Wird Öl der neue Tabak?

Dieser Kommentar von mir erschien bei der WirtschaftsWoche Online:

Irland hat als erstes Land der Welt seinem staatlichen Investitionsfonds gesetzlich untersagt, in Aktien von Unternehmen zu investieren, die mehr als 20 Prozent ihres Umsatzes mit fossilen Brennstoffen erzielen. Unternehmen, die mit Öl, Kohle, Gas und sogar Torf ihr Geld verdienen, werden aus dem Portfolio verbannt und müssen so schnell wie möglich verkauft werden. Mit diesem Beschluss des irischen Parlaments will das kleine Land, das ansonsten im Klimaschutz weit hinter den anderen Ländern der EU hinterherhinkt, einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Schon zuvor hatte der mit rund einer Billion US-Dollar Vermögen weltgrößte norwegische Staatsfonds beschlossen, nicht mehr in Unternehmen zu investieren, die die Umwelt schädigen. Vorerst betrifft dies Kohleförderer, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis es auch andere fossile Energieträger tangiert. Daneben gibt es bereits unzählige Pensionsfonds, Versicherungen und Investmentfonds, die auf eine Anlage ihres Geldes in diesem Bereich verzichten.

Ethisches Investment ist in

Generell gibt es einen wahren Boom an ethisch motivierten Investmentstrategien. Das geht so weit, dass sogar der weltgrößte Assetmanager Blackrock in seinem Investitionsprozess vorgibt, auf Umweltschutz, soziale Standards und gutes Geschäftsgebaren zu achten. Nicht nur, weil es eine gute Sache ist, sondern weil es sich lohnt. Indizes, die sich auf Unternehmen in den Bereichen Energieeffizienz, Wassertechnologie und andere Umweltschutztechnologien fokussieren, haben den Benchmark geschlagen. Kein Wunder, dass in entsprechende Fonds bei Blackrock schon mehr als sechs Milliarden US-Dollar geflossen sind.

Das hat natürlich weniger mit der ethischen Orientierung als mit der Tatsache zu tun, dass viele Unternehmen in diesem Bereich hohe Wachstumsraten aufweisen und zugleich die Größeneffekte zunehmend zum Tragen kommen. Wie in früheren Kolumnen schon diskutiert, stehen gerade die alternativen Energien vor einem Durchbruch, weil sie sich zunehmend schon ohne Subvention rechnen. Auch bei der Elektromobilität rechnen einige Experten schon bald mit tieferen “Total cost of ownership” für Elektrofahrzeuge im Vergleich zu PKW mit traditionellem Antrieb. Beides treibt Umsatz und Gewinne und damit die Bewertung dieser Unternehmen.

Besonders ausgeprägt ist der Vorteil ethischen Investments in den Schwellenländern. Hier liegt das allerdings vor allem an der Berücksichtigung des Geschäftsgebarens der Unternehmen bei der Aktienauswahl. Es lohnt sich also, um Unternehmen, die mit Betrug und Korruption arbeiten, einen Bogen zu machen.

Die relative Bewertung wird beeinflusst

Je stärker der Trend zu ethischen Investments wird, desto mehr schlägt er sich in der relativen Bewertung der Unternehmen nieder. Schon seit Jahren steigen die Aktien von Unternehmen, die den CO2-Ausstoß reduzieren mehr als die ihrer Wettbewerber. Zunehmend wird die Nichteinhaltung der ethischen Anforderungen von Unternehmen als ein erhebliches Risiko gesehen. Zu groß die Gefahr, dass es zu einer plötzlichen, negativen Überraschung kommt und die Aktie stürzt. Ich bleibe diesbezüglich trotz der herausragenden Performance von Volkswagen bei meiner grundlegenden Skepsis gegenüber Unternehmen und Aktie. Da verzichte ich gerne auf den Ertrag.

