“Warum das mit der Inflation nicht so einfach ist”

Dieser Kommentar von mir erschien bei der WirtschaftsWoche Online:

Der Kampf zwischen deflationären und inflationären Tendenzen dauert an. Ende offen.

Ich freue mich immer über Feedback der Leser, egal, ob sie zustimmen oder Kritik üben. Mein Kommentar von der letzten Woche zu den Überlegungen einer Sondersteuer auf Immobilien hat erhebliche Resonanz gefunden, auch kritische:

Ihrem jüngsten Beitrag in der WiWo kann ich leider nicht folgen (…) Auch Ihre Homepage macht da zu diesem Thema keinen sonderlich glücklichen Eindruck: Links der Verweis auf die WiWo mit dem Damoklesschwert der Enteignung, weil das mit der Inflation irgendwie nicht so klappen will, rechts der kommentierte Artikel, dass wie in den frühen 60ern Inflation droht also was jetzt? Ich schätze Ihre Artikel sonst eigentlich als gut und mit gewissem Tiefgang versehen ein, aber diese Nicht-Haltung zum Thema Inflation ist für mich das Standard-Gewäsch von sogenannten Makro-Experten, die schon immer auf jede Richtung und Entwicklung hingewiesen haben und stets sagen können: Habe ich schon vor 2 Jahren geschrieben es wird schwierig! Fazit: Wieder mal ein insgesamt sehr schwacher Artikel ohne Tiefgang. Für einen Schreiberling, der Unternehmen berät, angeblich strategisch und “beyond the obvious” denkt, ist mir das persönlich zu wenig Substanz.“

Auf seinem eigenen Blog erläutert der Kritiker zudem, dass es gar keiner Inflation bedürfe, um die Schulden zu entwerten, da dies über negative Realzinsen ohnehin passieren würde, eine Option die ich bei meiner Aufzählung der Möglichkeiten, die Schuldenlast zu reduzieren vergessen hätte. Schließlich würde Deutschland gerade zeigen, wie der negative Realzins die Schuldenquote des Staates senkt.

Finanzielle Repression als fünfter Weg?

Zur Erinnerung: In der vergangenen Woche habe ich den ehemaligen Chefökonomen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich William White zitiert. Er sieht vier Wege zur Verringerung der zu hohen Schuldenlast:

  • Sparen und Zurückzahlen: geht nicht, wegen negativer Wirkungen auf Wirtschaftswachstum und politische Stabilität.
  • Höheres Wirtschaftswachstum: wäre theoretisch möglich, setzt aber Reformen voraus, die unpopulär und damit schwer durchzusetzen sind. Hinzu kommen die Gegenwinde aus der Schuldenlast selbst, der demografischen Entwicklung und den geringen Produktivitätszuwächsen.
  • Schuldenschnitte: ebenfalls theoretisch möglich, aber politisch unpopulär. Man vergleiche hier übrigens die US-Haltung im Falle Puerto Ricos (richtig!) mit der Konkursvertuschung im Falle Griechenlands im Euroraum (falsch!).
  • Höhere Inflation: probates Mittel in der Vergangenheit und auch diesmal die bevorzugte Lösung.

Den Notenbanken ist es trotz aller Bemühungen nicht gelungen, die Inflationsraten nach oben zu treiben. Eine Studie der Deutschen Bank zeigt zudem, dass sich die Inflationsraten im Schnitt der letzten 20 Jahre befinden und die Phase der Hochinflation in den 1960er- und 1970er-Jahren eher eine Ausnahme ist. Aus diesem Grund halte ich es für nicht überraschend, dass andere Optionen zur Verringerung der hohen Schuldenlast in die Diskussion eingeführt werden, namentlich die Idee einer Sonderabgabe auf Immobilien, wie letzte Woche berichtet.

