2012: “Die Hirnab­schaltung der Deut­schen nach Fukushima”

“Hinterher ist man immer schlauer.” – Genau das kann man meinem Gast im bto-Podcast am 25. September 2022 nicht vorwerfen: Vince Ebert studierte er von 1988 bis 1994 Physik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg mit einem Schwerpunkt in experimenteller Festkörperphysik und schloss sein Studium mit einem Diplom ab. 1998 unternahm Vince Ebert erste kabarettistische Gehversuche auf verschiedenen Kleinkunstbühnen. Sein erstes Soloprogramm “Die jetzt aber wirklich große Show” feierte 2001 im Neuen Theater Höchst Premiere. Unter der Regie von Eckart von Hirschhausen entstand sein erstes Wissenschaftskabarettprogramm: „Urknaller – Physik ist sexy“. Seither arbeitet er als Kabarettist, Vortragsredner, Moderator und Autor. In diesen Tagen erscheint sein neues Buch “Lichtblick statt Blackout. Aktueller kann ein Titel wohl nicht sein.

Und er beschäftigt sich nicht erst seit Kurzem mit der verkorksten deutschen Energiepolitik, wie dieser Beitrag aus dem Jahr 2012 beweist:

  • Kurz nach dem Reaktorunfall in Fukushima wurden in Apotheken von Flensburg bis Oberammergau die Jodtabletten knapp, Geigerzähler fanden reißenden Absatz. (…) In den folgenden Tagen erklärten in sämtlichen Talkshows fundierte Nuklearexperten wie Charlotte Roche, warum die Gefahren der Kernenergie nicht akzeptabel seien. Schauspieler, Philosophen und Theaterintendanten erläuterten, wie genau die Energiewende vonstattengehen solle. Zahllose Menschen gingen auf die Straße und demonstrierten gegen die Atomlobby.“ – bto: Noch heute bestimmen derartige Experten die öffentliche Diskussion.
  • Und auch die Regierung reagierte umgehend. Unter der Leitung des Umweltpolitikers Dr. Klaus Töpfer wurde eine Ethikkommission ins Leben gerufen, in der naturwissenschaftliche Koryphäen wie Kardinal Reinhard Marx, Landesbischof Ulrich Fischer und der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Alois Glück beschließen, dass dieses Atom… dings… also, das mit den Strahlen… irgendwie… unethisch ist.“ – bto: Schon super, kein einziger Ingenieur war dabei, wie Ebert kürzlich erneut betonte.
  • Kurz darauf beugte sich die promovierte Physikerin Angela Merkel dem Urteil der Energie-Experten und folgte dem Wunsch der Masse. Sie ließ sieben deutsche Kernkraftwerke mit sofortiger Wirkung abschalten. Was gestern noch ungefährlich war, wurde zur großen Bedrohung – für die Kanzlerin.“ – bto: Ich finde, es ist ein verdammt hoher Preis, den wir für die Rettung der Kanzlerin bezahlt haben und denke, es wäre besser gewesen, wir wären sie 2011 schon losgeworden. Vielleicht hätte ich dann doch noch was Ordentliches machen müssen, statt mich täglich über die hiesige Wirtschaftspolitik aufzuregen …
  • Mittlerweile ist ein Jahr vergangen und alle fiebern der versprochenen Energiewende entgegen. Seit am 6. August 2011 Krümmel und Biblis, Neckarwestheim und Brunsbüttel, Isar und Phillippsburg für immer abgeschaltet wurden, importieren wir heimlich, still und leise unseren Atomstrom aus Osteuropa. Sozusagen Strom aus der Tschechdose. Und natürlich von unseren Nachbarn aus Frankreich.“ – bto: deren Kraftwerke aber so schön nah an unserer Grenze liegen.
  • Für den Fall, dass in Zukunft ein grenznahes französisches AKW hochgehen sollte, wird derzeit ein Gesetz verabschiedet, das es dem radioaktiven Fallout verbietet, die Grenze zu überqueren. Etwa so sinnvoll, wie ein Schwimmbecken in Pinkler- und Nichtpinkler zu unterteilen.“ – bto: ach was, die Franzosen lernen doch jetzt, wie viel besser man fährt, wenn man gar keinen Strom mehr hat.
