“Zehn Gründe für einen Crash in den nächsten Monaten” – und mindestens einer dagegen

Dieser Kommentar erschien bei der WirtschaftsWoche Online:

Die Börsen eilen von Rekord zu Rekord. Euro- und Finanzkrise scheinen endgültig überwunden, die Weltwirtschaft wächst so schnell wie lange nicht mehr, die Inflationsraten ziehen an. Alles spricht für eine Fortsetzung des Aufschwungs in der Wirtschaft und an den Aktienmärkten. Doch man kann auch anders auf die Lage blicken. Tanzen wir auf dem Vulkan wie 1929, 1999 und 2007 und stehen vor einer deutlichen Korrektur? Droht gar ein Crash an den Märkten? Wenn man will, lässt sich eine beeindruckende Liste an Argumenten für einen Einbruch zusammenstellen. Und – mindestens – ein gewichtiges Argument dagegen.

  1. Die US-Börse ist so teuer wie (fast) nie

So, wie die Weltwirtschaft an China hängt, so hängen die Weltfinanzmärkte an der Wall Street. Schwer vorstellbar, dass es dort bergab geht, ohne die anderen Märkte mit in den Abgrund zu reißen. Die Flughöhe der US-Börsen ist durchaus hoch. Median-PE, Shiller-PE, Umsatz-Multiple, Buchwert-Multiple, Cash-Flow-Multiple, Dividendenrendite, Marktkapitalisierung relativ zum BIP und viele weitere Indikatoren deuten auf eine erhebliche Überbewertung der US-Börse hin. Nicht so hoch wie zum Zeitpunkt der historisch größten Überbewertung im Jahr 2000, aber über den Werten von 1929 und 2007. Wenig verwunderlich, dass anerkannte Value Investoren – die also auf den Preis beim Kauf achten – erklären, die Börse müsste sich halbieren, um wieder interessant zu werden.

  1. Die Börsianer werden immer sorgloser

Der Optimismus der amerikanischen Privatanleger ist so hoch wie lange nicht mehr. So liegt die Quote von Aktien zu Liquidität in den Portfolios der von der American Association of Individual Investors (AAII) befragten Investoren so hoch, wie in 90 Prozent der Monate in den letzten 30 Jahren nicht. Die Anleger sind also fast voll investiert. Das gilt übrigens auch für die institutionellen Investoren, die Goldman Sachs zufolge so positiv gestimmt sind wie zuletzt vor zehn Jahren.

Zugleich ist die Volatilität – ein weiterer Indikator für die Nervosität an den Märkten – deutlich zurückgegangen. Der VIX liegt schon seit Monaten auf Rekordtief. Klar im Widerspruch zu Indikatoren der globalen Risiken, die in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg verzeichneten.

Während die Volatilität zurückging, nahmen die Wetten auf einen weiteren Rückgang der Volatilität zu. Das erinnert fatal an die Kreditausfallversicherungen, die vor der Finanzkrise verkauft wurden. Solange alles gut geht, werden so gute Renditen erzielt. Kippt die Stimmung im Markt, kommt es zu einer Verkaufspanik mit entsprechenden Kursausschlägen, die auf den Aktienmarkt wirken.

  1. Die Anleger sind immer passiver

Mehrfach schon war der Trend zum „passiven Investment“ überwiegend in Indexfonds Thema dieser Kolumne, weshalb ich auf eine Wiederholung verzichte. Weder ist das Investment „passiv“, noch risikofrei. Im Gegenteil führt die Investition in diese passiven Produkte zu einer deutlichen Trendverstärkung. Aktien, die steigen, werden entsprechend mehr nachgefragt, was zu einem Herdenverhalten der Anleger führt. Statt also Risiken zu reduzieren, führt diese Anlageform zu größeren Risiken und verstärkt den Trend zur Überbewertung.

  1. Und wiegen sich in der Sicherheit ständiger Liquidität

Dieses Verhalten der Anleger hat auch damit zu tun, dass von den Verkäufern der Produkte versprochen wird, diese jederzeit handeln und vor allem liquidieren zu können. Das haben auch die amerikanischen Geldmarktfonds getan, bis es im Zuge der Finanzkrise zum Undenkbaren kam. Plötzlich waren die Anlagen nicht so liquide wie gedacht, Zahlungen verzögerten sich. In der Folge wuchs die Panik noch weiter an. Gut möglich, dass alleine aus diesem Grund eine eigentlich normale Korrektur zu einem ausgewachsenen Crash heranwächst. Indexfonds sind per Definition voll investiert. Geraten die Anleger in Panik, schlägt das ungefiltert auf den Markt durch.

