FINANCIAL TIMES: Moral-Hazard bei den Rettungs­maß­nahmen der Fed

Die Notenbanken setzen gerade den Weg fort, den sie bereits seit Jahren gehen: Schuldner und Gläubiger retten, obwohl beide viel zu große Risiken eingegangen sind – offensichtlich, um in der Zukunft noch größere Risiken einzugehen. Da spricht man von “moral hazard”.

Wikipedia: “Moralisches Risiko, auch moralische Versuchung, moralisches Wagnis oder Rationalitätsfalle (englisch moral hazard) bedeutet Fehlanreize – Personen oder Unternehmen können sich aufgrund ökonomischer Fehlanreize verantwortungslos oder leichtsinnig verhalten und damit ein Risiko auslösen oder verstärken. Als Standardbeispiel gelten Verhaltensänderungen aufgrund eines versicherten Risikos. Ursprünglich ein Begriff aus der Versicherungswissenschaft, ist moralisches Risiko heute Teil des allgemeinen ökonomischen Sprachgebrauchs.”

Ein moralisches Risiko – das genau bekommen wir heute:

  • “(…) it seems perverse that US equities in April staged their biggest monthly gain since 1987. In part the bounce back after the rout in March is an acknowledgment that central banks and policymakers will continue to throw everything at this crisis that can be thrown. There are no political constraints in addressing a pandemic that affects everyone in society equally.” – bto: Hier sage ich: “Richtig so.”
  • “The equity market recovery has been substantially driven by Microsoft, Apple, Amazon, Alphabet and Facebook, which together account for more than one-fifth of the S&P 500 market capitalisation. In other words, share prices are not pointing to a broad-based recovery. Nor are wider markets, with 10-year Treasury yields at record lows, oil prices severely depressed — even after a big rise this week — and emerging market currencies plunging against the US dollar since early this year. Also striking is how halfhearted the relief rally in global bank shares has been.” – bto: Die Märkte ahnen, dass es eben nicht so leicht sein wird, aus dem tiefen Loch wieder aufzusteigen.
  • “(…) China, whose fiscal and monetary response to the 2007-08 financial crisis helped drive the global recovery, will not be offering similar help this time. While speculation continues as to which letter of the alphabet will describe the shape of the post-coronavirus recovery, the letter V can safely be ruled out. The huge accumulation of corporate sector debt since the financial crisis means that those companies that manage to pull through will be restoring their balance sheets by paying down debt rather than investing. The retreat from globalisation and a switch from just-in-time supply chain management to just-in-case inventories will not be good for corporate profits. And with unemployment at levels not seen since the 1930s households will be averse to risk and anxious to increase savings. In the short term the environment will be hugely deflationary.” – bto: Das ist eine sehr klare Nachricht, die sich zu 100 Prozent mit der meinen deckt. Genauso habe ich auch in meinen Artikeln und im Buch argumentiert. Wir brauchen eine aggressive Wirtschaftspolitik, die eindeutig inflationäre Folgen haben muss.
  • “A more fundamental question about the recovery relates to the central banks’ asset-purchasing programmes. William White, former head of the monetary and economic department at the Bank for International Settlements, points out that repeated monetary easing to stimulate demand brings forward private spending in time, with purchases being financed by debt accumulation. As the weight of the debt burden increases, the effectiveness of monetary easing declines. In short, the continuation of ultra-low interest rates procures less and less growth.” – bto: Auch dies ist völlig zutreffend. Ich habe den abnehmenden Grenznutzen der Geldpolitik hier bereits in der letzten Woche gezeigt.
  • “This morally hazardous approach to monetary policymaking means central banks repeatedly set the stage for the next boom and bust cycle, fuelled by ever declining credit standards and ever expanding debt accumulation. The Institute of International Finance, a trade body, estimates that global debt, both public and private, topped $255tn at the end of 2019. That is $87tn higher than at the onset of the 2008 crisis and it is undoubtedly going to be very much higher as a result of the pandemic.” – bto: immer mehr Schulden, die praktisch nur zu Nullzinsen und ohne große Tilgung “bedient” werden können.
  • “The question, then, is how to break out of the asymmetric policy bind. In due course, potential measures could range from equalising the tax treatment of debt and equity; changing boardroom incentive structures that encourage debt-financed stock buybacks that weaken corporate balance sheets; and tougher competition policy to curb debt-financed takeovers that create near-monopolistic corporate giants.” – bto: Das stimmt in der Theorie, bedeutet aber so oder so tiefere Aktienkurse, weil die Gewinne sinken und die Nachfrage nach Aktien zurückgeht.
  • “The current debt overhang will never be repaid in full. With central banks directly monetising government deficits, much of the debt will ultimately be inflated away — which is something that fixed-income markets resolutely refuse to believe. Since the turn of the millennium, markets have been plagued by widespread mispricings of risk. Here, almost certainly, is another case in point.” – bto: Das muss über Inflation erfolgen. Und weil dem so ist, bleibe ich bei der großen Sorge, dass unsere deutschen Politiker uns mal wieder in die falsche Richtung positionieren.

