“Volksfront gegen den Euro”

Der folgende Kommentar erschien bei Cicero online. Es geht darin um die französischen Präsidentschaftswahlen und die zunehmenden Anti-EU- und Anti-Euro-Tendenzen, nicht nur in Frankreich.

Bevor ich auf das Thema vertieft eingehe, dieser Hinweis zu den letzten Umfragen und den wahrscheinlichen Ergebnissen (via FT). Zunächst die Umfragen: Es sieht nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen aus, in dem vier Kandidaten eine realistische Chance haben, in die Runde der letzten Zwei zu kommen:

Quelle: FT

Aus dieser, so die Hoffnung der Wahlbeobachter, dürften mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gemäßigte Kandidaten als Sieger hervorgehen:

 

 Quelle: FT

Sorge bereitet das Szenario einer Stichwahl zwischen Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon, aus dem nur ein radikaler Eurogegner als Sieger hervorgehen kann, sind doch beide Kandidaten stramm Anti-EU und Anti-Euro. Die Wahrscheinlichkeit ist gering. Dennoch.

Hier nun der Beitrag im Cicero:

Ein Wahlsieg der rechtsextremen Marine Le Pen hätte fatale Folgen für die EU und den Euro. Genauso aber wäre es wohl beim linken Kandidaten Jean-Luc Mélenchon. Je länger die Probleme Europas andauern, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich rechte und linke Kräfte zusammentun.

Noch ist es nicht soweit, dass sich, wie in den dreißiger Jahren, linke und rechte Radikale zusammentun, um gegen das „Establishment“ zu kämpfen. Doch die französischen Präsidentschaftswahlen, die am kommenden Sonntag in die erste Runde gehen, werfen ein weiteres Schlaglicht auf eine Entwicklung, die auch in anderen Ländern Europas stattfindet. Rechte wie linke Politiker erklären die EU und vor allem den Euro als Ursache allen Übels. Sie versprechen entweder eine Änderung der Politik aus Brüssel und dem als Hauptschuldigen angesehenen Berlin oder aber den Austritt aus EU und Euro.

Die jüngsten Umfragen aus Frankreich haben an den Finanzmärkten zu deutlichen Ausschlägen geführt. Der Zinsaufschlag für französische Staatsanleihen gegenüber den deutschen hat sich wieder erhöht, an der französischen Börse kamen die Aktien unter Druck. Dies liegt nicht nur an den nach wie vor guten Umfragewerten für Marine Le Pen vom Front National, sondern auch an der fulminanten Aufholjagd von Jean-Luc Mélenchon, einem strammen antideutschen Kommunisten, der Venezuela als Vorbild sieht. Er will den Spitzensteuersatz ab einem Einkommen von 400.000 Euro auf 90 Prozent anheben, ein massives Konjunkturprogramm auflegen und Staatsdefizite zukünftig direkt von der Europäischen Zentralbank (EZB) finanzieren lassen. Sollte sich die EU und vor allem Deutschland diesem Ansinnen verwehren, würde er einen Austritt Frankreichs aus EU und Euro betreiben.

Von diesem Programm sind die Forderungen Marine Le Pens nicht weit entfernt. Wie Mélenchon sieht auch sie die Zukunft Frankreichs in mehr Staatsausgaben, einer direkten Finanzierung durch die Notenbank und mehr Protektionismus. Gemeinsam ist beiden eine antideutsche und antiamerikanische Haltung.

Eurokritiker liegen zusammen bei 41 Prozent

Nun könnte man sich beruhigt zurücklehnen und sagen, dass ein Wahlsieg dieser beiden Extremkandidaten sehr unwahrscheinlich ist. Doch so unwahrscheinlich ist er nach jüngsten Umfragen nicht. Danach liegt der unabhängige und pro-europäische Kandidat Emmanuel Macron bei 24 Prozent, Marine Le Pen bei 22, der konservative Kandidat François Fillon (trotz einiger Skandale) bei 20 und Jean-Luc Mélenchon bei beachtlichen 19 Prozent. Benoit Hamon, der ebenfalls europaskeptische Kandidat der Sozialisten, liegt chancenlos unter 10 Prozent. Doch nicht erst seit Brexit und Trump wissen wir, dass es durchaus Überraschungen geben kann.

Der Alptraum der Europäer wäre ein Wahlsieg Marine Le Pens, doch hätte ein Sieg Jean-Luc Mélenchons die gleichen katastrophalen Folgen für EU und Euro. Gelingt es nur einem von beiden, in die Stichwahl zu kommen, wird am Ende ein gemäßigter Kandidat – aller Wahrscheinlichkeit nach Macron – gewinnen. Sollten beide in die Stichwahl kommen, gilt Jean-Luc Mélenchon als sicherer Sieger.

Ein Sieg Macrons würde in den Hauptstädten Europas und an den Börsen Erleichterung auslösen – zu Unrecht. Zwar wäre die unmittelbare Gefahr für das europäische Projekt abgewendet. Angesichts von fast 50 Prozent Franzosen, die eine Anti-EU- und Anti-Euro Haltung unterstützen, dürfte es dem parteilosen Macron aber sehr schwer fallen, in dem ohnehin reformunfähigen Land die erforderlichen Schritte durchzusetzen. Viel wahrscheinlicher sind fünf weitere Jahre ohne großen Fortschritt an deren Ende die Wahlchancen der Extremen noch höher liegen als heute.

