Deindustrialisierung mit Ansage

Während wir denken, Dekarbonisierung ohne Rücksicht auf die technologischen Voraussetzungen und wirtschaftlichen Folgen durchdrücken zu können, macht unsere Industrie, was sie machen muss. Die Konsequenzen ziehen:

  • „Die Zukunft der Stahlindustrie in Deutschland ist stark gefährdet. Das meint Karl-Ulrich Köhler, der Vorstandsvorsitzende der Stahl-Holding Saar (SHS), zu der die Dillinger Hütte und Saarstahl gehören. ‘Die Standortfrage wird sich in den kommenden Jahren stellen’, sagte der Manager vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung Düsseldorf (WPV).“ – bto: Niemand, der bei Trost ist, investiert, wo es teuer ist und die Energieversorgung unsicher.
  • „Hintergrund sind die Klimaziele der Politik und die notwendige Umstellung der Produktion von Koks und Kohle auf eine strombasierte Metallurgie. Dabei kommen sogenannte Direktreduktionsanlagen und Elektrolichtbogenöfen zum Einsatz. ‘Diese Anlagen werden nicht zwingend in Deutschland stehen’, prognostiziert Köhler. Stattdessen ziehe die Produktion an Standorte, an denen CO2-freie Energie günstig und massenhaft verfügbar ist.“ – bto: Ich hatte an dieser Stelle schon von Nordschweden gesprochen.
  • “In Deutschland stimmen die Rahmenbedingungen für die Transformation hin zum grünen Stahl bislang nicht. Und das Zeitfenster für die notwendigen politischen Weichenstellungen wird immer kleiner. Investitionsentscheidungen in der Stahlindustrie sind auf Jahrzehnte hinweg ausgerichtet – diesen Zyklen entsprechend muss jetzt investiert werden, um ab 2045 klimaneutral produzieren zu können.” – bto: Auch das verstehen unsere Politiker und Klimaaktivisten nicht bzw. es ist ihnen egal.
  • „Bislang gebe es aber lediglich einen opportunistischen Zielsetzungswettbewerb von immer neuen Klimaschutzvorgaben, der Unsicherheiten schafft, wo eigentlich Sicherheit nötig wäre (…).  Zwar hat die Stahlindustrie längst Pilotversuche gestartet, um die Machbarkeit der Transformation aufzuzeigen. (…) Die Technik sei dabei auch nicht das Problem, heißt es vonseiten der Unternehmen. Knackpunkt ist die Überführung der Testanlagen in den industriellen Maßstab. (…) Der Weg dorthin sei lang, teuer und komplex.“ – bto: Sollte man diesen Weg wirklich gehen sollte oder nicht lieber gleich an einen anderen Standort? Letzteres wäre aus meiner Sicht vernünftiger.
  • „Auf rund 30 Milliarden Euro werden die Kosten alleine in Deutschland geschätzt (…).  Zwar gibt es erste Förderzusagen von der Politik. ‘Was da kommt, reicht aber bei Weitem nicht aus’, klagte Köhler, der auch schon für Thyssenkrupp und Tata Steel Europe gearbeitet hat. Die Kapitalbasis der Stahlkonzerne werde in den kommenden Jahren durch den Emissionshandel und den steigenden CO2-Preis weiter belastet. ‘Das entzieht den Unternehmen Investitionsmittel, die dringend nötig sind’, heißt es bei der Wirtschaftsvereinigung Stahl.“ – bto: Die Industrie wandert bereits ab, da kann die Stahlindustrie den Kunden ja folgen. Ich persönlich wette, dass auch nach 2030 noch Verbrennungsmotoren gebaut werden, nur eben nicht mehr bei uns.
  • „Die Frage ist auch: Woher kommen Strom und Wasserstoff für eine CO2-neutrale Produktion? (…) Dem SHS-Chef zufolge benötigt alleine die saarländische Stahlindustrie zusätzlich rund 8,1 Terawattstunden CO2-freien Strom pro Jahr ab 2045, zum Beispiel für Direktreduktionsanlagen, Elektroöfen und Wasserstoffaufbereitung. Das entspricht der doppelten Kapazität des Windparks Borkum Riffgrund 3 mit 78 Anlagen des Typs SWT-4.0-120. Bundesweit liege der Bedarf der Stahlindustrie sogar bei 130 Terawattstunden aus erneuerbaren Energien, heißt es aus der Branche. Dafür aber braucht es nicht nur einen deutlich schnelleren Ausbau der umweltfreundlichen Stromerzeugung. Auch die Infrastruktur zum Energietransport muss neu geschaffen werden.“ – bto: Das ist dann die Grundlage für das neue Wirtschaftswunder, von dem die Aktivisten sprechen.
  • „Die saarländische Stahlindustrie orientiert sich daher jetzt in Richtung Ausland. So hat SHS kürzlich die Werke Ascoval und Rail Hayage in Frankreich vom Konkurrenten Liberty Steel übernommen. Ascoval solle Dreh- und Angelpunkt für die Produktion von grünem Stahl werden, heißt es in der entsprechenden Mitteilung. Der dortige Elektrolichtbogenofen ermögliche die Produktion von Spitzenstahl mit einer CO2-neutralen Bilanz. Der notwendige Strom kommt aus den französischen Atomkraftwerken.“ – bto: Aber bei uns reden sie von „klimagerechten Wohlstand“.
  • „Für die gesamte Branche rechnet Köhler mit einer Reduzierung der Kapazitäten in Deutschland. (…) Stattdessen werde fehlender Stahl künftig wohl an Orten mit geringeren sozialen und ökologischen Arbeitsbedingungen erzeugt. Diese Entwicklung, von Fachleuten auch Carbon Leakage genannt, gebe es seit Jahren. ‘Die CO2-Minderung der Stahlindustrie in Europa zwischen 1990 und 2015 betrug 28 Prozent. Die Hälfte dieser Reduktion geht auf den Rückgang der Stahlerzeugung zurück.’ Für den Klimaschutz sei aber nichts gewonnen, wenn die Industrie in Länder ohne vergleichbare Klimaschutzauflagen ausweicht.“ – bto: Man fasst sich an den Kopf und fragt, was das soll.
  • “‘Wenn wir die Hochöfen verlieren, gehen auch in anderen Branchen viele Arbeitsplätze verloren’, kündigte Köhler an. Das wisse zwar auch die Politik. Trotzdem gibt es weiterhin einen Zielsetzungswettbewerb statt eines Realisierungswettbewerbs.’ Damit lege man die Axt an die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland.”bto: Bingo. Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen!

welt.de: „Die deutsche Stahlindustrie zieht es zu französischem Atomstrom“, 26. August 2021