→ ft.com (Anmeldung erforderlich): “Markets should beware this morally hazardous approach to policymaking”, 8. Mai 2020

Kommentare (27) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
    • ruby
      ruby sagte:

      @Herr Stöcker
      Sie haben doch die Zyanidkapsel zwischen dem Ober- und Untergebiß bei Powell rollen und knirschen hören als er auf die vorbereiteten Fragen antwortete.
      Greenspan wirkte noch wie ein Magier und Bernanke, sorry an Frankie, wie ein verzweifelter Hütchenspieler.

      Nein Herr Stöcker Monetarismus & Keynesianismus haben eine 60 minütige Beerdigungsrunde ohne Kutscherkuchen erhalten.
      Sehen Sie zu Ihre Depositen und eigenen Kreditvergaben allzeit verfügbar zu halten, für die Goldklunker immer ordentlich Reifendruck prüfen.
      Ein Häuschen holt Ihre Frau aus dem 3D Technologie Drucker.
      BTW, das Junkbier ist übrigens eben abgefüllt – Eichenrauch und Wienermalz Weizen, drei Wochen, wie beim BVerfG und es macht wieder Plopp!

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  1. Horst
    Horst sagte:

    “Wir brauchen eine aggressive Wirtschaftspolitik, die eindeutig inflationäre Folgen haben muss.”

    Dr. Stelter: Legen Sie dar, wie die bereits heute massiv beteiligten Gruppen innerhalb der Gesellschaft für eine gewollte Inflationierung entschädigt werden.

    “bto: Auch dies ist völlig zutreffend. Ich habe den abnehmenden Grenznutzen der Geldpolitik hier bereits in der letzten Woche gezeigt.”

    Dr. Stelter: Legen Sie dar, für wen (welche Gruppen innerhalb der Gesellschaft) der Grenznutzen der Geldpolitik abnimmt. Dass dieser für die Gesellschaft als Ganzes abnimmt, ist ausgeschlossen.

    bto: immer mehr Schulden, die praktisch nur zu Nullzinsen und ohne große Tilgung „bedient“ werden können.

    Dr. Stelter: Legen Sie dar, dass es auf Schuldentilgung nicht ankommt, sondern ausschließlich um Aufrechterhaltung von globalen Zahlungsketten.

    Antworten
    • Richard Ott
      Richard Ott sagte:

      @Horst

      ” Dass dieser [Grenznutzen der Geldpolitik] für die Gesellschaft als Ganzes abnimmt, ist ausgeschlossen.”

      Ach ja, das ist ausgeschlossen? Wieso sollte das so sein?

      Glauben Sie wirklich, der Nutzen von den ersten 10000 Euro zusätzlich pro Kopf als “Corona-Einkaufsgutschein” oder was auch immer wäre genau so hoch wie der von 10000 Euro extra wenn jeder schon 1 Milliarde frisch geschöpfte Euros auf diese Weise in die Tasche geschoben bekommen hätte?

      (Das wäre übrigens ein bequemer und auch für Sozialisten nicht zu anstrengender Weg zum “Reichtum für alle”, den die Linkspartei mal gefordert hat…)

      Antworten
      • Horst
        Horst sagte:

        Das Einlesen bei den Daten des SOEP kann helfen, Ihre sozialistischen Neurosen zu lindern.

        Als Diskussionsteilnehmer haben Sie sich einmal mehr ins ultimative Abseits katapultiert.

      • Richard Ott
        Richard Ott sagte:

        @Horst

        Wir sind hier nicht in der DDR-Plankommission, und auch nicht im Wirtschaftsministerium von Zimbabwe.

