Auswege aus der Eiszeit?

In meinem Buch diskutiere ich die Folgen der Eiszeit und mögliche Auswege. Gestern habe ich den Beitrag der HSBC zu dem Vergleich Europa/Japan hier verlinkt. Nun die möglichen Auswege aus der Eiszeit nach Auffassung der HSBC – und von mir. Die Einschätzungen sind fast deckungsgleich.

  • Zunächst die Feststellung, dass es unerheblich ist, ob die hohen Schulden für die Misere verantwortlich waren oder das unerwartet geringe Wachstum. Vermutlich war es die Kombination von beidem, was Japan in einem ‘doom loop’ gefangen hat. – bto: Das denke ich auch. Die Produktivität war schon vor der Krise rückläufig, die Demografie ist absehbar. Vor diesem Hintergrund Schuldendoping anzuwenden, ist nichts anderes als ein gigantisches Ponzi-Schema!
  • Heute sprechen aus Sicht der HSBC fünf Gründe für eine Weltwirtschaft, gefangen im japanischen Szenario, in der Eiszeit.
  • Wirkungslose Geldpolitik, begrenzt durch die Nullzins-Grenze. – bto: die man nach unten zu verschieben versucht …
  • Währungsabwertungen bringen den einzelnen Regionen nichts mehr, weil alle Regionen unter schwachem Wachstum leiden.
  • Hohe öffentliche und private Verschuldung, die
    – a) zu anhaltendem Deleveraging des Privatsektors führt,
    – b) wenig Spielraum für Fiskalpolitik eröffnet
    – und c) den Fiskalmultiplier (also die Wirkung von Staatsausgaben auf private Ausgaben) verringert (die Menschen sparen und deleveragen mehr).
  • Geringes Nominalwachstum und flache Zinskurven führen zu geringeren Bankgewinnen, was die Fähigkeit und Bereitschaft zu weiterer Kreditvergabe dämpft.
  • Fallende Kurse von Banken halten an, weil bestehende Überkapazitäten nicht konsequent genug bereinigt werden.
  • Genauso war es auch in Japan. Erst viel zu spät haben die Japaner die Banken saniert und dann mit Quantitative Easing angefangen. Ohne Erfolg. Vielleicht wären die Japaner erfolgreicher gewesen, wenn sie früher damit angefangen hätten. „Perhaps those policies would have worked in a world where Japan was the only country facing deflationary stagnation. As deflationary stagnation has spread, however, the efficacy of these policies appears to have declined.” – bto: Das ist der entscheidende Punkt: Einzelne Länder können sich befreien, die ganze Welt kann es nicht.

So fragt die HSBC: “Given this disappointment, what options are available for the rest of the industrialized world?”

  • Die Politik muss eine von zwei Variablen (oder beide) beeinflussen: Entweder die Schulden werden deutlich gesenkt oder das Einkommen muss deutlich steigen.
  • Tiefe Zinsen sollten theoretisch helfen, indem sie den Schuldendienst erleichtern und den Konsum ankurbeln. In der Praxis genügt das nicht.
  • Quantitative Easing mag zwar eine große Depression verhindert haben. Profitiert haben aber vor allem jene, die schon Vermögenswerte besitzen und deshalb tendenziell eine geringere Konsumneigung haben.

Dann kommen die für Leser von bto wenig überraschenden Antworten:

Mehr Staatsausgaben

Von Vertretern wie Larry Summers schon lange gefordert, sollen die Staaten mit massiven Konjunkturprogrammen die säkulare Stagnation überwinden und die unausgelasteten Kapazitäten („Output Gap“) auslasten. Im Prinzip eine gute Option, weil sie noch Hoffnung macht. Allerdings hat sie in Japan nichts gebracht. Stattdessen wurden viele “Brücken ins Nichts” gebaut und der ökonomische und soziale Nutzen vieler Projekte ist mehr als zweifelhaft. Außerdem haben die Regierungen der westlichen Welt bereits hohe Schulden, weshalb weitere Schulden nur begrenzt akzeptiert werden oder aber eine entsprechende Zurückhaltung der Privaten zur Folge haben.

Its biggest weakness, however, is that the policy prescription was tried before yet ultimately only brought instability in its wake.”

Dabei kommt die HSBC zu einer interessanten Schlussfolgerung. Bereits nach dem Platzen der
New-Economy-Blase im Jahr 2000 waren wir auf dem Weg in eine große Depression. Der Aktiencrash war durchaus mit dem Einbruch von 1929 vergleichbar. Die Rezession war dennoch relativ mild, eben, weil es deutliche Zins- und Steuersenkungen gab. Kurzfristig hat das gewirkt und “merely masked early aspects of deflationary stagnation“. Der Hausboom trieb die Wirtschaft an, dennoch war das Wachstum deutlich geringer als in den 1980er und 1990er-Jahren. Die säkulare Stagnation begann also schon deutlich früher als die Vertreter dieser These erkennen. Deshalb sind die Instrumente auch ungeeignet, führen sie doch nur zu neuen Blasen, die irgendwann platzen.

