Wie die Politik uns ruiniert – Zusammenfassung für neue Leser von bto

Folgender Kommentar von mir erschien im November 2018 bei der WirtschaftsWoche Online. Mit Blick auf die gestrige Diskussion bei Markus Lanz ein guter Einstieg in eine traurige Thematik:

Medien und Politik schwärmen vom reichen Land Deutschland. In Wahrheit leben wir von der Substanz und überschätzen unsere Leistungsfähigkeit. Keine guten Aussichten.

Gute Nachricht am 17. Oktober 2018: Nach der jüngsten Untersuchung des World Economic Forum (WEF) macht Deutschland in der globalen Wettbewerbsfähigkeit zwei Plätze gut, überholt die Niederlande und die Schweiz und liegt nun nach Singapur und den USA auf Platz 3. Es geht also voran, dürfte man da meinen. Da spielt auch keine Rolle, dass hinter dem Aufstieg Deutschlands eine geänderte Methodik steht. Der WEF verlässt sich weniger auf Expertenmeinungen, die vom Image eines Landes verzerrt sein könnten, und blickt stattdessen auf die harten Fakten, vor allem die Innovationsfähigkeit. Weil Deutschland hier besonders gut dasteht – der WEF misst das an Patentanmeldungen, wissenschaftlichen Veröffentlichungen, den Fachkenntnissen und dem bereits an den Schulen gefördertem kritischen Denken – sind wir für die Zukunft gut gerüstet. Trotz schlechter Breitbandinfrastruktur und fehlenden IT-Fähigkeiten – Themen, von denen man annehmen könnte, dass sie gerade für die Zukunft eine Rolle spielen – macht uns also so schnell niemand was vor. So das WEF.

Schlechte Nachricht am 10. Oktober 2018: Nach einer Analyse des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist der deutsche Staat einer der Ärmsten der Welt. Für die Studie wurden 31 Länder untersucht, die immerhin für 61 Prozent des Weltbruttoinlandsprodukts stehen und über ein Nettovermögen von über 100 Billionen US-Dollar verfügen. Zum Vermögen zählt der Fonds dabei Bodenschätze, Infrastruktur, öffentliche Unternehmen und finanzielle Assets, wie beispielsweise Staatsfonds. Abgezogen werden davon die offiziell ausgewiesenen Schulden der Staaten aber auch die verdeckten Verbindlichkeiten wie beispielsweise für Pensionen. Wenig überraschend liegt Norwegen in der Untersuchung an der Spitze, dank des schon seit Jahren existierenden und gut gemanagten Staatsfonds, der die Öl- und Gaseinnahmen des Landes weltweit Ertrag bringend investiert. Auf Platz zwei gefolgt von Russland, welches von geringer Verschuldung und enormen Rohstoffvorräten profitiert. Am anderen Ende des Spektrums, also mit geringem Vermögen rangieren Staaten wie Portugal, England, Frankreich und eben Deutschland.

Deutschland altert rapide und der deutliche Rückgang der Erwerbsbevölkerung setzt gerade ein. Der geburtenstärkste Jahrgang, der 1964er, hat nur noch zehn bis 15 aktive Jahre vor sich. Spätestens jetzt müssten wir für das Alter vorsorgen, Vermögen bilden und künftige Einkommen sichern. Ein Blick hinter die Fassade verrät schnell, dass es Deutschland ergeht wie einem Mittfünfziger, der seine Hausaufgaben für die Altersvorsorge nicht macht. Wir überschätzen die Sicherheit unseres Arbeitsplatzes, wir überschätzen die reale Kaufkraft unseres Einkommens, wir überschätzen die Reserven fürs Alter und wir geben zu viel Geld für die falschen Dinge aus.

Der Exportweltmeister ist in Wahrheit ein armes Land. Abgewirtschaftet von einer falschen Politik, die Konsum vor Investitionen stellt.