        Mich zu beschimpfen bringt nichts, Sie müssen mir schon anhand der Daten zeigen können, dass der Grenznutzen der Geldpolitik nicht -wie ich das für offensichtlich halte- abnimmt, wenn Sie mich überzeugen wollen.

  2. Dieter Krause
    Dieter Krause sagte:

    Merkel hat kein sinnvolles ökonomisches und fiskalisches Konzept für die Zeit after Corona für die EU! Man muss sie wirklich eine Demenz-Ökonomin nennen, der die Angst vor einem angeblichen Zerfall der EU nach Corona im Nacken sitzt. Neben den guten Vorschlägen von Herrn Stelter gäbe es noch einige andere sinnvolle. Selbst Euro-Bonds – mit JÄHRLICHER GENEHMIGUNG DURCH DEN DEUTSCHEN BUNDESTAG – wären hier besser. Dann könnte man nämlich auch mal Reformdruck auf Italien ausüben: Tun sie nichts, können sie sich gern zwei Jahre wieder selber an den Kapitalmärkten refinanzieren! Die EU ist – wie der deutsche Bundesrat – keine Liebesheirat sondern eine ökonomische, politische und sicherheitspolitische Nützlichkeitsveranstaltung für die europäischen Länder! Aber bitte für alle. Wenn Herr Salvini dann wieder gegen Deutschland wettert – dann kann er doch gern aus dem Euro und der EU austreten! Seine neuen politischen Freunde wären dann wohl Rußland, China, Libyen und Saudi Arabien! So bekloppt sind die Italiener aber nicht, dass sie das – nebst einer hochinflationären Lira – gegen den Euro und die Mitgliedschaft in der EU eintauschen wollen.

    Antworten
  3. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    >The current debt overhang will never be repaid in full. With central banks directly monetising government deficits, much of the debt will ultimately be inflated away>

    Es ist NICHT möglich, den Schuldenüberhang ANDERS zu eliminieren.

    Die Frage ist, WIE die Zentralbanken DAFÜR agieren (können).

    Das hängt von den Regierungen ab.

    Für Deutschland sieht m. A. n. die Sache so aus:

    Wenn die Wirtschaft sich so weiter entwickeln würde wie in den letzten 10 Jahren, werden wir die “ANSTÄNDIGEN” dieser Welt sein:

    Sparen, sparen und nochmals sparen in Richtung der schwarzen Null.

    Die Wirtschaft wird sich aber nicht so weiter entwickeln und daher wird Folgendes geschehen (im Rahmen der EU):

    Wenn unsere Staatsverschuldung ein bestimmtes Verschuldungsniveau erreicht sein wird, sagen wir bei einem Schuldenstand irgendwo in der Nähe von oder über 100% vom BIP, wird es vorbei sein mit der Finanzierung NUR über die Kapitalmärkte.

    Dann biegt auch Deutschland, den anderen folgend, in die monetäre Staatsfinanzierung ein.

    Die anders nicht zu leistende FINANZIERUNG der SOZIALBUDGETS erfordert das ZWANGSWEISE.

    Oder doch nicht, weil die Deutschen einen Horror vor der Inflation haben?

    Die Alternative einigermaßen funktionierender Sozialstaat mit Inflation oder keine Inflation mit schlecht funktionierendem Sozialstaat ist eine THEORETISCHE.

    Es gibt nur die PRAKTISCHE Lösung:

    Einigermaßen funktionierender Sozialstaat mit Inflation.

    Das Warum ist einfach zu beantworten:

    ANDERNFALLS würde die Gesellschaft sich in Verteilungskämpfen destabilisieren.

    Das hat bis heute keiner gewollt und wird auch in Zukunft keiner wollen, der Verantwortung trägt.

    Die Mechanismen für die vorgezeichnete Entwicklung sind bereits entworfen und sie gewinnen an Relevanz:

    – MMT auf dem Feld der Theorie

    – Bürgergeld und BGE als politische Projekte

    – Japan als praktizierendes Beispiel

    – die Notenbanken mit Ausweitung ihrer Bilanzen

    Das ist der MAINSTREAM, der das Geldsystem GLOBAL ändern wird – und damit auch Deutschland betreffend.

