Der große Umbau der Gesell­schaft kann beginnen

Am Montag war an dieser Stelle die “sozialliberale“ Klimapolitik Thema, wobei das mit dem „liberal“ so eine Sache ist. Das beweist auch dieser IPG-Beitrag von Marc Saxer, in dem der „große Umbau“ gefordert wird, hin zu einer anderen Gesellschaft. Natürlich nur zum Guten der Menschen und natürlich nur gegen das Kapital, allerdings unausweichlich nach dem Scheitern des „Neoliberalismus“:

  • Finanzkrise, Eurokrise, Klimakrise, Flüchtlingskrise, Demokratiekrise, Coronakrise. All diese Krisen hängen zusammen, verstärken und bedingen sich gegenseitig. Um sie in den Griff zu bekommen, müssen wir die Art, wie wir produzieren und konsumieren, wohnen und uns fortbewegen, radikal verändern. Doch der große Umbau geht viel zu langsam voran oder droht gänzlich zu scheitern.“ – bto: steile These zum Anfang. Würde mich ja mal interessieren, wovon das abhängt außer durch das eklatante Versagen der politisch Verantwortlichen?
  • Mit Vehemenz fordern die Jüngeren, den großen Umbau nun endlich anzupacken. Das Bundesverfassungsgericht gibt ihnen recht: Die Schonung zukünftiger Freiheit erfordere, schon heute der Größe der Herausforderungen angemessene Maßnahmen zu treffen. Aus historischem Schaden klug geworden sind jedoch viele Deutsche skeptisch gegen große Versprechen, alles neu zu machen. Noch immer wünscht sich eine Mehrheit einen unaufgeregten Politikstil. Allerdings wurde unter dem Mäntelchen der „Alternativlosigkeit“ eben keine ‘sachbezogene Politik jenseits von links und rechts’ gemacht, sondern der neoliberale Rückbau des Staates vorangetrieben.“ – bto: echt super, wieder so eine Behauptung. Komisch, dass in den letzten 15 Jahren der Staatsanteil und die Abgabenbelastung ebenso gestiegen sind wie die Sozialausgaben bei gleichzeitig sinkender Arbeitslosigkeit = Bedürftigkeit. Wow. Da grassiert der Neoliberalismus aber. Was für ein unfundierter Quatsch.
  • Spätestens in der Coronakrise dämmerte es den Bürgerinnen und Bürgern, dass die Fähigkeiten des Landes, große Krisen in den Griff zu bekommen, erheblich geschwächt sind. (…) Doch warum klappt es nicht mit dem großen Umbau? Das liegt in erster Linie an den derzeit vorherrschenden Konzepten des Politischen, die untauglich sind für die Gestaltung der Großen Transformation.“ – bto: aha. Die Bürger wählen nicht so, wie es sich der Autor wünscht. Also brauchen wir einen anderen Weg.
  • Aus Frustration über das mutlose Weiter-so von Staat und Wirtschaft hat sich im progressiven Spektrum ein alternativer Ansatz herausgebildet, den ich moralischen Aktivismus nenne. Dessen Vertreterinnen und Vertreter erklären die Krisen unserer Zeit als ethisches Versagen der Individuen. Wenn nur genügend Menschen einsehen, dass sie ihr Verhalten anpassen müssen, so die Logik, dann verändert sich die Welt. Und tatsächlich haben ja bereits Millionen von Menschen damit begonnen, die Art, wie sie konsumieren, sich fortbewegen und wohnen klimagerecht zu gestalten.“ – bto: aus Ermangelung an demokratischer Legitimation schwingen sich ‘progressive Kräfte’ auf, die Mehrheitsmeinung als unzulässig zu diffamieren. Eigentlich gehören alle, die nicht progressiv sind, in die Umerziehung. Dies erfolgt heute durch eine mediale Dauerbeschallung.
  • Der moralische Aktivismus hat allerdings zwei blinde Flecken. Erstens: Durch den Fokus auf die Individuen und ihre Lebensstile bleiben die Machtkonzentrationen verborgen, welche die Energie- Finanz- und Produktionssektoren strukturieren. Wenn Verteilungskonflikte, Machtasymmetrien oder Klasseninteressen aus dem Blickfeld geraten, dann bleibt den verantwortlichen Unternehmern, ethischen Konsumenten und postmateriellen Selbstverwirklichern nur die individuelle Selbstoptimierung, um die Welt zu verbessern.“ – bto: Und das ist natürlich falsch. Richtig wäre es, die Sektoren neu zu organisieren. Hatten wir schon mal mit entsprechendem Erfolg.
  • Zweitens: Sind individuelle Verhaltensänderungen das Ziel, dann beschränkt sich die Rolle der moralischen Aktivisten darauf, mit Nachdruck das als richtig Erkannte zu fordern, ganz egal, ob dadurch potenzielle Verbündete verprellt werden. Weil politische Auseinandersetzungen aber immer eingebettet sind in soziale Kämpfe um die gesellschaftliche Hierarchie, empfinden viele Menschen moralische Belehrungen als Missachtung ihres Lebensstils und die geforderten Verbote als Bevormundung. In den Kulturklassenkämpfen dieser Tage provoziert daher jeder Moralappell zur Umkehr nur ein trotziges Jetzt-erst-recht der anderen Seite. Wenn aber auf jeden Klimaaktivisten ein Klimaleugner kommt und für jeden, der sich an die Corona-Auflagen hält, ein Coronaleugner, dann bewegt sich in der Summe viel zu wenig.“ – bto: dumm auch, weil die zu Erziehenden sich nicht umerziehen lassen wollen. Also muss man die Strategie der Umerziehung ändern, denn beide Wege, Wahlen gewinnen und Dauerbeschallung wirken nicht wie von der Minderheit erhofft.