  1. Die Zeiten billigen Geldes nähern sich dem Ende

Optimistische Beobachter sehen die Bewertung an den US-Märkten gerade mit Blick auf das immer noch sehr tiefe Zinsniveau als gerechtfertigt an. Je tiefer die langfristigen Zinsen, desto höher dürfen Aktien bewertet sein. Dies stimmt, wirft mit Blick auf die derzeitige Zinserhöhungsstrategie der US-Notenbank Fed jedoch Fragen auf. Schon ab einem Zinsniveau von drei Prozent für die 10-jährige US-Staatsanleihe rechnen prominente Beobachter wie Jeff Grundlach und Bill Gross mit erheblichen Korrekturen an den Märkten.

Zugleich nehmen die Zweifel an der Wirksamkeit der Geldpolitik zu und das Vertrauen in die Allmacht der Notenbanken sinkt. Sollte es zu einem weiteren Vertrauensverlust im Zuge einer erneuten Krise kommen, könnten deutliche Zinssteigerungen allein aus der Tatsache resultieren, dass Investoren die Papiere bestimmter Schuldner meiden.

  1. Die Verschuldung ist so hoch wie nie zuvor

Das hat vor allem mit der Tatsache zu tun, dass wir weltweit eine Krise, die durch zu viele Schulden ausgelöst wurde, mit noch mehr Schulden bekämpft haben. Weltweit liegen die Schulden mit über 215 Billionen US-Dollar (325 Prozent des Welt-BIP) 70 Billionen höher als noch vor 10 Jahren. In den Industrieländern wuchsen sie seit 2006 von 348 Prozent des BIP auf 390 Prozent, in den Schwellenländern – vor allem von China getrieben – von 146 auf 215 Prozent. Eine hoch verschuldete Welt kann alles gebrauchen, nur keine höheren Zinsen.

Mit Blick auf die US-Börse kommt erschwerend hinzu, dass die US-Unternehmen im Unterschied zu den Unternehmen in Europa in den vergangenen Jahren ihre Verschuldung deutlich erhöht haben. Mit immer mehr Schulden wurden eigene Aktien gekauft, um so die Eigenkapitalrendite und damit den Aktienkurs zu steigern. Bereinigt man die Eigenkapitalrenditen um diesen sogenannten „Leverage Effekt“, stellt man fest, dass US-Unternehmen nicht deutlich profitabler sind als ihre europäischen Pendants, wie oftmals behauptet.

Sogar der IWF sieht in der Verschuldung der US-Unternehmen ein Risiko für die weltweite Finanzstabilität und rechnet vor, dass immerhin jedes zehnte US-Unternehmen schon heute – trotz rekordtiefer Zinsen! – die Zinszahlungen nicht aus den laufenden Gewinnen leisten kann. 

  1. Die politischen Risiken wachsen weiter an

Allem Jubel zum Ausgang der französischen Präsidentschaftswahlen zum Trotz: Es kann nun wahrlich keine Entwarnung für die politischen Risiken in der Welt gegeben werden. Wird ein politisch immer mehr unter Druck stehender amerikanischer Präsident doch zu Protektionismus greifen oder überstürzt ein militärisches Abenteuer beginnen? Droht eine weitere Eskalation in Nordkorea? Wie entwickelt sich der Konflikt um das Südchinesische Meer, welches nicht alle Anrainerstaaten so nennen? Wie entwickelt sich das Pulverfass Nahost? Auch für Europa kann keine Entwarnung gegeben werden. Euro- und Migrationskrise schwelen weiter und die Art und Weise wie die Brexit-Verhandlungen anlaufen, verspricht einiges an Aufregung.

Kein Umfeld für die Bepreisung von Risikoassets zur Perfektion. Träfe ein externer Schock auf die hoch bewerteten und sorglosen Märkte, wäre eine heftige Reaktion nicht unwahrscheinlich.

  1. Der Aufschwung ist schon alt

Doch auch ohne externen Schock müssen wir konstatieren, dass der Aufschwung der US-Wirtschaft – so schwach er auch im historischen Vergleich ist – schon sehr lange andauert. Nur zweimal währte ein Konjunkturaufschwung in den USA seit dem zweiten Weltkrieg länger. Steigende US-Löhne könnten die Margen der Unternehmen unter Druck bringen. Ohnehin sind diese wie angesprochen durch den übermäßigen Einsatz von Leverage künstlich überhöht und deshalb entsprechend anfällig. Zum anderen konzentrieren sich die Gewinne auf wenige Sektoren und Unternehmen. Der breite US-Unternehmenssektor ist sehr anfällig für Zins- und Lohnkostensteigerungen, was zu einem Rückgang der Investitionen führen würde, dem entscheidenden Indikator für die weitere konjunkturelle Entwicklung. Indikatoren für eine konjunkturelle Abschwächung sind in den harten ökonomischen Daten schon zu erahnen. Beispiel: der sprunghafte Anstieg fauler Autokredite und der entsprechende Absatzrückgang.