    Antworten
    • Richard Ott
      Richard Ott sagte:

      @Herr Tischer

      “Die Alternative einigermaßen funktionierender Sozialstaat mit Inflation oder keine Inflation mit schlecht funktionierendem Sozialstaat ist eine THEORETISCHE. Es gibt nur die PRAKTISCHE Lösung: Einigermaßen funktionierender Sozialstaat mit Inflation. Das Warum ist einfach zu beantworten: ANDERNFALLS würde die Gesellschaft sich in Verteilungskämpfen destabilisieren.”

      Je mehr “Diversität” es in einer Gesellschaft gibt, desto geringer wird die Akzeptanz für einen üppig ausgestalteten Sozialstaat, der die Unproduktiven aller verschiedenen ethnischen oder nationalen oder religiösen Gruppen bedingungslos alimentiert.

      Schauen Sie sich nur die Migranten aus Syrien an: Da gibt es Kurden, sunnitische Araber, schiitische Araber und diverse kleinere Minderheiten wie zum Beispiel Jesiden. Die Kurden sind mit den Schon-länger-hier-lebenden Türken verfeindet, haben mittlerweile auch angespannte Beziehungen zu den Arabern egal welcher religiösen Ausrichtung, sunnitische und schiitische Araber versuchen sich aus religiösen Gründen in Syrien gegenseitig umzubringen und die Türken sind in den Norden des Landes nicht nur einmarschiert um die Kurden plattzumachen sondern auch um ihre terroristischen sunnitischen Hilfstruppen gegen die böse Assad-Regierung und ihre russischen und iranischen (das sind dann wieder Schiiten) Verbündeten zu schützen.

      Wenn wir den Blick ein bisschen auf Irak und Afghanistan erweitern, wird es noch komplizierter, für mein Argument brauche ich die Wechselwirkungen der Konflikte aber gar nicht weiter aufzufächern, ich denke, es wird auch so klar, worauf ich hinaus will.

      Glauben Sie im Ernst, diese ganzen Gruppierungen würden freiwillig hier einem Sozialstaat mit hohen Steuern und Abgaben zusammenleben wollen, wenn die Deutschen nicht mehr einen Großteil der Kosten übernehmen? Träumen Sie weiter!

      Wir werden irgendwann an einen Punkt kommen, wo es eine Mehrheit dafür gibt, den deutschen Sozialstaat zusammenzustreichen. Das ist dann kein “schlecht funktionierender” Sozialstaat, sondern ein zusammengestutzter, der genau so funktioniert, wie er soll.

      Antworten
      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Richard Ott

        Sie fixieren sich auf die Migrationsthematik und sehen die Entwicklung NUR mit Blick darauf.

        Die Migrationsthematik spielt zwar eine Rolle, ist aber NICHT entscheidend.

        >Wir werden irgendwann an einen Punkt kommen, wo es eine Mehrheit dafür gibt, den deutschen Sozialstaat zusammenzustreichen. Das ist dann kein „schlecht funktionierender“ Sozialstaat, sondern ein zusammengestutzter, der genau so funktioniert, wie er soll.>

        Wenn der Sozialstaat für die Migranten etwas leisten muss, dann wird er es leisten, solange andere Teile der Bevölkerung das bekommen, was sie als hinreichend für sich erachten.

        Denn JEDER schaut darauf, dass ER bekommt, was er bekommen MÖCHTE und, falls er es bekommt, toleriert mit mehr oder weniger Missmut, dass andere auch etwas bekommen.

        Wenn es knapp wird, was ich annehme mit Blick auf Rente, Pflege und steigende Arbeitslosigkeit, dann wird nicht der deutsche Sozialstaat zusammengestrichen – was für eine Idee! -, sondern erst einmal die Transferleistungen zum Rest Europas.

        Wenn Sie allerdings glauben, dass der deutsche Sozialstaat nach den Vorstellungen von Höcke, Kablitz & Co. durch „völkische Innenpolitik“, d. h. durch die Diskriminierung von hierzulande LEGAL lebenden Nichtdeutschen zusammenstutzen werden würde, TRÄUMEN SIE.

        Sogar Gauland hat gesagt, dass das Rentensystem von Höcke in Karlsruhe scheitern würde.

        Klar, der werden natürlich andere Richter eingesetzt und dann scheitert nichts mehr.

        Diese Republik ist vielleicht eine „irgendwann“, aber aus heutiger Sicht völlig außer Reichweite.