Derweil nimmt die Umstellung auf ethische Investmentkriterien immer mehr an Fahrt auf. Schon vor einem Jahr hat der weltgrößte Pensionsfonds, der Japan’s Government Pension Investment Fund (GPIF) mit rund 1300 Milliarden Dollar Anlagevermögen, angekündigt neun Milliarden in entsprechende Indizes zu stecken und den Betrag künftig weiter zu erhöhen. Die Schweizer Rück beabsichtigt das gesamte 130-Milliarden-Portfolio nach diesen Kriterien auszurichten. Immer mehr große Assetmanager springen auf den Zug auf und stellen die Investmentprozesse entsprechend um.

Die mittelfristige Folge davon liegt auf der Hand. Unternehmen, deren Geschäftsmodell und -gebaren nicht die Kriterien erfüllen, kommen unter Druck. In einigen Fällen wird dies eine Verbesserung der Unternehmensführung bewirken, was dann eine entsprechende Kaufgelegenheit darstellt. Investoren, die gezielt auf entsprechende Änderungen setzen, dürften sich schöne Potenziale bieten.

Doch, was ist mit jenen Unternehmen, deren Zweck bis jetzt als nützlich angesehen wurde und die nun in die Kategorie der unerwünschten Investments fallen? Diese dürften mit zunehmendem Anteil ethischen Investments relativ günstiger werden und damit eine Gelegenheit für jene darstellen, die sich keinen so hohen ethischen Standards stellen wollen oder aber diese im konkreten Fall nicht für angemessen halten.

Sünde lohnt sich

Ethisches investieren gibt es bei genauerer Betrachtung schon länger. Schon seit Jahrzehnten werden Investitionen im Bereich von Rüstungsgütern und Zigaretten von einigen Investoren grundlegend abgelehnt. Gleiches gilt für Alkohol und Sex. Damit haben wir die Basis, um zu analysieren, was sich mehr lohnt: Ethik oder Sünde?

Sünde läuft nicht schlecht. So zeigen Studien, dass Aktien, die gemieden werden, einen geringeren Besitzanteil von institutionellen Investoren haben und weniger von Analysten beobachtet werden, als vergleichbare Aktien. Die „sozialen Normen“ haben „erhebliche Folgen für den Preis.“ Klartext: Aktien von Unternehmen, die gemieden werden, sind günstiger zu haben. Und bekanntlich liegt im Einkauf der Gewinn.

Auch der norwegische Staatsfonds hat ähnliche Erfahrungen gemacht. So hat der Ausschluss von Firmen aufgrund unsauberer Geschäftspraktiken den Ertrag des Portfolios erhöht. Der Verzicht auf Unternehmen aus bestimmten Sektoren wie Kohle und Waffen hat hingegen den Ertrag geschmälert. Es bewahrheitet sich, dass die günstigere Bewertung von Aktien einer der Hauptwerttreiber für künftige Erträge darstellt. Die Dividendenrendite liegt höher und wenn diese reinvestiert werden, kauft man günstig renditestarke Werte. Über die Zeit kommt es dann zu einem Zinseszinseffekt, der bekanntlich der wichtigste Treiber für künftige Erträge ist.

Tabak ist schon lange geächtet

Berühmtestes Beispiel ist die Aktie von Philip Morris, die über Jahrzehnte die Aktie mit der besten Performance an der Wall Street war. Jeremy Siegel rechnete 2007 in seinem Buch „Stocks for the long run“ vor, dass im Falle von Philip Morris zwischen 1925 und 2007 aus einem Anfangsinvestment von 1.000 US-Dollar beeindruckende 380 Millionen US-Dollar wurden. Blickt man auf die Performance der letzten 10 Jahre der beiden aus Philip Morris hervorgegangen Aktien (Altria und Philip Morris) dürfte sich der Wert bald der 1000 Milliarden Grenze nähern. In einer Welt, wo Investoren immer auf der Suche nach der nächsten Wachstumsstory sind, stellt eine langweilige Zigarettenfirma alle in den Schatten.

Der wesentliche Grund für diese Performance liegt in der dauerhaft tieferen Bewertung der Aktien. Schon lange gab es Sorgen vor mehr Regulierung und Schadensersatzansprüchen wegen der gesundheitlichen Folgen des Rauchens. Die billige Aktie wies eine hohe Dividendenrendite auf und unter der Annahme der ständigen Wiederanlage der Dividenden ergibt sich ein Zinseszinseffekt mit hohem Zinssatz. Da das Unternehmen zugleich immer weiter wuchs und die Ausschüttung steigerte, kam es zu dem beeindruckenden Ergebnis. Geholfen hat natürlich, dass die Strafen nicht so umfangreich ausfielen wie befürchtet.