  • Wir sind fein raus und lassen uns weltweit als Vorreiter und Nachhaltigkeits-Pioniere abfeiern. Eng wird’s eigentlich nur, wenn die Temperaturen dauerhaft unter Null Grad sinken. Dann nämlich benötigen Franzosen und Tschechen ihren Strom selbst. Aber ganz ehrlich: Wann passiert das schon mal? Immerhin wurde uns der Klimawandel per EU-Verordnung fest zugesichert. So gesehen war die massive Kältewelle, die sich im Februar zwei Wochen lang über Deutschland legte, illegal. Aber eine sibirische Hochdruckfront lässt sich eben von Erneuerbarer Energiepolitik nicht groß einschüchtern!“ – bto: Und jetzt haben wir eine sibirische Front der eigenen Art.
  • Glücklicherweise reagierte die Bundesnetzagentur und warf wieder unsere bekannt umweltschonenden Braunkohlekraftwerke an, damit in unseren ökostrombetriebenen Altbauwohnungen auch weiterhin die Energiesparlampen leuchten konnten. Strom ist Strom. Merkt ja sowieso keiner.“ – bto: Aber es gibt immer noch Leute, die freiwillig mehr für Ökostrom zahlen, der doch eigentlich billiger sein sollte.
  • Inzwischen sieht es so aus, als ob die große Energiewende von der Realität eingeholt wird. Konnte schließlich keiner ahnen, dass Windkraftwerke nur dann Strom liefern, wenn der Wind weht. Auch die allseits beliebte Solarenergie kommt in einem Land, das etwa die gleiche Sonneneinstrahlung hat wie Alaska, absurderweise nicht so recht in die Gänge. Die Bundesregierung jedenfalls kürzt seit Neuestem drastisch die Solarförderung, weil die Kosten deutlich über den Erträgen liegen. Obwohl man sie inzwischen mit etwa 100 Milliarden Euro subventioniert hat, macht Photovoltaik nur mickrige zwei Prozent des deutschen Energiemixes aus.bto: Das liegt doch nur daran, dass wir es nicht richtig machen.
  • Rein von der Ökobilanz wäre es folglich effektiver gewesen, Langzeitarbeitslosen 100.000 Euro pro Jahr zu zahlen, damit sie ein, zwei Stündchen am Tag auf Ergometern für den deutschen Energiehaushalt strampeln. Ob es uns gefällt oder nicht, Photovoltaik ist und bleibt die ineffizienteste Art der Energieerzeugung. Und mit dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik kann man nun mal nicht verhandeln. Wenn Sie ein mittleres Kohlekraftwerk durch Sonnenkollektoren ersetzen wollen, brauchen Sie dafür etwa die Fläche von Düsseldorf. Zugegeben, der Kölner würde sagen: ‘Dat iss es mir wert…’“ – bto: An diesen Fakten hat sich nichts aber auch gar nichts geändert.
  • Entgegen aller Fakten berauschen wir uns an der Vorstellung von billiger, sauberer und unendlich vorhandener Energie. Und dabei vergessen wir, dass jede Art von Energiesicherheit ihren Preis hat. Einen Preis, den wir partout nicht zahlen wollen. Deswegen fordern wir Off-Shore-Windparks und gründen im Gegenzug eine Bürgerinitiative, wenn die Starkstromtrasse vor unserem Haus entlangläuft.“ – bto: … und schalten Atomkraftwerke in der größten Energiekrise ab.
  • Wir wollen Exportweltmeister bleiben, jeden Morgen warm duschen und Strom aus der Steckdose – doch wenn E.ON ein neues Kohlekraftwerk plant – no way! (…) Wir wollen Party feiern, aber danach keinen Kater haben. Und vor allem wollen wir nicht schuld sein. Noch vor 70 Jahren haben wir die rassistische Überlegenheit in Anspruch genommen. Heute haben wir die moralische Überlegenheit für uns entdeckt. Wir alle möchten so gerne die Welt retten, aber wenn Mutti zum Müllruntertragen ruft, ist keiner da.“ – bto: Und nicht mal die aktuelle Krise bringt uns vom Weltretten ab.