        Ich kenne natürlich die Zukunft nicht.

        Daher würde ich sagen:

        Die AfD soll sich erst einmal sortieren, bevor sie uns Vorstellungen wie die von Ihnen geäußerten vorsetzt.

        Eine AfD nach den Vorstellungen von Meuthen z. B. wird versuchen, eine andere Migrationspolitik durchzusetzen, aber das Land mit einer GANZ anderen Politik nicht auf den Kopf stellen wollen.

        Nur eine SOLCHE AfD hat in Deutschland die Chance, irgendwann einmal mitregieren zu können.

      • Richard Ott
        Richard Ott sagte:

        @Herr Tischer

        “Wenn Sie allerdings glauben, dass der deutsche Sozialstaat nach den Vorstellungen von Höcke, Kablitz & Co. durch „völkische Innenpolitik“, d. h. durch die Diskriminierung von hierzulande LEGAL lebenden Nichtdeutschen zusammenstutzen werden würde, TRÄUMEN SIE. ”

        Wie kommen Sie darauf, dass so eine Sozialpolitik nur von der AfD umgesetzt werden würde?

        Vergessen wir mal die Ethno-Konflikte für einen Moment und stellen uns der Einfachheit halber vor, es gäbe in Deutschland in den Jahren nach der Verrentung der Babyboomer-Jahrgänge eine Klientelpartei, die hauptsächlich relativ junge Wähler “mit Migrationshintergrund” hätte.

        Was glauben Sie, wären die für weitere Rentenerhöhungen und entsprechende Steigerungen der Sozialversicherungsbeiträge zur Rentenversicherung, die ja den grauhaarigen Almans viel mehr bringen als der eigenen Klientel? Oder dagegen? ;)

        Sie vergessen dabei auch völlig, dass es auch noch komplett andere Möglichkeiten gibt, ein Sozialsystem zu organisieren als staatlich organisierte Rentenversicherungen. Muss ich Ihnen erklären, wie das mit der Rente in den Hauptherkunftsländern der Migranten funktioniert? (Das dortige Familien-Modell hat übrigens den Vorteil, dass man verhasste ethnische Gruppen aus dem Nachbardorf nicht über die allgemeine Sozialversicherung mitfinanzieren muss, sehr nützlich in einer Region wie dem Nahen Osten…)

        “Wenn es knapp wird, was ich annehme mit Blick auf Rente, Pflege und steigende Arbeitslosigkeit, dann wird nicht der deutsche Sozialstaat zusammengestrichen – was für eine Idee! -, sondern erst einmal die Transferleistungen zum Rest Europas.”

        Das wäre aber sehr nationalistisch. Sie wissen doch, scheitert der Euro, dann scheitert Europa, dann scheitert die ganze Idee der europäischen Einigung und damit der Frieden. (War übrigens in der DDR exakt die gleiche Rhetorik, wer gegen den Sozialismus war, war auch gegen den Frieden…) Schon aus seiner historischen Verantwortung heraus darf Deutschland das doch niemals zulassen und sollte lieber an seinem eigenen Sozialsystem kürzen, oder?

      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Richard Ott

        Jeder kann sich ein Zukunftsszenario ausmalen, wie er will.

        Richtig oder falsch gibt es nicht, denn es geht um die Zukunft.

        Ich basiere meines auf den Entwicklungen der Vergangenheit und die Optionen der Zukunft, die sich ansatzweise schon deutlich abzeichnen:

        Der deutsche Sozialstaat wird tendenziell wachsen wegen steigender Renten, Pflegekosten, Kosten für Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung etc. Die Party der letzten 10 Jahre ist vorbei, mit Corona sowieso.

        Die Finanzierung des Sozialstaats wird schwieriger wegen steigender Kosten und sinkender Einnahmen.

        Der Staat finanziert über Verschuldung, weil Steuern und Abgaben praktisch ausgereizt sind.

        Ab einem gewissen Punkt kann er nicht mehr so finanzieren, vor allem dann, wenn wegen steigender Inflation die Zinsen auch für den deutschen Staat steigen.

        Dann wird monetäre Staatsfinanzierung praktiziert werden MÜSSEN.

        Unabhängig davon, allerdings flankiert von diesen Finanzierungsmodalitäten, wachsen die Verteilungskonflikte in der Gesellschaft.

