Bundesnetz­agentur: Es bleiben Risiken mit der Gas­versorgung

Nach dem Öl-Embargo, was nicht so eindeutig ausfällt, wie zuvor von der EU angekündigt, steht jetzt das Gas-Embargo auf der Tagesordnung. Wobei sich die Frage stellt, ob es nicht umgekehrt zu einem Lieferstopp kommt, wenn der Kriegsverlauf es für Russland opportun erscheinen lässt. So oder so gilt es, sich vorzubereiten. Und wie steht es um die Vorbereitung? Hier die Einlassungen des Chefs der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk:

  • „(Die Gasspeicher) sind stärker gefüllt als noch im April/Mai, Anfang Mai dieses Jahres, aber sie sind noch nicht gut genug gefüllt. Sie sind noch nicht gut genug gefüllt, wenn wir kurzfristig weniger oder kein russisches Gas mehr bekommen würden. Und insofern bin ich dann entspannt, wenn wir die Vorgaben des Gasspeichergesetzes eingehalten haben, also bei 90 Prozent plus X lägen. Dann hätte Deutschland zumindest für zweieinhalb Monate, unter stabilen Bedingungen, bei einem normalen Winter, einen Puffer. Das wäre für die industrielle Versorgung, aber auch die der Gaskundinnen und -kunden erst mal eine ganz ordentliche Voraussetzung. Richtig gut ist das alles trotzdem natürlich nicht.“ – bto: Wir sind also immer noch verletzlich, was mit Blick auf das Erpressungspotenzial Russlands relevant ist.
  • Bekanntermaßen ist das in Deutschland nicht trivial, weil wir eben nur die bekannten Rohre, die Gasleitungen haben. Das heißt, wir können auf dem Weltmarkt nur dann Flüssiggas einkaufen, wenn es uns selbst kurzfristig gelingt, sogenannte Terminals zu installieren. Das werden in diesem Winter hoffentlich sogar zwei schwimmende Terminals sein, aber bis dahin müssen wir mit den Kollegen in Belgien, in Holland kooperieren, damit wir die Gasspeicher befüllen. Das ist das, was wir momentan tun können und eben perspektivisch uns zu diversifizieren, also Gas aus anderen Quellen zu bekommen.“ – bto: also ausgesprochen klimaschädliches Flüssiggas, was übrigens die Frage aufwirft, ob es nicht besser wäre, mehr heimische Kohle zu verwenden.
  • Wenig überraschend ist es teuer, die Speicher zu füllen: „Diese Preisaufschläge sind sicherlich von Russland auch einkalkuliert und gewollt. Ich glaube, die Annahme kann man treffen. Russland profitiert ja auch davon. Und wir sind dann in der Lage, die Speicher zu befüllen, wenn wir die Mengen beschaffen können. Das können wir, wenn der notwendige entweder ökonomische Anreiz oder gesetzliche Druck da ist.“ – bto: Es ist aber sicherlich genug ökonomischer Druck da.
  • Und weitere Mengen? „(…) die Bundesregierung (ist) sehr engagiert, sogenannte FSRUs, also schwimmende LNG-Flüssiggasterminals nach Deutschland zu holen. Stand heute sieht es so aus, dass uns das noch in diesem Jahr in Wilhelmshafen gelingen wird und wahrscheinlich Anfang nächsten Jahres voraussichtlich in Brunsbüttel. Wenn wir die Anschlusskapazitäten-Regulatorik geschaffen haben, dann sind das zwei wichtige Faktoren, uns unabhängiger zu machen von russischen Gaslieferungen. Das ist klimapolitisch nicht optimal. Das ist ein Umweg auf dem Weg zur Klimaneutralität, aber ich glaube, aktuell ein gerechtfertigter. Wir sind in intensiven Verhandlungen mit unseren europäischen Nachbarn, aus Solidaritätsgründen, aber auch um die deutsche Gasversorgung zu stabilisieren, und wenn es uns jetzt noch gelingt, sowohl in den privaten Haushalten wie auch in der Industrie sparsamer mit Gas umzugehen, uns Substitute zu besorgen, insgesamt effizienter zu sein, vielleicht auch auf das ein oder andere zu verzichten, um das sozusagen auch mit einzuspeichern, dann sieht es so aus, dass wir auch ordentlich durch die nächsten Winter kämen. Heißt, niemand müsste frieren und niemand müsste Einschnitte vorwegnehmen, vorausgesetzt das russische Gas fließt weiter. Aber die Kostenbelastung ist immens, das muss man den Menschen, auch der Industrie, der Wirtschaft in aller Ehrlichkeit sagen. Aber auch das ist ja ein Anreiz, um Gas, fossiles Gas, weiter einzusparen.“ – bto: womit wir natürlich einen erheblich negativen Effekt haben. Unternehmen können entweder gar nicht produzieren oder aber verlieren an Wettbewerbsfähigkeit und können das auch nicht mehr einfach zurückgewinnen. Im Kern beschleunigt das Szenario die ohnehin im Gang befindliche Deindustrialisierung.
