“Zwei Instrumente gegen die Überalterung unserer Gesellschaft”

Dieser Kommentar von mir erschien im März 2014 bei manager magazin online. Immer noch aktuell. Obwohl vor der Migrationskrise geschrieben:

Der Mangel an neuen Arbeitskräften wird unsere Volkswirtschaft überfordern. Was uns retten könnte, aber politischen Mut erfordert: Mehr qualifizierte Zuwanderer, beherzte Förderung der Robotertechnik.

Die erfreulich gute Wirtschaftslage in Deutschland verführt nicht nur die Politik dazu, den Blick für die langfristigen Probleme zu verlieren. Vor allem eines ist besonders gefährlich: die demographische Entwicklung. Weil sie sich schleichend vollzieht, geht es uns aber wie dem Frosch, der, wenn er in heißes Wasser geworfen wird, sofort herausspringt, wenn er jedoch langsam erhitzt wird, sitzen bleibt bis es zu spät ist.

Mehrere Faktoren führen dazu, dass wir langsam erhitzt werden und statt zu handeln, die Probleme sogar noch verschärfen, wie die Rentenpolitik der aktuellen Regierung eindrucksvoll unterstreicht. Die Erwerbsbevölkerung schrumpft seit ein paar Jahren, doch steht uns der dramatische Rückgang um rund zehn Millionen bis 2050 noch bevor. Damit einhergehend steigt die Anzahl Rentner, die finanziert werden muss, von rund 30 pro 100 Erwerbstätige heute auf 57 im Jahr 2050. Die Kosten für diese alternde Gesellschaft sind nicht gedeckt und schon im Jahre 2009, vor Eurokrise und Rentengeschenken, wurden die wahren Schulden des deutschen Staates auf 413 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt geschätzt. Dabei tröstet es wenig, dass es in anderen Ländern nicht besser aussieht.

Nur durch eine massive Steigerung des Wirtschaftswachstums wird es möglich sein, diese Kosten einigermaßen im Griff zu behalten. Doch wo soll dieses Wachstum herkommen? Zum einen können wir versuchen den Rückgang der Erwerbsbevölkerung zu verlangsamen oder gar rückgängig zu machen. Dies geht über längere Lebensarbeitszeit (genau das Gegenteil macht gerade die Regierung), höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und mehr qualifizierte Zuwanderung. Bei der Zuwanderung haben wir in den letzten Jahren erheblich von der Krise in den anderen Ländern der Eurozone profitiert.

Hinzu kommt, dass diese Zuwanderung zugleich die Wachstumsaussichten der Heimatländer schwächt und wir letztlich mehr Geld in diese Länder transferieren müssen im Rahmen der europäischen Solidarität. Besser wäre es, Zuwanderer aus anderen Regionen der Welt, allen voran Asien und Indien, anzuziehen. Hier stehen wir jedoch in einem globalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe und sind denkbar schlecht gerüstet.

Mehr als Hälfte der Firmengründer im Silicon Valley sind Zuwanderer

Neben der sprachlichen Hürde sind Abgabenbelastung – die angesichts der alternden Gesellschaft nur steigen dürfte – überbordende Bürokratie und unternehmerfeindliches Klima erhebliche Nachteile. Wenn Sie eine Firma gründen wollen, machen sie das lieber in Kalifornien oder in Deutschland? Die USA zeigen die Vorteile qualifizierter Zuwanderung eindeutig: mehr als 50 Prozent der Firmengründungen im Silicon Valley erfolgen durch Zuwanderer. Länder, die offen für Innovationen sind und Erfinder anlocken, werden deutlich besser abschneiden in Zukunft. Wir sollten unsere Anstrengungen intensivieren, um als Land attraktiver für Zuwanderer zu werden.

Nur auf eine alleinige Lösung unserer Probleme durch Zuwanderung sollten wir nicht hoffen. Deshalb sollten wir alles daransetzen, die Produktivität unserer Volkswirtschaft zu steigern. Dazu gehört eine Mobilisierung der Arbeitskräfte für die produktivsten Bereiche unter anderem durch drastische Verkleinerung des öffentlichen Sektors. Hier liegen erhebliche Effizienzpotentiale, und wir sollten generell mehr Menschen zur Generierung von Wohlstand einsetzen und weniger für die Umverteilung. Dazu gehören auch bisherige Tabuthemen wie das Grundeinkommen für jeden, welches zu einer erheblichen Arbeitsentlastung in der öffentlichen Verwaltung führen würde.

