Das Zinsänderungs­risiko ist enorm

Keine neue Erkenntnis: → Steigende Zinsen sind Gift für Assetpreise
In diesem Beitrag zeigte ich, wie sensitiv Vermögenspreise auf Zinsänderungen reagieren. Ein wichtiges Thema, wie auch dieses Beispiel aus meinem letzten Beitrag im Heft von Cicero zeigt:

“Ein Selbstständiger, der für sein Alter vorsorgt, rechnet so: Um für eine angenommene Lebenserwartung von 90 Jahren, 25 Jahre Rentnerdasein mit einer monatlichen Rente von 5.000 Euro vorzusorgen, muss er bei einer angenommenen Verzinsung von sechs Prozent zu Beginn der Rente ein Vermögen von rund 815.000 Euro haben. Mit 90 Jahren ist es dann aufgebraucht. Er kauft eine Anleihe, die diesen Zahlungsstrom abbildet, und fühlt sich damit keineswegs reich. Sinkt das Zinsniveau – zum Beispiel, weil die Notenbank Staatsschuldenkrisen und einen Zusammenbruch der Währungsunion befürchtet – auf ein Prozent, steigt der Wert dieser Anleihe auf 1.335.000 Euro. Die laufende Auszahlung ändert sich nicht.

Auf dem Papier ist der Selbstständige deutlich reicher geworden. Die Politik schließt, es sei ein unberechtigter Reichtum entstanden, der nur endlich besteuert gehört. Dabei hat sich aus Sicht unseres Rentners nichts geändert. Wie zuvor kann er über 60.000 Euro pro Jahr verfügen und mit 90 Jahren ist das Geld aus. Beschließt die Politik nun, die Hälfte des erzielten ‘Vermögenszuwachses’, der – wie gezeigt – nur auf dem Papier besteht, zu besteuern, muss unser Selbstständiger 260.000 Euro an den Staat abliefern. Dazu verkauft er einen Teil seiner Ersparnisse. Folge: Er muss seine monatlichen Ausgaben auf 4025 Euro kürzen oder aber vor dem 85. Geburtstag sterben. Beides keine schönen Aussichten.”

Die FINANZ und WIRTSCHAFT widmet sich dem Thema der Duration erneut:

  • “Höhere (…) Zinsen wären für Anleger fatal. Denn so wie praktisch alle Vermögenswerte über Dekaden von fallenden Anleihenrenditen profitiert haben, werden sie bei einer Trendumkehr leiden, weil die Zinssensitivität massiv zugenommen hat. ‘Die globale Anlegerschaft hat eine historisch hohe Duration im Portfolio’, schreibt Morgan-Stanley-Stratege Andrew Sheets (…).” – bto: Das ist angesichts der tiefen Zinsen eine logische Konsequenz.
  • “Am offensichtlichsten ist dies im Anleihenbereich, woher das Konzept der Duration ursprünglich stammt. Nur schon das kräftige Wachstum des globalen Obligationenmarktes der letzten Jahre bedeutet, dass das Zinsänderungsrisiko in den ­Portfolios zugenommen hat. Gemessen am Global Aggregate Bond Index des Finanzinformations­portals Bloom­berg hat sich der Marktwert ­aller ausstehenden festverzinslichen Schuldpapiere seit 2009 auf 62 Bio. $ verdoppelt. Fast 30 Prozent betrug das Wachstum in den letzten zwei Jahren.” – bto: wobei in diesen Zahlen auch die gestiegene Verschuldung enthalten sein sollte?
  • “Die durchschnittliche Restlaufzeit aller ausstehenden Anleihen beträgt un­terdessen neun Jahre. Die Duration ist auf ein Rekordhoch von 7,4 Jahren gestiegen. Die modifizierte Duration liegt bei 6,8. Das heisst: Wenn die Zinsen 1% steigen, fällt der Wert des globalen Anleihenmarktes um fast 7%.” – bto: Über 4000 Milliarden Dollar wären dann schon mal “weg”.
  • “Doch das zunehmende Zinsänderungs­risiko ist nicht nur ein Anleihenphänomen, sondern betrifft auch den Aktienmarkt. Denn das Gewicht der zinsempfindlichen Sektoren – wie etwa der Technologieaktien – hat deutlich zugenommen. Nach Berechnung von Morgan Stanley halten die Investoren global betrachtet 8,1 Bio. $ mehr von diesen Aktien als noch vor achtzehn Monaten.” – bto: Viele Aktien sind ja wegen ihres Zinscharakters gesucht.
  • “Besonders hoch ist das Durationsrisiko bei Anlagen in ausserbörsliches Eigen­kapital (…). Private-Equity-Anlagen würden bei steigenden Zinsen mehr verlieren als kotierte Aktien, weil die Gelder länger gebunden seien. Die oft zitierte Illiquiditätsprämie würde in einer Duration-Baisse mit steigenden Zinsen negativ ausfallen.”
  • “Das Zinsrisiko von ­Immobilien ist schon länger bekannt und gut erforscht. In den vergangenen Wochen aber haben sich sogar Edelmetalle wie ein Long Duration Asset verhalten. Je tiefer die zehnjährigen Treasury-Renditen sanken, desto höher stieg der Goldpreis.” – bto: und alles andere, was einen Zahlungsstrom oder zumindest eine Rückzahlung verspricht.
  • “Die Duration ist eine Sensi­ti­vitätskennzahl, die ihren Ursprung in der Bewertung von Anleihen hat. Eingeführt wurde das Konzept der Duration 1938 vom Ökonomen Frederick R. Macaulay. Sie bezeichnet die durchschnittliche Kapitalbindungsdauer einer Geldanlage in einem festverzinslichen Wertpapier. Allgemeiner formuliert ist die Duration der gewichtete Mittelwert der Zeitpunkte, zu denen der Anleger Zahlungen aus einem Wertpapier erhält. Bei so niedrigen Coupons wie aktuell wird die Duration fast ausschliesslich durch den Rückzahlungstermin bestimmt, und sie weicht nur geringfügig von der Restlaufzeit ab.” – bto: weil man die künftigen Zahlungen wenig abzinst.
  • “Die Macaulay-Duration wird in Jahren angegeben. Dividiert man sie durch 1 plus den Marktzins, erhält man die am häufigsten verwendete Form der Duration, die sogenannte modifizierte Duration. Sie gibt Auskunft darüber, wie stark der Kurs der Anleihe auf Änderungen des Zinsniveaus reagiert. Je höher die Duration, desto grösser die Zinssensitivität.”

Nun, es ist tröstlich – oder gefährlich? –, dass allgemein keine höheren Zinsen erwartet werden. Allerdings können die Realzinsen tief bleiben und weiter sinken, während die Nominalzinsen steigen. Aber da sind die Notenbanken davor, die sich ja nun auch festlegen, die kumulierte Inflation nach oben zu bekommen.

fuw.ch: “An den tiefen Zinsen hängt alles”, 20. August 2020