Best of 2017: Armut ist Folge (unserer Art) der Zuwanderung

Dieser Kommentar erschien im April bei manager magazin online. Damals zeichnete sich ein Wahlkampf zum Thema “soziale Gerechtigkeit” ab. Heute wissen wir es besser. Es gab eigentlich keinen Wahlkampf. Die wichtigen Themen wurden verdrängt oder aber es herrschte parteiübergreifender Konsens. Dennoch ist der Beitrag gerade heute noch aktuell, blicke ich doch genauer auf die Ursachen der zunehmenden Armut. Klar ist, es liegt an der Zuwanderung von überwiegend gering qualifizierten Menschen. Das kann man gut finden, muss es aber auch offen sagen und auch die Konsequenzen entsprechend ziehen.

Eigentlich hätte es so gut für Martin Schulz laufen können. Pünktlich zum Wahlkampf liefert ihm das von Parteifreundin Andrea Nahles geführte Sozialministerium den Beweis für seine These des “ungerechten Landes”. Nun kann mit voller Kraft ein Gerechtigkeitswahlkampf geführt werden, der die SPD zu alter Stärke und Martin Schulz in das Kanzleramt führen soll.

Dumm nur, dass uns die OECD zeitgleich vorrechnet, wie wir vom Staat ausgenommen werden. Die Abgabenbelastung in Deutschland ist die zweithöchste aller OECD-Länder. Da ist es nicht leicht, für mehr Abgaben und Umverteilung zu werben.

Dabei hat die SPD erhebliche Mitschuld an der hohen Belastung. Großzügige Rentengeschenke haben in den letzten Jahren eine Beitragssenkung verhindert. Rechnet man noch die hohen Strompreise dank Energiewende und die vielen weiteren Abgaben hinzu, dürften einige von uns direkt und indirekt 70 Prozent ihres Einkommens an den Staat abführen.

Getrost dürfen wir davon ausgehen, dass auch die Daten der OECD unsere Politiker nicht davon abbringen werden, die Abgabenbelastung weiter zu erhöhen. Diesmal durch die Besteuerung der “Reichen”, wobei wir alle wissen, dass es am Ende alleine schon aus Massegründen immer die Mittelschicht bezahlen muss. Das gilt bei Einkommen wie auch bei Vermögen.

Als “arm” gilt üblicherweise, wer weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens verdient. Ich will jetzt gar nicht auf die Sinnhaftigkeit dieser Definition eingehen, wären doch selbst nach einer Verdoppelung aller Einkommen in Deutschland immer noch genauso viele Menschen “arm”.

Ich frage mich nur, wie der bedauerte Zuwachs der Armut in Deutschland zu anderen Zahlen der OECD passt, die zeigen, dass Deutschland eines der Länder mit der geringsten Einkommensungleichheit ist und das Land mit dem geringsten Armutsrisiko. Außerdem sind die verfügbaren Einkommen der ärmsten zehn Prozent zwischen 2007 und 2014 laut OECD schneller gewachsen als das Medianeinkommen.

Die Ungleichheit hätte demnach abgenommen, was übrigens angesichts des Aufschwungs am Arbeitsmarkt ebenfalls nicht überraschen kann. Aufgrund dieser Verbesserung in den letzten Jahren wird von der Politik flugs ein längerer Zeitraum in den Vordergrund gestellt, um so doch noch zu dem gewünschten medialen Spin zu kommen. Eben dem Problem der Ungleichheit.

Die Armut wird deutlich steigen

Nehmen wir die Zahlen einmal, wie sie präsentiert werden, und schauen etwas genauer auf die Komponenten. Nach Daten des Statistischen Bundesamtes ist die Armutsquote definiert als weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens – in den letzten Jahren gestiegen. Von 10,8 Prozent (1995) auf 12,6 (2005) und 13,9 (2014). Dabei sind unterschiedliche Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich vom Armutsrisiko getroffen:

  • Bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund liegt das Risiko demnach bei 11,3 Prozent.
  • Bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist das Risiko deutlich höher. Menschen mit “direktem Migrationshintergrund” haben ein Risiko von 22,2 Prozent, jene mit “indirektem” (also Nachkommen von nach Deutschland eingewanderten Menschen) immer noch ein Risiko von 16,1 Prozent.