Helikopter-Geld

Helikopter-Geld ist bereits in aller Munde, insofern spare ich mir hier die ausführliche Erklärung. Letztlich geht es darum, dass das zusätzliche Geld zu mehr Nachfrage führt, was bei unausgelasteten Kapazitäten inflationsfrei funktionieren sollte.

“If this sounds too good to be true, that’s because it is. Zum einen ist der “Output Gap” schwer zu schätzen. Es ist gut möglich, dass die Krise Kapazitäten dauerhaft vernichtet hat. (bto: Hinzu kommt, dass er durch eine Fortschreibung des Vorkrisentrends ermittelt wird. Diese Fortschreibung an sich ist schon höchst zweifelhaft.) Deshalb könnte Helikopter-Geld in Wahrheit erhebliche inflationäre Folgen haben, welche durch eine massive Abwertung der Währung verstärkt würden.

Tatsächlich dürfte Helikopter-Geld nur dann funktionieren, wenn es zu Inflation führt. In den 1930er-Jahren konnten die Staaten die Inflation und Inflationserwartung durch eine Abschaffung des Goldstandards steigern. Die höhere Inflation hat dann die Schulden entwertet. Weniger Druck zum Deleveraging, weniger faule Schulden, mehr neue Kredite und ein Aufschwung war die Folge (bto: bei wachsender Bevölkerung …). Heute ist das ungleich schwerer. Alternde Gesellschaften sind eher gegen Inflation, weil sie den Wert von fixen Nominaleinkommen reduziert. Angst vor einer höheren Inflation kann zu Panikkäufen führen und damit deutliche Inflationsraten mit sich bringen. It’s no coincidence that helicopter money and hyperinflation are mentioned in the same breath.

Helikopter-Geld mit dem Ziel der Inflationserzeugung ist nichts anderes als umverteilende Fiskalpolitik im Mantel der Geldpolitik. Eine heimliche Vermögenssteuer, die zudem sehr ungerecht ist, weil sie nur jene trifft, die Geldvermögen halten. Helicopter money is a stealthy form of organized default, taking money away from creditors in the hope that debtors – faced with now-lower real debts – will spend more freely. Given the maturity of its slow puncture problems, Japan might be more willing than others to fly its monetary helicopters but, given the politics of its demographic situation, it would surely be a reluctant pilot.bto: Ich denke, Japan bleibt keine andere Wahl.

Offene Pleiten

Eigentlich nichts anderes als Helikopter-Geld. Damit ist es vor allem für jene eine Option, die keine eigenen Helikopter besitzen, wie die Staaten der Eurozone (bto: wobei nicht ausgemacht ist, dass die EZB nicht doch mitmacht). Zwar hat die EZB die Zinsen deutlich nach unten gedrückt, dennoch sind die Schulden in den meisten Ländern auf einem nicht nachhaltigen Trend. Damit wächst das Problem weiter an und die Option “Pleite” wird immer realistischer. Damit würde aber ebenso wie beim Helikopter-Geld das Vertrauen der Sparer unterminiert. Noch mehr als heute würden die Sparer ihr Geld “unter der Matratze” verstecken und damit die Geldpolitik endgültig wirkungslos machen.

Eine weitere Option wäre – interessanterweise bringt die HSBC es unter “Pleite” und nicht unter “Helikopter” – die Annullierung der Staatschulden, die die Notenbanken halten. That sounds like a free lunch but it would presumably lead to expectations of higher inflation associated with a reduction in fiscal discipline over the long term: in that sense, the policy would be remarkably similar to helicopter money, particularly in terms of its exchange rate implications.” bto: Japan wird es dennoch machen.

Liquidierung

Zwar haben sich einige Länder wie Deutschland, Großbritannien und die USA von der Krise erholt, dennoch haben wir es mit geringen Wachstumsraten und vor allem abnehmender Produktivität zu tun. Deshalb könnte es sein, dass die “deflationäre Stagnation” an unzureichendem Angebot liegt. (bto: Das hatten wir auch mehrfach diskutiert, unter anderem liegt es an den Fehlinvestitionen des Booms, die tendenziell weniger produktiv waren.)

Die Erfahrung von Japan scheint diese Hypothese zu stützen. Wenn das Angebot geringer ist als erwartet, müssen die Ansprüche an die künftige wirtschaftliche Aktivität reduziert werden. Ein Weg dies zu erreichen, ist in der Tat Inflation. Der andere ist über einen Rückgang der nominalen Vermögenspreise (bto: weil diese den abgezinsten künftigen Einkommen entsprechen sollten). Die verlorenen Jahrzehnte Japans waren geprägt von fallenden Vermögenswerten, Deflation und geringem Wachstum. In den 1970er-Jahren erfolgte die Anpassung mittels Inflation. Ein geringeres Angebot kann demzufolge mit Inflation oder Deflation einhergehen.