        Selbst wenn die Produktivität erheblich steigen würde, wird das gesellschaftspolitisch relevante Problem sein, dass das Verhältnis Arbeitender zu Nichtarbeitenden immer mehr zum Nachteil der Arbeitenden kippt mit der Folge, dass die Verteilung des Sozialprodukts zu immer heftigeren Auseinandersetzungen führen wird.

        Sie sind bis zu einem gewissen Grad mit Geldzuteilung und Inflation zu kaschieren, aber nicht dauerhaft.

        Wenn nicht mehr, dann werden die Transferleistungen nach der EU nicht mehr so fließen und wir würden die Eurozone und auch die EU, so wie sie dann sind, sprengen.

        Allerdings:

        Ich bin der Überzeugung, dass VORHER ein anderes großes Land, nach Lage der Dinge Italien, die Eurozone verlassen wird.

        Denn es ist völlig klar, dass die Peripherie mit den Summen GESCHENKTEN Geldes, die jetzt und möglicherweise zukünftig vermehrt beschafft und verteilt werden, keine Restrukturierungsmaßnahmen durchzuführen sind, um wettbewerbsfähiger und die Gemeinschaft stabiler zu machen.

        In Italien fließen ganz sicher große Summen des Coronakrisengeldes in die Spitze des Stiefels, um den Norden zu entlasten und somit Salvini Wind aus den Segeln zu nehmen.

        Die 5-Sterne können mit den Milliarden Euro, die jetzt fließen, schon mal ein BGE in Gang setzen. Es könnte Vorbildcharakter haben, gibt es doch genügend Habecks hierzulande, die damit punkten wollten.

        Das alles kann ich mehr oder weniger an erprobten und neuen Entwicklungen festmachen.

        Ein KÜRZUNG des Sozialstaats kommt dabei nicht vor.

    • Horst
      Horst sagte:

      “Es ist NICHT möglich, den Schuldenüberhang ANDERS zu eliminieren.”

      Diese Aussage ist schlicht und ergreifend falsch.

      Da ein “Schuldenüberhang” bereits mit dem ersten Cent beginnt (eine andere Definition lassen Ihre Ausführungen nicht zu; ab welcher Summe wird ein Schuldenüberhang zu einem Schuldenüberhang?), teilen Sie dem geneigten Forum auch mit, wessen Vermögen – auch im zeitlichen Verlauf via Inflationierung – abgebaut werden sollen.

      Antworten
      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Horst

        Es geht nicht um eine Summenbestimmung oder Definition.

        Ein Schuldenüberhang entwickelt sich, wenn die Schulden schneller als die Realwirtschaft wachsen.

        Zuerst dämpfen er die Wirtschaft, irgendwann kollabiert das System (Minsky-Moment).

        Die Frage ist wie man den Schuldenüberhang eliminiert.

        Die Möglichkeiten sind:

        Insolvenzen, geordneter Schuldenschnitt, Wachstum und Inflation.

        Insolvenzen will man nicht wegen des d
        sozialen Sprengstoffs zu hoher Arbeitslosigkeit, einen geordneten Schuldenschnitt verhindern die Gläubiger, Wachstum ist in hinreichendem Maß nicht möglich.

        Bleibt nur noch Inflation als Mechanismus, der nicht disruptiv ist.

        Es gibt allerdings einen disruptiven:

        Es ist der Crash mit anschließender Währungsreform.

        Er ist nicht vollständig auszuschließen, aber dem Gang der Dinge nach, der Flutung mit Liquidität durch die Notenbanken, schließe ich ihn bis auf weiteres aus.

      • Horst
        Horst sagte:

        “Ein Schuldenüberhang entwickelt sich, wenn die Schulden schneller als die Realwirtschaft wachsen.”

        Das ist doch eine Definition, allerdings ohne Einbeziehung der Inflation (gleich, welcher Höhe nach).

        “Die Möglichkeiten sind: Insolvenzen, geordneter Schuldenschnitt, Wachstum und Inflation.”

        Die Möglichkeit des fiskalischen Eingriffs durch den Staat haben Sie nicht berücksichtigt, widerspricht doch dieser dem von Weizsäcker formulierten Vermögenswunsch der Privaten, der Unternehmen und neuerdings auch einiger Staaten, allen voran Deutschland (Schuldenbremse).