Öl das neue Tabak?

Der verstärkte Trend zu ethischen Investments wird mehr Opportunitäten zum günstigen Einkauf von ertragsstarken Unternehmen schaffen. Ich denke dabei unter anderem an die Ölkonzerne. Schon in der Vergangenheit hatte ich das Pro und Kontra einer Anlage in Ölaktien diskutiert. Dagegen spricht die offensichtliche Gefahr, dass das Ölzeitalter schneller endet, als wir es uns vorstellen können. Dafür spricht, dass die Unternehmen finanzstark sind und über erhebliche Kostensenkungspotenziale verfügen. Der Hauptgrund liegt jedoch in der relativ günstigen Bewertung, die sich wie im Beispiel von Philip Morris in einer hohen Dividendenrendite niederschlägt.

Solange wir keinen wirklichen Wandel in der Energieversorgung haben, ein lohnendes Investment. Auch hier kann man aus der Entwicklung der Tabakwerte lernen. Nachdem jahrzehntelang die Tabakbranche aus Sicht der Investoren eine wahre Cashmaschine war, kam es in diesem Jahr zu einem heftigen Einbruch. Philip Morris stürzten im April an einem Tag um 16 Prozent. Seit Jahresanfang haben die drei Großen (Philip Morris, Altria, British American Tobacco) rund 20 Prozent verloren. Ursache waren nicht staatliche Eingriffe und Strafen, sondern schlichtweg ein geändertes Konsumentenverhalten. Die Menschen rauchen weltweit weniger und der Umstieg auf E-Zigaretten scheint langsamer zu verlaufen als von den Unternehmen und Investoren erhofft. Hinzu kommt, dass es mit Juul in den USA einen höchst erfolgreichen Wettbewerber gibt, der bereits dazu geführt hat, dass „juulen“ als Verb für das Rauchen elektronischer Zigaretten verwendet wird.

Damit ist eingetreten, was in allen Märkten gilt. Neue Technologien und Wettbewerber machen den etablierten Unternehmen das Leben schwer. Dieses Schicksal droht jedem Unternehmen und ist völlig normal. Nach Daten der Credit Suisse verbleiben Unternehmen im Schnitt nur noch 20 Jahre im S&P 500 Index.

Anleger sollten sich genau anschauen, welche Unternehmen und Branchen auf den schwarzen Listen ethischer Investoren stehen und wenn Sie selbst kein Problem mit einer Anlage in diesen Sektoren haben, nüchtern die Aussichten analysieren. Gut möglich, dass sich da einige Unternehmen finden lassen, die das Zeug haben die Story von Philip Morris zu wiederholen.

→ wiwo.de: “Ethik oder Sünde, welches Investment lohnt sich mehr?”, 26. Juli 2018

Kommentare (16) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Stony
    Stony sagte:

    Mir ist bei Aktienrecherchen aufgefallen, dass die Aktien von einigen Online-Gaming/Online-Casino-Anbietern sehr gute Zahlen aufweisen und recht günstig bewertet sind. Kein Wunder, denn unter deren Geschäft stelle ich mir eine systematische Abzocke der Spieler vor. Alledings gilt dies im Schnitt und langfristig auch für nicht-virtuelle Casinos. Also wer kein ethisches Problem damit hat … Ein größeres Risiko könnte hier vermehrte staatliche Regulierung darstellen, aber die kommt nicht über Nacht.

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  2. Richard Ott
    Richard Ott sagte:

    Gerne vergessen wird bei der Diskussion um die angeblich so tolle Elektromobilität, dass die Luftverschmutzung dabei nur verlagert wird: Und zwar vom Auspuff zum Schornstein der Kohle- und Gaskraftwerke. So lange es keine wesentlich effektiveren Speichertechnologien gibt, ist es völlig utopisch, zu glauben, dass sich Elektroautos zu einem wesentlichen Teil mit Strom aus Wind- oder Solarkraftanlagen betreiben lassen können.

