“Sparen ohne anzukommen – Das Schrumpfen der Mittelschicht”

Folgender Beitrag von mir erschien bei Der Privatinvestor. Es ist ein Auszug aus meinem neuen Buch: Das Märchen vom reichen Land:

Im Frühjahr 2016 berichteten die Medien lautstark über eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), wonach die Mittelschicht hierzulande besonders stark schrumpft. Zwar musste das DIW kurz darauf eingestehen, (erneut) Daten in die gewünschte Richtung verfälscht zu haben, doch die Nachricht war in der Welt.

In der Tat ist es vor allem die Mittelschicht, die die Folgen der Globalisierung mit voller Wucht zu spüren bekommt. Arbeitsplätze, die als sicher galten, erweisen sich plötzlich als gar nicht mehr so sicher. Neue Wettbewerber aus anderen Teilen der Welt sind nicht nur günstiger, sondern können auch technisch immer mehr mit uns mithalten. Die richtige Reaktion wäre – nicht nur in Deutschland, sondern in allen Industrieländern der westlichen Welt – eine Innovations- und Bildungsinitiative. Stattdessen haben wir uns damit abgefunden, dass die Löhne stagnieren oder sinken. In Deutschland wurde das durch die Einführung des Euro zunächst verstärkt. Um die Wettbewerbsfähigkeit nach der Euroeinführung wiederherzustellen, haben wir Lohnzurückhaltung geübt und Arbeitsmarktreformen – Hartz-Gesetze – durchgeführt. Statt „work smarter, not harder“ haben wir uns darauf versteift, billiger zu sein. So sind wir Exportweltmeister geworden.

Der Rückgang der Einkommen war explizit gewollt, um internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erlangen und die Arbeitslosigkeit zu senken. Ich finde nach wie vor, dass es besser ist, einen schlecht bezahlten Job zu haben als gar keinen. Doch sollte niemand, der jahrelang die Politik verfolgt, über Lohnanpassung die Arbeitslosigkeit zu senken, anschließend bedauern, dass die Löhne tatsächlich gesunken sind.

Die Hauptursache für den bedauerten Rückgang der Mittelschicht dürfte jedoch im überproportionalen Anwachsen der unteren Einkommens- und Vermögensschichten liegen. Ein einfaches Rechenbeispiel illustriert das sehr gut. Gehen wir von einer Bevölkerung von 80 Millionen im Jahr 2000 aus und nehmen eine Verteilung 10/40/50 – auf die Oberschicht 10 Prozent, die Mittelschicht 40 Prozent und die ärmere Bevölkerungshälfte 50 Prozent – an. Kommt es aufgrund der demografischen Entwicklung und der Abwanderung zu einem Rückgang der Bevölkerung um 15 Prozent, der ausschließlich durch ein Anwachsen in den unteren Einkommensregionen kompensiert wird, sinkt der Anteil der Mittelschicht von ehemals 40 auf nur noch 34 Prozent (ein Rückgang um 15 Prozent wäre dann die Schlagzeile!). Obwohl wir eine unveränderte Bevölkerungszahl haben, ist der Mix ein deutlich anderer.

Das starke Anwachsen des Anteils der unteren Einkommensgruppen als Folge von Zuwanderung und Abwanderung ist folglich ein wesentlicher Grund für die Abnahme des Anteils der Mittelschicht. Ein Thema, das uns noch intensiver beschäftigen wird.

Nun könnten wir ja aus dem, was uns bleibt, mehr machen. Doch auch das gelingt nicht. Hauptursache dafür ist die Art und Weise, wie wir unser Geld anlegen.

Aus einerseits missverstandener Fürsorge und um andererseits die Finanzierung des Staates zu sichern, hat unsere Politik über Jahrzehnte hinweg die falschen Anreize gesetzt. Anstatt einen großen Teil der Bevölkerung am Produktivvermögen zu beteiligen, wurde das Sparen in niedrig rentierlichen Anlagen von der Politik mit allen Mitteln gefördert. Sparbuch, Riester-Rente und Lebensversicherung dominieren das Vermögen der Deutschen.

