisher naiv/rueckstaendig/Late Comers, weil sie nicht/mit zuwenig Hebel gearbeitet hatten … Denn bisher hat die FED alle rausgehauen (und muss/wird es weiterhin tun).
      Fuer uns als (europ.) Anleger ist es besser, wenn die FED alle raushaut (durch unbegrenzte Finanzmarktstuetzung), als wenn nur der US-Staat den negativen Saldo der California-Pensioners ausfuellen wuerde!? Krankes System. Fuer immer 7% Kapitalmarktrendite erwarten = auch naiv?
      Aber wenn man halt in so ein Going-Dutch Abendessen geraten ist (wie wir alle heutzutage), ist jeder der ausschert/eine weitere Runde Champagner auslaesst der Dumme? Oder?

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      • jobi
        jobi sagte:

        so isses !
        Und das beste der Ponzi-Party wollen wir uns doch auf keinen Fall entgehen lassen: Bilanzillusionisten und Abschlussfeuerwerk.

    • Dietmar Tischer
      Dietmar Tischer sagte:

      @ RaS

      Ist es wirklich die TRENNUNG von Handeln und Haften?

      Ich halte dagegen:

      Handeln und Haften sind nicht getrennt, allerdings – verglichen mit der Vergangenheit – in anderer Form nicht.

      Der Staat handelt für uns ALLE und wir ALLE haften dafür.

      Es ist erkennbar, dass wir sind auf dem Weg dahin sind.

      Und der Staat ist vielleicht nur eine Zwischenstation.

      Es wird jedenfalls mit großem Engagement daran gearbeitet, dass die übergeordnete EU mehr und mehr das Handeln übernimmt und folglich auch mehr Menschen für das haften werden, was sie zustande bringt bzw. unterlässt.

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      • Richard Ott
        Richard Ott sagte:

        @Herr Tischer

        “Der Staat handelt für uns ALLE und wir ALLE haften dafür.”

        Das kann man so sehen, aber mit einer individualistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung hat das dann nichts mehr zu tun, wenn diese kollektivistische Idee komplett umgesetzt ist.

      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Richard Ott

        Ist schon klar.

        Wer die Freiheiten hatte und sie wahrgenommen hat mit der Akzeptanz, auch weitgehend haften zu müssen für das, was er bewirkt, wird das sehr bedauern.

        Aber Tatsache ist nun einmal, dass ein Mehrheit zumindest nicht gegen die Aufgabe von individuellem Handeln und Haften ist und eine erkleckliche Anzahl – so meine Einschätzung – sogar ganz zufrieden ist.

        Damit muss man leben können.

        Was mich allerdings beunruhigt, dass anscheinend zu viele glauben, damit sei eine gute Zukunft gesichert.

        Sie täuschen sich m. A. n. gewaltig und werden für diesen Irrtum bezahlen müssen.

      • Richard Ott
        Richard Ott sagte:

        @Herr Tischer

        “Was mich allerdings beunruhigt, dass anscheinend zu viele glauben, damit sei eine gute Zukunft gesichert.”

        Mein Eindruck ist, dass diese Vielen mal wieder glauben, dass sich Kollektivismus und Demokratie irgendwie miteinander vereinbaren lassen -die übliche Propagandalüge der Linksextremen.

        Die konrekten Erfahrungen des Scheiterns dieser Idee aus Systemen wie der “Deutschen Demokratischen Republik” oder der “Demokratischen Volksrepublik Nordkorea” sind für sie zu weit weg.

        Eine “gute Zukunft” (zumindest bis die Substanz aufgefressen ist) sichern solche Staaten nur für ihre jeweiligen “sozialistischen” beziehungsweise kommunistischen Parteikader, für den Rest wird es sehr schnell sehr unangenehm. Das merkt der aber erst, nachdem er die Sozialisten gewählt hat und sie nicht mehr per Abwahl loswerden kann, weil es freie Wahlen dann nicht mehr gibt.

      • Richard Ott
        Richard Ott sagte:

        @Herr Tischer

        Dazu passend ein Verweis auf einen völlig irren Wortwechsel aus der Bundestagsdebatte vom Freitag:

        https://www.youtube.com/watch?v=gJ99xxfslHw&t=1130s

        Der SPD-Abgeordnete Grötsch behauptet: “Alle Antifaschisten sind selbstredend und ganz automatisch Demokraten, weil sie sich gegen Faschismus wenden und weil sie für Demokratie und Freiheit kämpfen.”

        Dann Zwischenfrage von Teuteberg (FDP), ob das auch auf Stalin zutrifft.

        Und Grötsch antwortet sinngemäß: Nein, Stalin war kein Antifaschist, der war ja selber Faschist.

        Sowas hätte sich nicht einmal George Orwell ausdenken können.

  4. Seuchenvogel
    Seuchenvogel sagte:

    Hallo,

    das mit dem spekulieren auf Kredit ist eine sehr gefährliche Sache. Auch viele deutsche Privatanleger tun es, ohne es wirklich zu begreifen. Nämlich mit sogenannten Turbo / Knockout Scheinen.
    Das sind eigentlich verbriefte Futures.

    Und jedes Futuregeschäft ist auch immer mit einem Kreditgeschäft verbunden

    Zb Long Future = Kreditaufnahme + Kauf des Underlyings

    Beispiel:

    Turbo Call auf Daimler:

    Aktueller Kurs der Aktie 36,90
    Kurs Daimler Endlos Turbo Call mit KO 30,10 ist 7 Euro.

    Ein Anleger der jetzt 1000 Scheine kauft, muss dafür also 7000 Euro zahlen. Damit hat er aber eigentlich 1000 Daimler Aktien zu 37 gekauft. Und das bedeutet: Er hat 7000 eigenes Geld eingesetzt und 30.000 Kredit aufgenommen. Das ist ein Leverage von 4,28. Fällt die Aktie auf 30 ist sein Geld restlos weg. Steigt die Aktie auf 45, dann steigt der Schein auf 15 und der Anleger hat mehr als 100% BruttoRendite erspekuliert.

    Und die Summen die in solchen KO Scheinen, Faktorzertifikaten usw umgesetzt werden sind gewaltig.

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    • Richard Ott
      Richard Ott sagte:

      Und das schönste: Diese “Turbo / Knockout Scheine” sind Zertifikate. Wenn die emittierende Bank pleitegeht, ist der Wert auch Null.

      Aber das ist seit der Pleite von Lehman Brothers nicht mehr passiert, und das ist ja schon über 10 Jahre her und passiert bestimmt nie wieder… ;)

      Antworten
      • Seuchenvogel
        Seuchenvogel sagte:

        Richard Ott:

        Korrekt. Diese Scheine, Optionsscheine, KO Scheine etc sind Inhaberschuldverschreibungen der jeweiligen Emittenten.

    • Thomas
      Thomas sagte:

      Zumindest könne solche leveraged credits nicht mehr durch Durchgriffshaftung den Privatpersonen in Rechnung gestellt werden.
      (Negative Account Balance Protection) weswegen mit Wohnsitz DE auch Schweizer Borker zum Teil stark reduzierte Levereages gewähren seit neuestem…

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