Adair Turner zu Zinsen und der notwendigen Monetarisierung

Dieser Beitrag erschien erstmals im April 2017 bei bto:

Adair Turner, Chairman des Institute for New Economic Thinking (INET) und früherer Finanzmarkt-Chefaufseher in Großbritannien ist einer der profiliertesten Denker zur aktuellen Krise. Bei bto war er schon mehrfach Thema, vor allem mit seinem wohl richtigen Plädoyer für eine massive Monetarisierung.

Nun ein erneutes Interview mit der FINANZ und WIRTSCHAFT. Hier die Highlights und wie stets mit bto-Kommentierung:

Zunächst zur aktuellen Inflationsdebatte:

  • Es ist natürlich möglich, dass die Inflationserwartungen steigen und damit die Teuerung zunimmt. Aber ich habe den Eindruck, dass die deflationären Kräfte in der Welt immer noch beträchtlich sind. Die Zinsen werden tief bleiben. (…) Verblüffend ist aber die Tatsache, dass all die außergewöhnlich starken geldpolitischen Maßnahmen bloß bewirkten, dass die Inflation von null in die Nähe des Ziels von 2 % steigt. Das weist darauf hin, dass sehr starke fundamentale, strukturelle Faktoren in die andere Richtung ziehen.” – bto: Das denke ich auch, außer, es käme wirklich zu einem drastischen Vertrauensverlust in Geld, einem Angebotsschock oder einer Flucht der Anleger aus allen Zinspapieren aus Angst vor Forderungsausfällen der immer höher verschuldeten Akteure. In letzterem Fall hätten wir Deflation und hohe Zinsen.

Zur Rolle Chinas

  • Ohne den staatlichen Stimulus in China durch die Kreditausweitung von 2009 bis heute wäre die Weltwirtschaft in einer viel tieferen deflationären Falle. Vergangenes Jahr hat China den Stimulus weitergeführt, was mich überrascht hat – ich dachte, die chinesische Regierung gehe davon aus, dass der inländische Schuldenberg untragbar geworden sei. Ich glaube aber nicht, dass noch mehr neuer Stimulus kommen wird.” – bto: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Zurzeit sieht es so aus, als würde China weitermachen. Doch was, wenn nicht?

Zur Fiskalpolitik und den Zinsen

  • Weltweit hat eine Lockerung stattgefunden, und für die USA wird eine solche erwartet. All das könnte bewirken, dass die Welt für einige Jahre zu einer Teuerung in der Nähe des Inflationsziels zurückkehrt, vielleicht mit etwas höheren Zinsen. Trotzdem bestehen starke deflationäre Tendenzen.” – bto: Vor allem könnten höhere Zinsen wieder in einen Abschwung führen.
  • In den letzten sechs Monaten sind die Nominalzinsen gestiegen, da sich die Inflationserwartungen erhöht haben. Aber die langfristigen Realzinsen sind keineswegs höher, sondern so tief wie zuvor, und sie werden vermutlich tief bleiben. Die langfristigen Realzinsen werden nicht von den Erwartungen gesteuert und auch nicht von den Zentralbanken, sondern von der strukturellen Balance zwischen weltweitem Sparen und Investieren. Das spricht weiterhin für sehr tiefe langfristige Zinsen.” – bto: Das ist der Punkt mit den Ersparnisüberschüssen. Ich denke eher, es liegt an den untragbaren Schulden. Das sieht auch Turner so: “Um die hohen Schulden tragen zu können, brauchen wir sehr tiefe Zinsen.”
  • Tiefe Zinsen haben negative Auswirkungen. Ein Problem ist die langfristige, säkulare Zunahme der Ungleichheit. In solch einem Umfeld ist die Strategie, die Weltwirtschaft mit sehr tiefen Zinsen am Laufen zu halten, zwangsläufig gut für Personen, die Vermögen besitzen.” – bto: Das ist bekannt und birgt entsprechenden Sprengstoff.