Befragt, was sie mit 10.000 Euro machen würden, die sie auf Sicht von zehn Jahren anlegen sollten, antworteten die Teilnehmer einer repräsentativen Umfrage zu 33 Prozent, sie würden Gold kaufen. 29 Prozent würden es auf dem Bankkonto liegen lassen und nur 15 Prozent trauen sich an Aktien.

„Sicher“ soll es sein. Dabei ist das einzig „Sichere“ dabei der Verlust. Real – also nach Inflation gerechnet – ist mit dieser Form der Geldanlage kein Blumentopf zu gewinnen. Studien zum Ertrag verschiedener Anlageformen ergeben ein eindeutiges Bild. In „The rate of Return on Everything 1870–2015“ rechnet ein Team um den Bonner Ökonomen Moritz Schularick vor, wie viel man mit der Geldanlage in Anleihen, Aktien und Immobilien verdienen konnte und wie schlimm die zwischenzeitlichen Verluste im Zuge von Börsencrashs und Wirtschaftskrisen waren. Das Ergebnis ist eindeutig:

  • Der reale Ertrag von „sicheren“ Anlagen in Anleihen war im betrachteten Zeitraum gering. Staatsanleihen erbrachten im Durchschnitt 1 Prozent pro Jahr und Unternehmensanleihen 2,5 Prozent. Obwohl die Kursschwankungen geringer waren als bei Aktien und Immobilien, bot diese Anlageklasse keinen Schutz vor erheblichen Vermögensverlusten in Inflationszeiten und während der Kriege.
  • Demgegenüber liegt der langfristige Ertrag von „weniger sicheren” Anlagen in Immobilien und Aktien je nach Land bei 6 bis 8 Prozent pro Jahr. Ein sehr robuster und stabiler Ertrag, wie die Autoren festhalten. Die Preisschwankungen von Aktien waren dabei deutlich größer als von Immobilien, aber bei ausreichender Haltedauer ist man immer besser gefahren als mit den vermeintlich sicheren Anleihen.

Der Unterschied im Ergebnis ist erheblich. Legt man 1.000 Euro an und reinvestiert den jährlichen Ertrag, so hat man bei einer Anlage zu 1 Prozent Zins nach 30 Jahren ein Vermögen von 1.350 Euro. Legt man sein Geld zu 6 Prozent an, ein Vermögen von 5.743 Euro.

Wir lieben es, unser Geld ertragsarm anzulegen. So sind von 100 Euro Finanzvermögen 47 Euro auf dem Bankkonto geparkt, 24 in einer freiwilligen Pensionskasse oder Lebensversicherung, 9,70 Euro in Investmentfonds und nur 6,90 Euro in Aktien. Dabei muss man bedenken, dass Lebensversicherungen und Pensionsfonds von der staatlichen Aufsicht gezwungen werden, überwiegend in Anleihen zu investieren und damit geringe Erträge zu erwirtschaften. Hauptnutznießer sind die Staaten, die sich so eine stabile und günstige Finanzierung sichern.

Hinzu kommt, dass die Kosten der Geldanlage zu hoch sind. Die Bundesregierung unterstellt eine Verzinsung der Beiträge für die Riesterrente mit 4 Prozent jährlich, bei Kosten von 10 Prozent der eingezahlten Summe. In Wahrheit liegen die Kosten signifikant über diesen Werten, im Extremfall bei dem Fünffachen, wie eine Untersuchung der Verbraucherzentrale ergeben hat. In der Folge sinken die Erträge deutlich. Nicht besser sieht es bei den Lebensversicherungen aus. Allein im Jahre 2015 berechneten die Versicherungen den Kunden 7,2 Milliarden an Abschlusskosten für neue Verträge. Geld, welches in die Kassen der Unternehmen und an deren Aktionäre fließt und sich nicht für die Sparer verzinst. Und das seit Jahrzehnten.

privatinvestor.de: “Sparen ohne anzukommen – Das Schrumpfen der Mittelschicht”, 10. September 2018