Weshalb nun war das Produktivitätswachstum in einer Phase schnellen technologischen Fortschritts so gering? (bto: in der Tat eine der entscheidenden Fragen!). Neben den bekannten Erklärungen (falsche Messmethode oder geringe tatsächliche Innovation, Letzteres der Punkt von Robert Gordon) gibt es eine weitere: Die Geldpolitik hat vor allem die Preise von Immobilien und Finanzassets getrieben. Dies hat die Unternehmen entlastet und sie haben weniger Kostensenkungen vorgenommen, als sie sonst hätten vornehmen müssen (was statistisch eine geringere Produktivität bedeutet). Zuviel Kapital blieb in ineffizienten Unternehmen gebunden (bto: Bzw. diese konnten ohne großen Druck weiter Geld verdienen und sich auf das Financial Engineering konzentrieren, was zwar die Aktionäre freut, der eigentlichen Produktivität jedoch nicht nutzt). Das westliche Äquivalent der japanischen “Zombie-Unternehmen”. – bto: Ich halte den Punkt für entscheidend. HSBC ist hier zu zurückhaltend. Die Banken scheuen sich, Kredite fällig zu stellen, so bleiben “Zombies” gerade in der Eurozone und in China am Leben.

Zu Beginn der großen Depression hat der damalige US-Finanzminister Andrew Mellon Präsident Herbert Hoover aufgefordert: “Liquidate labour, liquidate stocks, liquidate farmers, liquidate real estate … it will purge the rottenness out of the system. High costs of living and high living will come down. People will work harder, live a more moral life. Values will be adjusted, and enterprising people will pick up from less competent people.” Aus heutiger Sicht keine gute Idee, wie wir wissen.

Dennoch ist der Gedanke nicht ganz falsch. “Zombie-Firmen” schwächen das Wachstum, weil sie den Prozess der kreativen Zerstörung hemmen. Würden wir heute die “Zombies” zur Restrukturierung zwingen, hätten wir wohl auch mehr Arbeitslosigkeit und eine Verstärkung der Krise. Deshalb ginge es nur in Kombination mit Maßnahmen, die die Konjunktur ankurbeln.

Mehr Welthandel

Theoretisch wäre mehr Handel eine Antwort auf die Krise. In der Realität sinkt der Welthandel jedoch in den letzten Jahren. Das ist insofern überraschend, als bisher der Welthandel schneller gewachsen ist als das Welt-BIP. Mögliche Gründe sind:

  • eine Straffung von globalen Wertschöpfungsketten um diese weniger krisenanfällig zu machen oder infolge von neuen Technologien (z. B. 3-D-Druck);
  • eine Zunahme des versteckten Protektionismus mit aggressivem Bestehen auf bestimmten “Standards”;
  • weniger verfügbarer Handelsfinanzierung seit der Krise;
  • zunehmende Unsicherheit wegen aufkommender Währungskriege.

Offene Märkte würden nach HSBC bei der Bewältigung der Krise helfen. “Sadly, it’s not obvious that it will be.”

 Die Abschottung

Funktioniert alles nicht, kommt es zu einem Bruch. Nationalistische Strömungen sind überall auf dem Vormarsch. Sei es die Idee, eine Mauer zwischen den USA und Mexiko zu bauen. Sei es das untätige Zuschauen, wie in Europa die Schengen-Zone zerfällt. Protektionismus ist näher, als man denkt.

Fazit

So kommt Stephen King von der HSBC zu seiner Schlussfolgerung: Galt Japan bisher als Ausnahme, muss man konstatieren, dass diese Krankheit um sich greift. Das macht es wiederum für jedes Land schwerer, aus der Misere zu entkommen, wie das Scheitern von Abenomics unterstreicht. Devaluations simply pass deflationary pressures from one part of the world to another. What was once seen as monetary stimulus is now more typically described as the latest salvo in a protracted currency war.”

 Die vorgestellten Lösungen sind eine Mischung aus wirkungslos, begrenzt, riskant, leichtfertig und quälend langsam. Wie Japan lehrt, wird mehr Geld nicht die Lösung bringen. Im Gegenteil, das begünstigt mehr Spekulation und verlängert so die instabile deflationäre Stagnation. “A more sustained recovery is possible but to believe that central banks, on their own, can deliver such an outcome is surely a triumph of false hope over bitter reality.”

 bto: Wie King zu diesem optimistischen Ende kommt, angesichts der zuvor dargelegten Optionen, verschließt sich mir allerdings. Wie kann ein nachhaltiger Aufschwung möglich sein, wenn wir keinen Weg finden, die Schulden abzubauen oder das Wachstum deutlich zu stärken? Vor allem keinen, der schnell funktioniert und der politisch akzeptabel ist.

Zero Hedge: “The World Has 6 Options To Avoid Japan’s Fate, And According To HSBC, They Are All Very Depressing”, 27. März 2016