Ein ernüchternder Blick auf Deutschland

Blickt man mit etwas Abstand auf Deutschland, kommt man zu einer ausgesprochen ernüchternden Einschätzung: Wir leben in einer Wohlstandsillusion und sorgen nicht vor. Im Gegenteil bürdet uns die Politik immer weitere Lasten auf. Knapp zusammengefasst müssen wir Deutschland so sehen:
  • Wir erleben einen wackeligen Boom, der auf erheblichen Fehlentwicklungen in der Welt basiert: einem schwachen Außenwert des Euro, viel zu tiefen Zinsen und einer zunehmenden Verschuldung der Länder, in die wir unsere Waren verkaufen.
  • Unsere Wirtschaft ist in einem historisch einmaligen Umfang abhängig vom Export, was die Krisenanfälligkeit erhöht. Kommt es zu einer Abschwächung der Konjunktur in China, den USA oder Europa, trifft es uns überproportional.
  • Die erheblichen Überschüsse im Export führen zunehmend zu protektionistischen Tendenzen in der Welt, die zusätzlich das Risiko deutlicher Einbrüche im Export und damit der deutschen Konjunktur erhöhen. Die Strafzölle der USA sind ein bedrohliches Zeichen.
  • Die Exporterfolge und damit die wirtschaftliche Entwicklung basiert auf Industrien, die wir schon aus dem Kaiserreich kennen: Automobil, Maschinen- und Anlagenbau und Chemie dominieren. In neuen Branchen wie der Internetwirtschaft haben wir weitgehend den Anschluss verloren.
  • Die Stütze der deutschen Wirtschaft ist die Automobilindustrie, die vor einer existenziellen Krise steht. Dieselskandal und technologischer Umbruch gefährden den technologischen Vorsprung und es ist nicht sicher, dass es unserer Industrie gelingt, den Wandel zu meistern.
  • Das Ausland forciert den technologischen Wandel nicht nur aus Umweltschutzgründen, sondern auch, weil er eine willkommene und legale Möglichkeit ist, den Wettbewerber aus Deutschland zu schwächen.
  • Unsere relativ hohen Einkommen – gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf – sind somit nicht nachhaltig. Im Gegenteil stehen sie auf sehr tönernen Füßen.
  • Mit Blick auf die Vermögen der Privathaushalte müssen wir festhalten, dass das Vermögen in Deutschland nach den offiziellen Daten der Europäischen Zentralbank (EZB) deutlich unter dem Niveau der Nachbarländer liegt. Wir vollbringen also das „Wunder“, gut zu verdienen, und trotzdem relativ arm zu sein.
  • Die Ursachen für die geringeren Vermögen der privaten Haushalte sind vielfältig: eine besonders hohe Abgabenbelastung für die Mittelschicht, eine Präferenz der Bürger für schlecht verzinste Anlagen wie Sparbuch und Lebensversicherung als Folge eines mangelnden Verständnisses für Wirtschaft und Geldanlage sowie einer Politik des Staates, der diese Sparformen gefördert hat, auch um sich eine günstige Finanzierung zu sichern.
  • Umgekehrt besitzen deutsche Privathaushalte besonders wenig Aktien und Immobilien im Vergleich zu den Haushalten in anderen Ländern. Diese beiden Anlageklassen weisen nicht nur eine besonders hohe Verzinsung auf, sie profitieren zudem überproportional von unserer Geldordnung, die Verschuldung begünstigt, die wiederum zu steigenden Vermögenspreisen beiträgt.
  • Die Rettungspolitik der EZB, die mit dem milliardenschweren Aufkaufprogramm für Wertpapiere und Negativzinsen den Euro am Leben erhält, verstärkt die negativen Folgen unseres Sparverhaltens: Sachwertbesitzer und Schuldner profitieren, während Geldvermögensbesitzer die großen Verlierer sind. Eine Umverteilung von arm zu reich.
  • Großer Profiteur der tiefen Zinsen ist der deutsche Staat, der allein aufgrund der gesunkenen Finanzierungskosten eine „schwarze Null“ erwirtschaftet und die Schulden senkt. Der Überschuss im Staatshaushalt verstärkt jedoch die einseitige Exportorientierung unserer Wirtschaft, die nicht nur zu einem großen Handelsüberschuss führt, sondern auch zu einem erheblichen Kapitalexport in das Ausland.
  • Auch diese Mittel legen wir erfahrungsgemäß schlecht an. So verloren deutsche Banken und Versicherungen Milliarden im Zuge der Finanzkrise und es ist abzusehen, dass wir bei den unvermeidlichen Schuldenrestrukturierungen in der überschuldeten Welt weitere erhebliche Verluste erleiden werden.
  • Prominentestes Beispiel für die schlechte Anlage unserer Ersparnisse sind die TARGET2-Forderungen der Bundesbank, die mittlerweile mehr als 12.000 Euro pro Kopf der hier lebenden Bevölkerung ausmachen. Kredite, die wir zins- und tilgungsfrei ohne jegliche Sicherheit im Euroraum gewähren und die uns zudem immer mehr erpressbar machen.
  • Die Politik hat währenddessen an den falschen Enden gespart. Obwohl die Einnahmen sprudeln wie noch nie und die Zinsersparnis Haushaltsüberschüsse ermöglicht, hat die Politik auf Konsum – Stichwort Renten und Sozialausgaben – gesetzt, statt in die Zukunft des Landes zu investieren. Ein Blick auf verfallende Infrastruktur und das Bildungswesen genügt. Unser Staat lebt von der Substanz und senkt unsere künftigen Einkommen, statt sie zu sichern.
  • Derweil ist die sauber berechnete Verschuldung des Staates deutlich gestiegen. Berücksichtigt man die verdeckten Verbindlichkeiten für künftige Renten und Pensionen, tut sich eine signifikante Lücke auf. Vorsorge sieht anders aus.