  • Politik als die Kunst des Möglichen zu verstehen darf aber auch nicht länger als Ausrede für ein uninspiriertes Weiter-So missbraucht werden. Kleinere Kurskorrekturen werden nicht ausreichen, um die vielen miteinander verwobenen Krisen zu lösen. Wer die Systemkrise überwinden will, muss die gesellschaftliche Ordnung, die immer neue Krisen hervorbringt, grundlegend umbauen.“ – bto: aha. Na, dann erwarte ich ab jetzt einen Beitrag über die Geldordnung, die Notwendigkeit, Investition vor Konsum zu stellen und zur Erhöhung der Qualifikation der politischen Führer. Bin gespannt, ob das jetzt kommt.
  • Was es braucht, ist ein Ansatz, den ich „Transformativen Realismus“ nenne. Er baut breite Plattformen, auf denen sich Menschen mit unterschiedlichen Interessen, Identitäten, Weltsichten und Werten versammeln können, um gemeinsam für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Der entscheidende Unterschied zu anderen Ansätzen der Bündnispolitik besteht darin, wer diese Plattformen definiert. Meist ist es die kritische Bildungselite, die Sachlösungen formuliert, die politische Agenda setzt und sie in der öffentlichen Debatte vertritt. Diese Agenda reflektiert jedoch in erster Linie die Ängste und Hoffnungen, das Weltbild und den Lebensstil der Hochgebildeten.“ – bto: Also, ein Vertreter der „kritischen Bildungselite“ möchte andere voranschicken (die dann vermutlich Texte vortragen sollen, deren Sinn sie nicht verstehen …).
  • Wer kann die transformativen Allianzen zwischen verschiedenen Lebenswelten bilden? Das Schmieden sozialer Kompromisse zwischen gesellschaftlichen Gruppen ist seit jeher die Stärke der Sozialdemokratie. Auch im 21. Jahrhundert ist es die Rolle der Sozialdemokratie, möglichst viele Menschen in die Große Transformation mitzunehmen. In der polarisierten und fragmentierten Gesellschaft ist diese Aufgabe jedoch noch komplexer geworden. Heute muss es gelingen, Brücken zwischen der weißen und der bunten Arbeiterklasse sowie der alten und der neuen Mittelklasse zu bauen.“ – bto: Und wie bitte soll die Sozialdemokratie das vollbringen?
  • Das Scheitern des Neoliberalismus eröffnet die Chance, die gesellschaftlichen Allianzen neu zu ordnen. Zwar gibt es nach wie vor breite Widerstände gegen den investierenden Staat, gegen ein solidarisches Europa und gegen mehr Klimaschutz. Allerdings haben wichtige Akteure in der Coronakrise damit begonnen, ihre Interessen neu zu definieren. Sie wissen, dass der Staat mittelfristig kräftig Geld ausgeben muss, um die schwächelnde Nachfrage anzukurbeln. Die historisch niedrigen Zinsen eröffnen dafür die nötigen finanziellen Spielräume. Klug investiert können mit dem billigen Geld die Fundamente einer sozial und ökologisch nachhaltigen Wirtschaft gelegt werden.“ – bto: Wir wollen das Klima durch die Belebung der „schwächelnden Nachfrage“ retten. Hm. Klug investiert, klar. Wer hat die Politik in den letzten Jahren gehindert, konkret die SPD, die überall ihre Finger im Spiel hat?
  • Wie eine solche transformative Plattform aussehen kann, zeigt der Green New Deal. Der klimaneutrale Umbau wird Kosten verursachen. (…) Nur ein echter Green New Deal, der die Verlierer des Strukturwandels entschädigt, kann die Plattform sein, auf der sich ein breites gesellschaftliches Bündnis versammeln kann.“ – bto: also Programme zur Frühverrentung und zum bedingungslosen Grundeinkommen, die damit die Bürger ruhigstellen. Das Geld leiht man sich einfach oder nimmt es den Reichen weg. Programm der Wohlstandvernichtung par exzellence.
  • Die Coronakrise hat gezeigt, dass das Verhältnis zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft neu austariert werden muss. In einer pluralen Gesellschaft kann weder ein bevormundender Obrigkeitsstaat noch ein neoliberaler Marktstaat funktionieren. Breite gesellschaftliche Mehrheiten befürworten dagegen eine vorausschauende Steuer- und Industriepolitik, welche die sozial-ökologisch-digitale Transformation vorantreibt, aber auch demokratiefeindliche Monopolstellungen aufbricht. Im digitalen Kapitalismus sollte sich der Staat als Gärtner verstehen: sähen, wässern, aufziehen, schützen und zurechtstutzen.“ – bto: Phrasendrescherei nennt man das, glaube ich. Wenn die Bürger das befürworten, warum wurde es dann nicht getan?

Fazit

Es werden Behauptungen aufgestellt über Entwicklungen (Neoliberalismus) oder Wirkungszusammenhänge (Euro und Klimakrise), untaugliche Mittel propagiert und dann wird wegen mangelnden Erfolgs im demokratischen Prozess die Demokratie ausgehebelt, in dem „zivilgesellschaftliche Kräfte“ das Sagen haben sollen.

ipg-journal.de: „Der große Umbau“, 20. Juli 2021