        Ihrer Definition gemäß kann ein Schuldenüberhang nur dann entstehen, wenn Schulden schneller wachsen als die Realwirtschaft plus Inflation (meine Anmerkung).

        Bedeutet, der Staat könnte, so er wollte, JEDERZEIT regulierend mittels Fiskalpolitik eingreifen (die Basisdaten liegen diesem vor), um das Maß der Neuschuldenaufnahme auf dasjenige der Realwirtschaft plus Inflation zu reduzieren, würde die errechnete Differenz via Steuer (1) eingezogen werden, ferner, da auch dieser, wie Sie zu Recht ausführen, an den anderen von Ihnen aufgezählten Möglichkeiten kein Interesse haben kann.

        Offensichtlich hat der Staat an (1) ebensowenig Interesse, was mich wiederum zu der Frage führt, warum.

      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Horst

        >Die Möglichkeit des fiskalischen Eingriffs durch den Staat haben Sie nicht berücksichtigt,>

        Der Staat kann Schulden nicht eliminieren, WENN er sich immer wieder NUR durch Begebung von Anleihen und Steuern finanziert.

        Denn dadurch wechselt – vereinfacht und nicht ganz korrekt gesagt – die Nachfrage vom Privatsektor zum Staat, aber sie verändert die GESAMTNACHFRAGE nicht. Also entstehen nicht das Wachstum und die Inflation, die Schulden nachhaltig eliminieren könnten. Ich lasse unberücksichtigt, dass es u. a. auch darauf ankommt, ob es Unterbeschäftigung in der Volkswirtschaft gibt und für was der Staat das Geld ausgibt. Es geht um die grundlegenden Mechanismen.

        Dagegen:

        WENN der Staat sich aber über seine Notenbank finanziert, eben monetäre Staatsfinanzierung stattfindet, UND das oder ein Teil des Geldes Unternehmen und/oder Bürgern auf deren Konten gutgeschrieben würde UND diese das Geld in Nachfrage umsetzten, KANN – bei kontinuierlich hohem Geldzufluss – Inflation entstehen und die Verschuldung eliminiert werden.

        Finanzierung durch die eigene Notenbank ist für den Staat NICHT durch Bonitätserfordernisse und Kostenbelastung aufgrund von Zinszahlungen begrenzt.

        Sie kann daher im Prinzip beliebig fortgesetzt werden.
        Das ist der Mechanismus, der den Schuldenüberhang abbauen kann – durch INFLATION.

        Diese Finanzierung kommt jetzt und in Zukunft vermehrt zum Tragen und wird Inflation generieren.

        Offen ist nur, in welchem Ausmaß das erfolgen wird.

  4. ruby
    ruby sagte:

    Moral Hazard ist nur möglich, wenn Moral bei den Akteuren bestehen würde. Gesinnungspolitiker sollten dahrr die Moralistenpartei wählen DMP.
    Da gefällt mir die wirtschaftliche Dekadenzpartei WDP genauer.
    https://de.m.wiktionary.org/wiki/Dekadenz
    Diese Wortbedeutung “Entartung, Verfall” ist um das Geld- bzw. Wirtschaftssystem auszudehnen.
    Money Decadence
    Interessant bleibt wie “normale” einfache Menschen mit der Dekadenz der Notenbanker und Unternehmer langfristig umgehen. Mutieren diese ebenso quasi ein Dekadenzübersprung oder neigen sie dazu die Geld Dekadenz einzudämmen bzw. zu minimieren.
    Ist das eine Entwicklung, ein Kampf, eine akzeptierte Möglichkeit von Zukunft oder endet es in vorzeitiger Zerstörung?
    Auf jeden Fall bleibt die Zahlungsstromtechnik immer nur angewandte Methodik der Gestaltenden.

    Antworten
    • Alexander
      Alexander sagte:

      @ruby

      Die moral hazard der Akteure samt aller Dekadence haben wir jahrelang als neue Normalität anerkennen dürfen. – Das nicht zu sehen war Zeichen der Ansteckung – (singemäß Nicolas Gomez Davila).

      Mit Corona ändert sich etwas grundlegendes und die geldpolitischen Zombies sind gefangen.

      Zitat:
      They are looking at the water receding from the bay, leaving all the fish flopping in the seabed, and reckoning that’s the worst that will happen. They don’t yet understand that the tsunami that’s about to roar ashore is not yet visible.

