Uns steht noch sehr viel Geld­ent­wertung be­vor

Wir stecken in der Falle. Jahrzehnte des billigen Geldes haben die Verschuldung auf allen Ebenen auf historisch einmalige Werte getrieben. Nach Daten des Institute of International Finance erreichte die Verschuldung von Staaten, Finanzunternehmen, sonstigen Unternehmen und privaten Haushalten in den Industrieländern in den ersten Monaten dieses Jahres neue Höchststände. Des einen Schulden sind des anderen Vermögen, weshalb einige Kommentatoren die Auffassung vertreten, dass die Schulden kein Problem sind.

Wie im Jenga-Spiel haben wir einen hohen Turm mit immer wackeligerem Fundament gebaut. Unternehmen haben die Eigenkapitalrendite durch den Einsatz von Fremdkapital gesteigert. Investoren sind angesichts geringer Zinsen größere Risiken eingegangen, haben immer mehr Geld in illiquide Anlagen wie Private Equity – direkte Unternehmensbeteiligungen – gesteckt und dafür Schulden gemacht, um die Rendite zu steigern.

Der Finanzsektor hat ebenfalls auf Schulden gesetzt, um die erhofften Renditen zu erwirtschaften. Das geht von Private Equity über Hedgefonds bis zu Pensionsfonds – oft verpackt in wenig transparenten Finanzinstrumenten. Die dazu erforderlichen Sicherheiten, überwiegend US-Staatsanleihen, werden nicht selten mehrmals verpfändet.

In der Theorie mag sich das alles geordnet rückabwickeln lassen, in der Praxis nicht. Wie gefährlich die Situation ist, konnte man beobachten, als der rasche Zinsanstieg britische Pensionsfonds unter Druck setzte, die zur Steigerung der Rendite auf Derivate und damit faktisch Schulden gesetzt hatten.

Es spielt keine Rolle, wo die Probleme zuerst auftreten: ob bei den Unternehmen, die zu hohe Schulden in guten Zeiten gemacht haben, ob in einigen zu hoch bewerteten Immobilienmärkten oder bei Investoren, die nach dem Zinsanstieg auf großen Verlusten im Anleiheportfolio sitzen.

Zu niedrige Zinsen führen zur Krise

Keines dieser Risiken muss zwangsläufig wieder eine Finanzkrise auslösen. Dazu braucht es wie 2009 einer Kettenreaktion. Damals waren es die weltweit gehaltenen Hypothekenpapiere, diesmal könnte es das gesunkene Angebot von hochwertigen Sicherheiten sein. Das Bankensystem steht solider da als vor zehn Jahren, der Markt der Schattenbanken dagegen hat sich gefährlich aufgebläht.

Walter Bagehot, der legendäre Herausgeber der britischen Wochenzeitung „The Economist“, stellte vor gut 150 Jahren fest, dass zu niedrige Zinsen zu Spekulation, Fehlinvestitionen, übermäßigem Konsum und damit zur Krise führen. Er meinte auch, dass die Notenbank im Falle einer Krise die Pflicht habe zu helfen – aber nur solventen Häusern, gegen hohe Zinsen und nur für kurze Zeit.

Diese Grundsätze galten bis zur Euro- und Finanzkrise. Seither wurden niedrige Zinsen und Wertpapierkäufe der Notenbanken zur Dauereinrichtung, und es ist angebracht, die Solvenz einiger auch staatlicher Schuldner zu bezweifeln.

Der Schuldenturm wurde immer höher und wackeliger und würde keinen starken Anstieg der Zinsen verkraften, schon gar nicht auf ein Niveau wie Ende der 1970er-Jahre. Dies erklärt die Erleichterung der Finanzmärkte über geringer als erwartet ausgefallene Inflationsraten in den USA, die ein baldiges Ende der Zinserhöhungen möglich erscheinen lassen.

Die Notenbanken und Staaten werden alles daransetzen, das Zinsniveau zu deckeln. Die hochverschuldeten Staaten verkraften keine höheren Zinsen und die Notenbanken müssten erhebliche Verluste auf ihren massiv angewachsenen Anleihebestand hinnehmen. Die niederländische Notenbank warnte bereits, dass ein staatlicher Zuschuss erforderlich werden könnte, um die Verluste zu decken.

→ handelsblatt.com:”Uns steht noch sehr viel Geldentwertung bevor, 20. November 2022″