Legt man die Bevölkerungsanteile im Schnitt der Jahre 2012 bis 2014 zugrunde, waren rund 6,8 Millionen Deutsche ohne Migrationshintergrund vom Armutsrisiko betroffen, 2,35 Millionen Menschen mit direktem Migrationshintergrund und 1,65 Millionen mit indirektem.

Bekanntlich steigt seit Jahren der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund, was zu der interessanten Erkenntnis führt, dass der Zuwachs der statistischen Armut auch viel mit der Zusammensetzung der Bevölkerung zu tun hat. Folgende Rechnung mag das verdeutlichen: Bei Annahme gleicher Armutsquoten der Bevölkerungsgruppen wie im Jahre 2014 genügt ein Anstieg des Anteils der Bevölkerung mit Migrationshintergrund von 22 auf den heutigen Wert von 25,6 Prozent, um den Anstieg der Gesamt-Armutsquote seit 2005 zu erklären.

Leider finden sich solche Berechnungen nicht in den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes, weshalb der tatsächliche Anteil des Einflusses der Bevölkerungszusammensetzung nur vermutet werden kann.

Sicher ist aber: Angesichts der demografischen Entwicklung ist mit einer deutlichen Zunahme der Armut in Deutschland zu rechnen. Der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund wächst deutlich in den kommenden Jahrzehnten. Bei den unter 20-Jährigen lag er schon vor der Zuwanderungswelle des Jahres 2015 bei rund 25 Prozent.

Zählt man die letzte Migrationswelle inklusive des Familiennachzugs mit ein, dürfte der Anteil an der Alterskohorte nochmals deutlich steigen. Und damit auch die Armut in Deutschland. Die Mehrheit der armutsgefährdeten Menschen wird schon 2018 einen Migrationshintergrund haben.

Wie wir die Armut besser bekämpfen können

Andere Studien gehen noch tiefer auf die einzelnen Personengruppen ein. Demnach haben Zuwanderer aus den Mitgliedsstaaten der EU-15 (das waren die Länder, die in der EU waren, bevor es zur Erweiterung der EU um 10 Staaten im Jahr 2004 kam,) ein deutlich geringeres Armutsrisiko als die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Dies dürfte an der Qualifikation dieser Zuwanderer und der problemlosen Integration liegen. Danach folgt die Gruppe der Spätaussiedler und ihrer Nachkommen, die mit 18,1 Prozent bereits ein höheres Armutsrisiko hat.

Deutlich höhere Armutsgefährdungsquoten weisen Personen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten (also 2004 oder später beigetreten) mit 24,1 Prozent, Personen aus den Gastarbeiter-Anwerbeländern (30,2 Prozent) und Personen aus Drittstaaten (36,1 Prozent) auf. Steigt also der Anteil der letzten drei Gruppen an den Migranten, wächst die Gesamt-Armutsquote ebenfalls überproportional.

Herausstechend ist das erhebliche Armutsrisiko der hier lebenden 2,9 Millionen türkischstämmigen Menschen: Immerhin 36 Prozent gelten als armutsgefährdet. Jeder Zehnte von Armut bedrohte hat damit türkische Wurzeln.

Hinter dieser bestürzenden Entwicklung steht vor allem das schlechte Qualifikationsniveau der Migranten aus diesen Regionen und ihrer Nachkommen. So haben unter den heute 17- bis 45-Jährigen mit türkischen Wurzeln 40 Prozent höchstens die Hauptschule abgeschlossen; 51 Prozent haben nach der Schulzeit keinen Berufsabschluss erreicht. Die Erwerbsquote von Frauen und Männern liegt zudem deutlich unter dem der übrigen Bevölkerung. Gelänge es, die türkischstämmige Bevölkerung auf das Niveau der übrigen Einwohner zu heben, ginge die allgemeine Armutsquote auf das Niveau von 2005 zurück.

