Berechtigte Kritik an der “geldpolitischen Geisterfahrt” der EZB – doch was ist die Alternative?

Die EZB in den Schutz zu nehmen, ist nicht gerade populär hierzulande. Bekanntlich versuche ich immer einen Zwischenweg, so auch in meinem Beitrag im Cicero vor einigen Monaten, den ich mit “Retter und Räuber” betitelt habe, der allerdings zu einem Draghi-Cover als Dracula führte. Wie ist meine Sicht? Nun, die Eurokrise ist ungelöst, wird von der EZB mit billigem Geld verdeckt und von der Politik verschleppt. Letztere – gerade auch die hiesige Politik – ist zu kritisieren! Die EZB wirft alle Grundsätze ordentlicher Notenbankpolitik über Bord und ist damit nicht alleine (siehe Japan und USA) und vor allem alternativlos, wäre der Euro und sie selbst doch schon längst Geschichte, täte sie es nicht.

Dies alles vorausgeschickt, bevor ich die Kritik von Jürgen Stark, von 2006 bis 2012 Chefökonom und Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank, aus der NZZ diskutiere. Alles was er kritisiert, stimmt. Aber nur im Kontext einer Welt, die spätestens mit Finanz- und Eurokrise nicht mehr existiert:

  • “Aus der Sicht vieler Beobachter kann Draghi sicher sein, Eingang in die Geschichtsbücher zu finden, da er den Euro und die EU vor ihrem Zerfall bewahrt habe. Diese Einschätzung ist jedoch höchst zwiespältig. Denn Draghi hat die EZB nicht nur ohne Kompass in geldpolitisches Neuland geführt und ein grosses Experiment mit unbekanntem Ausgang gestartet. Während seiner Präsidentschaft wurde die EZB auch zu einer mächtigen, hochpolitisierten und damit auch angreifbaren Institution.” – bto: Vor allem hat die EZB ohne demokratische Legitimation erhebliche Vermögenswerte zwischen den Mitgliedstaaten verschoben. Dennoch bleibt die Frage nach der Alternative.
  • “Insbesondere in den vergangenen fünf Jahren war die Inflationsrate äusserst niedrig. Doch darin sah die EZB eine besondere Herausforderung. Sie erklärte die sehr niedrige Inflationsrate als nicht mit Preisstabilität vereinbar, diagnostizierte drohende Deflationsgefahren im Euro-Raum und schaltete 2014 von einer bereits sehr akkommodierenden in eine äusserst lockere Geldpolitik.” – bto: Das war natürlich Quatsch und nur vorgeschoben, um über die Politik des Money for Nothing die Schuldner zu stabilisieren und den Euro so (vordergründig) “zu retten”.
  • “Als erste grosse Zentralbank beschloss sie 2014 einen negativen Einlagenzins. Selbst die Federal Reserve und die Bank of England hatten diesen Schritt gescheut. Und sie hat seit 2015 durch ihr Anleihen-Ankaufprogramm (quantitative easing‘) die Bilanz des Euro-Systems aufgebläht und zusätzliche Liquidität von über 2,6 Billionen Euro geschaffen. Damit ist die derzeitige EZB-Politik seit langem viel aggressiver, als sie es je während der Finanzkrise 2008/09 und der nachfolgenden Staatsschuldenkrise im Euro-Raum war.” – bto: und hat damit nicht nur die Schuldner subventioniert, sondern auch Kapitalflucht und damit Umverteilung von Vermögenswerten zwischen den Mitgliedstaaten.
  • “Entgegen allen Beteuerungen hat eine reale Deflationsgefahr im Euro-Raum nie bestanden.” – bto: temporär vielleicht und vor allem bei Assetpreisen, wäre es zu einer Debt-Deflation, also einer Schuldendeflation gekommen. Diese sollte verhindert werden, kann aber wohl nur aufgeschoben werden, um dann noch größer zu sein.
