So oder so nähern wir uns dem Ende des Euro

Dieser Beitrag erschien bei Cicero Online:

Das italienische Referendum am kommenden Sonntag wird von vielen zur Entscheidung über den Euro stilisiert. Dabei ist es völlig egal, wie die Italiener abstimmen. Der Euro ist kaum noch zu retten.

Das Gegenteil von „gut“ ist bekanntlich „gut gemeint“. So ist es auch beim Euro. Gedacht als Vehikel, um die europäische Einigung voranzutreiben, entpuppt er sich immer mehr als Spaltpilz, der nationalistische und populistische Strömungen befeuert. Wenn etwas verwundert, dann, dass der Euro die vergangenen acht Jahre überstanden hat. Zu verdanken ist das nicht dem beherzten Handeln unserer Politiker, sondern einzig und allein der Europäischen Zentralbank, die alle Grundsätze ordentlicher Geldpolitik über Bord geworfen hat, um den Euro und letztlich die eigene Existenz zu retten.

Die Eurokrise ist eine Schulden- und Wettbewerbsfähigkeitskrise. Private und Staaten haben die tiefen Zinsen im Zuge der Euroeinführung zu einer beispiellosen Verschuldung genutzt, und die Löhne stiegen im Zuge des Booms weit schneller als die Produktivität. Nun sind die Krisenländer in einer Dauerstagnation mit immer weiter steigenden Schulden gefangen.

Dauerhafte Krise in Italien

Das gilt auch für Italien: Das italienische Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt heute rund acht Prozent unter dem Niveau von 2008. Die Krise im Land dauert nun schon länger an als die Rezession in den 1930er-Jahren. Nimmt man die Zeit seit der Euroeinführung im Jahre 1999, ist das Land seither um sechs Prozent gewachsen. Zum Vergleich: Deutschland und Frankreich haben im selben Zeitraum um rund 25 Prozent zugelegt. Die Arbeitslosigkeit verbleibt auf einem hohen Niveau, ohne Aussicht auf Besserung. Dennoch sind die Lohnstückkosten seit der Euroeinführung deutlich stärker gewachsen als in Deutschland, was die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutlich gesenkt hat.

Folge der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung ist die Bankenkrise Italiens. Immer mehr Unternehmen und Bürger haben Schwierigkeiten ihren Verpflichtungen nachzukommen. Auf immerhin 360 Milliarden Euro (rund 20 Prozent des BIP) werden die faulen Forderungen der italienischen Banken geschätzt, mehr als die rund 250 Milliarden Eigenkapital der Banken. Kein Wunder, dass niemand mehr bereit ist, den Banken Geld zu leihen, aus Angst bei der Bereinigung der faulen Schulden gemäß den neuen europäischen Regelungen für die Bankenabwicklung zur Kasse gebeten zu werden.

Schulden wachsen stetig an

Zwar gehören die italienischen Privathaushalte zu den vermögendsten in Europa, deutlich vermögender beispielsweise als die deutschen. Der italienische Staat hingegen ist nach Griechenland und knapp gefolgt von Portugal der am höchsten verschuldete Staat in Europa. Obwohl der Staat einen Teil seiner Zinskosten aus Steuern bezahlt – also einen sogenannten Primärüberschuss von immerhin 1,4 Prozent des BIP erzielt – ist die Gesamtlast der Zinszahlungen mit 4 Prozent vom BIP immer noch so hoch, dass die Schulden relativ zur stagnierenden Wirtschaft immer mehr anwachsen.

Das italienische Bankensystem ist pleite und der Staat auch. Pleite in dem Sinne, dass es nach menschlichem Ermessen unmöglich ist, die Schulden zu bedienen. Wachstum kann man in Italien angesichts einer nun rasch schrumpfenden Erwerbsbevölkerung und chronisch schlechter Produktivitätsentwicklung nicht erwarten. Damit ist die Schuldenlast untragbar. Der Versuch, sie irgendwie zu stabilisieren, verstärkt die Krise nur noch.

Der Euro als Korsett

Aus den genannten Gründen ist Italien schon lange mein Favorit, wenn es um die Frage des ersten Landes geht, welches den Euro verlässt. Noch könnte Italien einen Rest seiner industriellen Basis retten und mit einer eigenen Währung wieder wettbewerbsfähig werden. Natürlich ist der Euro nicht alleine schuld an der Misere des Landes. Natürlich wäre die Einführung der Lira keine Lösung. Ein Aufschwung könnte es jedoch leichter machen, Reformen wirklich durchzuführen.

Was wirklich verwundert, ist, wie lange die Italiener bereit sind, das Korsett des Euro trotz der negativen Wirkungen zu ertragen. Oftmals hat es damit zu tun, dass sie wissen, dass die eigenen politischen Instanzen noch schlechter sind als die Beamten aus Brüssel. So hilft die Mitgliedschaft in der Währungsunion und in der EU, die eigene Politik zu disziplinieren.

Der bereits angesprochene Wohlstand der Privathaushalte dürfte ebenfalls dazu beigetragen haben, dass die Stimmung noch nicht gekippt ist. Nun droht sie, es zu tun. Selbst wenn das Referendum am Sonntag doch, wie von den Euro-Befürwortern erhofft, positiv ausgeht, ist das keine Entwarnung. So oder so ist es nur eine Frage des „Wann“ nicht des „Ob“ der Euro zerfällt.

Druck im politischen Kessel im höher

Im Falle eines negativen Votums könnte der Zerfallsprozess gar länger dauern. Angesichts der Sorge vor Bankpleiten als Folge der Abstimmung – die Financial Times spricht von immerhin acht Banken, denen dann lebenswichtige Finanzierung fehlen würde – dürften die EZB und die Politik alles tun, um eine Krise in Italien zu verhindern und die Stimmung vor einer dann absehbaren Neuwahl positiv zu beeinflussen. Mögliche Maßnahmen wären noch größere Interventionen der EZB. Sie könnte neben dem Kauf von Staatsanleihen auch den Banken faule Papiere abnehmen und europaweite Staatsausgabenprogramme initiieren.

Die deutsche Bundesregierung dürfte angesichts der eigenen Bankenprobleme und der bevorstehenden Bundestagswahl alles daransetzen, die Illusion der gelungenen Euro-„Rettung” aufrechtzuerhalten. Das mag bis in den nächsten Herbst gelingen. Doch mit einer echten Lösung der Probleme hat das nichts zu tun. Irgendwann wird es zu einem Austritt aus dem Euro kommen, einfach, weil der Druck im politischen Kessel zu hoch ist. Dann werden wir den Preis für die Konkursverschleppung unserer Politiker während der vergangenen sieben Jahre bezahlen müssen. Den Preis für ein politisches Projekt, dem von Anfang an der ökonomische Boden fehlte.

→ Cicero.de: “Wir nähern uns dem Ende des Euro”, 1. Dezember 2016