Das Märchen vom reichen Land

Arme Bürger, armer Staat. Das ist nicht das, was in das gängige Credo vom „reichen Land“ passt, dem beliebig weitere Lasten aufgebürdet werden können. Doch genau diese Lasten legt uns die Politik in grenzenloser Missachtung unserer wirklichen Leistungsfähigkeit auf.
Zum einen glauben deutsche Politiker, man müsse zur Sicherung der Exportmärkte alles tun, um den Euro zu retten. Diese Rettungspolitik entspricht jedoch einer Umverteilung von arm zu reich innerhalb der Eurozone, sind doch die Privathaushalte in Italien, Frankreich und Spanien deutlich vermögender als die deutschen. Diese Länder verfügen also über genug eigene Ressourcen, um mit ihren Problemen umzugehen. Das gilt namentlich für Italien.
Auch die Sicherung der Exportmärkte entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein Subventionsprogramm für unsere Exportindustrie, welches wir selbst bezahlen. Denn einhergehend mit den Exportüberschüssen bauen wir immer größere Forderungen gegen das Ausland auf, die nicht so werthaltig sind, wie sie scheinen. Namentlich die TARGET2-Forderungen sind zins- und tilgungsfreie Kredite an das Ausland.

Zum anderen herrscht der Glaube, wir könnten die fehlende Vorsorge in den Sozialkassen durch Migration kompensieren. Theoretisch kann dies unter zwei Annahmen funktionieren. Erstens: Die Zuwanderer müssen im Durchschnitt so produktiv wie die bereits hier lebende Bevölkerung sein, also entsprechend am Erwerbsleben teilnehmen und verdienen. Und zweitens: Da Zuwanderer ebenfalls alt werden, muss es auch in Zukunft gelingen, ähnlich qualifizierte Zuwanderer anzulocken.

Beide Annahmen erfüllen wir in der Praxis nicht. So liegt die Produktivität der Zuwanderer schon seit Jahren deutlich unter jener der schon hier lebenden Bevölkerung. Namentlich bei Zuwanderern aus dem muslimischen Raum ist zu konstatieren, dass sowohl Erwerbsbeteiligung wie auch Einkommen deutlich unter dem Schnitt liegen. Übersetzt bedeutet dies, dass diese Zuwanderer aus dem Blickwinkel der gesamtstaatlichen Finanzierung ein erhebliches Defizit mit sich bringen. Professor Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg schätzt beispielsweise, dass allein pro Zuwanderer des Jahres 2015 450.000 Euro an Nettokosten in den kommenden Jahrzehnten zusammenkommen.

So stellt unsere Art der Zuwanderung eine erhebliche Last – konkret in der Größenordnung von über einer Billion Euro – dar und trägt eben nicht zur Finanzierung des Gemeinwesens bei.

Verglichen mit diesen beiden Großbaustellen nehmen sich die anderen politischen Entscheidungen der vergangenen Jahre (überstürzte Energiewende mit rund 500 Milliarden, unterlassene Investitionen in Infrastruktur mit kurzfristig 120 Milliarden und langfristig rund 750 Milliarden Euro, etc.) wie Rundungsdifferenzen aus. Ich kann es nicht anders sagen: Politik und Medien berauschen sich am Gedanken des reichen Landes, welches sich alles Erdenkliche leisten kann. Doch das ist ein Märchen.

Es bleibt nicht viel Zeit

Noch können wir umsteuern, wie ich in meinem Buch neuen Buch, Das Märchen vom reichen Land – Wie die Politik uns ruiniert zeige. Dies setzt allerdings einen grundlegenden Politikwechsel voraus, der Investition und Zukunftssicherung vor Konsum und Ideologie stellt.