  • “(…) in der Folgezeit wurden umfangreiche EZB-interne Arbeiten durchgeführt, um die monetäre Analyse zu erweitern und zu stärken. So wurden zum Beispiel die Modelle der Geldnachfrage im Euro-Raum verbessert, geldbasierte Inflationsindikatoren entwickelt und die Zusammenhänge zwischen Geldmenge, Kreditentwicklung und Vermögenspreisen sowie deren Implikationen für die Verbraucherpreisinflation analysiert. (…) es zeichnete gerade die monetäre Analyse der EZB aus, mit einer umfassenden Beurteilung der Liquiditäts- und Marktentwicklungen frühzeitige Informationen über entstehende Finanzstabilitätsrisiken liefern zu können. Bis 2011 stand die EZB für den Ansatz leaning against the wind‘ wachsender finanzieller Ungleichgewichte.” – bto: Das tut sie heute anders. Sie sieht im Kollaps des Schuldenturms das größte Risiko und versucht diesen zu verhindern. Stark hat natürlich recht, dass das nichts anderes ist als das Aufschieben einer Krise zum Preis einer noch größeren (allerdings schreibt er das hier nicht, sondern ich interpretiere es hinein).
  • “Die Beharrlichkeit der EZB-Politik liess manche Beobachter vermuten, sie verfolge die hidden agenda‘ , die Refinanzierungskosten von hochverschuldeten Euro-Mitgliedstaaten zu begrenzen oder zu senken. (Es gibt berechtigte) Zweifel, dass es sich um Geldpolitik handelt. Die ökonomische Wirkung des Ankaufs von Staatsanleihen wird eindeutig in der Absenkung der staatlichen Refinanzierungskosten sichtbar. Das ist monetäre Staatsfinanzierung, die nach den Europäischen Verträgen und dem Statut der EZB verboten ist.” – bto: Es ist der Tatsache geschuldet, dass die Politik sich um eine Lösung drückt!
  • “Es ist eine Normalisierung weder der Zinsen noch der Zentralbankbilanzen in Sicht. Die EZB hat den Ausstieg aus dieser Politik immer wieder hinausgeschoben und letztlich verpasst. Oder sie will ihn gar nicht, sondern sieht in den nichtkonventionellen Massnahmen und einer starken Zentralbank-Position im Markt, gemeinsam mit forward guidance‘ und Negativzinsen, die neue Normalität.” – bto: weil sie weiß, dass sie nicht aussteigen kann, ohne das System zum Einsturz zu bringen!
  • “Negativzinsen und quantitative easing‘ sind die gravierendsten Fehlentscheidungen in der 20-jährigen Geschichte der EZB. Eine ganze Dekade extrem lockerer Geldpolitik hat das Verhalten von Politikern und Marktteilnehmern nachhaltig beeinflusst. Wirtschaftsakteure und Marktteilnehmer wurden u. a. über Portfolioreallokation ins wirtschaftliche und finanzielle Risiko gedrängt. Die Märkte wurden verzerrt und Risiken wegen der Zentralbankinterventionen nicht richtig bepreist. Diese Effekte und die längerfristigen Folgen werden von der EZB völlig ignoriert. Die EZB ist damit längst selbst zu einem Risiko für die Finanzstabilität geworden. Sie dürfte den Exit auch deshalb immer wieder verschoben haben, weil man abrupte Marktkorrekturen befürchtete.” – bto: alles richtig! Doch, was ist die Alternative? Wir brauchen einen geordneten Prozess, den nur die Politik bieten kann und die ist intellektuell und prozessual völlig überfordert.
  • “Der Spielraum für eine rasche Politikänderung geht gegen null, wenn man den wirtschaftlichen Abschwung, die Risiken auf den Finanzmärkten, die fortschreitende Zombifizierung von Banken und Unternehmen und die hohe Staatsverschuldung des Euro-Raums mit in den Blick nimmt. Die EZB ist unter Fiskal- und Finanzmarktdominanz geraten, und sie bleibt gleichzeitig Gefangene ihrer Politik. Spätestens die nächste Krise wird die Verantwortung der EZB hierfür offenlegen. Das wird nicht ohne weitere Konsequenzen bleiben.” – bto: Vorher kommen noch die Helikopter. Stark und wohl alle, die noch die Grundsätze der Bundesbank kennen, können sich gar nicht vorstellen, was da noch alles kommt. Am Ende steht der Kollaps, bis dahin wird beschleunigt weiter getanzt.

→ nzz.ch: “Die geldpolitische Geisterfahrt der EZB wird auch mit Draghis Rücktritt kein Ende finden”, 28. Januar 2019