Scheinver­mögen und die Illusion des Vermögens­zuwachses

Gute Nachrichten: Laut Bundesbank konnten die Deutschen mehr Geld auf die Seite legen. Zwischen 2009 und 2022 wuchs das Vermögen der privaten Haushalte real um etwa 1,3 Prozent pro Quartal. Eine erfreuliche Entwicklung, liegen wir doch bei den Privatvermögen deutlich hinter Ländern wie Italien, Frankreich und Spanien.
Außerdem nahm der Bundesbank zufolge die Vermögensungleichheit ab. Haushalte, die weniger Geld hatten als der Durchschnitt, sparten mehr. Damit verringerte sich der Abstand zwischen ärmeren und reicheren Haushalten in Deutschland.
Wer überdurchschnittlich viel Vermögen besaß, der konnte vor allem von gestiegenen Immobilienpreisen profitieren. Im vergangenen Jahrzehnt stiegen die Immobilienpreise in Deutschland stark an. Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank machte es für viele Investoren attraktiv, einen Kredit für den Hauskauf aufzunehmen.

Angesichts leerer Staatskassen dürften Rufe zunehmen, Vermögen höher zu besteuern. Das oberste Prozent träfe das erfahrungsgemäß nicht, weil dessen Vermögen überwiegend in Unternehmen gebunden ist. Ins Visier geraten regelmäßig hingegen diejenigen, die kein Betriebsvermögen und weniger Möglichkeiten zur Steuervermeidung haben.

Unter den Reichen in Deutschland konzentriert sich das Vermögen auf die besonders Wohlhabenden. 17 Prozent des Gesamtvermögens entfällt nach Rechnungen von Boston Consulting auf diejenigen, die über eine Million bis 20 Millionen Euro verfügen. Zum Vergleich: In Italien sind es 20 Prozent, in der Schweiz 42 Prozent und in den USA sogar 51 Prozent.

Sich bei der Besteuerung auf die „kleinen Millionäre“ zu konzentrieren, führt im aktuellen Umfeld dazu, dass Scheingewinne belastet werden. Scheingewinne sind Vermögensänderungen, die nicht durch kommerzielle Tätigkeiten entstehen, sondern schlicht durch veränderte Marktbedingungen, ohne Zutun der Inhaber.

Die Immobilienpreise könnten in den nächsten Jahren wieder sinken

Wie die Bundesbank ausführt, waren es vor allem die Immobilienpreise, die seit 2009 gestiegen sind. Grundsteuer, Grunderwerbssteuer und Erbschaftssteuer setzen an diesen deutlich gestiegenen Marktwerten an. Dabei drücken diese weniger eine erhöhte Ertragskraft der Immobilien aus, sondern vielmehr gesunkene Finanzierungskosten.

Der Wertzuwachs ist damit nichts anderes als ein vorweggenommener künftiger Ertrag. Hinzu kommt das Risiko, dass die Immobilienpreise in den kommenden Jahren wieder fallen, weil die Nominalzinsen steigen, die Alterung der Gesellschaft die Nachfrage dämpft und Klimaauflagen zu Investitionen zwingen.

Der Vermögenszuwachs im vergangenen Jahrzehnt ist leider nur eine – vorübergehende – Illusion, geschaffen vom billigen Geld. Eine Basis für eine weitere Belastung durch den Staat ist er nicht.

handelsblatt.com: “Nur Betongold: Die Illusion vom Vermögenszuwachs”, 29. Juli 2022

Kommentare (9) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Jens Petersen
    Jens Petersen sagte:

    Mich würde die Quelle bei der Bundesbank interessieren. Leider konnte ich keine aktuellen Studien finden.

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  2. Gnomae
    Gnomae sagte:

    “Der Wertzuwachs ist damit nichts anderes als ein vorweggenommener künftiger Ertrag. Hinzu kommt das Risiko, dass die Immobilienpreise in den kommenden Jahren wieder fallen, weil die Nominalzinsen steigen, die Alterung der Gesellschaft die Nachfrage dämpft und Klimaauflagen zu Investitionen zwingen.”

    Bei eigenbewohnten Immobilien ist das Konzept “Wertzuwachs” nicht geeignet, zumal Immobilienpreise auch Schwankungen unterliegen.
    Grundsätzlich hat eine eigenbewohnte Immobilie einen negativen Cash-Flow über Jahrzehnte (Unterhalt, Verbrauch, Sanierungen, Grundsteuer, etc.).

