Das Risiko einer Schulden­krise ist erheblich

„Dr. Doom“, Nouriel Roubini, vermarktet sein neues Buch. Viele Interviews werden gegeben und er möchte natürlich für Schlagzeilen sorgen. Auf der anderen Seite sind seine Thesen nicht so fern von jenen, die an dieser Stelle oft vertreten werden:

Zunächst im Dezember in der FINANCIAL TIMES (FT):

  • „The conventional wisdom, coming from policymakers or Wall Street, has been systematically wrong. First, they said inflation’s going to be transitory . . . Then there was a debate over whether rising inflation was due to bad policies or bad luck, namely supply shocks such as Russia’s invasion of Ukraine and Chinese zero-Covid restrictions. Roubini sees the consensus now as ‚six months of recession, big deal‘. Again, he disagrees. ‚No, this is not going to be a short and shallow recession, it’s going to be deep and protracted.‘“ – bto: Wobei es zurzeit viel mehr Datenpunkte gibt, die eher für eine maßvolle Rezession sprechen. Zumindest an der deutschen Börse wird dieses Szenario gespielt.
  • As for Europe, ‚it’s much worse. The UK is already in a stagflation. Inflation is above 10 per cent and even the BoE expects at least five quarters of negative economic growth . . . And the Brits shot themselves in the foot with Brexit, so that’s another stagflationary shock.‘ Because public and private debt is so high — up from 220 per cent of global GDP in 1999 to 350 per cent in 2019 — central banks won’t raise rates far enough.“ – bto: Das ist in der Tat das grundlegende Problem, weshalb wir einen Inflationsbias haben.
  • „This time is different, but it’s different relative to the last 75 years of relative peace, progress and prosperity, because before then the history of humanity was a history of famine, war, disease and genocides and so on. The last 75 years are an exception, they’re not the rule.“ – bto: Das müssen wir leider anerkennen. Wir haben vielleicht in einer Zeit gelebt, die nicht normal, sondern die Ausnahme war.
  • He gives half a dozen reasons why climate action will be too little. ‚Even if we do [what was agreed at summits in] Glasgow and Sharm el-Sheikh, we are on the way to 2.4C [warming] and we’re not going to do everything that we said, so we’re on the way to 3C. 3C is really awful . . . In the US, half the country doesn’t believe in climate change or that it’s human-induced, so when the GOP’s in power, policies do nothing.‘ The old and young are too selfish: a large chunk of emissions ‚come from livestock agriculture. We should all be vegan, and we’re not. I tried for three months and I gave up.‘“ – bto: Das ist natürlich für jene, die sich damit beschäftigen – siehe meine Podcastepisode „Ohne Fleisch geht nicht“ – eine offensichtlich falsche Aussage.
  • So investors need to find safety elsewhere: ‚The idea will be either you go to short-term Treasuries, you go to inflation-indexed bonds, you go to gold.‘ Property prices have fallen, due to rising interest rates. But Roubini argues that central banks will blink, so ‚land is a good hedge‘, as long as it is “environmentally resilient. Half of land in the US is going to be destroyed by climate change . . . We have data that look at every county, or even every building, to see which ones of the public [real estate investment trusts] are environmentally sound.“ bto: Sicherlich wird der Staat – bei uns auch die EU – dazu beitragen, erhebliche Werte zu zerstören.
  • He argues that world war three began in October, when the US blocked sales of many microchips to China. Trade hostilities will be far-reaching, because soon everything will have a chip.“ – bto. Das kann man so sehen: ein kalter Krieg.

Im Januar dann im Handelsblatt:

