Das große Märchen von der globalen Verschuldung

“Das große Märchen von der globalen Verschuldung” ‒ so der Titel eines Kommentars in der WELT. Die Schulden sind kein Problem. Denn: “Kaum etwas macht den Deutschen mehr Angst als eine unkontrollierte Verschuldung. Doch diese Hysterie ist unangebracht: Nie waren sie so vermögend wie heute. Das wirkliche Problem ist ein ganz anderes.” Ein Kommentar auf diesen Seiten hat mich drauf aufmerksam gemacht. Hier die Argumentation:

  • “Bei allem Respekt vor den Autoren ist und bleibt es Polemik, vor einer  ‘weltweiten Verschuldung’ zu warnen, wie es eine neue McKinsey Studie tut – oder gar davon, dass ‘die Welt bankrott’ geht, wie es ein SPIEGEL-Titel (32/2011) schon vor einigen Jahren suggerierte. Weder ist die Weltwirtschaft überschuldet, noch kann sie Pleite gehen.” ‒ bto: Gläubiger und Schuldner sind aber nicht identisch!
  • “Denn global gesehen ergibt sich immer ein Verschuldungssaldo von Null. An jedem Kreditgeschäft sind zwei Akteure beteiligt, ein Gläubiger und ein Schuldner. Forderungen des einen und Verbindlichkeiten des anderen heben sich gegenseitig auf. Weltweit ist die Höhe von Schulden und Guthaben identisch. Sie entsprechen deckungsgleich den beiden Seiten derselben Medaille.”  ‒ bto: Richtig. Aber daraus abzuleiten, dass Schulden neutral sind, ist heroisch! Wenn Schuldner nicht zahlen (können), hat das immer erhebliche realwirtschaftliche Konsequenzen ‒ nicht nur für die Gläubiger.
  • “Denn im gleichen Zeitraum müssen auch die Forderungen gestiegen sein – und das Geldvermögen heute brutto 199 Billionen Dollar betragen. Nichts anderes als ein globaler Saldo von Null ist die Realität, weil Schulden nicht im luftleeren Raum entstehen. Sie brauchen Gläubiger.” ‒ bto: Straubhaar könnte meine Piketty-Replik Die Schulden im 21. Jahrhundert gelesen haben. Schulden und Vermögen sind zwei Seiten derselben Medaille. Doch daraus abzuleiten, dass beides ewig schneller wachsen kann als die Wirtschaft (aus der beides gespeist werden muss auf Dauer!), entbehrt jeder Grundlage.
  • “Noch ist in Deutschland das Volksvermögen weit größer als die Schulden. Die Volkswirtschaft besitzt insgesamt mehr Forderungen als Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland. Der Staat hat ein Reinvermögen. Wie bitte, lässt sich bei solchen Fakten eine Schuldenhysterie rechtfertigen?” ‒ bto: Weil Gläubiger nicht gerne verlieren, ist für mich ein gutes Argument. Weil hohe Schulden die Realwirtschaft erdrücken ebenfalls!
  • “Richtig ist, dass mit Verschuldungsfragen auch Verteilungswirkungen verknüpft sind. Schuldner und Gläubiger sitzen zwar oft im selben Boot, aber meist nicht auf dem gleichen Deck. Die einen schuften im Maschinenraum, die anderen genießen ihre Luxuskabinen.” ‒ bto: Aha, dann sind hohe Schulden aber doch ein Problem!
  • “Aber beide sind sie eben auch untrennbar miteinander verbunden. Sobald der Kredit ausbezahlt ist, können die Gläubiger nur noch hoffen, dass Zinszahlungen und Tilgung verabredungsgemäß geleistet werden.” ‒ bto: Genau. Nur wie passt diese Erkenntnis zur Behauptung, dass Schulden kein Problem sind?
  • “Macht und Ohnmacht von Schuldnern und Gläubigern im Laufe der Zeit sind die Themen, die analysiert und verstanden werden sollten. Sie haben aber nichts mit einer Perspektive zu tun, die nur Finanzkrisen und unberechenbare Marktausschläge im Auge hat und dafür mit einer weltweiten Verschuldungshysterie den Blick schärfen will.” ‒ bto: deshalb meine Verbindung mit Piketty. Aber: Natürlich haben hohe Schulden Folgen für Finanzmärkte (Volatilität) und Realwirtschaft (Krise).
  • “Vielmehr geht es um die Verteilungswirkungen der Verschuldung innerhalb und zwischen den Generationen. Darum müssen wir uns Sorgen machen.” ‒  bto: Stimmt. Und wie! Doch wieso dann der Tenor des Artikels?