Wir brauchen eine andere Armutsdefinition

Daten zu den erzielten Einkommen der einzelnen Bevölkerungsgruppen – so sie erwerbstätig sind- verstärken den Befund zusätzlich. Demnach verdienen Zuwanderer aus muslimischen Ländern inklusive der Türkei relativ am wenigsten mit 1.153 Euro netto pro Monat. An der Spitze liegen die Zuwanderer aus den EU-15 Ländern mit durchschnittlich 1.806 Euro netto, was dem durchschnittlichen Nettogehalt aller Erwerbstätigen in Deutschland entspricht.

Alle Zuwanderer verdienen dabei deutlich mehr als sie zuvor in ihren Heimatländern verdient haben. Auch die Transferempfänger dürften sich in Deutschland deutlich besserstellen als in ihren Herkunftsländern. So liegt das Bruttonationaleinkommen pro Einwohner in der Türkei bei 9.950 US-Dollar pro Jahr, in Deutschland bei 45.790. Selbst um unterschiedliche Lebenshaltungskosten bereinigt, dürfte ein Zuwanderer in Deutschland finanziell deutlich besser leben, als in seinem Heimatland – unabhängig davon ob er erwerbstätig ist oder nicht.

Somit stellt sich die Frage, ob wir mit einer Armutsdefinition, die sich an einer Grenze von 60 Prozent des Median orientiert, auf dem richtigen Weg sind. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund wächst in den kommenden Jahren deutlich an, dabei überproportional aus jenen Regionen, die schon heute eine geringere Erwerbsbeteiligung haben und geringere Löhne erzielen als andere Gruppen der Bevölkerung. Verglichen mit der Lage in ihren Heimatländern erleben diese Menschen eine deutliche finanzielle Verbesserung, so dass sie sich selbst wohl kaum als “ärmer” definieren dürften.

Im Gegenteil besteht angesichts der Großzügigkeit unseres Sozialstaats die ernste Gefahr, die falschen Migrationsanreize zu setzen und nicht die Leistungsträger der Welt anzulocken, sondern jene, die eher auf die soziale Absicherung achten. Doch genau diese Zuwanderer kann unsere hoch entwickelte Industriegesellschaft mit Blick auf den anstehenden demografischen Wandel nicht gebrauchen.

Wir brauchen also nicht mehr Umverteilung, um eine “Ungerechtigkeit” zu bekämpfen, die aus der Tatsache rührt, dass wir überwiegend Zuwanderer haben, die eine geringere Erwerbsbeteiligung und tiefere Löhne haben als die schon hier lebende Bevölkerung. Wer wirklich die statistische Armut bekämpfen will, muss an den Ursachen ansetzen:

  • Die Zuwanderung an den Bedürfnissen unserer Wirtschaft orientieren, durch eine Auswahl nach Qualifikation.
  • Das Bildungsniveau der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund deutlich steigern.
  • In den Heimatregionen der Zuwanderer helfen, was deutlich besser und günstiger ist, als hier in Deutschland.

Auf den Wahlkampf bezogen, muss man feststellen, dass die SPD auf das falsche Pferd setzt. Nach der Wahl im Saarland stellte sich heraus, dass immerhin 60 Prozent der Wähler finden, dass es in Deutschland “alles in allem gerecht” zugeht. Ist es da wirklich die richtige Nachricht nach mehr Umverteilung zu rufen vor allem wenn ein immer größerer Teil der Begünstigten schon heute hier deutlich besser lebt als in ihren Herkunftsländern?

→ manager-magazin.de: “Warum Deutschland nicht noch mehr Umverteilung braucht”, 13. April 2017