Rezension von “Ein Traum von einem Land”

Diese Besprechung meines Buches erschien in der Schweiz:

In “Ein Traum von einem Land. Deutschland 2040” schreibt Daniel Stelter, dass Deutschland heute kein glückliches Land sei. Es brauche eine massive Kehrtwende hin zu einer intelligenten Wirtschaftspolitik. Er bemängelt den deutlichen Rückgang der Produktivitätszuwächse in einem Land, das vor einem erheblichen Rückgang der Erwerbsbevölkerung steht. Wesentliche Gründe für die geringe Binnennachfrage in Deutschland sieht er in seit Jahren langsam steigenden Löhnen, in einer immer höheren Abgaben- und Steuerlast und in unzureichenden Investitionen des Staates in Infrastruktur, Innovation und Digitalisierung.

Deutschlands Geschäftsmodell bezeichnet Daniel Stelter als eines, das einseitig am Export orientiert sei, mit einer impliziten und expliziten Subventionierung der dazugehörigen Industrien. Deutschlands Exportüberschüsse führten bei Handelspartnern zu zunehmender Unzufriedenheit und dienten als wesentliches Argument, von Deutschland Zahlungen zu fordern, so beim EU-Gipfel im Sommer 2020. Wenn Transferleistungen gezählt würden – allein für den europäischen Wiederaufbaufonds mindestens 80 Milliarden Euro –, dann sei das ökonomisch so, als würden die Deutschen beispielsweise ihre Autos verschenken. Das nütze den Eigentümern deutscher exportorientierter Firmen; die Kosten hingegen trügen alle Bürgerinnen und Bürger (ich: nur die Steuerzahler).

Daniel Stelter führt weiter aus, dass mit den Exportüberschüssen zudem entsprechende Kapitalexporte einhergingen. Und niemand lege laut Studien seine Ersparnisse im Ausland so schlecht an wie die Deutschen, u.a. am US-Immobilienmarkt. Das führt laut unserem Autor dazu, dass die Deutschen das „Wunder“ vollbrachten, gut zu verdienen, zugleich aber über deutlich weniger Vermögen zu verfügen als ihre Nachbarn. In Deutschland liege das Privatvermögen beim 3,8-Fachen des BIP, in Italien beim 5,5-Fachen (ich: allerdings bei einem geringen BSP per capita; dennoch natürlich schlechter). In Deutschland seien die Vermögen zudem besonders ungleich verteilt, weil der deutsche Mittelstand kaum vermögend sei. Da tröste es wenig, wenn die Vermögensverteilung etwas besser sei, wenn man Renten- und Pensionsansprüche berücksichtige.

Der deutsche Staat gelte als „reich“ im Vergleich mit seinen europäischen Nachbarn, da dies nur, weil Deutschland im Kreis der OECD-Staaten die zweithöchste Abgabenlast trage und weil zugleich die Zinspolitik der EZB erhebliche Mittel, die im privaten Sektor gespart würden, zum Staat umverteilt.

Daniel Stelter fasst zusammen: Deutschland sei ein Land mit enttäuschender realer Netto-Einkommensentwicklung, geringen und ungleich verteilten Vermögen, einem Staat, der Bürgerinnnen und Bürgern viel Geld abnimmt, jedoch nur unzureichend investiere. Zugleich werde der vermeintliche Reichtum von der Politik als Argument genutzt, um sich eine grosszügige Migrationspolitik, eine teure Energiewende und die Rolle des europäischen Zahlmeisters zu leisten.

Doch die Entwicklung kippe in den 1920er Jahren. Nur eine Minderheit schultere die hohen Abgaben für Mütterrente, Rente mit 63 und andere Wohltaten. Die Mehrheit in Deutschland lebe von Transfers. Er folgert mit Margaret Thatcher, dass es so lange gut gehe, wie das Geld anderer Leute nicht ausgehe.

Daniel Stelter sieht Deutschland vor dem Punkt der völligen wirtschaftlichen Überforderung, weil: Schlüsselindustrien wie die Automobilbranche stünden vor einem existenzbedrohenden Umbruch; die Erwerbsbevölkerung schrumpfe, die Zahl der Rentner steige; unzureichende Integration der Eingewanderten in den Arbeitsmarkt; unterlassene Investitionen des Staates in die Infrastruktur, insbesondere Internet und Mobilfunk; der Einstieg in eine Transfer- und Schuldenunion der EU; die Inflation werde durch eine immer offenere Finanzierung der Staaten und der EU durch die EZB zurückkehren, was Deutschland besonders hart treffe, da hier viele ihre Ersparnisse auf Bankkonten und in Lebensversicherungen halte, die von Inflation besonders hart getroffen werden. Vor diesen Herausforderungen wäre Deutschland auch ohne Corona gestanden, so Daniel Stelter.