Ein weiterer Hebel zu Verteidigung unseres Wohlstands muss eine Innovationsoffensive sein. Neue Produkte und Industrien könnten uns helfen, das Wirtschaftswachstum zu befeuern und den Umgang mit den Lasten einer alternden Gesellschaft zu erleichtern. Wir brauchen bessere, effizientere Produktionstechniken und innovative Produkte die auf dem Weltmarkt eine Preisprämie realisieren.

Warum Deutschland in Robotertechnik investieren muss

Entscheidend könnte der massive Einsatz von Robotern sein. Wer liest, welche Visionen Google auf dem Gebiet verfolgt, kann nur optimistisch auf die technischen Möglichkeiten der Zukunft blicken. Schon bald wird es möglich sein, immer mehr und komplexere Aufgaben an Roboter zu delegieren. Eine solche Mechanisierung der Arbeitswelt wäre nicht neu. Schon in der Vergangenheit gab es entsprechende Wellen, in der menschliche Arbeit durch Maschinen ersetzt wurde. Die Folgen für Arbeitsmarkt, Sozialsysteme und gesellschaftlichen Zusammenhalt waren zweifellos erheblich. Gewerkschaften forderten Maschinensteuern und kämpften verbittert um Arbeitsplätze. Legendär ist das Beispiel der Heizer, die in England auch auf Diesellokomotiven mitfuhren.

Heute ist es anders. Die Roboter verdrängen keine menschliche Arbeit, sondern füllen die Lücke, die durch die Pensionierung der Arbeitnehmer entsteht. Länder mit starkem Rückgang der Erwerbsbevölkerung wie Deutschland könnten durch massiven Einsatz von Robotern nicht nur das Wirtschaftswachstum aufrechterhalten, sondern auch noch die Erträge erwirtschaften, um Renten- und Sozialsysteme zu erhalten. Roboter würden die Sozialkassen füllen, ohne selber jemals Leistungen zu beziehen. Dazu müsste die Besteuerung so angepasst werden, dass die Automatisierungsrendite nicht ausschließlich bei den Kapitalgebern verbleibt.

Eine Innovationsoffensive auf dem Gebiet der Robotertechnik ist dringend angesagt. Der vermehrte Einsatz von Robotern würde unseren Wohlstand sichern und zudem neue Märkte erschließen. Und angesichts der demographischen Entwicklung sollte die deutsche Bevölkerung bei diesem Thema weniger skeptisch sein als bei Atomkraft, Flughäfen und neuen Bahnhöfen. Die demographische Entwicklung könnte sich so als Vorteil entpuppen, schneller und weitgehender als andere Länder auf Automatisierung und Robotertechnik zu setzen.

Umso bedauerlicher, dass der einstige Vorsprung auf dem Gebiet verloren gegangen ist. Google hat gezielt Unternehmen übernommen und setzt mit erheblichem Ressourceneinsatz auf dieses Gebiet. Auch in Japan gibt es intensive Anstrengungen. Noch ist es aber nicht zu spät. Die deutsche Industrie sollte eine Forschungsinitiative starten und der Regierung stünde es gut zu Gesicht, neben den kurzfristigen Wohltaten auch in die Sicherung des zukünftigen Wohlstands zu investieren. Eine Agenda 2020: schlankerer Staat, besseres Bildungssystem, qualifizierte Zuwanderung und Roboter. Dann könnten wir uns vielleicht wirklich die Rente mit 63 leisten.

manager-magazin.de: “Zwei Instrumente gegen die Überalterung unserer Gesellschaft”, 26. März 2014

Kommentare (8) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Felix Kurt
    Felix Kurt sagte:

    Nur ein ZITAT VON PROF. GERD BOSBACH, der sich seit Jahrzehnten mit den demografischen Fragen beschäftigt: (aus: Zukunft Jetzt, Ausgabe 2/2018)

    “Von 1900 bis 2000 sind die Menschen 30 Jahre älter geworden, der Altenanteil hat sich merh als verdreifacht, der Anteil der Jugend ist um die Hälfte zurückgegangen. Zugleich sank die Arbeitszeit drastisch. Sind die Sozialsysteme implodiert, wurden die Renten massiv gekürzt? Wie gesagt: Das Gegenteil ist eingetreten.” . . .

    “Ein Bauer versorgt heute zehnmal so viele Menschen wie vor hundert Jahren. Wenn der Kuchen immer größer wird – und daran zweifelt keiner -, kann jeder ein größeres Stück abbekommen.” . . .

    “In den Jahren 1991 bis2015 ist die deutsche Wirtschaft real um 36,9% gewachsen. Und das trotz um fünf Jahre gestiegener Lebenserwartung und einer 40-prozentigen Steigerung des Anteil der Älteren (65 und älter). Die Frage ist deshalb nicht, ob wir mehr Geld für unsere Senioren ausgeben können – sondern ob wir das wollen.”