    Die linksgrünen Hipster in Stuttgart, Berlin oder San Francisco betreiben dieses Outsourcing von Umweltverschmutzung, weil sie weit genug weg von den konventionellen Großkraftwerken wohnen. Was soll daran ein so toller “Paradigmenwechsel” sein, der unbedingt forciert werden muss?

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  3. Thomas
    Thomas sagte:

    Das Thema Wasserstoff vs. Elektromobilität ist in der Tat ein hochspannendes. Ich frage mich hierzu, ob es Deals zwischen den Stromkonzernen und der Regierung gab, um die Energiewende weniger schmerzhaft für die klassischen Erzeuger zu machen und deswegen E-Mobilität gepusht wird?

    Ich weiß es nicht. Allerdings spricht physikalisch und ökonomisch sehr, sehr viel für Wasserstoff. Dazu gibt es schon seit Jahrzehnten Grundlagenartikel / -Bücher. Aus Dritter Hand-Angaben wie auch den öffentlichen einsehbaren Projektberichten weiß ich wohl auch, dass die ganz großen Automobilhersteller-Namen H längst nicht ad acta gelegt haben, sondern sehr aktiv verfolgen – auch zusammen mit anderen großen Energienamen – auch wenn derzeit E gehypt und beworben wird.

    Wenn ich wetten müsste: In sagen wir 50 Jahren 80% Wasserstoffautos und 20% Elektro. Die nächsten 20 Jahre wird aus rein ökonomischen und infrastrukturellen Gründen der Benzin- und Dieselantrieb dominieren (müssen) – so meine Einschätzung – auch wenn derzeit Aufbruchstimmung in Medien und Politik herrscht und manche Träumer morgen schon Benzinautos verbieten wollen. Ein Blick auf die tatsächlichen E-Verkaufszahlen und das generelle Kaufverhalten bei Kfz (neu vs. gebraucht – letzteres gerne vergessen, aber extrem großer Markt) sowie die Bereitschaft schon heute E-Autos zu kaufen legt dies nahe. Mal abgesehen von Infrastrukturdetails wie: Wo kommt der Strom her und wie bringen wir ihn zum Auto.

    Und wie bitteschön sollen Lkw auf Langstrecke und Schwerlastmaschinen sowie Flugzeuge betrieben werden? Da kommt man mit Strom rasch an die Grenzen bzw. es ist physikalisch mit heutiger Speichertechnologie unmöglich. Mit H ginge es wohl.

    Oh… und noch zur Frage: >„Will“ das deutsche Volk E-Mobilität? Wir wissen es nicht. >

    Nun, aus Umfragen kann man lesen: Rund 2/3 sind grundsätzlich interessiert. Weniger als 10% wollen aber ein reines E-Autos beim nächsten Kauf anschaffen. Die letztere Zahl ist dann die sehr optimistische Schätzung. Wenn es an den tatsächlichen Kauf geht, werden die Konsumenten je größer die Investition (und damit das Risiko einer Fehlentscheidung) desto konservativer (im Sinne von beim bisherigen Verhalten bleiben). Das heißt bei den Neuwagenkäufen, wo der Käufer selber frei entscheiden kann, sprechen wir aktuell von ein paar Prozentpunkten.

    Insofern ist und bleibt E-Mobilität erst einmal eine Nische.

    Autos sind halt keine Leuchtmittel, bei denen man mal „zwischendurch“ umstellt.

    Einen halb-ernsten Kommentar zum freien Markt möchte ich abschließend noch bringen: Wenn der Markt denn wirklich frei und selbstregulierend sein dürfte (bei gleichzeitiger Wahrung von Eigentumsrechten) dürften die Anwohner der ungefilterten Anlage dann auch eine Styroporbox um diese bauen, damit die verpestete Luft damit beim Verursacher bleibt. Ein paar Schleusen mit Abgasrückführung in der Box müsste es dann aber doch geben, damit das Wegerecht des Betreibers gewahrt bleibt.

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  4. ikkyu
    ikkyu sagte:

    Auch bei diesem Thema gehört Prof. Sinn zu den Wenigen, die sich dem energiepolitischen Irrsinn entgegenstellen und die pysikalischen Fakten zur Sprache bringen.

