Zum Irrsinn der Rekordsteuereinnahmen

Dieser Kommentar erschien bei Cicero Online:

Der Staat macht Überschüsse und die Begehrlichkeiten sind groß: Steuern senken, mehr Sozialleistungen, eventuell sogar mehr Investitionen? Ideen gibt es viele. Dabei ist ein Blick auf die Fakten eher ernüchternd. Zehn Thesen zu den 55 Milliarden Mehreinnahmen:

  1. Es ist ein Unding, dass der Staat trotz geringer Arbeitslosigkeit (dank boomender Wirtschaft) und geringen Zinskosten (dank Europäischer Zentralbank), den Bürgern so viel Geld abnimmt.
  2. Dabei verwendet er das Geld nicht mal, um in die Zukunft zu investieren, sondern alimentiert eine immer größere Umverteilungsmaschinerie.
  3. Offiziell geht es darum, mit der „schwarzen Null“, die eher eine „schwarze Eins“ ist, angesichts von rund einem Prozent Überschuss des Staates vom Bruttoinlandsprodukt (BIP), die Schulden abzubauen.
  4. Die offiziellen Schulden Deutschlands sind nicht das Problem. Es sind die inoffiziellen Schulden in Form von Versprechungen für künftige Pensionen, Renten und Gesundheitsversorgung. Da steht Deutschland deutlich schlechter da als beispielsweise Italien. Zählt man offizielle und inoffizielle Schulden zusammen, liegt die Verschuldung des vermeintlichen Schuldensünders Italien unter jener Deutschlands. Hier hat die aktuelle Regierung alles getan, um die Schuldenlast nach oben zu treiben durch überflüssige und verfehlte Rentengeschenke.
  5. Wir sparen also heute an Investitionen in Infrastruktur von Straßen bis Breitbandversorgung und lassen unsere Schulen verfallen, um damit die Grundlage dafür zu legen, uns in Zukunft für Rentenversprechen wieder richtig verschulden zu können. Nachhaltig ist das nicht.
  6. Das Sparen des Staates in der laufenden Periode hat einen weiteren negativen Effekt: Gemeinsam mit der Ersparnis der privaten Haushalte (für das Alter wichtig) und der Unternehmen (mangelndes Vertrauen in die Zukunft des Standortes Deutschland) führt das zu einer gesamtwirtschaftlichen Ersparnis von rund zehn Prozent des BIP. In einer geschlossenen Volkswirtschaft würde dies zu einer schweren Krise führen. In einer offenen Volkswirtschaft führt es zu einem Handelsüberschuss in gleicher Höhe. Angesichts der immer lauteren und bedrohlichen Kritik an unseren Überschüssen ist dies keine gute Strategie. Die Gefahr protektionistischer Reaktionen nimmt damit weiter zu. Nicht nur aus den USA, auch aus der EU droht Ungemach.
  7. Wir exportieren somit unsere Ersparnisse in die Welt, was bisher noch nie gut gegangen ist. Wo immer Geld zu verlieren war, von der amerikanischen Suprimekrise bis zur spanischen Immobilienblase, waren deutsche Banken und Versicherungen vorne mit dabei. In einer zunehmend überschuldeten Welt ist es keine gute Idee, Gläubiger zu sein. Symptomatisch sind die TARGET2-Forderungen der Bundesbank, die nichts anderes als ein zinsloses Darlehen an Schuldner mit zweifelhafter Qualität sind. Besser wäre es allemal, das Geld bei uns auszugeben.
  8. Da die privaten Haushalte sparen sollten, müssen wir die Ersparnisse von Unternehmen und Staat senken. Unternehmen sollten, wenn sie nicht investieren, mehr Steuern zahlen und nicht die Privaten, wo über immer mehr Abgaben nachgedacht wird (Stichworte: Wegfall Ehegattensplitting, Abgeltungssteuer, höhere Erbschafts- und gegebenenfalls Vermögenssteuer, höhere Spitzensteuer). Eine höhere Belastung der Unternehmen wäre da vernünftiger.
  9. Vor allem sollte der Staat dringend mehr ausgeben. Und zwar für alles: für Steuersenkungen für die privaten Haushalte, für bessere Schulen und Infrastruktur, im beschränkten Maße auch für mehr Sozialleistungen. Es ist allemal besser, wenn wir unsere Ersparnisse im eigenen Land ausgeben, als sie im Ausland zu verlieren. Wenn es darum geht, künftigen Wohlstand und vor allem auch künftige Rentenzahlungen abzusichern, gibt es keine bessere Strategie, als in die Zukunft zu investieren. Wie sollen immer weniger und immer schlechter ausgebildete Menschen mit verfallender Infrastruktur das BIP erwirtschaften, welches die alternde Gesellschaft trägt?
  10. Die Regierung sollte zugleich die wahre Staatsverschuldung senken, in dem sie die erforderlichen Reformen der Alterssicherungssysteme nicht weiter aufschiebt. Höheres Rentenalter, geringere Zusagen, effizientere Gesundheitssysteme lauten die Stichworte. Heute mehr Geld für alle und alles und dafür solidere Finanzen in der Zukunft wäre das Motto.

Doch dazu wird es nicht kommen. Statt einen grundlegenden Wandel in unserer Wirtschaftspolitik zu vollziehen, werden die Politiker – egal welcher Couleur – an der bisherigen Strategie festhalten. Zum Leidwesen der heutigen und künftigen Generationen.

→  Cicero.de: “Was tun mit den 55 Milliarden?”, 11. Mai 2017