    Antworten
    • Dietmar Tischer
      Dietmar Tischer sagte:

      @ Felix Kurt

      >Die Frage ist deshalb nicht, ob wir mehr Geld für unsere Senioren ausgeben können – sondern ob wir das wollen.“>

      Das ist NUR dann die Frage, wenn die PRODUKTIVITÄT hinreichend ZUNIMMT.

      Sie nimmt zumindest nicht mehr so stark wie in der Vergangenheit zu – also Vorsicht mit Aussagen wie:

      >Wenn der Kuchen immer größer wird – und daran zweifelt keiner -, kann jeder ein größeres Stück abbekommen.“ . . >

      Ich würde gerne einmal eine ERKLÄRUNG sehen, WARUM keiner daran zweifeln sollte, wenn die Produktivität eben nicht mehr so wie in der Vergangenheit zunimmt.

      Antworten
    • mg
      mg sagte:

      > Bleiben wir dabei, dass alles so eintritt, wie von den Demographen prognostiziert. Selbst dann muss die wachsende Zahl der Alten nicht zwangsläufig zur Last werden. Ältere Menschen können noch sehr produktiv sein, wenn sie nur die Möglichkeit dazu bekommen. Wenn dann zum Beispiel das Renteneintrittsalter nur um wenige Jahre erhöht wird, sieht auch im Jahr 2050 das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Ruheständlern schon viel entspannter aus.

      sagte Bosbach in einem Interview vor ein paar Jahren und hat damit völlig Recht.

      3 Jahre (bis zum 68 Lebensjahr) länger arbeiten, bedeutet gleichzeitig 3 Jahre kürzer Rente beziehen. Umgekehrt waren die früher üblichen Frühverrentungen ein fürs Sozialsystem ziemlich teurer Spass.

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      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        >Ältere Menschen können noch sehr produktiv sein, wenn sie nur die Möglichkeit dazu bekommen.>

        Es geht nicht darum, ob sie die Möglichkeit BEKOMMEN.

        Selbstverständlich bekommen sie die Möglichkeit.

        Es gibt jedenfalls keinen vernünftigen Grund, warum ältere Menschen sie nicht bekommen sollten in einem System, in dem weitgehend Vertragsfreiheit herrscht.

        Die Frage ist vielmehr, ob sie die Möglichkeit nutzen WOLLEN.

        Zu viele wollen sie nicht nutzen, weil sie die Einstellung haben, dass sie es mit Eintritt in das Rentenalter „geschafft haben“ (sollten).

        Starke Kräfte in der Gesellschaft, gebündelt auch in bestimmten Parteien, unterstützen sie dabei.

        Ich muss das nicht weiter ausführen, jeder kennt das politische Hick-Hack bei diesem Thema.

        Es wird daher ZUNEHMENDE Konflikte in der Gesellschaft geben, ob und ab welchem Alter und in welcher Verfassung ältere Menschen etwas tun sollen für ihren Unterhalt.

        Sie werden länger arbeiten müssen, es aber NICHT freiwillig tun als sinnvolle Lebensgestaltung für einen eigenen Beitrag der Wohlstandssicherung, sondern als ERZWUNGENE Anpassung ansehen.

  2. Wolfgang Selig
    Wolfgang Selig sagte:

    Ich sehe in Deutschland nicht im Ansatz die Einsicht in Ihre Thesen. Mehr Bürokratie, mehr Umverteilung und Technikfeindlichkeit sind en vogue. Selbständigkeit, Gründergeist, qualifizierte Zuwanderung und Fortschrittsglaube sind out. Daher geht der weitere Verlauf nach unten und wir fallen weiter zurück.

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  3. René Bolliger
    René Bolliger sagte:

    Heute, nur 4 Jahre später, muss man eingestehen, dass die Entwicklung gerade in die entgegengesetzte Richtung (gegenüber der im Artikel geforderten) gelaufen ist.

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    • SB
      SB sagte:

      @René Bolliger: So ist es. Und das ist kein Zufall. Es ist so gewollt und dementsprechend geplant. Nach D werden nicht die Zuwanderer geholt, die gebraucht werden, sondern gerade die, die nicht gebraucht werden und auf dem Sozialsystem lasten. Zusätzlich wird – von der eigenen Regierung – die Autoindustrie zerstört. In Sachen Bits und Bytes ist D im besten Fall ein Entwicklungsland. Nein, es ist kein Zufall.

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