Wir brauchen weder Schulden­bremse noch höhere Steuern

Das Kanzleramt denkt laut darüber nach, die grundgesetzliche Schuldenbremse wieder abzuschaffen, auch um sich für die Koalition mit den Grünen zu öffnen. Aus ökonomischer Sicht sind mehr Schulden richtig, aber auf keinen Fall mehr Steuern. Entscheidend ist, wofür das Geld ausgegeben wird.

Die Corona-Krise macht alles anders, wird gerne erzählt. In Wahrheit wird die Krise von den Politikern dazu genutzt, um Themen, die sie schon immer auf der Agenda hatten, mit dem Vorwand, das richtige Instrument in und nach der Krise zu sein, wieder in die Diskussion zu bringen. Jene, die schon immer die „Reichen“ höher besteuern wollten, rufen laut nach Vermögensabgaben. Andere, die schon immer auf mehr Staatsausgaben aus waren, fordern ungeachtet einer Staatsquote von gut 50 Prozent an der Wirtschaftsleistung, dass der Staat nun endlich wieder mehr ausgeben müsse.

Verliefen die Konfliktlinien dabei bisher eindeutig – links für Schulden und höhere Steuern, rechts für keine Schulden und keine höheren Steuern –, kommt Bewegung in die Diskussion, denkt doch das Kanzleramt laut darüber nach, die grundgesetzliche Schuldenbremse wieder abzuschaffen. Zweifellos will man sich so für die Koalition mit den Grünen öffnen. Die Kritik kam umgehend und heftig.

Doch was ist aus ökonomischer Sicht richtig? Mehr Schulden und keine Steuererhöhungen, das ist die Antwort.

Die Schuldenbremse ist falsch

Beginnen wir mit dem Thema Schulden. Es spricht viel dafür, dass wir die Schuldenbremse – so wie sie definiert ist – aufgeben. Knapp zusammengefasst lässt sich das so erklären:

Die Schuldenbremse fokussiert ausschließlich auf die Einnahmen und Ausgaben eines Jahres. Nicht berücksichtigt wird, wie sich die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Staates entwickeln. So hat sich die Politik in den Jahren vor Corona mit einer „schwarzen Null“ gebrüstet, obwohl die Staatsverschuldung deutlich gestiegen ist. Warum? Weil die Vermögenswerte – beispielsweise Autobahnen und Schulen – wegen unzureichender Investitionen verfallen sind und zugleich die Verbindlichkeiten wegen immer neuer Leistungsversprechen – Mütterrente, Rente mit 63, Grundrente etc. – gestiegen sind.

Die wahre Staatsverschuldung lag schon vor Corona weit über 165 Prozent des BIP (offiziell unter 60 Prozent). Statt an den Investitionen zu sparen, wäre es besser gewesen, die nicht zu erbringenden Leistungsversprechen für die Zukunft abzubauen. Wenn wir nun zur Schuldenbremse zurückkehren, droht eine Fortsetzung dieser Politik: noch weniger Investitionen und ein weiterer Verfall der Infrastruktur. Schon heute wird der Rückstau auf bis zu 450 Milliarden Euro geschätzt.

Handelsüberschüsse sind nur in der Theorie gut

Staatliches Sparen zwingt zu Handelsüberschüssen. Wenn private Haushalte sparen (was sie tun sollten, um vorzusorgen) und Unternehmen sparen (was sie eigentlich nicht tun sollten, aber machen, weil der Standort nicht zuletzt wegen der fehlenden staatlichen Investitionen immer unattraktiver wird) und dann auch der Staat spart, funktioniert das nur, wenn wir unser Geld im Ausland anlegen. Spiegelbildlich dazu müssen wir auch mehr Waren und Dienstleistungen in das Ausland verkaufen, als wir importieren.

Diese Überschüsse sind nur in der Theorie gut. Zum einen machen wir uns bei unseren Handelspartnern gerade in Krisenzeiten unbeliebt und erpressbar – was dann zu großen Zahlungen im Rahmen der „europäischen Solidarität“ führt. Statt also Geld im Inland zu investieren, verschenken wir es in der EU. Auch die Anlage der Überschüsse im Ausland machen wir nicht gut, wie viele Studien zeigen. Wo immer es etwas zu verlieren gab, waren unsere Kapitalsammelstellen mit unserem Geld dabei. Besser wäre es, mehr Geld im Inland auszugeben. Und wenn das die Unternehmen nicht tun, sollte es der Staat machen.