Gibt es noch einen weiteren Weg, die Schuldenlast relativ zum Bruttoinlandsprodukt zu senken, nämlich die schleichende Enteignung durch negative Realzinsen? Ja, den gibt es. Genauer gesagt sind es nicht negative Realzinsen, sondern Nominalzinsen, die unter der nominalen Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes liegen. In diesem Fall wächst der Nenner (das BIP) schneller als der Zähler (die Schulden) unter der Annahme, dass der Schuldner nicht zu viele zusätzliche Schulden macht. Genau betrachtet, handelt es sich um einen Unterpunkt des Wachstumsarguments von William White. Gelingt es uns das Nominalwachstum der Wirtschaft zu steigern – und Mangels realem Wachstum sind wir dann wieder bei der Inflation – oder die Nominalzinsen deutlich unter das Wachstum zu drücken, sinkt die Schuldenquote, vorausgesetzt der Schuldner macht nicht zu viele neue Schulden.

Entscheidend ist hierbei die Wachstumsrate. Natürlich können die Notenbanken die Zinsen auf und teilweise unter null treiben, doch dies genügt nicht immer. In Deutschland haben die Negativzinsen sicherlich bei der Erreichung der „schwarzen Null“ die entscheidende Rolle gespielt. Viel wichtiger zur Reduktion der offiziell ausgewiesenen Schuldenquote war jedoch das gute Wirtschaftswachstum. Der Nenner wuchs einfach schneller. Zur Erinnerung: Bei sauberer Rechnung haben sich die Schulden Deutschlands weiter erhöht und liegen oberhalb jener Italiens.

Gegenbeispiel ist Italien, wo trotz tiefer Zinsen und einem erheblichen Primärüberschuss im Haushalt (das ist das Defizit vor Zinszahlungen, was im Falle Italiens bedeutet, dass ein Teil der Zinsen aus Steuern und nicht aus neuen Schulden bezahlt wird) die Staatsschuldenquote in den letzten Jahren weiter stieg. Es fehlte einfach das Wachstum!

Gelänge es, die Nominalzinsen dauerhaft unter das Nominalwachstum zu drücken – und nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es dank hoher Wachstumsraten leicht – wäre in der Tat eine Entschuldung über Zeit möglich. Das ist aber unwahrscheinlich, denn:

Das gewichtigste Gegenargument ist jedoch ein anderes. Die Voraussetzung erfolgreicher Entschuldung durch Repression ist, dass die Schuldner sich mit Neuverschuldung zurückhalten. Dies ist aber nicht der Fall – Deutschland ist die Ausnahme nicht die Regel! –, wie man an der weltweit weiter steigenden Verschuldung sehen kann. Seit 2007 ist diese um 50 Prozent vom Welt-BIP gestiegen. Trotz – oder besser wegen! – der tiefen Zinsen!

Was passiert ist Folgendes: Während die Notenbanken immer mehr Beton in das Fundament unseres Schuldenturmes pumpen (Nullzins), leiten wir fröhlich einen Teil des Baustoffes um und bauen weitere Stockwerke oben drauf.

Nur Optimisten können annehmen, dass dies ewig so weitergeht. Entweder es gelingt die Monetarisierung über die Notenbankbilanz oder es kommt zuvor zu politischen Unfällen – wie beispielsweise einem Euroaustritt verbunden mit Staatsbankrott in Italien.

Inflation – was denn nun?

Nun zum anderen Kritikpunkt, der „Nicht-Haltung“ zum Thema Inflation. Vermisst wird, dass ich nicht eindeutig sage, ob, wann und wie hoch die Inflation in den kommenden Jahren zurückkehrt. Bisher habe ich in meinen Beiträgen immer davor gewarnt, alleinig auf das inflationäre Szenario zu setzen. So unter anderem in: „Inflation – kein Selbstmord aus Angst vor dem Tod“.