    Siehe z.B. seinen Vortrag “Wieviel Zappelstrom verträgt das Netz?” an der LMU.

    https://www.youtube.com/watch?v=rV_0uHP3BDY

    Er unterschlägt zwar die Möglichkeit, die Begrenzungen durch den Carnotschen Wirkungsgrad durch Anwendung von Brennstoffzellen zu umgehen, dies ändert aber insgesamt aufgrund der hohen Kosten dieser Technik nichts an der Grundaussage seines Vortrages.

    Dem gemeinen Volk wird die existenzielle Wichtigkeit einer kosteneffizienten und stabilen Energieversorgung für den Wohlstand und die Funktionsfähigkeit einer komplexen Volkswirtschaft wohl erst nach einem Blackout bewußt werden.
    Es wird auf alle Fälle interessant, wie sich die Verantwortlichen dann herausreden.
    Vermutlich wird dem deutschen Öko-Michel von der Politik erklärt, dass russische Hacker sein Schlaumeter manipuliert haben und deswegen die Stromversorgung zusammengebrochen ist.

    Im Übrigen wird sich ohne stabile Grundlast der “schöne” Traum einer total vernetzten und automatisierten Gesellschaft nicht realisieren lassen, zumal durch Internet und Telekommunikation jetzt schon mehr als 10% des Stromes in Deutschland konsumiert werden.

    Als echter Contrarian des Zeitgeistes bin ich deswegen voll in Öl, Gas, Uran und Kohle investiert und warte mit Freude auf massive Preissteigerungen.

    Antworten
  5. Jochen Selig
    Jochen Selig sagte:

    @D.Tischer
    Mit Zwang kann man vieles durchsetzen, wer würde das bestreiten? Wer aber will einen Paradigmenwechsel? “Will” das deutsche Volk E-Mobilität? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen ist, dass E-Mobilität von verschiedenen Regimes gefördert wird, d.h. in den Markt gezwängt. Der dumme Käufer will aber einfach nicht so richtig, in Dänemark ist der Umsatz nach Streichung der Subventionen im homöopathischen Bereich. Weiß er nichts vom Paradigmenwechsel?
    Es ist doch ganz einfach: Staatswirtschaften scheitern regelmäßig, aktuell Venezuela.

    Antworten
    • Dietmar Tischer
      Dietmar Tischer sagte:

      @ Jochen Selig

      Erst einmal zu dem, was Sie sagen:

      >Mit Zwang kann man vieles durchsetzen, wer würde das bestreiten?>

      Der Paradigmenwechsel wird NICHT mit Zwang durchgesetzt. Es werden – in der Regel bei uns jedenfalls – ANREIZE gesetzt, ihn zu unterstützen und durchzusetzen. Siehe Kaufanreiz für E-Automobile.

      >Wer aber will einen Paradigmenwechsel?>

      In der Regel will die Politik einen Paradigmenwechsel der Art von der wir hier reden, also einen, der MASSIV gegen bestehende Märkte gerichtet ist.

      >„Will“ das deutsche Volk E-Mobilität? Wir wissen es nicht. >

      Stimmt, wir wissen es nicht.

      Wir müssen es auch nicht wissen, nicht die Bevölkerung befragen. Wenn sie, sowie wirtschaftlich betroffenen Akteure, wie die Automobilwirtschaft und die Gewerkschaften, außerdem die Kirchen und die Gerichte, sich NICHT hinreichend dagegen wenden, dann heißt das zwar nicht, alle wollen es, aber es heißt:

      Der Paradigmenwechsel kann LEGITIMERWEISE von der gewählten Regierung eingeleitet und forciert werden. Mehr ist nicht erforderlich, ihn stattfinden zu lassen.

      >Was wir aber wissen ist, dass E-Mobilität von verschiedenen Regimes gefördert wird, d.h. in den Markt gezwängt.>

      Richtig, wobei Ihr „Aber“ nicht angebracht ist, weil es hier nicht um Wissensdefizite geht, die für die Förderung entscheidend wären.