Leider sieht es genau danach nicht aus. Deshalb können wir als Bürger nur versuchen, mit unserer Stimme einen Wandel zu befördern und als Investoren den einzigen zulässigen Schluss ziehen: unsere Ersparnisse außerhalb Deutschlands anzulegen.

→ wiwo.de: “Wie die Politik uns ruiniert”, 25. Oktober 2018

Kommentare (22) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Astrologin Eva Maria Palmer
    Astrologin Eva Maria Palmer sagte:

    Der politische Ruin begann im Februar 1992 bei der Unterzeichnung der Maastricht-Verträge.

    Diese Verträge wurden bis zur Unkenntlichket außer Kraft gesetzt und werden voraussichtlich 2026 das Ende der EU einläuten.

    Die Zeitspannen beziehen sich auf die 28 jährigen Saturn-Zyklen, die von 2017 bis 2045 mit einem für ganz Europa enttäuschenden Ergebnis enden.

    Bis dahin wäre eine Prophezeihung von Frau Merkel eingetreten, die 2017 in Israel bei einem Interview mit den “Jewish News” sinngemäß erklärte, daß Deutschland ein islamischer Staat werden würde und wir Deutschen das hinnehmen müßten.

    Bis zum Zerfall der EU und einer möglichen Währungsreform wird unser Herr Draghi “whatever it takes” viele Verzweiflungstaten begehen, die langfristig wenig erfolgreich bleiben.

    Antworten
    • Richard Ott
      Richard Ott sagte:

      Cool, eine Astrologin, die wirtschaftliche Prognosen abgibt. Sie sollten sich mal beim internationalen Währungsfonds bewerben. Oder als Sell-Side-Analyst bei Goldman.

      Antworten
      • Michael Stöcker
        Michael Stöcker sagte:

        „Sie sollten sich mal beim internationalen Währungsfonds bewerben.“

        Eine sehr gute Idee, Herr Ott. Denn dort werden oftmals auch nur irgendwelche kryptischen Sprüche abgesondert, welche die hohe Priesterschaft der Glaskugelputzer (ANALysten von GS & Co. sowie die durch sie finanzierten Finanzredakteure) sodann für ihre Prekärleserschaft aufbereitet. Die sollten mal lieber den Astrologen aus Faust II studieren:

        Die Sonne selbst, sie ist ein lautres Gold,
        Merkur, der Bote, dient um Gunst und Sold,
        Frau Venus hat’s euch allen angetan,
        So früh als spat blickt sie euch lieblich an;
        Die keusche Luna launet grillenhaft;
        Mars, trifft er nicht, so dräut euch seine Kraft.
        Und Jupiter bleibt doch der schönste Schein,
        Saturn ist groß, dem Auge fern und klein.
        Ihn als Metall verehren wir nicht sehr,
        An Wert gering, doch im Gewichte schwer.
        Ja! wenn zu Sol sich Luna fein gesellt,
        Zum Silber Gold, dann ist es heitre Welt;
        Das übrige ist alles zu erlangen:
        Paläste, Gärten, Brüstlein, rote Wangen,
        Das alles schafft der hochgelahrte Mann,
        Der das vermag, was unser keiner kann.

        LG Michael Stöcker

      • Richard Ott
        Richard Ott sagte:

        @Herr Stöcker

        Ah ja! Bei der Analyse würde ich sofort einkaufen! Aber es überrascht mich, dass Sie den Astrologen und nicht den Kaiser zitieren:

        Dadurch sind unsre Mängel nicht erledigt,
        Was willst du jetzt mit deiner Fastenpredigt?
        Ich habe satt das ewige Wie und Wenn;
        Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff es denn.

      • Astrologin Eva Maria Palmer
        Astrologin Eva Maria Palmer sagte:

        Keine schlechte Idee.
        Werde mich da mal bewerben.

        Aber sind das nicht Gangster-Organisationen?

        Zum Thema Astrologen und Wirtschafts-Prognosen.
        Viele “bedeutende” Personen haben sich von meiner Zunft beraten lassen.
        Adenauer ging bei Buchella ein und aus.
        Der Cowboy-Präsident Reagan hat sein keynesianisches Wirtschafts-Vernichtungsprogramm vorher mit seiner Frau Nancy besprochen, die alle wichtigen Entscheidungen vorher mit ihrer Haus-Astrologin beriet.
        In Asien und im Mittleren Osten hat meine Zunft auch riesigen Zulauf.