So richtig klar wurde mir nicht, was der Autor damit wollte. Beruhigen. Aber nicht aufklären.

DIE WELT: Das große Märchen von der globalen Verschuldung, 10. Februar 2015

Kommentare (6) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Johann Schwarting
    Johann Schwarting sagte:

    Sehr geehrter Herr Dr. Stelter,

    die Verschuldung an der Basis der Ökonomie (Private und Unternehmungen) ist ja nicht das Problem, da sie zu einem zusätzlichen Bruttosozialprodukt führt und die Kredite im Sinne des debitistischen Kettenbriefes (=Kapitalismus) endgültig im Konsum verschwinden. Das Problem liegt in der Finanzökonomie. Die Staatsschuldentitel z.B. können wegen ihrer Zentralbankfähigkeit zur Hinterlegung mehrfach hintereinander von der Notenbank refinanziert werden, wobei sich ihre Laufzeiten verkürzen. „Indem sie immer weitere Schuldtitel ankauft, schafft sie über die Laufzeit dieser Titel zwar zusätzliche Geldsummen, diese können aber nicht an die verschuldungswilligen Nicht-Banken gelangen.“ Alles Weitere in http://www.dasgelbeforum.net/forum_entry.php?id=341940
    Die so entstehenden Kreditsummen und Geldsummen erzeugen kein wesentliches zusätzliches Bruttosozialprodukt und verschwinden nicht. Die „freischwebenden“ Verschuldungssummen müssen also unaufhörlich steigen, wenn sie nicht ausgebucht werden.

    MfG
    Johann Schwarting

    Antworten
    • Daniel Stelter
      Daniel Stelter sagte:

      Lieber Herr Schwarting,

      genau deshalb schreibe ich ja auch “Schulden sind gut” im Teil 1 zur Eigentumsökonomik. Eben weil sie zu Mehrprodukt führen.
      Ich denke aber, das Problem ist nicht nur die Finanzwirtschaft, sondern jeder Schuldner, der im Minsky-Sinne kein Hedge-Financing macht, also die Absicht hat Zinsen und Tilgung zu verdienen. Dies ist der Staat, aber auch viele Private. Deshalb wachsen Schulden schneller als die Wirtschaft und erdücken das Wachstum letztlich. Habe ich in dem Beitrag zur McK-Studie besprochen. Deshalb kommt es auch zur “Ausbuchung”. Fragt sich nur wie und wann …

      LG

      DSt

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  2. Cajus
    Cajus sagte:

    Guten Morgen Herr Stelter und Gruß in das Forum,

    an dieser Stelle möchte ich im Sinne einer Replik auf den von Ihnen angeführten Comment aus der “Welt” auf den recht interessant aufbereiteten Beitrag des Nevermindthemarkets-Blog “Das Monster lebt” aufmerksam machen.

    Der Artikel analysiert u.a. anhand des 16. «Geneva Report on the World Economy» der Autoren Buttiglione, Lane, Reichlin und Reinhart, inwieweit sich die Situation des Schuldenwachstums in den mittlerweile vergangenen gut sechs Jahren seit dem Höhepunkt der Finanzkrise verbessert bzw. ob ein Teil des nötigen Schuldenabbaus (Deleveraging) stattgefunden hat und gelangt zu eindeutigen Ergebnissen.

    http://blog.fuw.ch/nevermindthemarkets/index.php/35759/das-monster-lebt/

    Einen guten Start in die Woche!

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  3. OK
    OK sagte:

    Wahnsinn, diese Sorglosigkeitspropaganda aus dem Elfenbeinturm!
    Man weiß gar nicht, wo man anfangen und aufhören soll, sich zu wundern.
    Gut gefällt mir u.A.:
    “Noch ist in Deutschland das Volksvermögen weit größer als die Schulden. Die Volkswirtschaft besitzt insgesamt mehr Forderungen als Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland.”
    Und selbst WENN wir so solide und stabil finanziert werden, wie steht es denn um die Qualität dieses wunderbaren Forderungsüberhangs? Haben alle unsere Schuldner eine ebenso blitzsaubere Bilanz? Diese statistische Saldierung ist hier genauso irrsinnig wie bei der Bilanzierung von Derivaten (was ja bei bto auch schon angeschnitten wurde). Wenn ich Griechenland 40 Mrd. schulde und Griechenland mir gleichzeitig 100 Mrd., dann habe ich allerhöchstens TECHNISCH eine Vermögensposition von 60 Mrd.!

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