Zur europäisch-italienischen Misere

Dieser Kommentar von mir erschien in FOCUS MONEY am 09. Juni 2018 unter der Überschrift “Deutschland sollte aus dem Euro austreten”.

In Italien bahnt sich eine neue Regierung an. Und zwar eine, die nicht weniger als das Ende des Euro einläuten könnte. Setzen die Populisten wesentliche Elemente ihrer Wahlversprechen um, wird wohl dem letzten gutgläubigen EZB-Jünger klar werden, dass der Euro vor allem eines fördert: Streit und Missgunst unter den teilnehmenden Ländern. Oder wie der Internationale Währungsfonds (IWF) es treffend formulierte: Der Euro ist und bleibt eine Konstruktion, die zu mehr Divergenz geführt hat, statt die Konvergenz der Wirtschaften der beteiligten Länder zu fördern. Das gilt insbesondere für Italien und für Portugal. Die Länder ächzen nicht nur unter einer hohen Schuldenlast, sie haben in den vergangenen zehn Jahren deutlich an Wettbewerbsfähigkeit verloren.

Italien ist für mich der erste Kandidat für einen Austritt aus der Gemeinschaftswährung. Die dortige Rezession dauert schon länger an als jene der 1930er-Jahre. Die Wirtschaftsleistung ist deutlich niedriger als noch 2008, die Arbeitslosigkeit ist hoch und die Staatsverschuldung außer Kontrolle.

Der Lohnstückkostennachteil gegenüber Deutschland beträgt mittlerweile 30 Prozent. Diesen durch eine Verringerung der Löhne aufzuholen, ist geradezu utopisch. Durch einen Austritt aus dem Euro könnte das Land seine Industrie und damit seine Wirtschaft retten. Mit einer Abwertung einer neuen Lira wäre das Land quasi über Nacht wieder wettbewerbsfähig.

Kann sich die mögliche neue Regierung einfach über die EU hinwegsetzen? Und ihre Wahlversprechen einhalten, obwohl sich dadurch die Staatsverschuldung nochmals massiv erhöhen würden? Selbstverständlich! Ich frage zurück: Wer soll sie daran hindern? Niemand wird Italien aus der Gemeinschaftswährung oder der Europäischen Union werfen. Schließlich ist das Land die drittgrößte Volkswirtschaft im Euroraum.

Zumal es den Anschein hat, als ob die italienischen Politiker ihre Lehren aus den Fehlern Griechenlands gezogen hätten. Um die eigenen Forderungen durchsetzen zu können, wird es nicht ausreichen, einfach nur mit dem Austritt zu drohen. Das hat bekanntlich schon bei den Griechen nicht funktioniert. Italien braucht ein richtiges Ass im Ärmel. Etwa in Form einer Parallelwährung. Die Pläne hierfür gibt es bereits.

Sobald eine neue Lira in Umlauf gebracht ist, fehlt nicht mehr viel bis zum Austritt aus dem Euro. Ein guter Teil der Schulden ließe sich auf die neue Währung umstellen. Ein wichtiges Problem wird Italien aber dennoch nicht so ohne weiteres los: die hohe Verschuldung. Da ein großer Teil der italienischen Gläubiger im Inland sitzt, wäre es natürlich clever, die Forderungen der Europäischen Zentralbank einfach zu annullieren.

Scheinbar hat das Bündnis aus Lega und Fünf-Sterne-Partei genau das vor. Vor wenigen Wochen tauchte ein internes Thesenpapier der Parteien auf, das sich mit Szenarien zum Euro-Ausstieg und Schuldenerlass beschäftigt. Ziemlich deutlich steht darin, dass die EZB Italien 250 Milliarden Euro an Staatsschulden erlassen solle. Das Timing war sicherlich ungünstig. Die Politiker wollten vermutlich erst damit an die Öffentlichkeit, wenn sie im Amt sind.

Ganz unabhängig davon: Eine Annullierung der Schulden durch die EZB ist überhaupt keine schlechte Idee. Wenngleich es einige wichtige Bedingungen dafür zu erfüllen gibt.

Mit dieser Aussage ist ein Aufschrei schon programmiert. Schließlich ist eine Staatsfinanzierung durch die EZB verboten. Aber ganz ehrlich: Es wäre nicht der erste Vertrag, den Politiker brechen in ihrer schieren Verzweiflung ein nicht wirklich funktionierendes Projekt irgendwie noch zu retten. Und ich sage auch klipp und klar: dieser Weg gefällt mir nicht. Aber was bringt es uns, wenn wir dieses riesige Schuldenproblem nur immer größer werden lassen? Anstatt es zu beseitigen?

Zum Thema Schuldenannullierung empfehle ich das Buch „Debt and the Devil“ von Lord Adair Turner. Der ehemalige Chef der Finanzaufsicht und McKinsey-Direktor hat sie als einzige Möglichkeit identifiziert, um aus dem Schuldenschlamassel einigermaßen heil wieder herauszukommen. Er fordert in seinem Buch, dass die Notenbanken einen Großteil der Staatsschulden aufkaufen und dann einfach auf null abschreiben. Da Notenbanken nicht Pleite gehen können, ist das ein problemloses Vorgehen, sofern man sicherstellt, dass es sich wirklich um einen einmaligen Vorgang handelt. Das ist elementar. Denn bei einer Wiederholung könnte das Vertrauen in den Geldwert schnell verloren gehen. Und wir bekämen Weimarer Verhältnisse.

Die Sache mit dem Geldwert ist nicht frei von Risiko. Einige Ökonomen rechnen bei einem solchen Schuldenerlass sofort mit einer hohen Inflation. Andere verweisen auf die Tatsache, dass dadurch ja kein neues Geld geschaffen würde. Wenn sich Europa also auf diesen Weg begeben würde, gäbe es noch das Problem der Umverteilung. Länder, die wie Deutschland ihre offizielle Staatsverschuldung gering gehalten haben, werden von der Annullierung weniger haben, als Länder mit hoher Verschuldung. Nichtsdestotrotz müsste die Schuldenannullierung umfassend gemacht und auch die Staatsschulden anderer Länder abgeschrieben werden. Zugleich müsste der Überhang an Privatschulden, der hinter den faulen Krediten von mindestens 1000 Milliarden Euro in europäischen Bankbilanzen steht, verringert werden. In Summe reden wir dann von drei Billionen Euro oder mehr.

Bereits im August 2015 lautete meine Empfehlung: „Lasst uns austreten, bevor Italien es tut.“ Das hat weiterhin Gültigkeit. Eine Eurozone ohne Deutschland wäre deutlich homogener und würde besser funktionieren. Schon vor sechs Jahren rechnete die Bank of America vor, dass es aus spieltheoretischer Sicht für Italien optimal wäre, von uns Geld zu erpressen und selbst auszutreten.

Noch besser natürlich, wenn wir dann austreten. Wenn das ohnehin am Ende der Entwicklung steht, weshalb dann nicht lieber heute statt morgen?

focus.de: “Deutschland sollte aus dem Euro austreten”, vom 09.06.2018