  • Und wie soll nun nach Auffassung der Bundesnetzagentur Gas gespart werden? „Das ist, glaube ich, in erster Linie die Überprüfung in jeder einzelnen Industrieanlage, wo ja Erdgas zwei Funktionen haben kann: Es kann ein Rohstoff zur Produktion sein, es kann ein Mittel sein zur Wärmeerzeugung. Kann ich das in irgendeiner Art und Weise ersetzen, kann ich meine Produktion umstellen. Und jetzt gibt es ja noch einen gewissen Vorlauf, weil heute haben wir noch keine Gasknappheit. Das aber sozusagen zumindest so weit vorbereitet zu haben oder womöglich auch schon getan zu haben, das ist das Eine. Das Zweite, die Bundesregierung hat jetzt gerade ein neues Gesetz angekündigt. Wir nutzen Gas, um Strom zu erzeugen. Dafür gibt es Alternativen im Kohle-, im Ölbereich. Auch die sind klimapolitisch ein Umweg, der nicht gut ist, aber der uns helfen würde, eben von Gas unabhängig zu sein, und die Bundesregierung arbeitet an einem Gesetz, was das genau in einer Notlage, in einer drohenden Notlage dann auch tatsächlich ermöglichen würde. Das Dritte ist natürlich der Appell an jeden Einzelnen von uns. Knapp die Hälfte der deutschen privaten Versorgung wird eben durch Gasthermen geregelt, und insofern kann jede und jeder mitgestalten, wie viel Gas verbraucht wird, nämlich je nachdem, wie stark ich meine Heizung einstelle. Das ist erst einmal eine individuelle Entscheidung. Privathaushalte sind nach europäischem Recht besonders geschützt. Das ist auch gut so. Daran wird auch, glaube ich, niemand etwas ändern, aber das ändert ja nichts daran, dass ich vorsichtig, sparsam, solidarisch mit Gas umgehen kann.“  – bto: Die nahe liegende Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke wird nicht erwähnt, bietet sich aber an. Ebenso wie die Wiederinbetriebnahme der drei noch funktionsfähigen.
  • Aber auch bei Nachfrage wird behauptet, die Bundesregierung „hätte Faktenbasiert entschieden“. Deshalb LNG-Terminals: „Wir brauchen sie dann in dem Moment, wo durch eine russische Entscheidung oder europäische Sanktionen kein russisches Gas mehr fließen würde. Das wäre eine Situation, die sehr, sehr schnell, je nach äußeren Rahmenbedingungen, aber wahrscheinlich sehr, sehr schnell uns in eine Gasmangellage führen würde. Ich glaube, dass diese Situation eben nicht gewollt sein kann, trotz aller moralischen Dilemmata, die damit verbunden sind. Wir brauchen diese FSRUs, also diese schwimmenden Gasterminals, um uns zu diversifizieren, also für eine Übergangszeit. (…) aber ja, auch Flüssiggas hat einen CO2-Fußabdruck. Der hat sich auch gewaschen, muss man ehrlich sagen.“ – bto: Es käme also sehr schnell zur Gasmangellage.
