Wir brauchen einen starken Staat

Coronapandemie, Qualität der Bildung und öffentlicher Dienstleistungen, Zustand der Infrastruktur, Einsatzfähigkeit der Bundeswehr: Wir erleben ein staatliches Versagen in essenziellen Bereichen der Daseinsvorsorge. Da verwundert die Forderung nach einem „starken Staat“, der seine Aufgaben auf einem Niveau wahrnimmt, wie es einer der größten Wirtschaftsnationen der Welt entspräche, kaum.

Oft setzen Medien und Politiker einen „starken Staat“ mit höheren staatlichen Einnahmen gleich. Folgt man dieser Logik, würde es genügen, die Staatsquote zu heben. Diese beschreibt das Verhältnis der Staatsausgaben relativ zum Bruttoinlandsprodukt.

Die Staatsquote liegt in Deutschland derzeit bei 51,5 Prozent. Dass ein höherer Staatsanteil keineswegs mit größerem wirtschaftlichem Erfolg und mehr sozialer Gerechtigkeit einhergeht, sieht man in Frankreich. Dort liegt die Staatsquote bei 59,2 Prozent.

Ein starker Staat definiert sich nicht über den Anteil der Einnahmen, die er an sich zieht, sondern über die Qualität der Institutionen. Bestes Beispiel ist die Schweiz, wo der Staat einen Anteil von 34 Prozent an der Wirtschaftsleistung hat und seine Aufgaben der Daseinsvorsorge auf sehr hohem Niveau wahrnimmt.

Dem deutschen Staat mangelt es nicht an Geld. Die Steuereinnahmen steigen trotz Krieg und Inflation weiter. Bereits im Zeitraum von 2009 bis 2018 hatte die Bundespolitik dank Mehreinnahmen (280 Milliarden), Zinsersparnis (136 Milliarden) und geringeren Kosten für Arbeitslosigkeit (46 Milliarden) 462 Milliarden zusätzlich zur Verfügung. Nur ein Bruchteil davon ging in Schuldentilgung und Investitionen.

Der überwiegende Teil der Mittel wurde konsumtiv verwendet. Es fehlt am politischen Willen, den Staat stark zu halten. Toleriert man wie in Berlin einen dreimal so hohen Krankenstand im öffentlichen Dienst wie in Bayern, liegt dies nicht am Geld, sondern am – politischen – Management der Verwaltung.

Wandel geht auch ohne zusätzliche Gelder

Ein starker, handlungsfähiger Staat konzentriert sich auf seine Kernaufgaben, investiert darin, Kernprozesse zu digitalisieren, und steigert die Qualität der Institutionen. Dabei orientiert er sich an der Best Practice anderer Staaten und verzichtet darauf, das Rad neu zu erfinden.

All dies geht ohne zusätzliche Mittel, ist aber ungleich schwerer umzusetzen, als einfach nach mehr Geld zu rufen, welches dann erneut an den falschen Stellen versickert. Wenn unsere Politiker dennoch mehr Mittel benötigen, gibt es mehr als genug Bereiche, in denen sich schmerzfrei Einsparungen erzielen ließen. Man denke nur an den Bundestag, eines der größten Parlamente der Welt und die Bundesverwaltung, die allein seit 2017 um knapp 31.000 Stellen gewachsen ist.

Wir brauchen einen starken Staat. Den bekommen wir aber nur, wenn wir die Politik dazu bringen, endlich die richtigen Prioritäten zu setzen. Einfach mehr Geld zu überweisen, bewirkt erfahrungsgemäß genau das Gegenteil.

handelsblatt.com: “Versagen bei den Kernaufgaben: Wir brauchen einen starken Staat”, 08.08.2022