Deutschland braucht drin­gend eine Strategie für die deglo­balisierte Welt­wirtschaft

Finanzkrise, Euro-Krise, Corona-Schock – bei den vergangenen Krisen hat die Politik immer auf dieselbe Art und Weise reagiert: Das staatliche Füllhorn wurde geöffnet. Getreu dem Motto: „Ein reiches Land wie Deutschland kann sich das leisten“, wurden die Probleme mit Transfers und billigem Geld der Europäischen Zentralbank (EZB) vordergründig gelöst. Der Schaden dieser Vorgehensweise ist erheblich.

Noch immer lasten Euro- und Finanzkrise auf Europas Wirtschaft, aber das ist nicht alles. Die EZB schätzt den Anteil der Unternehmen, die nur noch dank billigen Geldes existieren, in der Euro-Zone auf 3,4 Prozent.

Die fehlende Bereinigung hat eine Zombifizierung der Wirtschaft befördert und die Vermögensungleichheit befeuert. Schlimmer noch: Sie hat unsere Politiker gelehrt, dass es nur staatlicher Transfers bedarf, um die Situation zu beruhigen. Diese Vorgehensweise war schon in der Vergangenheit falsch, mit Blick auf die Zeitenwende gefährdet sie die Zukunft Deutschlands.

Bisher profitierte die deutsche Wirtschaft von einem einmalig guten Umfeld: gesicherter und günstiger Zugang zu Energie und Rohstoffen, global offene Märkte, Nachfrage nach Maschinen und Anlagen zur Industrialisierung und nach Automobilen made in Germany als Statussymbol.

Die demografische Entwicklung dämpfte Lohndruck, Inflation und Zinsen und die Politik der EZB schwächte den Euro, was den Export zusätzlich befeuerte. Kein Wunder, dass die Exportquote seit 1999 um gut 50 Prozent gestiegen ist. Zeitgleich beschränkte sich die Politik auf die Verteilung des Wohlstands und unterließ dringend nötige Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und Bildung.

Ukrainekrieg erzeugt Trendwende

Der Krieg in der Ukraine führt eine Trendwende herbei, die sich seit Jahren abgezeichnet hat. Die Coronakrise und die sich andeutende Spaltung der Welt münden in eine Phase der Deglobalisierung und der Reregionalisierung der Produktion.

Die Erwerbsbevölkerung schrumpft, was die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer stärkt und inflationäre Tendenzen befördert. Rohstoffe und Energie stehen vor einem Super-Zyklus, getrieben nicht zuletzt von den Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels. Die Bedrohung für den industriellen Kern Deutschlands und damit die Basis unseres Wohlstands ist massiv.

Sind Unternehmen erst einmal aus dem Markt ausgeschieden oder abgewandert, dürften Arbeitsplätze und Wertschöpfung dauerhaft für den Standort verloren sein. Staatliche Transfers können diesen Verlust nicht ausgleichen, sondern schwächen den Standort zusätzlich.

Statt wie in den vergangenen 20 Jahren auf die Wirkung von viel Steuergeld zu setzen, brauchen wir dringend eine wirtschaftspolitische Strategie. Bestand bei der Energiewende noch die Hoffnung, dass der Wirtschaft die Zeit zur Anpassung genügt, wissen wir nun, dass wir diese Zeit nicht mehr haben.

handelsblatt.com: “Deutschland braucht dringend eine Strategie für die deglobalisierte Weltwirtschaft”, 8. April 2022