        Habe schon überlegt, den Kalkutta-Staat Deutschland zu verlassen,
        wie soviele andere intelligente Leistungs-Träger.

  2. Wolfgang Selig
    Wolfgang Selig sagte:

    Sie bekommen langsam Fernsehroutine, Herr Dr. Stelter. War prima gestern Abend. Natürlich ist Hans Eichel Polit-Rentner, von einem aktiven SPD-Führungsmitglied hätten Sie nicht so viel Höflichkeit erwarten können. Ein kleiner Meilenstein in eine Welt, in der auch im Mainstream-Fernsehen mal die realen Verhältnisse angesprochen werden dürfen. Das wäre m.E. ohne Ihren Bucherfolg nicht denkbar gewesen.

    Antworten
  3. Susanne
    Susanne sagte:

    Ich schaue Markus Lanz nie, die Sendung gestern Abend habe ich mir aber angeschaut. Sie, Herr Dr. Stelter, haben die Fakten wie immer nüchtern und sachlich vorgetragen. Eichel blieb ganz still. Nicht einmal bei der Falschbilanzierung des Bundeshaushalts gab es Widerspruch von ihm. Ich finde es gut und richtig, Formate wie beispielsweise “Markus Lanz” als Forum zu nutzen, um die breite, mediensedierte Öffentlichkeit, darunter auch Bevölkerungsgruppen, die an den Themen Wirtschaft und Politik wenig Interesse haben, wachzurütteln und aufzuklären. Wenn die gestrige Sendung dazu beigetragen hat, dass sich ab jetzt mehr Menschen kritisch mit den einschneidenden Fehlentwicklungen in diesem Land auseinandersetzen, ist schon etwas gewonnen.

    Antworten
  4. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    Überaus gelungen, klar und verständlich, hart am Thema geblieben, auch mal lebensnah garniert:

    Ich kann nur unterstreichen, was die anderen Diskutanten hier gesagt haben.

    Dennoch weiterführend folgende Bemerkungen:

    So vorteilhaft das Format gegenüber anderen ist – es kann auch mal ein Gedanke schlüssig zu Ende geführt werden – und so einsichtig Lanz auch den Einstieg mit Reichtum/Vermögen vs. Einkommen auch gewählt hat, es bleibt dennoch, einer leichtfertig vergebenen Chance nachzutrauern.

    Statt mit Eichel eine Diskussion zu führen, die beim abwegigen Vergleich mit dem Autoverkäufer mündet, wurde die Grundfrage, die direkt zur Thematik von Dr. Stelter geführt hätte, nicht gefragt:

    Darf die Politik Versprechungen machen, d. h. Gesetzt über zukünftige Leistungen beschließen, wenn sie WEISS – wie jeder, der rechnen kann es weiß -, dass die Versprechungen nicht einzuhalten sind?

    Die Antwort kann man schon bei Immanuel Kant nachlesen und lautet: Dieses Verhalten ist unmoralisch, weil widersprüchlich – man kann nicht etwas zu wollen, von dem man weiß, dass man es später nicht wollen kann -, und, auch das hatte er erkannt, ein solches Wollen ist zudem noch zum Scheitern verurteilt.

    Dazu hätte ich gern einmal eine Antwort von Eichel gehört angesichts der Tatsache, dass es hier nicht um ein paar von Gier getriebene Teilnehmer an einem beliebigen Schneeballsystem geht, sondern das VERTRAUEN der gesamten BEVÖLKERUNG in die Politik auf dem Spiel steht.

    Was sind die Folgen, wenn das verloren geht?

    Der andere Verweis betrifft die Argumentationssituation in der Dr. Stelter ist:

    Es muss eine Zurechnung für das sich STRUKTURELL aufbauende Desaster einer KONZEPTIONELL völlig falsch angelegten Wirtschaftspolitik geben, denn sie fällt ja nicht vom Himmel. Er benennt sie richtig: Der Politik ist es zuzurechnen.

    Die logische Antwort auf die Frage, die schon Steingart in seinem Podcast gestellt hat, als er nach etwas Hoffnung fragte und bei der Dr. Stelter zögerte, muss lauten:

    Eine nicht nur punktuell korrigierte, sondern GANZ ANDERE Politik muss her.

    Das wäre zwar die richtige, aber zugleich eine sehr gewagte Antwort, weil – Achtung: Framing – sofort sein Demokratieverständnis infrage gestellt würde etc. …
    Wenn die Ecke gefunden ist, in den man Dr. Stelter stellen könnte, spielten die REALITÄT abbildenden FAKTEN keine Rolle mehr. Man könnte wie gewohnt zur Tagesordnung übergehen.