  • „Wir haben seit dem Zweiten Weltkrieg ein Dreivierteljahrhundert relativen Friedens und Wohlstands hinter uns. Die Zeit zwischen 1914 und 1945 war eine ganz andere. Und viele Merkmale der heutigen Welt erinnern mich mehr an diese Zeit als an die Zeit nach 1945. Unsere nahe Zukunft könnte genauso trostlos aussehen wie die Weltwirtschaftskrise der 1930er-‧Jahre. Das ist nicht alarmistisch, wir müssen wieder lernen, in Alarmbereitschaft zu leben.“ – bto: Das Problem ist, dass gerade wir Deutschen uns die falschen Themen geben.
  • „Sie sprechen auch von einem ‚Minsky-Moment‘, in dem plötzlich bewusst werde, wie fragil die Lage sei. Was könnte der Auslöser für einen solchen Moment sein? – Niemand kann vorhersehen, was das Beben auslösen wird. Es gibt eine ganze Reihe von Kandidaten: Wie 1929 könnte der gesamte Markt zusammenbrechen, der Anstieg der Inflation könnte die Notenbanken dazu zwingen, das Geld in drakonischer Weise zu verknappen. (…) Möglich ist auch ein geopolitischer Schock wie ein Angriff Chinas auf Taiwan.“ – bto: Ein System, das so hoch geleveraged ist wie das heutige, ist naturgemäß anfällig.
  • „Einer der großen Risikofaktoren ist aus Ihrer Sicht die hohe Verschuldung weltweit. Sie sprechen sogar von der ‚Mutter aller Schuldenkrisen‘. – Die private und öffentliche Verschuldung betrug in den Siebzigerjahren 100 Prozent der Wirtschaftsleistung, zur Jahrtausendwende waren es 200 Prozent. Und sie steigt jetzt vor allem in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften drastisch und liegt bei 450 Prozent. (…) Vor dem Hintergrund weltweit stagnierender Einkommen und des schwachen Wachstums schulden Staaten, Unternehmen, Banken und Haushalte mehr, als sie in realistischen Szenarien zurückzahlen können. Schulden, die bei Null- und Negativzinsen beherrschbar waren, werden es künftig nicht mehr sein, da die Zentralbanken ihre Leitzinsen nun anheben müssen. Diesmal rasen wir auf einen Kipppunkt zu. Also: Wir erleben die Mutter aller Schuldenkrisen.“ – bto: Richtig. Und was wird die politische Antwort sein?
  • „Aber in den meisten Volkswirtschaften liegen die Zinsen weit unter den Inflationsraten. Ökonomen verweisen darauf, dass die Preissteigerungen letztlich die Schulden entwerten. Irren sie? – Niedrige Zinsen und größere Neuverschuldung waren in den vergangenen Jahrzehnten immer der Weg des geringsten Widerstands. Doch billiges Geld treibt die Verschuldung immer weiter in die Höhe. Es führt zu einer Preissteigerung bei den Vermögenswerten und schließlich zu einer Blase. Irgendwann bekommen wir die Rechnung. Die Blase wird in einem großen Knall platzen, es folgen Zahlungsausfälle und Rezession. Wir sind schon jetzt an einem Punkt angelangt, wo eine Rezession unvermeidlich ist. Die Frage ist nur, wie lange sie dauern und wie schwer sie ausfallen wird.“ – bto: Würde die Blase wirklich platzen, hätten wir umgehend eine Depression. Mit einer Rezession wäre es nicht getan.
  • „Aber auch Schuldenkrisen gehören zum Kapitalismus, ebenso wie spektakuläre Pleiten. – Ja, das Neue aber ist: Wir haben nicht nur jetzt schon gigantische Staatsdefizite, sondern müssen im nächsten Jahrzehnt auch noch viel mehr ausgeben. Es wird eine ganze Reihe von Kriegen geben, ich rechne mit fünf oder sechs. Deutschland und Europa müssen mehr für ihre eigene Verteidigung ausgeben. Wir führen auch einen unfassbar teuren Krieg gegen den Klimawandel. Hinzu kommt die völlige Unterfinanzierung der Sozialversicherungen aufgrund des demografischen Wandels in vielen Gesellschaften, also die sogenannte implizite Verschuldung. Die schlimmste Schuldenkrise aller Zeiten liegt direkt vor uns, und es scheint, als hätten wir sämtliche ihrer Vorgänger verdrängt. Der Rest der Welt wird Argentinien immer ähnlicher.“ – bto: Das ist kein erfreuliches Szenario.
  • „Ich habe nichts gegen Schulden. Kredite sind ein sinnvolles Instrument zur Finanzierung von Investitionen, solange die Volkswirtschaft gesund ist, die Währung stabil, der Anteil der Verschuldung am Bruttoinlandsprodukt im Rahmen, die Zahlungsbilanz ausgeglichen und solange die Einkommen steigen. Wirtschaftswachstum trägt dazu bei, dass die Schuldenlast beherrschbar bleibt. Es ist völlig in Ordnung, in schlechten Zeiten Kredite aufzunehmen, etwa um eine Rezession abzuschwächen, wenn in guten Zeiten ein Haushaltsüberschuss erwirtschaftet wird, um die Schuldenquote zu stabilisieren und abzubauen. Der zweite Teil wurde immer versäumt.“ – bto: Wir haben einen asymmetrischen Prozess der Aufschuldung erlebt.
  • „(…) immer wenn es eine Krise gibt, heißt es, man wolle keynesianisch vorgehen, weil man verhindern will, dass illiquide, aber solvente Akteure insolvent werden und eine Depression verursachen. Jeder wurde gerettet, auch die Zombies. Aber jetzt ist die Party vorbei. Wegen der steigenden Zinsen können die Zombies dieses Mal nicht überleben, und wir haben nicht die Mittel, um sie zu retten.“ – bto: Ich denke das nicht. Wir werden retten, indem wir noch mehr Geld schaffen.
  • „Insgesamt hat die Politik ihre Haushaltsressourcen nahezu ausgeschöpft. Wenn die nächste Finanzkrise zuschlägt, fehlen ihr möglicherweise die Mittel, um die klammen Haushalte, Unternehmen, Banken und Geschäfte zu retten.“ – bto: Das klingt nachvollziehbar, ich denke aber, es wird weitere Schuldentöpfe geben. Die MMT steht erst am Anfang.
  • „Die Zeit der großen Mäßigung, also sinkender Anleiherenditen, niedriger Inflation und steigender Aktienkurse, ist vorbei. Wir treten in eine Ära deutlich höherer Inflation, aber auch größerer Stagflation ein, gepaart mit Schuldenkrisen, und die Probleme sind miteinander verknüpft.“ – bto: Natürlich: Die Trends drehen sich zeitgleich um.
  • „Die Notenbanken haben sich von einem langfristigen Blick auf das große Ganze entfernt und richteten ihre Entscheidungen ganz nach den Forderungen von Politikern und den Wünschen der Märkte aus. Dabei legte das billige Geld nur die Saat für die nächste Blase. Das heißt: Die Notenbanken haben Aufputschmittel in den Champagner gemischt, damit die Party weitergeht, statt die Flaschen zu verkorken, wie es ihre Aufgabe gewesen wäre. Wir haben die Regeln verkehrt herum befolgt. Billiges Geld und lockere Haushaltspolitik bewahren uns nicht vor Boom-and-bust-Zyklen, sondern führen uns in einen Superzyklus der Überschuldung.“ – bto: … die Kurzzusammenfassung dieses Blogs.

handelsblatt.com: „‘Wir erleben die Mutter aller Schuldenkrisen‘“, 19. Januar 2023

ft.com (Anmeldung erforderlich): „Nouriel Roubini: ‘I hope I didn’t depress you too much’“, 19. Dezember 2022