Wenn Wirtschaft wächst, können Schulden wachsen

Die absolute Verschuldung ist irrelevant. Entscheidend ist die relative Verschuldung zur Wirtschaftsleistung. Wenn also die Wirtschaft wächst, können auch die Schulden wachsen, ohne dass die Schuldenquote nach oben geht. In den zehn Jahren vor Corona haben wir das erlebt. In Wahrheit hat der Staat in den Jahren nicht gespart, die Ausgaben stiegen deutlich an. Weil aber die Wirtschaft wuchs, sank die Schuldenquote. Dies dürfte zwar unter Corona deutlich schwerer zu erreichen sein, ist aber ein Faktor, den wir berücksichtigen müssen.

Wir haben die D-Mark nicht mehr. Hätten wir noch die D-Mark, ließe sich vielleicht noch argumentieren, dass es vernünftig ist, die Staatsverschuldung auf einem tiefen Wert zu halten. Im Euro ist es mehr als sinnlos. Selbst nach Corona hat Deutschland nach den Niederlanden die tiefste Staatsverschuldung der großen Euroländer. Es ist absehbar, dass die Eurozone die Staatsschulden nicht über Einsparungen abbauen kann und will. Alles läuft auf eine dauerhaft hohe Verschuldung und zunehmende Interventionen der EZB hinaus. Die dazu geschaffenen Euro gelten nicht nur in Spanien, Frankreich und Italien, sondern auch bei uns. Das bedeutet, dass wir die sich daraus ergebenden Inflationsgefahren mittragen, ohne von der sich daraus ergebenden Entschuldung zu profitieren.

Wir sollten mehr Schulden machen

Statt Geisterfahrer zu spielen, sollten wir mitmachen. Dies auch, weil die tiefe Staatsverschuldung von unseren Partnern als Argument genutzt wird, um weitere Transfers zu fordern. Wie ungerecht dies ist, erkennt man daran, dass die Privatverschuldung Italiens unter der in Deutschland liegt und die Vermögen relativ zum BIP deutlich höher sind als bei uns. Fazit: In einer Währungsunion, die nur überleben kann, wenn sie immer italienischer wird, ist der Sparer der Dumme. Das gilt für Staaten und Private gleichermaßen.

Statt also zur Schuldenbremse zurückzukehren, sollten wir mehr Schulden machen. Dabei ist die Frage viel wichtiger, wofür diese Schulden gemacht werden. Denn es hat dem Staat in der Zeit vor Corona ja nicht an Mitteln für Investitionen gefehlt – alleine der Bund hatte von 2009 bis 2018 rund 460 Milliarden zusätzlich zur Verfügung –, sondern die Politik hat die Mittel lieber für Konsum ausgeben: Renten, Migration, Energiewende. Wir müssen also sicherstellen, dass das Geld nicht genauso falsch ausgegeben, sondern wirklich in die Zukunft des Landes investiert wird: analoge und digitale Infrastruktur, bessere Bildung und ein Vermögensbildungsfonds für alle Bürger, der international anlegt.

Womit wir beim einzigen ernsthaften Argument für die Schuldenbremse sind: Die Politik wird das Geld falsch ausgeben.

Steuererhöhungen sind Quatsch

Die genannten Gründe sprechen auch gegen Steuererhöhungen. In den Jahren vor Corona stieg die Steuer- und Abgabenquote in Deutschland um rund drei Prozentpunkte vom BIP. Der Staat hat uns also nicht nur absolut – dank des Wirtschaftswachstums –, sondern auch relativ immer mehr abgenommen. Dies nun fortzusetzen ist völlig falsch. Vor allem mit Blick auf die in der Eurozone absehbare Politik der Monetarisierung von Schulden.

Natürlich kann man über einen Umbau des Steuer- und Abgabensystems reden: dies aber mit dem Ziel, den Faktor Arbeit deutlich zu entlasten, um es mit Blick auf den demografischen Wandel möglichst attraktiv zu machen, am Arbeitsmarkt teilzunehmen. Man kann im Gegenzug darüber nachdenken, andere Steuerarten zu erhöhen. In Summe sollten wir aber eine geringere und keine höhere Abgabenbelastung anstreben. Öffnen wir das Ventil der Staatsverschuldung, ist dieser längst überfällige Schritt leichter umzusetzen.

Es wird höchste Zeit, dass die Politik in Deutschland die Schaffung und Sicherung des hiesigen Wohlstands auf die Agenda setzt. Nur dann werden wir in der Lage sein, die Herausforderung des demografischen Wandels sozial verträglich zu bewältigen. Dies bedeutet mit Blick auf die Dynamik in der Eurozone: mehr Investitionen im Inland, mehr Vermögensbildung in Deutschland und eine wachstumsorientierte Politik. Kurzum: vernünftige Staatsverschuldung für Investitionen, die dazu dienen, das BIP in Zukunft zu erhöhen.

Statt darüber zu streiten, ob der Staat mehr Schulden machen sollte, sollten wir dafür kämpfen, dass das Geld richtig verwendet wird.

cicero.de: “Mehr Schulden ja, aber wofür?”, 26. Januar 2021