    Dr. Stelter weiß das natürlich und ich glaube auch, dass er sich des Risikos bewusst ist, wenn die Frage nach Korrektur derart verfehlter Politik gestellt wird und er mit der gleichen Entschiedenheit, mit der er anklagt, die richtungweisende Umorientierung darlegen müsste – er, ein UNTERNEHMENSBERATER.

    Ich denke auch, dass er weiß, dass in einer Demokratie die Menschen LETZTVERANTWORTUNG tragen für das, was in ihrem Namen angestellt wird.

    Wenn man diese Einsicht teilt, und sich bewusst ist, dass mit Blick darauf so gut wie nichts zu erwarten ist, muss man sich natürlich fragen:

    Warum engagiert man sich so, statt z. B. im Grunewald spazieren zu gehen?

    So eine Frage kann sich jeder stellen, der hier mitdiskutiert und die Lage ähnlich einschätzt.

    Ich jedenfalls komme nicht umhin, mir einen Grad von Schizophrenie zu attestieren.

    Wie auch immer:

    Ich bin überzeugt davon, dass Dr. Stelter in absehbarer Zukunft auch bei Will, Illner und Maischberger zu sehen sein wird.

    Der Mann ist ein gefundenes Fressen für jede Talkshow:

    Statt moralische Rechthaberei „nur“ Fakten gegen die Verheißungen der politischen Gestalter – diese Konfrontation hat ganz sicher den gefragten hohen Unterhaltungswert.

    Antworten
    • Ulrich Remmlinger
      Ulrich Remmlinger sagte:

      @ Herrn Tischer
      “hat ganz sicher den gefragten hohen Unterhaltungswert.”

      Das ist bitter aber wahr: es geht im TV nur um Unterhaltung.

      Wir sind wieder bei der Frage, die Sie vor 2 Tagen gestellt haben: “Ich warte immer noch darauf, dass mir jemand erklärt, wie es zu einem realitätsbezogenen Umdenken in der Bevölkerung kommen kann. Mir fehlt jegliche Vorstellung davon, wie das geschehen soll.”

      In TV-Auftritte setzen Sie offensichtlich und berechtigterweise keine Hoffnung.
      Oder habe ich Sie falsch interpretiert?

      Antworten
      • Richard Ott
        Richard Ott sagte:

        „Ich warte immer noch darauf, dass mir jemand erklärt, wie es zu einem realitätsbezogenen Umdenken in der Bevölkerung kommen kann. Mir fehlt jegliche Vorstellung davon, wie das geschehen soll.“

        Das ist eine wirklich gute Frage! Ich würde sagen, dass ich einen großflächigen Stromausfall und daraus folgend eine grundlegende Infragestellung unserer grün-moralistisch ausgerichteten Klima- und Energiepolitik für wahrscheinlicher halte als ein Umdenken in der Bevölkerung durch eigene Einsicht nach dem Anschauen besonders informativer Fernseh-Talkshows.

        Aber über diese Frage lohnt es sich, ein bisschen länger nachzudenken. Mir fallen als Auslöser für so ein Umdenken spontan nur unwahrscheinliche Black-Swan-Ereignisse mit drastischen Folgen ein, aber vielleicht gibt es ja auch einen zwingenderen, stetigeren Prozess, der irgendwann zum Umdenken führt.

      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Ulrich Remmlinger

        Es ist leider so:

        Wenn es um Einschaltquoten geht, werden Fakten eben NUR am Unterhaltungswert, den sie für das PUBLIKUM haben, gemessen.

        Liebe zu Fakten ist nichts, für das jemand einschaltet.

        Insofern interpretieren Sie mich richtig, wenn Sie unterstellen, dass ich keine Hoffnung habe, mit derartigen Sendungen könne die Politik zum Umsteuern veranlasst werden.

        Dennoch ist auch wahr:

        Der eine oder andere wird eben doch nachdenklich, wenn er eine Sendung wie die gestrige sieht und die Lage, die auch SEINE Lage ist soweit er Mitglied der Gesellschaft ist, anhand nackter Zahlen dargelegt bekommt.

