Der Deutschen Traum vom Spa­ren und Heraus­wachsen

Lars P. Feld, Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und früher Vorsitzender des Sachverständigenrates der Bundesregierung, hat einen klaren ordnungspolitischen Blick, den ich schätze und teile. Dies zeigt sich auch in seinem Beitrag für die FINANZ und WIRTSCHAFT zum Schuldenproblem. Leider denke ich allerdings, dass hier sein Blick zu wenig die politischen Realitäten aufgreift. Anders formuliert: Ich halte seine Einschätzung für berechtigt, aber letztlich naiv.

  • “Das finanzpolitische Problem der entwickelten Länder ist nicht dadurch begründet, dass sie sich in der Krise kräftig neu verschulden. Das Problem besteht darin, dass viele entwickelte Länder von einem bereits hohen Niveau der Staatsverschuldung kommen und sich nun zusätzlich verschulden müssen. Bislang war die Höhe der Staatsverschuldung für diese Länder noch relativ unproblematisch, weil ihre Refinanzierungskosten vergleichsweise niedrig blieben. Dies hing in der Europäischen Währungsunion (EWU) beispielsweise damit zusammen, dass das Wirtschaftswachstum in einigen Mitgliedstaaten schwach und die Produktionslücken negativ waren. (…) Die Europäische Zentralbank (EZB) blieb nach der Finanzkrise bei sehr geringen Zinsen und setzte ihre Staatsanleihenkäufe fort, sodass das Zinsniveau längerfristiger Staatsanleihen ebenfalls niedrig blieb.” – bto: Und wie wir am Montag gesehen haben, geht auch die Staatsbank KfW davon aus, dass das dauerhaft so bleibt.
  • “Wie ein schlafender Löwe könnte die Inflation zurückkehren. Dann fragt sich, wie die Notenbanken darauf reagieren. Höhere Zinsen würden jedenfalls Auswirkungen auf die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung in der entwickelten Welt haben. Viele Optionen bleiben nicht, und die meisten sind unschön.” – bto: Die schönen Alternativen sind Wunschdenken, die realistischen gruselig.
  • “Die Option der finanziellen Repression mag für die USA auf den ersten Blick verlockend scheinen. Da der Dollar die Weltreservewährung ist, würde eine stärkere finanzielle Repression dort aber eher zu einer Schwächung führen, da sie Anleger abschreckt. (…) Im Euroraum lässt sich finanzielle Repression nur sehr bedingt durchsetzen. Dies hat vor allem damit zu tun, dass die Mitgliedstaaten in einer Währung verschuldet sind, die sie nicht selbst herstellen können. Die Ersparnis von privaten Haushalten und Unternehmen kann daher sehr leicht in anderen Mitgliedstaaten investiert werden.” – bto: Ich denke, wir bekommen eine europaweite Repression.
  • Monetäre Staatsfinanzierung ist keine dauerhafte ­Lösung. Sie führt früher oder später zu Inflation. Der ­Zusammenhang zwischen der Geldmenge in einer weiten Abgrenzung und der Inflationsrate mag für geringe Inflation kaum statistisch nachweisbar sein. In einer Hyperinflation lässt er sich aber leichter beobachten. Selbst die USA hatten nach der Finanzkrise eine nennenswerte Inflationsentwicklung. In der EWU führte die hohe Liquidität in der Vergangenheit nicht zu einer höheren Geldmenge, weil die europäischen Banken sich bei der Kreditvergabe mehr oder weniger stark zurückhielten. (…) Weder finanzielle Repression noch eine höhere ­Inflation lassen sich somit als Wege zum Umgang mit übermässiger Staatsverschuldung ausschliessen. Sie sind aber mit ungünstigen Nebenwirkungen für die Bevölkerung in den entwickelten Ländern verbunden.” – bto: Die Frage ist doch, ob der Schaden nicht auf anderen Wegen noch größer ist.
  • “Eine bessere Lösung zur Konsolidierung der öffentlichen Finanzen führt über höheres Wirtschaftswachstum. (…) Wächst das BIP stärker als die Staatsverschuldung, reduziert sich die Schuldenlast im Sinne der Tragfähigkeit. Dabei geht es nicht um kurzfristige Effekte, die sich etwa im Aufschwung quasi automatisch ergeben oder durch expansive Fiskalpolitik nur in der akuten Krisensituation auftreten. Vielmehr soll das langfristige Wirtschaftswachstum gestärkt werden, sodass das Produktionspotenzial steigt. Dies gelingt durch eine Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität bei hohem Beschäftigungsstand und sinkender Arbeitslosigkeit. Vor allem technologischer Fortschritt durch Innovation wirkt produktivitätssteigernd.” – bto: Richtig, und wo soll das herkommen? In Deutschland, aber auch in den anderen Ländern stagnieren die Produktivitätsfortschritte seit Langem und nun beginnt die Bevölkerung zu schrumpfen.
  • “Die Rahmenbedingungen, die der Staat mit seiner Wirtschaftspolitik setzt, von der Forschungs- und Technologiepolitik über die Wettbewerbspolitik bis hin zum Abbau von Regulierungshemmnissen, sind von grosser Bedeutung. Nicht zuletzt spielt der richtige Mix in der Finanzpolitik eine grosse Rolle. Steuererhöhungen sind Gift, wenn die Konsolidierung durch Wirtschaftswachstum gelingen soll. Vor allem solche Steuern, die Investitionen weniger rentabel sein lassen, also die Einkommens- und die Körperschaftssteuer, besonders die Vermögenssteuer, sind kontraproduktiv für eine solche Politik.” – bto: Stimmt, aber nur wenige sagen das wie Feld. Übrigens auch die Kernnachricht vom “Traum von einem Land – Deutschland 2040”.
  • “Die Staatsausgaben sollten insgesamt weniger stark steigen als das BIP. Die Ausgabenstruktur sollte stärker auf öffentliche Investitionen als auf Staatskonsum oder -transfers ausgerichtet werden. Eigentlich geht es aber darum, dass der Staat tut, was er soll: Marktversagen korrigieren, die notwendige Infrastruktur für private Investitionen zur Verfügung stellen und eine gewisse soziale Sicherung bereitstellen. Die mit einer solchen Politik verbundenen Zielkonflikte gilt es produktivitätssteigernd zu lösen.” – bto: richtig und unwahrscheinlich. In Europa sind die großen Dirigenten am Werk und dürften nach den kommenden Wahlen auch in Deutschland herrschen.

fuw.ch: “Schulden – Krise – Schuldenkrise?”, 9. April 2021