Der Gau für die Weltfinanzmärkte

Sollte sich am 23. April sogar ein Wahlsieg von Marine Le Pen oder Jean-Luc Mélenchon abzeichnen, dürfte es bereits in der Nacht an den Finanzmärkten hoch hergehen. In einer aktuellen Studie greift die Deutsche Bank das Thema auf und analysiert die Folgen eines ungeordneten Verfalls der Eurozone auf Wachstum, Wechselkurse und das weltweite Finanzsystem. Müßig zu sagen, dass sich die Finanzkrise von 2009 verglichen mit diesem Szenario wie ein Kindergeburtstag anfühlt. Es wäre der Gau für die Weltfinanzmärkte und damit auch für die Weltwirtschaft, weshalb es umso sträflicher ist, dass unsere Politiker es in den vergangenen Jahren versäumt haben, die Eurozone wirklich zu sanieren.

Konkret erwarten die Analysten der Bank eine Abwertung des Euro beziehungsweise seiner Nachfolgewährungen von im Schnitt 40 Prozent gegenüber dem US-Dollar. Dies, obwohl der Euro schon heute gegenüber dem Dollar unterbewertet ist. Auch eine neue D-Mark käme unter Druck als Folge der tiefen Rezession und der heftigen Vermögensverluste, die Deutschland in diesem Szenario realisieren würde. Ich schreibe bewusst „realisieren“, weil die Verluste so oder so schon eingetreten wären und wir nur noch vor der Wahl stünden, wie diese realisiert würden. Der chaotische Zerfall des Euro im Unterschied zu einem geordneten Prozess wäre das Szenario mit den größten Verlusten.

Die Kapitalmärkte würden diese Entwicklung bereits vorwegnehmen, sobald sich der Wahlsieg eines der Extremkandidaten abzeichnet. Für den Fall eines Sieges von Marine Le Pen erwartet die Deutsche Bank einen Sturz des Euro um 25 Prozent. Siegt Jean-Luc Mélenchon, dürfte es nicht anders sein. Es käme zu einer massiven Kapitalflucht aus Frankreich. Das Bankensystem könnte nur durch Notkredite der EZB stabilisiert werden. Die Target II-Forderungen der Bundesbank, ohnehin wegen der bereits laufenden Kapitalflucht vor allem aus Italien auf einem Rekordniveau von 830 Milliarden Euro, würden innerhalb weniger Tage die 1000-Milliarden-Grenze überschreiten. Nur durch sofortige Kapitalverkehrskontrollen ließe sich die Kernschmelze des Finanzsystems stoppen. Damit aber wäre die Eurozone faktisch am Ende.

Italien ist weiter

Noch können wir hoffen, dass es bei diesem Szenario bleibt. Doch je länger die Probleme Europas – geringes Wachstum, hohe und weiter ansteigende Verschuldung, demografischer Wandel, ungelöste Migrationskrise – andauern, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich rechte und linke Kräfte zusammentun.

Denn nicht nur in Frankreich ist die Linke euroskeptisch. Auch in Italien wirbt die Opposition praktisch geschlossen für einen Euro-Austritt. Der 5-Sterne-Bewegung wird in einigen Umfragen die Mehrheit der Sitze bei den kommenden Wahlen vorhergesagt. Sollte sie diese verfehlen, steht mit der rechten Liga Nord ein ebenso eurokritischer Koalitionspartner bereit. Linke und Rechte würden dann gemeinsam gegen das europäische Projekt vorgehen.

Die Italiener sind weiter als Franzosen und Deutsche. Während in Italien der ehemalige stellvertretende Finanzminister und Mitglied der Partei von Ministerpräsident Matteo Renzi, Stefano Fassina, fordert, „mit unabhängigen Kräften auf der demokratischen Rechten“ zusammenzuarbeiten, sind in Frankreich die Lager noch zu verfeindet. In Deutschland ist die Linke noch nicht so weit, sich vom Euro zu distanzieren. Nur die Bundestags-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht hat sich bisher deutlich kritisch zum Euro geäußert. Je unwahrscheinlicher der große europäische Umverteilungsstaat aber wird, wie die Linke ihn sich wünscht, desto weniger lohnt es sich aus ihrer Sicht, am Euro festzuhalten.

Bunkermentalität des Establishments

Das Problem ist dabei offensichtlich: Die etablierten Parteien haben in allen Ländern die Einführung des Euro gegen die ausdrücklichen und begründeten Mahnungen der Ökonomen durchgedrückt. Jetzt, wo die Währungsunion für jedermann offensichtlich nicht funktioniert, und statt des versprochenen Wohlstands anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und Rezession in den Krisenländern vorherrschen, können sie nicht zugeben, den größten ökonomischen Fehler der Nachkriegszeit begangen zu haben. Es entsteht eine Art Bunkermentalität, in der man sich mit Mühe von Krise zu Krise hangelt und auf ein Wunder hofft. Doch das wird nicht kommen. Zwar mag die EZB noch den einen oder anderen Trick aus dem Hut zaubern. Schulden aus der Welt schaffen und Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen, kann sie jedoch nicht.

Damit ist es nur die Frage wann, nicht ob es zu einem Wahlsieg erklärter Eurogegner in einem wichtigen Mitgliedsland kommt. In Frankreich dürfte es noch nicht soweit sein. Italien bleibt Kandidat Nummer 1.

→  Cicero.de: “Volksfront gegen den Euro”, 19. April 2017