        Wenn Dr. Stelter z. B. gegen Heil antreten könnte, würden sich dessen „finanzielle Kraftanstrengungen“ für die Respektrente als das Politikmodell darstellen, was es wirklich ist:

        Mit nicht haltbaren, inhaltsleeren Versprechen zu Vermögen gekommen, sitzen wir auf einer vernachlässigten Infrastruktur und sonstigen Defiziten, um bei zunehmenden Wettbewerb und wachsender demografischen Schieflage zu neuem Wohlstand zu gelangen.

        Man muss nicht besonders gebildet oder ausgebildet sein, damit einem angesichts dieser Perspektive mulmig wird.

        Es wäre nicht der schlechteste Effekt, wenn mit solchen Sendungen ein derartiges Bewusstsein etwas mehr Boden in den öffentlichen Debatten gewinnen würde.

        Ich will das nicht ausschließen, aber bis zur “kritischen Masse” ist es ein weiter Weg, wenn es den überhaupt gibt.

      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Richard Ott

        >Ich würde sagen, dass ich einen großflächigen Stromausfall und daraus folgend eine grundlegende Infragestellung unserer grün-moralistisch ausgerichteten Klima- und Energiepolitik für wahrscheinlicher halte als ein Umdenken in der Bevölkerung durch eigene Einsicht nach dem Anschauen besonders informativer Fernseh-Talkshows.>

        Das sehe ich auch so.

        Die reale Alternative stellt sich mir eher so dar:

        Großflächiger Stromausfall oder die dämmernde Erkenntnis, dass es keine gute Idee ist, die Welt retten zu wollen, wenn man dadurch die eigene Lebensgestaltung in die Tonne tritt.

        Siehe die Gelbwesten in Stuttgart:

        Darunter sind sicher auch einige, die für die Käfer in den zu fällenden Bäumen und gegen den Bahnhofsumbau demonstriert haben.

        Das war billig, hat nichts gekostet.

        Das Dieseldrama geht aber langsam ans Eingemachte, bei AUDI die Nachtschicht gestrichen, ist vermutlich erst der Anfang.

        Und dann?

        Die Leute werden rebellisch, machen nicht mehr alles mit.

        Gut so.

        Aber vernünftiger und einsichtsvoller werden sie dadurch leider nicht.

      • troodon
        troodon sagte:

        @ DT
        “…die dämmernde Erkenntnis, dass es keine gute Idee ist, die Welt retten zu wollen, wenn man dadurch die eigene Lebensgestaltung in die Tonne tritt.”

        Leider wird sich diese Erkenntnis nur im Zeitlupentempo bei einer größeren Masse durchsetzen, so dass dann wahrscheinlich die eigene, gedachte Lebensgestaltung bereits ” in der Tonne ist”.
        Oder aber es kommt tatsächlich zu einem wie auch immer gearteten Black Swan Ereignis. Dann ist die Erkenntnis zwar schnell da, aber auch dann dürfte es zu spät, die eigentlich angestrebte Lebensplanung noch zu erreichen. Leider keine guten Aussichten für die Masse der Bürger.

      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ troodon

        Zeitlupentempo oder nicht?

        Ich weiß es nicht, glaube allerdings, dass – verglichen mit, sagen wir, die 70er oder 80er Jahre – die Entwicklungen heute dynamischer verlaufen.

        Das betrifft auch so etwas wie gesamtwirtschaftliche Kosten und Ertrag, insbesondere mit Blick auf die Energiewende.

        Denken Sie an die Gelbwesten in Frankreich:

        Es ist gerade einmal anderthalb Jahre her, als das Land mit Macron so etwas wie
        Morgenröte sah.

        Heute weiß niemand, ob der morgen noch im Amt ist.

        Uns Deutschen fehlt zwar das revolutionäre Gen der Franzosen oder die Bockigkeit der Briten, aber es könnte schneller als gedacht auch bei uns zu Stimmungsumschwüngen kommen.

        Immerhin, mehr als erstaunlich:

        Die AfD aus dem Nichts in gerade einmal 6 Jahren zu stärksten Oppositionspartei im Bundestag.

        Soweit die friedliche Variante, die hoffentlich nicht mit Schaum vorm Mund auf den Straßen eine ganz andere Qualität erlangt.

  5. Donnerkeil
    Donnerkeil sagte:

    Auch von mir: Kompliment für gestern Abend!