      >Der dumme Käufer will aber einfach nicht so richtig,>

      Das stimmt sehr oft, anfangs jedenfalls.

      Wenn das dauerhaft so ist, kann der Paradigmenwechsel auch scheitern.

      Jetzt zu dem von mir Gesagten, auf das Sie nicht eingehen:

      >Auch zur Kenntnis nehmen, dass der Freie Markt als Regelverfahren bei GEWOLLTEM Paradigmenwechsel außer Kraft gesetzt werden MUSS.
      Und sich auch eingestehen, dass der Markt per se keinen derart gewollten Paradigmenwechsel VERHINDERN kann.>

      Nehmen Sie doch einmal dazu Stellung und auch zu der ebenfalls geäußerten Auffassung, dass der Kapitalismus mit seinem Regelverfahren „Mark“ IMMANENT nicht verhindern kann, dass Paradigmenwechsel als ERFORDERLICH angesehen werden.

      Bemerkung dazu:

      “Paradigmenwechsel” wird hier verstanden als signifikante Änderung bedeutender Teile der Wertschöpfung, nicht jedoch als Systemwechsel, d. h. gewollte Abkehr vom Kapitalismus. Ein Paradigmenwechsel kann ihn aber wesentlich verändern.

      Antworten
  6. MJ
    MJ sagte:

    Die fossilen Brennstoffe werden solange ihre Bedeutung haben, bis bessere oder wenigstens äquivalente Energieträger (zu vernünftigen Preisen) verfügbar sind. Sollte das nicht eintreten und gleichzeitig die fossilen Energien knapp werden, müssen wir uns auf drastische Einschnitte im wirtschaftlichen Leben einstellen.
    Allein mit höherer Moral lässt sich weder das gegenwärtige Niveau der Mobilität noch eine adäquate Energieversorgung sicherstellen.

    Antworten
  7. RW
    RW sagte:

    Öl und Gas haben nichts in der Energieversorgung zu suchen. Trotzdem werden sie eine Zukunft haben, da aus ihnen eine Unmenge von Produkten des täglichen Bedarfes hergestellt werden können. Wertschöpfung aus Öl, Gas und Kohle wird solange funktionieren, bis alternative Verfahren (Biotechnologie) diese Wertschöpfung ebenfalls gewährleisten zu können.

    Antworten
  8. Jochen Selig
    Jochen Selig sagte:

    ” stehen gerade die alternativen Energien vor einem Durchbruch, weil sie sich zunehmend schon ohne Subvention rechnen. ” Wenn ich für jede Meldung, die einen Durchbruch bei erneuerbaren Energien, Elektromobilität usw. feiert, einen Euro bekommen hätte, wäre ich ein reicher Mann.

    Antworten
    • Wolfgang Selig
      Wolfgang Selig sagte:

      Na ja, aber Sie können im Vergleich zu vor 50 Jahren heute vieles kaufen: Solarzellen, Kollektoren, Elektroautos, Windräder, BHKW, Pellets, Hackschnitzel, etc. Oder nicht?

      Antworten
      • Jochen Selig
        Jochen Selig sagte:

        Man kann selbstverständlich alles in den Markt hineinsubventionieren, aber es hat eben Gründe, warum alle von Ihnen aufgezählten Techniken Nischentechnologien sind, die hier und da ihre Berechtigung haben können. Nur, wenn die Dinge so toll sind, warum funktioniert es nur durch Zwang? Schade, dass es so wenige Verteidiger des Freien Marktes gibt.

      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Jochen Selig

        Auch finde es bedauerlich, dass es so wenige Verteidiger des Freien Marktes gibt, wenn vielleicht auch aus anderen Gründen als Sie.

        >Nur, wenn die Dinge so toll sind, warum funktioniert es nur durch Zwang?<

        Weil es sie sonst nicht gäbe.

        Muss es sie geben?

        Nein – und es würde sie oder einen großen Teil von ihnen nicht geben, wenn der Freie Markt das Sagen hätte.