  1. Die technologische Revolution produziert mehr Verlierer

Fast 50 Prozent des Kurszuwachses an der US-Technologiebörse NASDAQ seit Jahresanfang entfallen auf nur 5 Unternehmen, also rund 0,2 Prozent aller im Index vertretenen Firmen: Apple, Alphabet, Amazon, Facebook und Microsoft. Dies hat auch damit zu tun, dass diese und andere Firmen ganze Wirtschaftszweige auf den Kopf stellen. Die Folgen für die Verlierer sind dramatisch, wie wir an dieser Stelle schon diskutiert haben. So dramatisch, dass sie aus dem Markt ausscheiden und mit ihnen nicht nur die Arbeitsplätze verschwinden, sondern auch das Aktionärsvermögen. Je mehr sich die Wertschaffung auf wenige Unternehmen zulasten der anderen konzentriert, desto größer die Gefahr einer erheblichen Enttäuschung an den Märkten.

  1. Spekulation auf Kredit verstärkt die Gefahr von Margin Calls

Nicht nur die Unternehmen haben mehr Schulden als je zuvor. Auch die Investoren haben immer mehr auf Kredit spekuliert. Die Wertpapierkredite („Margin Debt“) befinden sich ebenfalls auf einem Rekordstand.

Nichts verdeutlicht mehr die Folgen der Politik billigen Geldes: Unternehmen, die mit Financial Engineering statt echter Verbesserung die Aktienkurse treiben und Investoren, die diese Aktien mit immer mehr Krediten nachfragen. Fallen die Kurse dreht der Effekt sich um. Was nach oben funktioniert, beschleunigt den Weg nach unten. Details dazu in dem am meisten gelesenen Stelter Strategisch: Margin Call für die Weltwirtschaft.

Die Nachricht ist klar: Sollten die Märkte – aus welchem Grund auch immer – ins Rutschen geraten, haben wir mehr als einen Turbolader für die Beschleunigung nach unten.  

Warnungen werden lauter

Nicht zu Unrecht nehmen die warnenden Stimmen zu. Die Bank of America sprach schon vor einigen Wochen von einem „Ikarus-Trade“. Viel Abwärtspotenzial aus hoher Flughöhe. Die Financial Times brachte es noch drastischer auf den Punkt: „The eventual decline in asset values will be catastrophic.” 

Dennoch ist es nicht einfach, als Anleger darauf zu reagieren. Denn es gibt einen entscheidenden Grund gegen einen baldigen Crash:

Es kann noch lange weitergehen

Das letzte Mal, als US-Aktien in der Summe der Indikatoren so hoch bewertet waren, war im Jahre 1997. Wer damals ausstieg, erkannte die Fehlbewertung zwar richtig, verpasste jedoch weitere zweieinhalb Jahre Aufschwung mit 60 Prozent Kursgewinn. Dass es innerhalb von 20 Jahren zweimal zu einer historischen Blase kommt, ist unwahrscheinlich aber nicht ausgeschlossen.

So bleibt es schwer, den Markt richtig zu timen. Wie immer wieder auch an dieser Stelle erläutert, gelingt es nur den wenigsten. Die meisten steigen zu spät aus und wieder ein und erzielen deshalb eine Performance, die deutlich unter jener des Marktes liegt. Statt das zu probieren, sollte man sich als Investor diszipliniert an die Grundsätze der Geldanlage halten. Ein gleichgewichtiges Portfolio von Aktien, Immobilien, Gold und Liquidität/Anleihen, welches regelmäßig wieder adjustiert wird. Wer sich daran hält, wird nach dem jüngsten Aufschwung ohnehin ein paar Chips vom Tisch nehmen.

→ WiWo.de: „Zehn Gründe für einen Crash in den nächsten Monaten“, 11. Mai 2017

Kommentare (5) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    Gründe produzieren keine Gewissheit, auch 10: 1 Gründe nicht.

    Was sicher ist:

    >Die politischen Risiken wachsen weiter an>

    Und

    >Die technologische Revolution produziert mehr Verlierer>,

    wenn man dies an den hergebrachten Kriterien misst.

