Wenn Trends Wirklichkeit werden

Dieser Kommentar erschien bei WirtschaftsWoche Online:

Sobald sich unterschätzte Trends durchsetzen, droht eine radikale Abwertung etablierter Spieler. Der Niedergang des stationären Handels in den USA ist erst der Anfang. Wir stehen vor einer Revolution.

Bevor wir uns dem heutigen Thema widmen, folgender Hinweis. Im Oktober letzten Jahres habe ich an dieser Stelle das Pfund als interessanten Kauf diskutiertNach der deutlichen Erholung der letzten Wochen würde ich nun Gewinne mitnehmen, um zu tieferen Kursen wieder einzusteigen. An meiner langfristig optimistischen Haltung zu Großbritannien und dem Pfund hat auch der absehbare Ausgang der französischen Präsidentschaftswahlen nichts geändert.

Aber nun zur Sache: 2016 entfielen Schätzungen zufolge 50 Prozent des Umsatzzuwachses im US-Einzelhandel auf nur einen Anbieter: Amazon. Die Auswirkungen auf den traditionellen Einzelhandel sind verheerend. Seit Monaten befinden sich die Aktien der überwiegend stationären Anbieter mit eigenen Läden im Sturzflug, mehrere Einzelhandelskonzerne mussten ganz aufgeben. 2016 meldeten neun Ladenketten Konkurs an, in diesem Jahr sind es bislang zehn. Credit Suisse schätzt, dass in diesem Jahr über 8.600 Läden schließen, mehr als im bisherigen Rekordjahr 2008.

Nicht nur die Einzelhändler kommen unter Druck. Die Folge des Ladensterbens sind explodierende Leerstände in den bei den Amerikanern früher so beliebten Einkaufszentren. Dies löst eine weitere Abwärtsspirale aus: je mehr Läden leer stehen, desto geringer die Attraktivität des Einkaufscenters, was wiederum die anderen Geschäfte unter Druck setzt. Eine Welle an Konkursen dürfte auch hier die Folge sein. Die Kapitalmärkte haben dies mit fallenden Kursen für Immobilienaktien schon vorweggenommen.

Damit nähern wir uns dem Ende einer Entwicklung, die vor fast 20 Jahren begonnen hat. Nicht ganz so schnell, wie in der ersten Interneteuphorie Ende der 1990er-Jahre erwartet, rollen die Onlineanbieter den Markt auf. Ihr Umsatz hat sich in den USA seither verzehnfacht.

Erst hat es länger gedauert als erwartet, dann kam es schneller und brutaler.

Unterschätzte Trends

Lange Zeit haben die etablierten Anbieter die Gefahr unter- und die eigene Anpassungsfähigkeit überschätzt. Das dürfte weniger Ausnahme als die Regel sein, was wir bei der Geldanlage bedenken sollten. Eine Auswahl zeigt, vor welchen grundlegenden Umbrüchen wir stehen:

  • Selbstfahrende Autos und der Umstieg auf Elektromobilität erschüttern das Geschäftsmodell traditioneller Anbieter. Viele technische Komponenten, die heute zur Differenzierung beitragen, fallen in Zukunft weg (zum Beispiel Getriebe). Die Nutzung dürfte gegenüber dem Besitz zunehmend an Bedeutung gewinnen. Damit schrumpft perspektivisch der Automobilmarkt und die Erfolgsfaktoren ändern sich grundlegend. Viele Zulieferer werden schlichtweg überflüssig und die Hersteller sitzen auf erheblichen Kapazitäten, die sie so nicht mehr benötigen.
  • Erneuerbare Energien sind schon heute trotz tiefer Ölpreise in weiten Teilen der Welt ohne Subventionen wettbewerbsfähig. Die Erfahrung lehrt, dass der Preisverfall der neuen Techniken sich weiter fortsetzen wird. Neue Speichertechnologien tragen das ihre dazu bei. Dezentrale Stromerzeugung macht eine andere Infrastruktur nötig und möglich. All dies sind schlechte Nachrichten für Unternehmen, die Kapazitäten in alten Technologien vorhalten, von Stromerzeugung bis Ölförderung. Wie stellte der frühere saudische Ölminister fest? Das Steinzeitalter endete lange, bevor die Steine verbraucht waren. Das gilt auch für Öl und erklärt, warum jeder versucht, so viel wie möglich noch zu verkaufen, bevor er auf Bodenschätzen sitzt, die keinen mehr interessieren.
  • 3-D-Drucker und Automatisierung verschieben globale Wertschöpfungsketten. Die bisherige Regel, wonach man für günstige Kosten große Volumina und tiefe Lohnkosten braucht, gilt so nicht mehr. Es ist bald möglich, überall auf der Welt zu ähnlichen Kosten zu produzieren beziehungsweise die Kostenunterschiede rechtfertigen nicht mehr lange Logistikketten. Die Stagnation des Welthandels trotz wachsender Weltwirtschaft dürfte einen Grund in dieser Entwicklung haben. Das sind sehr schlechte Nachrichten für die globalen Logistikkonzerne, vor allem wenn sie massiv in Kapazitäten wie Schiffe investiert haben.
  • Ohnehin wird die Automatisierung und Digitalisierung die Spielregeln fast aller Industrien verändern. Qualität von Prozessen und Produkten wird immer mehr von den Zulieferern von Anlagen und Software definiert und damit für die nutzenden Unternehmen zu einem geringeren Differenzierungsfaktor. Geschwindigkeit bei der Anwendung der neuen Technologien wird noch wichtiger, was die kapitalkräftigen Anbieter begünstigt.
  • Neue Ansätze zur individualisierten Therapie von Krankheiten, wie Krebs mittels Gentherapie und Impfungen, revolutionieren die Pharmaindustrie und stellen die großen Vertriebsmaschinen und das Denken in Blockbustern zunehmend infrage.
  • Banken und Versicherungen stehen ebenfalls vor einer digitalen Revolution, die einen Großteil der vorhandenen Infrastruktur und auch der Mitarbeiter überflüssig macht. Der Vorteil der zahlreichen Fintechs liegt weniger in der überragenden Technologie als in der Tatsache, dass sie keine verkrusteten Strukturen mit sich herumschleppen.