    Für mich übrigens interessant: Eichel hatte ja Ihr Argument, die Steuern und Abgaben in Deutschland seien nach Belgien die höchsten in allen OECD-Staaten gekontert unter Hinweis darauf, dass das Aufkommen in Summe sich im Mittelfeld bewege.
    Eine Google-Suche führte mich zu folgendem Zeit-Artikel:
    https://www.zeit.de/wirtschaft/2018-04/steuerzahler-oecd-studie-arbeitnehmer-sozialabgaben-fuenf-vor-acht
    Danach geht dieses immer und überall zu lesende und zu hörende Argument, dass Deutschland unmittelbar hinter Belgien stark zulange, schon fast Richtung FAKE-NEWS: Denn dies gilt danach NUR für alleinerziehende Durchschnittsverdiener.
    M.E. sollte das Argument dann auch nicht mehr in seriösen Diskussionen verwandt werden. In der Sache ändert sich natürlich nichts…

    Antworten
  6. Carsten Pabst
    Carsten Pabst sagte:

    Sehr geehrter Dr. Stelter,
    ich kann Ihnen zu Ihrem Auftritt gestern Abend bei Lanz nur gratulieren. Sie haben die Probleme, vor denen Deutschland steht, sehr gut “rübergebracht”. Auch haben Sie die
    Probleme oft bildlich angesprochen und dargestellt. Nur so können Sie das einfache Publikum und den Zuschauer an den Fernsehern abholen und überzeugen. Und das einfach
    soll nicht überheblich klingen. Ich zähle mich ausnahmslos dazu. Ich versuche Dank Ihres Blogs die verschiedenen wirtschaftlichen und geldpolitischen Zusammenhänge
    nachzuvollziehen. Dies ist nicht immer einfach, zu manchem Thema fehlt mir die dazugehörige Ausbildung als Handwerksmeister. Dafür gibt es andere Personen auf Ihrem Blog,
    deren Meinungen ich gerne lese und schätze. Danke dafür!
    Die reinen Zahlen haben Sie bei Herrn Lanz sehr gut erläutert, ohne den Zuschauer zu erschlagen. Ich für meinen Teil war sogar positiv überrascht, das Sie sehr
    wohlwollenden Applaus seitens des Publikums erhalten haben. Ich hoffe, das durch Ihren sehr guten Auftritt langsam eine andere Debattenkultur im Fernsehen erfolgt und die
    Bevölkerung kritischer wird und Sachverhalte hinterfragt. Damit verbunden, dass Sie öfters zu solchen Talkshows eingeladen werden. Insbesondere zu früheren Sendezeiten.
    Von Lanz war ich übrigens auch positiv überrascht. Er hat die Sendung anständig moderiert und geleitet.
    In diesem Sinne machen Sie weiter so. Die Bohle, die Sie da anbohren, ist verdammt dick. Halten Sie durch. Meine Tochter wird es Ihnen danken!
    Freundliche Grüße
    Carsten Pabst

    Antworten
  7. René Bolliger
    René Bolliger sagte:

    Lieber Herr Stelter

    Sie haben so schlagend argumentiert, dass es der Eichel die Sprache verschlug. Immerhin war Ihnen der Lanz wohl gesonnen, hat Sie nicht in die rechte Ecke gestellt, trotz Ihrer Kritik an der Regierung.

    Einzige Kritik: Sie haben sehr schnell gesprochen (und wahrscheinlich noch schneller gedacht :-)) und manchmal Silben verschluckt – ich habe nicht immer folgen können.

    Antworten
  8. Beobachter
    Beobachter sagte:

    Lieber Herr Dr. Stelter,
    Kompliment, wie klar, souverän und überzeugend Sie Ihre Position bei Lanz vermittelt haben. Besser kann man das kaum machen. Besten Dank und weiter so …

    Antworten
    • troodon
      troodon sagte:

      Schließe mich dem Kompliment an. Klasse gemacht Herr Dr. Stelter. Chapeau !
      Ich gestehe, ich bin aber auch positiv von Markus Lanz überrascht gewesen.

      Antworten
  9. Richard Ott
    Richard Ott sagte:

    Am schönsten fand ich gestern bei Lanz die Einblendung, mit der Dr. Stelter vorgestellt wurde: “Wirtschaftsökonom”

    Die Bildungsmisere ist offenbar auch schon in der ZDF-Redaktion angekommen.

    Antworten
  10. Thomas M.
    Thomas M. sagte:

    @Herr Dr. Stelter

    Die BILD-Redaktion braucht noch das aktuelle Buch von Ihnen… Gestriger Titel: Reiches Land, arme Rentner

    ;)

    Antworten

Ihr Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!

Schreibe einen Kommentar zu Dietmar Tischer Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.