      Warum?

      Zitat:
      1. Their unearned/investment income will drop.
      2. Tax hikes will be aimed exclusively at the top 10%, further eroding their income.
      3. Their services weren’t as essential or in demand as they assumed, because they assumed the top 10% that make up the bulk of their customers would resume spending freely.
      4. Their assets will decline in value, as the only buyers are other top 10% households, and these declines in wealth and income will create a self-reinforcing downward spiral.
      http://charleshughsmith.blogspot.com/2020/05/consumer-spending-will-not-rebound.html

      Aggressive Wirtschaftspolitik schließe ich beim Neidfaktor dieser großen Koalition von vornherein aus, d.h. es gibt mehr Leichen als Gewinner.

      Antworten
      • ruby
        ruby sagte:

        @ Alexander
        Syncronity of thinking

        Gestern hat CHS das Zeitalter der Dekadenz in einem Zyklus am Ende beschrieben
        http://charleshughsmith.blogspot.com/2020/05/our-fate-is-sealed-vaccines-wont-matter.html?m=1
        ” Sir John Glubb’s succinct and deeply informed 1978 essay The Fate of Empires lists these stages of social development and decay that manifest as the rise and decline of empires:
        The Age of Pioneers (outburst or Boost Phase)
        The Age of Conquests
        The Age of Commerce
        The Age of Affluence
        The Age of Intellect
        The Age of Decadence
        The slippery slope to collapse–decadence–is characterized by greed, corruption, irreconcilable internal political rifts, moral decay, frivolity, materialism–hmm, sound familiar?
        The global status quo sped through The Age of Intellect (postmodernism) with little to show for the vast expenditure of resources, and is now firmly in the final terminal stage of decadence and collapse.”
        Danach folgt ein Schaubild mit dem S-Kurvenverlauf, Produkt-Marketing hat die Strategien zur Überwindung dieses Produktzyklus entwickelt als klassischen Bestandteil des Absatzes in der Betriebswirtschaft beim Prozeß der Produktentwicklung.
        Verlorene Grundlagen, wie die wegströmenden Fischschwärme.

  5. Wolfgang Selig
    Wolfgang Selig sagte:

    bto: “Das muss über Inflation erfolgen.”

    Richtig. Das widerstrebt aber dem Charakter der Deutschen. Sie wollen in Nominalwerten denken, können vielleicht auch häufig nicht anders. Dazu müssten sich aber Leute wie Theo Waigel hinstellen und sagen: Sorry, Leute, aber in dieser Lage ist die schwarze Null wirklich Quatsch. Von dieser Seite kommt aber gar nichts. Warum? Weil man dann den Euroskeptikern aus den 90ern wie Peter Gauweiler (CSU), Frank Schäffler (FDP) oder gar weiten Teilen der AFD recht geben würde. Ich sehe keine Lösung für das Dilemma.

    Antworten
    • Richard Ott
      Richard Ott sagte:

      @Herr Selig

      “Das widerstrebt aber dem Charakter der Deutschen. Sie wollen in Nominalwerten denken, können vielleicht auch häufig nicht anders.”

      Ach, “Nationalcharakter”. Das züchtet sich mit der Zeit raus, außerdem sind Konzepte wie “Nation” und “Volk” sowieso nur politische Konstrukte – außer wenn gerade 8. Mai ist und der Bundespräsident an die ewige Kollektivschuld des deutschen Volkes für den 2. Weltkrieg und den Holocaust erinnert…

      Aber Spaß beiseite.

      Der Grund wird eher darin liegen, dass die Deutschen in ihrer Geschichte mit Inflation schon mehrmals sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben – was die Gelddruck-Fraktion aber konsequent verdrängt. Es reicht ja schon, “Weimar” oder “1923” zu sagen, und schon geht das wütende Gekeife los.

      Antworten
      • Wolfgang Selig
        Wolfgang Selig sagte:

        @Richard Ott:

        Hm. Mit “Charakter” habe ich wohl tatsächlich eine missverständliche Formulierung gewählt. “Kollektives Gedächtnis” wäre eventuell angemessener. Vielleicht haben Sie ja einen besseren Ausdruck dafür.

      • Richard Ott
        Richard Ott sagte:

        @Herr Selig

        Ich glaube, der Begriff “kollektives Gedächtnis” trifft es ganz hervorragend.

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