Neue industrielle Revolution

Diese Liste ließe sich beliebig ergänzen. Im Kern stehen wir allen auch von mir immer wieder gebrachten Unkenrufen zum Trotz, vor einer Phase raschen technologischen und wirtschaftlichen Wachstums. Dieses Wachstum wird noch behindert durch die Beharrungskräfte, die auf den Erhalt des Status quo setzen und durch die ungelöste Überschuldungsproblematik. Dennoch wird sie sich am Ende durchsetzen.

Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte der letzten 300 Jahre, dass wir einen solchen Wandel durchlaufen. Schon Joseph Schumpeter sprach mit Blick auf die Forschungen seines russischen Kollegen Nikolai Kondratieff von langen Wellen der Konjunktur, die von grundlegenden Innovationen ausgelöst werden. Zunächst gibt es in der Zeit des Umbruchs von alter zu neuer Technologie eine Phase ökonomischer Stagnation mit Krisen, bevor sich die neuen Industrien durchsetzen und einen jahrzehntelangen Aufschwung begründen. So könnte es auch diesmal sein.

Gesellschaftliche Implikationen

Die Folgen dieses Wandels sind nicht nur für Unternehmen dramatisch, sondern für die Gesellschaft. Alleine in den USA haben seit dem Jahr 2000 27 Prozent der Beschäftigten im stationären Einzelhandel ihren Job verloren mehr als jeder Vierte. Einige werden neue Arbeit in der Logistik gefunden haben, in Summe dürfte der Handel on- und offline jedoch Stellen abgebaut haben.

Diese Arbeitsplätze waren überwiegend für geringere Qualifikationsniveaus. In Zukunft müssen auch besser Qualifizierte um ihren Job bangen. Studien zeigen eine erhebliche Substitutionsgefahr für praktisch alle Berufe. Damit unterscheidet sich die heutige Entwicklung deutlich von den früheren Phasen. Erstmals könnte es so sein, dass die neuen Industrien nicht genug neue Arbeitsplätze schaffen, um den Wegfall der alten zu kompensieren.

Sich deshalb gegen die Entwicklung zu stemmen Beispiel “Robotersteuer” ist nicht nur sinnlos, sondern dumm. Gerade wir Deutschen sollten angesichts unserer demografischen Entwicklung voll auf die neue Technik setzen.

Dennoch ist absehbar, dass die sozialen Konflikte in den kommenden Jahren deutlich zunehmen. Ein immer größerer Teil der Gesellschaft lässt sich nicht mehr in den Arbeitsmarkt integrieren. Schon seit Jahren sinkt der Anteil der Löhne am Volkseinkommen relativ zu den Kapitaleinkommen und liegt in den Industrieländern auf dem tiefsten Stand seit 50 Jahren.

Die Systeme der Alterssicherung kommen bei weiter steigender Lebenserwartung zusätzlich unter Druck. Die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen nimmt deutlich zu. Eine Gemengelage, die vermeintlich einfache Lösungen attraktiv erscheinen lässt und Protektionismus und Umverteilung fördert.

Besser zu früh

Für die Geldanlage sind die Konsequenzen dieser Überlegungen leider nicht eindeutig. Wie immer in solchen Umbruchsphasen gehört eine gute Portion Glück dazu, auf das richtige Pferd zu setzen. So rechnet McKinsey vor, dass zehn Prozent der Unternehmen für 80 Prozent der Gewinne stehen. Dominiert von Firmen wie Apple, Amazon, Facebook und Google. Und es sind genau diese Unternehmen, die an der Front der Entwicklung stehen, vorhandene Arbeitsplätze überflüssig zu machen, ohne auch nur ansatzweise ebenso viele neue Jobs zu schaffen.

Umgekehrt können Industrien, die vor dem Niedergang stehen zum Beispiel Öl noch lange Zeit gute Erträge abwerfen und damit dem Investor Freude machen. Vor allem ist die Bewertung meist schon heute gedrückt, was eine gute Dividendenrendite verspricht. Allerdings nur bis zu dem Punkt, an dem der Markt kippt. Dann geht es meist schnell zu Ende. Ein Tanz auf dem Vulkan.

Ich persönlich reduziere meine Allokation in den gefährdeten Branchen und setze vor allem auf Regionen, die auf die Bewältigung des Wandels setzen und nicht auf die Bewahrung des Status quo, was zugegebenermaßen immer schwerer wird. Zugleich bleibe ich bei meiner Überzeugung, dass es besser ist, in Ländern zu investieren, die weniger auf Umverteilung und mehr auf die Schaffung von Wohlstand setzen. Denn dort liegt die Zukunft.

→ WiWo.de: „Erst Krisen, dann Jahrzehnte des Aufschwungs“, 27. April 2017