        Sondern, beispielhaft und bewusst überzogen, damit das Problem deutlich wird:

        Konventionelle Automobile mit Verbrennungsmotor werden OHNE Regulierung, Subventionen etc. weiter verbessert, gekauft und gefahren bis zum ultimativen Stauerlebnis oder der nicht mehr heilbaren Atemwegeerkrankung. Darauf reagiert der Markt mit noch intelligenteren Apps für Stauvermeidung und innovativen Atemschutzmasken etc.

        Dies – tendenziell destruktive Ressourcenverschwendung, insbesondere auch des Menschen – wäre von HEUTE aus gesehen das, was der Freie Markt TENDENZIELL zumindest in einigen Lebensbereichen bewirken würde.

        GESTERN, von den Anfängen der Industriellen Revolution bis, sagen wir über die Mitte des 20. Jahrhunderts, war das anders. Es war die Schaffung des VERTRÄGLICHEN Massenwohlstands OHNE destruktive Zerstörungstendenzen (nicht zu verwechseln mit Schumpeters „kreative Zerstörung“, die auf ABLÖSUNG des Alten durch das Neue zielt und keine obige Destruktion aufweist).

        Es ist nicht nur, aber im Wesentlichen der Unterschied zwischen dem GESTERN und dem HEUTE, was dazu führt, dass mehr oder weniger mit dem Wollen der Menschen, manchmal gegen ihren Widerstand, mit utopischer Zielsetzung und ohne irgendeine Einschätzung von Kosten und sozialen Verwerfungen ein PARADIGMENWECHSEL stattfindet. Beispielhaft und im Gange: Der Weg in die E-Mobilität.

        Er „überstimmt“ den Freien Markt.

        Wenn DANACH der Freie Markt wieder EINSETZEN würde und wirken könnte, wäre es u. U. ein möglicherweise immer noch schlimmer Paradigmenwechsel, weil er auf gewisse Art WILLKÜRLICH ist.

        Aber er wäre nicht mehr ganz so schlimm, weil dann – sozusagen auf dem neuen Entwicklungsweg – Steuerfunktionen wirksam würden.

        Kurzum:

        Auch zur Kenntnis nehmen, dass der Freie Markt als Regelverfahren bei GEWOLLTEM Paradigmenwechsel außer Kraft gesetzt werden MUSS.

        Und sich auch eingestehen, dass der Markt per se keinen derart gewollten Paradigmenwechsel VERHINDERN kann.

      • Wolfgang Selig
        Wolfgang Selig sagte:

        @Jochen Selig:

        Ich bin ein Verteidiger des freien Marktes, aber auch ein Freund der Nennung externer Effekte. Wenn der Preis der Nebeneffekte wie z.B. Umweltverschmutzungen, nicht einkalkuliert sind, dann ist der Markt nicht frei, dann sind die Allgemeingüter nicht bepreist. Oder anders gesagt: Sie leben teilweise auf Kosten Ihrer Mitbürger.
        Dass der Weg dorthin mit sozialistischen Methoden z.B. bei der Solarstromförderung und ihren Auswüchsen von Politikern wie Herrn Trittin von den Grünen verkorkst wurde-geschenkt. Das ist wohl unter Fachleuten unstrittig.
        Aber u.a. das Beispiel Tesla zeigt, dass es auch vereinzelt Markterfolge gibt, da der Wagen auch in Ländern ohne Subventionen verkauft wird.
        Einfach gar nichts tun, dürfte aber keine Lösung sein.

        Und warum es nur durch Zwang funktioniert? Weil der Mensch zum Trittbrettfahren neigt. Warum soll beispielsweise eine fiktive Müllverbrennungsanlage neben Ihrem Haus eine teure Filteranlage einbauen? Kostet nur Geld und bringt dem Betreiber technisch und wirtschaftlich nichts. Richtig, um Ihre Rechte als atmender Nachbar zu wahren, weil die Kosten der Inanspruchnahme sauberer Luft, die nicht nur dem Müllverbrenner, sondern auch Ihnen und anderen gehört, eingepreist werden müssen. Daher zahlen Sie jedes Jahr Abwassergebühren. Sie könnten es ja auch billiger in das nächste Gewässer einleiten. Das gilt nämlich umgekehrt genauso, wenn Sie oder ich in kleinerem Maßstab der Verursacher sind. Dass die oft marktferne Umsetzung der Lösungsansätze Quatsch ist wie z.B. bei pauschalen Dämmvorschriften für Gebäude, sehe ich vermutlich so wie Sie.