Dies liegt daran, dass wir es weltweit mit sehr gegenläufigen Tendenzen zu tun haben. Deflationär wirken tendenziell:

  • die demografische Entwicklung in der westlichen Welt: Eine alternde Gesellschaft geht empirisch mit tieferen Wachstumsraten und Inflation einher. (Wobei auch dies nicht auf Dauer gelten muss, wie hier schon diskutiert.)
  • die Globalisierung der Märkte: mit einem erheblichen weltweiten Arbeitskräfteangebot, das den Lohndruck (vorerst) mindert.
  • der technologische Fortschritt: der ganze Industrien obsolet macht und den Lohndruck zusätzlich erhöhen wird.
  • die erheblichen Überkapazitäten in einigen Industrien: die zudem vom billigen Geld der Notenbanken am Leben erhalten werden („Zombies“).
  • und letztlich auch die Schuldenlast selber: Mag diese zwar dank tiefer Zinsen tragbar sein, begrenzt sie dennoch die wirtschaftliche Aktivität.

Dem gegenüber haben wir inflationäre Tendenzen, vor allem:

  • die anhaltende Ausweitung der Zentralbankgeldmenge: die sich bisher noch nicht in ausreichendem Wachstum der breiteren Geldmengen niederschlägt (aufgrund der oben genannten Faktoren).
  • perspektivische Verknappung von Rohstoffen: wegen unzureichender Investitionen in neue Förderung (Öl).
  • die zunehmende Rückkehr der westlichen Volkswirtschaften zu normaler Kapazitätsauslastung.

Entscheidend dürfte sein, dass – sollte es wirklich zu einem Anstieg der Inflation kommen – die Notenbanken nur verzögert mit höheren Zinsen reagieren können, weil sie sonst einen Crash an den Assetmärkten und eine neue Schuldenkrise riskieren. Bleiben die Zinsen jedoch offensichtlich und deutlich zu tief, dürfte das zu einem Anstieg der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes führen. Letztere ist seit der Krise 2009 deutlich gesunken. Steigt die Umlaufgeschwindigkeit, vor allem wegen eines Vertrauensverlustes der Geldbesitzer, wäre eine deutliche Inflation unvermeidbar. Ich spreche deshalb gerne von Ketchup-Inflation. Lange kommt nichts, doch wenn es kommt, ist es kein kleiner Tropfen.

Ich bleibe bei der Empfehlung auf beides zu setzen

Die entscheidenden Fragen sind also: Sehen wir einen Anstieg der Umlaufgeschwindigkeit und glauben wir den Beteuerungen der Notenbanken, etwas gegen die Inflation zu tun? Die zweite Frage ist aus meiner Sicht mit einem klaren „Nein“ zu beantworten. Die erste Frage ist zurzeit auch mit „Nein“ zu beantworten. Die Antwort kann sich allerdings rasch ändern. Insofern bleibe ich bei meiner Empfehlung, vorsichtig zu agieren.

Erst letzte Woche hat die Bank of America daran erinnert, dass Deflations-Assets schon seit Jahren deutlich besser an den Märkten abschneiden als Inflations-Assets. Wir hatten das bereits im Juli an dieser Stelle diskutiert. Sollte es zu einem erneuten Zinsrückgang kommen, beispielsweise ausgelöst durch eine Rezession in den USA, würden „Deflationsassets“ (definiert als US-Staatsanleihen, hochverzinsliche Unternehmensanleihen, US-Aktien, vor allem Industriegüter und Konsumgüter und sogenannte Wachstumsaktien) nochmals deutlich zulegen. Die bestehenden Überbewertungen würden weiter zunehmen.

Damit aber auch die Fallhöhe für einen künftigen Crash. Ähnlich wie die Schulden können sich Vermögenswerte nicht ewig von der Realwirtschaft entfernen. Kommt es zu einem externen Schock oder allen Bemühungen der Notenbanken zum Trotz zu einem Zinsanstieg, ist ein deutlicher Einbruch denkbar.

Ob und wann es dazu kommt, ist völlig offen. Genauso offen wie das Ende des Kampfes zwischen deflationären und inflationären Kräften. Wer da vorgibt, ganz genau zu wissen, wie es kommt, ist ein Scharlatan.

→ WiWo.de: “Warum das mit der Inflation nicht so einfach ist”, 26. Oktober 2017