Monetarisierung als Lösung

  • Viel besser als riesige Beträge für einen rein geldpolitischen Stimulus wären kleinere Beträge für Steuersenkungen oder Staatsausgaben gewesen, finanziert von der Zentralbank. Die britische Zentralbank hat ab 2009 für 400 Mrd. £ Anleihen gekauft – das Quantitative Easing. (…) Doch die Bank of England hätte besser 50 Mrd. £ für die monetäre Finanzierung eines zusätzlichen Staatsdefizits. Und sie hätte der Öffentlichkeit sagen sollen, dies sei permanent monetär finanziert. Damit hätte die BoE ihre Bilanz weniger aufgebläht und die Wirtschaft mehr stimuliert. Wegen des Verzichts auf einen monetär finanzierten Fiskalstimulus haben wir nun gefährlich große Notenbankbilanzen.” – bto: So werden wir beides bekommen, erst die langen Bilanzen und dann in der nächsten Runde die direkte Staatsfinanzierung.
  • Die Bank of Japan sollte erklären, dass sie z. B. ein Viertel der Staatsanleihen in ihrem Besitz abschreibt. (…) Das ist eine permanente, monetär finanzierte Transaktion, eine Ausdehnung der Notenbankgeldmenge. Das Geldangebot bleibt dauerhaft höher. Bisher sind mit QE und der Expansion der Geldmenge die Einlagen der Banken bei Japans Zentralbank von 6 auf 100 % des Bruttoinlandprodukts gestiegen.” – bto: Es ist der Wundertrick, der Schulden über Nacht verschwinden lässt. Und genau dies werden wir auch in Europa sehen.
  • (In Japan) wird es immer offensichtlicher werden, dass die Zentralbank Staatsschulden de facto monetär finanziert. Private Investmentgesellschaften werden zunehmend das wirkliche Niveau der japanischen Staatsschulden eruieren. Es wird eine Art faktische Akzeptanz geben. Aber selbst Japan kann Schulden monetär finanzieren, ohne dies einzugestehen. Das könnte ein Modell sein für anderswo. Man erhält das Tabu aufrecht, während man es bricht.” – bto: DAS IST ES!!!

Machbar

  • Die Schwierigkeiten sind nicht technischer Natur, sondern politisch. (…) Der Umfang der monetären Finanzierung darf nicht von der Regierung festgelegt werden, sondern von einer unabhängigen Zentralbank. Eingesetzt wird das Instrument in einer Situation wie 2010, wo die Inflationsrate zu tief ist und die Zentralbank versucht, die Nachfrage anzukurbeln – und falls sie der Ansicht ist, dass ihre anderen Werkzeuge nicht wirken.” – bto: Wer glaubt denn wirklich an unabhängige Zentralbanken?
  • Die Zentralbank druckt den von ihr bestimmten Betrag und überweist ihn auf ein Konto für die Regierung. Diese Summe soll helfen, die Teuerung zum Inflationsziel anzuheben. Die Regierung bestimmt, wie der Betrag eingesetzt wird, für tiefere Steuern oder höhere Staatsausgaben. So lässt sich das Werkzeug der monetären Finanzierung einsetzen, diszipliniert und verankert in einer unabhängigen Zentralbank, die ein Inflationsziel verfolgt. (…) Die ökonomische Theorie ist weitgehend geklärt, meiner Meinung nach haben wir Befürworter die Debatte gewonnen.” – bto: Und es wird auch umgesetzt werden, davon bin ich überzeugt.

In der Eurozone schwierig

  • Die Eurozone hat eine Zentralbank und zahlreiche Regierungen, da ist das viel komplizierter. Die Frage lautet: Wer bestimmt über die Verwendung des Zentralbankgeldes? Skeptiker befürchten, Italien würde nach einer erfolgreichen monetären Finanzierung immer wieder dafür lobbyieren. Deutschland wird sein Einverständnis wohl nicht geben.” – bto: doch. Ich denke mittlerweile, dass unsere Politiker dem zustimmen. Wenn man sich die Politik auf praktisch allen Feldern anschaut, kann man doch nur feststellen, dass es nirgendwo um Erhalt und Mehrung von Wohlstand geht. Es geht nur um Machterhalt. Im Zweifel versteht es die Bevölkerung ohnehin nicht, völlig besoffen von der (falschen) Wahrnehmung doch so „reich“ zu sein.
  • Ich bin skeptisch, dass ein Schuldenproblem wie in Italien innerhalb der bestehenden Struktur der Währungsunion gelöst werden kann. Es bräuchte einen Abschreiber, und der wäre viel disruptiver als der griechische, weil Italien viel grösser ist. Oder es bräuchte einen zusätzlichen Stimulus oder Beihilfe. Die Währungsunion ist unvollständig.” – bto: Das wiederum ist doch schwer vorstellbar.

Fazit bto: Wir haben einen Wettlauf zwischen der Monetarisierung und den politischen Spannungen. Die Frage ist, was davon das Rennen macht. Gelingt die Monetarisierung rechtzeitig, dürften Euro und Establishment überleben. Kommt es vorher zu einem politischen Bruch – man denke an Uscitaly – könnte die Monetarisierung der letzte Hebel sein, um das Desaster abzuwenden. Dann würde die politische Entwicklung also der monetären helfen. Oder es wäre eben zu spät.

→ fuw.ch: “Die Zinsen werden tief bleiben”, 13. April 2017