        Einfach mal unter Allmende-Problem nachschauen. Die Spanier hatten schon vor Jahrhunderten Ärger bei Weideflächen, die allen gemeinsam gehörten. Wurden gnadenlos ausgebeutet und teilweise verdorben, weil nicht bepreist bzw. Geregelt. Das gleiche Problem haben wir heute weltweit mit Luft, Grundwasser und der hohen See.

        Freie Güter bleiben nicht frei, wenn sie zu viele Leute gleichzeitig nutzen wollen, so dass sie knapp werden.

      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Wolfgang Selig

        Ich will nicht rummäkeln, aber Vorsicht mit einer Aussage wie dieser:

        >Wenn der Preis der Nebeneffekte wie z.B. Umweltverschmutzungen, nicht einkalkuliert sind, dann ist der Markt nicht frei, dann sind die Allgemeingüter nicht bepreist.>

        Kritiker können Ihnen sofort erwidern:

        GERADE weil der Markt frei IST, preist er z. B. die Umweltverschmutzung nicht mit ein.

        Und die Kritiker schlussfolgern damit zu recht:

        Der Freie Markt muss EINGEDÄMMT oder gar ABGESCHAFFT werden.

        Sie haben völlig recht, im hier vorliegenden Fall sind die KOSTEN der Umweltverschmutzung nicht eingepreist. Sie wollen, dass sie eingepreist werden, um die Umwelt in guter Verfassung zu belassen. Aber sicher wollen Sie nicht eine Argumentationsvorlage liefern, die zur Abschaffung von Freien Märkten dient.

        Deshalb würde ich sagen:

        Der Markt funktioniert im vorliegenden Fall gut als Organisationsprinzip zur Befriedigung des artikulierten Bedarfs, aber die Reichweite seines Funktionierens ist wegen FEHLGELEITENDEN Bedarfs nicht hinreichend.

        Im Klartext:

        Der erklärte Bedarf von Käufer von Automobilen beschränkt sich – vereinfacht ausgedrückt – auf Leistung „Mobilität von A nach B“ und bezieht nicht die Luftverschmutzung mit ein.

        Das Allgemeingut „hinreichend saubere Luft“ muss daher durch REGULIERUNG, also Emissionsstandards, erhalten werden.

        Da diese für alle Automobilhersteller eine GLEICHE Randbedingung ist, hebelt sie den Wettbewerb und den FREIEN MARKT nicht aus.

        Die Freiheit des Marktes ist nicht tangiert, lediglich die Freiheit der Käufer von Automobilen – sie müssen jetzt die Verschmutzungskosten der Umwelt begleichen.

        Wenn man dabei allerdings an Grenzen stößt, weil die Regulierungsauflagen technologisch oder kostenmäßig nicht einzuhalten sind, und u.a zu Betrug führen (Dieselskandal), wird es u. U. zum PARADIGMENWECHSEL kommen (müssen): E-Mobilität statt Mobilität mit Verbrennungsmotoren.

        An diesem Punkt wird der Freie Markt zumindest auf Zeit außer Kraft gesetzt.

        Damit öffnet sich aber sofort ein ganzes Fass neuer Fragen:

        Warum E-Mobilität und nicht Wasserstoff-Antrieb, obwohl nachweislich realisierbar?

        Zu PRAKTISCHER Realisierbarkeit:

        https://www.handelsblatt.com/auto/nachrichten/antrieb-der-zukunft-das-wasserstoff-auto-ist-laengst-da/20901898.html?ticket=ST-1509231-C97GFKnVKoLMMm0KBzue-ap6

        Wer hat hier die Weichen gestellt, damit die E-Mobilität forciert wird und der Wasserstoffantrieb ins Hintertreffen gerät?

        Oder ist die E-Mobilität ALTERNATIVLOS, weil wir die – vermeintlich – alternativlose Energiewende bereits EINGELEITET haben und sie IRREVERSIBEL fortgeschritten ist?

        Spannende Fragen, aber ein anderes Thema.

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