    Über einen Wertzuwachs, der real eintritt, kann man also erst beim Verkauf sprechen. Alles andere bleibt die “gefühlte Wertsteigerung”, die erst bei einem Verkauf oder beim Eintritt des Erbfalles festgestellt wird.

    Die Kardinalfrage: Was macht die USA richtiger?

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    • Beobachter
      Beobachter sagte:

      “Grundsätzlich hat eine eigenbewohnte Immobilie einen negativen Cash-Flow über Jahrzehnte (Unterhalt, Verbrauch, Sanierungen, Grundsteuer, etc.).”
      Das erklärt aber nicht, warum die Wohneigentumsquote in D so viel niedriger ist, als in den meisten europäischen Staaten. Was machen die alle falsch? Oder wird etwa in D Wohneigentum unverhältnismäßig belastet?

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    • Jacques
      Jacques sagte:

      @Gnomae:

      Genau, so richtig über den Immobilienwert können sich meist die Erben freuen. Sie haben kein Geld reingesteckt und sind nicht emotional daran gebunden.

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  3. Rolf Peter
    Rolf Peter sagte:

    Man kann Woerter definieren, wie man will, aber im allgemeinen versteht man unter Scheingewinn inflationaer verursachte Gewinne bzw. Wertsteigerungen. Wenn der Realwert meines Aktienportfolios oder meiner Immobilie aufgrund veraenderter Marktbedingungen ohne mein Zutun steigt, ist das kein Scheingewinn, sondern “echter” Wertzuwachs.

    Ob man diese besteuern soll bevor der Gewinn realisiert wird, ist eine berechtigte Frage. Mit Scheingewinnen hat sie aber nichts zu tun.

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    • Richard Ott
      Richard Ott sagte:

      @Rolf Peter

      “Wenn der Realwert (…) meiner Immobilie aufgrund veraenderter Marktbedingungen ohne mein Zutun steigt, ist das kein Scheingewinn, sondern ‘echter’ Wertzuwachs.”

      Nein. Sie haben dann immer noch genau die gleiche Menge und Qualität von “Immobilie” wie vorher. Nur der Euro hat der Immobilie gegenüber massiv abgewertet – denn die Banken konnten ja viele Jahre lang nahezu unbegrenzt neue Euros erschaffen, um Immobilienkäufe zu finanzieren.

      Denken Sie mal darüber nach.

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      • Stoertebekker
        Stoertebekker sagte:

        @R Ott

        Kaufe/produziere ich was zu Preis/Kosten X und verkaufe das zu Preis/Kosten Y ist die Differenz Gewinn oder Verlust. Full stop.

      • weico
        weico sagte:

        @Stoertebekker

        “Kaufe/produziere ich was zu Preis/Kosten X und verkaufe das zu Preis/Kosten Y ist die Differenz Gewinn oder Verlust. Full stop.”

        In der normalen Wirtschaftswelt stimmt solches …aber wir reden hier über Deutschland :)

        Im Wohlfahrtsstaat soll der Gewinn/Erfolg des Einzelnen ja “zum Wohle Aller” besteuert werden und bei einem Verlust/Misserfolg soll der Einzelne diesen dann eigenverantwortlich Selber “tragen” …um das “Wohl Aller” nicht zu gefährden.

        Die bekannten Umverteilungsparteien wollen nun sogar noch etwas weitergehen und schon einen “imaginären Gewinn” als “echt” ansehen und einen solchen besteuern….!

        Bei leeren Kassen kommen einem halt solche “fortschrittliche Ideen”.. um die eigene Klientel zu bedienen und die ganze Welt zu retten…:

        https://www.welt.de/wirtschaft/article240236791/Andrea-Nahles-Der-neuen-Chefin-der-Bundesagentur-fuer-Arbeit-fehlt-Geld.html

  4. Richard Ott
    Richard Ott sagte:

    bto: “Zwischen 2009 und 2022 wuchs das Vermögen der privaten Haushalte real um etwa 1,3 Prozent pro Quartal. Eine erfreuliche Entwicklung, liegen wir doch bei den Privatvermögen deutlich hinter Ländern wie Italien, Frankreich und Spanien.”

    Ich freu mich sehr darüber!

    Dadurch können deutsche Haushalte endlich unsere notleidenden EU-Partner in Italien, Frankreich und Spanien mit noch mehr Solidarität unterstützen – der Staat hat bestimmt schon Ideen, wie diese Vermögenszuwächse abgesaugt und in den Süden verschenkt werden können…

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