Das Anti-Fragmen­tierungs-Instru­ment der EZB ist ein Spreng­satz

Lars P. Feld, Clemens Fuest und Volker Wieland kritisieren in einem Gastbeitrag für Project Syndicate die Bereitschaft der EZB, einseitig die Anleihen (vor allem Italiens) zu kaufen.

Das tun sie bekanntlich zu Recht, resultiert doch daraus eine weitere Geldmengenausweitung in Zeiten der Inflation und eine massive Vermögensverschiebung zwischen Ländern, vor allem zu Lasten Deutschlands. Hier ihre Argumentation:

  • „Mit den steigenden Zinsen haben die Zinsdifferenzen innerhalb der Eurozone zugenommen. Insbesondere in Staaten mit höheren Staatsschuldenquoten und potenziell schlechteren Wachstumsaussichten sind die Zinsen stärker gestiegen. Während in Deutschland die Renditen auf Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit seit Anfang Dezember 2021 bis zum 21. Juni 2022 beispielsweise von Minus 0,33 auf 1,75 Prozent gestiegen sind, erhöhten sich die Renditen auf italienische Anleihen von 1,02 auf 4,27 Prozent. Die Renditendifferenz hat also innerhalb kurzer Frist um 1,17 Prozent zugenommen.“ – bto: Bei steigenden Zinsen wird die Kreditwürdigkeit wieder mehr zum Thema.
  • „In den vergangenen Jahren hat die EZB mehr Anleihen aufgekauft, als von den Staaten der Eurozone neu begeben wurden; dadurch hat sie die erhebliche staatliche Neuverschuldung indirekt finanziert.“ – bto: Ja, sie hat die Modern Monetary Theory (MMT) genutzt.
  • „Dass sich hochverschuldete Staaten steigenden Zinsdifferenzen gegenübersehen, liegt unter anderem daran, dass die EZB bei ihren Kaufentscheidungen bislang einen mehr oder weniger festen Schlüssel verwendet hat, während private Investoren selektiv vorgehen und für größere Bonitätsrisiken höhere Zinsen verlangen.“ – bto: Die steigenden Zinsen in sich selbst bewirken einen Druck zur Differenzierung.
  • „Angesichts dieser Entwicklung hat die EZB angekündigt, ein neues Kaufprogramm einzuführen, mit dem Zinsdifferenzen zwischen den Anleihen der Mitgliedsstaaten begrenzt werden sollen. Dazu will die EZB Anleihen einzelner Staaten der Währungsunion aufkaufen. Soweit die Bekämpfung der Inflation es erfordert, die Anleihebestände insgesamt nicht weiter zu steigern, könnten die Käufe so gestaltet werden, dass das Portfolio der EZB umstrukturiert wird.“ – bto: Die EZB kauft also gezielt die höheren Risiken.
  • „Die EZB begründet ihre Initiative mit zwei Argumenten. Erstens könne es am Kapitalmarkt gerade in Zeiten starker Zinssteigerungen dazu kommen, dass Risikoprämien über die durch Fundamentaldaten gerechtfertigten Niveaus ansteigen. Pessimismus unter Investoren oder Spekulation könnten die Zinsen so weit in die Höhe treiben, dass die Solvenz eines Landes gefährdet würde, obwohl das Land bei positiven Investorenerwartungen und entsprechend niedrigen Zinsen solvent wäre. In diesem Fall könnten Anleihekäufe dafür sorgen, dass die niedrigen Zinsen und positiven Erwartungen sich am Markt durchsetzen. Dieses Argument ist allerdings in zweierlei Hinsicht problematisch: Zum einen ist es in der Praxis kaum möglich, sachgerecht zu bestimmen, welche Zinsaufschläge aus fundamentaler Sicht gerechtfertigt sind. Zum anderen handelt es sich hier nicht primär um eine geldpolitische, sondern um eine fiskalpolitische Aufgabe, denn es geht darum, die Finanzierung der Staatshaushalte einzelner Länder zu angemessenen Konditionen zu sichern.“ – bto: Beides stimmt. Wie wir im Falle Italiens gesehen haben, stiegen die Zinsen aufgrund des politischen Risikos zu Recht.
  • „Unumstritten war bei der Einführung des OMT-Programms allerdings, dass Konditionalität erforderlich ist. Es besteht das Risiko, dass ein Land trotz nicht nachhaltiger Staatsfinanzen von der Notenbank gestützt wird oder angesichts der Hilfen seine Verschuldung weiter ausdehnt. Um dieses Risiko zu begrenzen, hat die EZB vorgesehen, dass Länder, die unterstützt werden, sich im Rahmen eines Programms des Rettungsschirms ESM wirtschafts- und finanzpolitischer Konditionalität unterwerfen. (…) Vor diesem Hintergrund ist es nicht akzeptabel, dass die EZB nun einzelne Länder mit Staatsanleihekäufen unterstützen will, die Konditionalität durch ein ESM-Programm (Europäischer Stabilitätsmechanismus, Anm.) aber nicht verlangt werden soll. Es ist nicht erkennbar, warum die EZB hier ein neues Instrument einführt, statt auf das OMT-Programm zu verweisen. Dazu wird behauptet, das Beantragen eines ESM-Programms werde insbesondere in größeren Staaten der Eurozone wie Italien als politisch inakzeptabel oder gar toxisch angesehen.“ – bto: Dabei bedarf es eines disziplinierenden Instruments, um nicht der offenen Finanzierung das Wort zu reden.
  • „Konditionalität verlangt von Hilfe beantragenden Ländern, Verantwortung für die Umsetzung von Reformen zu übernehmen. Wenn diese Länder sowohl von Marktkräften als auch von politischen Verpflichtungen abgeschirmt werden, wird dies seinerseits toxische Wirkung auf die Stabilität der Europäischen Währungsunion haben.“ – bto: Aber erst sehr langsam.

derstandard.at: „Das Anti-Fragmentierungs-Instrument der EZB ist toxisch“, 2. August 2022