“Deindustriali­sierung ist eine reale Gefahr”

Am 11. September 2022 habe ich in meinem Podcast erstmals einen Industrievertreter zu Gast. Matthias Zachert ist Vorstandsvorsitzender der LANXESS AG, einem der großen Chemieunternehmen des Landes. In einem Beitrag für das Handelsblatt hatte er vor einigen Wochen vor den Folgen der Energiekrise und des politischen Umfelds für den Standort Deutschland gewarnt:

  • “(…) unsere starke industrielle Basis, ein Fundament des Wohlstands unseres Landes und ein Stützpfeiler der Wirtschaft in ganz Europa, ist bedroht. Eine Deindustrialisierung in Deutschland und Europa ist nicht länger nur ein Schreckgespenst, sondern eine sehr reale Gefahr – so groß sind die Herausforderungen in den zurückliegenden zwei Jahren geworden.” – bto: Da stellt sich die Frage, wie stand es denn um die deutsche Wirtschaft vor 2020?
  • “Mit Corona war die Anfälligkeit globaler Lieferketten bereits offenkundig geworden. Auch hatte sich schon angedeutet, dass die Interessen wichtiger Akteure der Weltwirtschaft auseinanderdriften. Durch den Krieg sind die Zweifel zur Gewissheit geworden, dass es kein Zurück mehr zum Status quo ante geben wird.” – bto: Das trifft vom globalen Handel abhängige Unternehmen überproportional. Also die aus Deutschland.
  • “Handelsströme verschieben sich. Logistikdienstleistungen sind zum Luxusgut, wichtige Vorprodukte in allen Bereichen zur Mangelware geworden. Die Inflation erreicht nicht nur hierzulande ungeahnte Höhen, und insbesondere die Energiemärkte sind völlig aus den Fugen geraten.” – bto: Das trifft natürlich alle in Europa.
  • “Die Fehler der Vergangenheit in der deutschen Energiepolitik wurden dabei schonungslos offengelegt. Heute wissen alle, dass der gleichzeitige Ausstieg aus Kernkraft und Kohle, kombiniert mit einer halbherzigen Energiewende und einer blauäugig immer weiter verstärkten Abhängigkeit von russischen Energielieferungen, ein toxisches Gemisch gewesen ist.” – bto: Wäre es denn möglich, die chemische Industrie nur mit erneuerbaren Energien zu betreiben?
  • “Die exorbitant gestiegenen Energiekosten bedrohen die Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Produktion in Deutschland und Europa. Bleiben die deutschen Energiepreise auf dem derzeitigen Niveau, dann werden wir erleben, dass reihenweise Betriebe in deutschen Schlüsselindustrien schließen. Und was jetzt an wettbewerbsfähigere Regionen wie die USA verloren geht, wird nicht zurückkommen.” – bto: Bisher hatten die USA nicht vom billigen Gas profitiert, zumindest was die Ansiedlung von Produktion betrifft.
  • “Genauso unverständlich ist es, dass in einer Situation hoher wirtschaftlicher Anspannung die regulatorischen Daumenschrauben weiter massiv angezogen werden. Die Industrie zieht voll mit bei der nachhaltigen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. In vielen Bereichen ist die deutsche Industrie sogar internationaler Technologieführer. Aber sie kann beim besten Willen kaum Schritt halten mit dem Tempo, in dem bürokratische Auflagen und Umweltvorgaben verschärft werden.” – bto: Das ist natürlich bei der Chemie besonders schwer, weil die GRÜNEN die Branche auf dem Kieker haben.
  • “Die Chemiebranche beispielsweise sieht sich seitens der EU mit einer immer restriktiveren Chemikalienpolitik konfrontiert, die schlicht verbietet, was auch nur im Entferntesten gefährlich sein könnte. Diese Politik ignoriert, wie gut die Industrie potenzielle Gefahren im Griff hat. Und sie nimmt keinerlei Rücksicht darauf, dass Ersatzstoffe nicht im Eiltempo entwickelt werden können und Wettbewerber keine Hemmungen haben werden, in die entstehenden Marktlücken zu stoßen und ihre europäischen Konkurrenten so zu schwächen.” – bto: Natürlich nicht, alles andere wäre auch dumm. Das gilt für alle Bereiche, nicht nur die Chemie und die EU/Deutschland sind dabei voll auf Mithilfe-Kurs.
  • “Wenn Autokraten die Spielregeln nach Lust und Laune ändern, müssen diejenigen Länder enger zusammenrücken, die sich Freiheit und Demokratie verpflichtet fühlen. (…) Aber wenn Bundesfinanzminister Christian Lindner eine Wiederaufnahme der 2016 ausgesetzten Gespräche zwischen der EU und den USA über das Handelsabkommen TTIP anregt, erntet er umgehend Kritik, nicht zuletzt vom grünen Koalitionspartner (…).” – bto: Es ist in wahrem Sinne irre, was hier abläuft.
  • “Die Welt wird gerade neu verteilt, und ausgerechnet in dieser heiklen Phase schwächen wir uns weiter selbst. Dabei ginge es gerade jetzt darum, pragmatisch und ideologiefrei das Richtige zu tun – und das Richtige schnell zu tun.”
  • “(…) eine leistungs- und wettbewerbsfähige Industrie (…) ist kein notwendiges Übel, sondern ein Motor des Fortschritts und ein Garant für nachhaltigen Wohlstand. Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass eine Deglobalisierung uns an Drittländer verlorene Produktion in großem Stil wieder zurückbringen könnte. Sorgen wir vielmehr gemeinsam dafür, dass die Industrie, die wir heute in Deutschland und in ganz Europa haben, auch in Zukunft noch zeigen kann, was sie für uns alle wert ist.” – bto: Ein netter Appell, doch was bedeutet das konkret? Das werde ich Herrn Zachert fragen.

Handelsblatt (Anmeldung erforderlich): „Die Welt wird neu verteilt – und wir schwächen unsere Industrie weiter selbst“, 29. August 2022