    Ob sie sich in einem Crash ausdrücken oder anderen Mechanismen:

    Beide Faktoren werden dafür sorgen, dass die Assets entwertet werden.

    Begründung:

    Es ist nicht vorstellbar, dass große Teile der Jugend – von 25 bis 50% – quasi dauerhaft arbeitslos sind, also NICHT die KOMPETENZ erlangen können, sich an international wettbewerbsfähiger Wertschöpfung zu beteiligen und DENNOCH die Assets immer weiter im Wert steigen.

    Bisher hat sich an der hohen Jugendarbeitslosigkeit in großen Teilen Europas nichts geändert und es ist auch nicht zu sehen, dass sich zukünftig irgendetwas Grundsätzliches daran ändert.

    Damit ist politische Destabilisierung unausweichlich und in der Folge auch die Entwertung der Assets.

    Antworten
  2. Matthias
    Matthias sagte:

    >>Die Zeiten billigen Geldes nähern sich dem Ende<<

    Das halte ich für unwahrscheinlich, da, wie im Text auch korrekt erwähnt, die Verschuldung viel zu hoch ist. Steigen die Zinsen auch nur etwas an, gibt es erste Staatspleiten, die der erste Dominostein sein werden, der alles mit sich reißt. Nicht nur EU-Staaten wie Griechenland oder Frankreich, sondern viele weitere Staaten auf dieser Welt, können höhere Zinsen überhaupt nicht stemmen.

    Aus diesem Grunde meine ich, dass es nie wieder nennenswert höhere Zinsen geben wird.

    Die gibt es (vielleicht!) erst wieder nach dem Game-Over, nach dem finalen Crash (wann immer der kommen mag).

    Antworten
    • Wolfgang Selig
      Wolfgang Selig sagte:

      @Matthias: Sie sagen: “Aus diesem Grunde meine ich, dass es nie wieder nennenswert höhere Zinsen geben wird.” Wie sehen Sie dann die Preissteigerungsrate? Halten Sie es für ausgeschlossen, dass wir 6 % Zins und 8 % Inflationsrate haben? Dann wären höhere Zinsen mathematisch kein Problem, da die Staatseinnahmen schneller steigen als die Zinsbelastung. Wäre das nicht eine Alternative zum “finalen crash” oder “game over”?

      Antworten
      • Matthias
        Matthias sagte:

        Hallo Herr Selig,

        diese mathematischen Modelle funktionieren in der Realität meist nicht.

        Solch hohe Inflationsrate wirkt sich sehr ungünstig auf das Wirtschaftswachstum aus, verschreckt ausländische Investoren und die hohen Zinsen verteuern Kredite, was die Wirtschaft zusätzlich abwürgt, sodass der Staat am Ende weniger Einnahmen hätte, als vorher.

        Auch das Vertrauen der Bürger in die eigene Währung könnte erschüttert werden, mit weiteren negativen Auswirkungen.

        Eine Inflationsrate von 8 Prozent ist auch instabil, sprich, die Zentralbanken schaffen es nicht lange dieses Niveau stabil zu halten, sodass schnell die Gefahr besteht, dass die Inflation immer höher wird, bis sie galoppiert und völlig unkontrollierbar wird.

        Wenn Staaten ihre hohen Schulden senken wollen, müssen sie, ob sie wollen oder nicht, auf der anderen Seite auch die Vermögen senken (Debitismus: Geld/Vermögen = Schulden). Dies über (Geld)Inflation zu versuchen, trifft aber am Ende meist nur den “kleinen Mann”, da das Vermögen der Reichen häufig aus Sachwerten besteht, was dazu führt, dass die Schere zwischen wenigen Reichen und vielen Armen immer schneller, immer größer wird, mit allen schlimmen Konsequenzen. Da dann weite Bevölkerungsschichten immer mehr verarmen und sich nicht mehr weiter verschulden können, sodass die benötigten Nachschuldner fehlen, bricht auch dann irgendwann das ganze Gebäude zusammen, da massenhaft Buchforderungen ausfallen und sich das alles kaskadierend ausbreitet = Game-over.

        Da sich die Regierungen nicht an die Kernproblematik herantrauen und sie immer weiter verschleppen, gibt es zur Niedrigzinsphase keine Alternative.

        Und selbst die jetzige Niedrigzinsphase kommt am Ende nicht am Game-over vorbei.

  3. Wolfgang Selig
    Wolfgang Selig sagte:

    Und nicht zu vergessen – weil oft bei bto thematisiert – die demographische Entwicklung weltweit, die zumindest auf die sehr lange Sicht nicht kurssteigernd wirkt, v.a. in China und Europa.

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