  • Und wie würden wir damit umgehen? „Dieses Szenario ist im Rahmen der sogenannten SOS-Verordnung, also eines europäisch geltenden Rechtes klar geregelt, und zwar bezüglich einer Schutzreihenfolge. Das heißt, im europäischen Recht ist vorgesehen, dass für den Fall einer Gasnotlage und wenn dann eben der Markt das nicht mehr alleine regeln kann, weil es zu wenig Angebot gäbe, dass dann besonders geschützte Kundengruppen – das sind einmal private Haushalte, aber auch Krankenhäuser, Pflegeheime, Polizeistationen, Kasernen et cetera –, das heißt, die müssten bevorzugt mit Gas beliefert werden beziehungsweise bei denen darf man das nicht abschalten. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass bei besonders großen industriellen Gaslieferanten wir jetzt schon Daten erheben, um genau wissen zu können, wenn wir hier tatsächlich dann Gaslieferung abschalten müssten, welche Konsequenzen richten wir damit an. Nochmal, das Ziel ist, die Situation zu vermeiden, wenn Sie aber nicht zu vermeiden ist, dann wäre die Bundesnetzagentur laut Gesetz befugt, hier einzugreifen.“ – bto: Es kommt praktisch zur Abschaltung der Industrie.
  • Bei den privaten Verbrauchern setzt man auf Vernunft: „Ich glaube, dass das in erster Linie eine Frage der eigenen Verantwortung und auch der Solidarität ist. Es geht ja darum, dass wenn wir Industriebetriebe nicht mehr mit Gas beliefern können, dass dann bestimmte Produkte, womöglich auch sehr, sehr wichtige Produkte aus dem Medizinbereich, vielleicht sogar aus dem Lebensmittelbereich, aus anderen Bereichen, nicht mehr hergestellt und dann auch nicht mehr genutzt werden könnten. Darum müsste jede und jeder in so einer Situation, in einer Gasmangellage, sich selber hinterfragen: Ist mein normaler Verbrauch mit Gas eigentlich gerechtfertigt? (…) Klar ist, bestimmte Maßnahmen – was zum Beispiel ein Heizverhalten angeht – könnte man gar nicht kontrollieren. Aber wir haben aus der Corona-Pandemie gesehen, wenn Menschen davon überzeugt, sind, dass bestimmte Regelungen sinnvoll sind, letztendlich sogar in unserem eigenen Interesse, dann befolgen sie diese Regelungen. Und eine groß angekündigte Gassparkampagne wird jetzt demnächst anlaufen, ich gehe davon aus, dass sie auch im Winter/Herbst, in einer Gasmangellage, noch mal wiederholt werden wird. Und dann gilt es, nicht nur an sich selber zu denken, sondern auch an andere in Deutschland. Und ich glaube, dass dann Solidarität auch geübt werden würde, und das bedeutet, Gas zu sparen.“ – bto: Wir setzen hier also auf das solidarische Verhalten des Einzelnen. Abstrakt mag das zutreffen, doch ist das eine realistische Alternative, vor allem wenn wir zugleich die Industrie lahmlegen?
  • Und wie diese Stilllegung der Industrie erfolgen soll, sagt Müller noch nicht (und ob er es weiß, bleibt unklar): „Darum ist es nicht möglich und eigentlich auch nicht seriös, eine Abschaltreihenfolge vorherzusehen. Trotzdem bereitet sich die Bundesnetzagentur darauf vor, wir koppeln uns sehr eng zurück mit der Industrie und der Energiewirtschaft. Und ich würde mich mal soweit aus dem Fenster lehnen, natürlich sind Gasverbräuche, die jetzt nicht zwingend notwendig sind, die vielleicht eher in einem Freizeitbereich angesiedelt sind als auch in den Produktionskapazitäten, die eben wirklich notwendig sind, die würden wir natürlich dann zuerst abschalten. Aber es ist unseriös, hier eine Reihenfolge vorzugeben, nach der wir jetzt handeln würden.“ – bto: Brot backen ist notwendig, Plastikherstellung ist nicht notwendig. Letzteres ist aber für den Standort perspektivisch viel bedeutsamer.

Fazit: Wir haben – fürchte ich – noch keinen richtigen Plan und vor allem brauchen wir mehr Anreize zu einem sinnvollen Verhalten.