In der Folge orientiert sich das Buch an vier Grundideen. In den Kapiteln 1 bis 5 widmet er sich der Frage, wie Deutschland professioneller gemanagt werden kann. In Kapitel 6 unternimmt Daniel Stelter eine Standortbestimmung. In den Kapiteln 7 bis 9 präsentiert er eine Liste von Massnahmen, die die deutsche Politik ergreifen sollte. Es geht ihm nicht nur um den Erhalt von Wohlstand, sondern auch darum, wie dieser intelligent genutzt werden kann. In Kapitel 10 betont er zum Thema Klimaschutz die Notwendigkeit, die Grundsätze von Effizienz und Effektivität zu beachten. In Kapitel 11 widmet der sich der seiner Meinung nach notwendigen Reform von EU und Euro. Im 12 Kapitel erinnert er an die Rolle Deutschlands in der Welt. Kapitel 13 dreht sich um die Förderung der Vermögensbildung und die breitere Verteilung von Vermögen. Kapitel 14 widmet sich der Finanzierung des Staates. Immer wieder fasst er seine Gedanken als „Hausaufgaben“ für die Politik zusammen.

Zuzustimmen ist Daniel Stelter, dass sich der Euro immer mehr zum Spaltpilz für die gesamte Union entwickelt. Mit Transfers kaufe man sich bestenfalls Zeit, löse das Problem aber nicht. Der Autor fordert daher eine Reform des Euros und der Eurozone. Er betont, dass die Eurozone unter Diskrepanzen der Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsländer und der zunehmend problematischen Verschuldung einiger von ihnen leide.

Meines Wissens nicht in diesem Buch, aber anderswo empfahl Daniel Stelter auch schon Italiens Austritt aus der Eurozone; NZZ-Chefredaktor Eric Gujer hat dies übrigens in „Der fehlende Durchblick“ – pardon: „Der andere Blick“ – ebenfalls schon getan. Italiens Austritt aus der Eurozone forderte einst die Fünf-Sterne-Bewegung unter Beppe Grillo. Doch selbst die M5S-Populisten sind davon vor einiger Zeit schon abgekommen, noch unter Luigi di Maio, denn eine neue italienische Währung würde sofort massiv an Wert verlieren, die Staatsschulden würden noch viel stärker in die Höhe schiessen, und Italien wäre über Nacht zahlungsunfähig.

In “Ein Traum von einem Land. Deutschland 2040” empfiehlt Daniel Stelter nun einen gemeinsamen Schuldentilgungsfonds der EU-Staaten, wie er es bereits im Mai 2020 in seinem Buch “Coronomics” vorgeschlagen hatte. Statt einer unbegrenzten Schuldenunion tritt er dafür ein, dass alle Mitgliedsstaaten Staatsschulden in einer bestimmten Grössenordnung relativ zu ihrer jeweiligen Wirtschaftskraft auf die EU-Ebene verlagern. Nähme man 75 % des BIP als Zielmarke, so würde die Verschuldung aller Staaten um diesen Prozentsatz sinken. Staaten wie Deutschland und die Niederlande wären faktisch schuldenfrei, hoch verschuldete Staaten würden so stark entschuldet, dass sie genug Freiraum hätten, ihre Wirtschaft zu sanieren. Laut Autor wäre der Vorteil, dass alle Staaten profitieren würden, und es gäbe keine Blankoverpflichtung für die Zukunft. Es ginge um eine sehr langfristige Umschuldung dieser Verbindlichkeiten mittels Anleihen, die von der EZB aufgekauft würden. Eine offenere und direkte Finanzierung der Staaten durch die EZB sei – wie in anderen Regionen der Welt – bereits heute faktisch der Fall und werde in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen. Das sei nicht wünschenswert angesichts der Alternativen – Pleiten, Schuldenrestrukturierung, Euroverfall – aber wohl das geringere Übel. Ohnehin sei dies der Weg, den die anderen Mitgliedsländer des Euros, namentlich Frankreich, Italien und Spanien, befolgen wollten.

Dies ist nur ein winziger Ausschnitt aus dem detailreichen, impulsgebenden Buch von Daniel Stelter.

cosmopolis.ch: “Rezension von Daniel Stelter: Ein Traum von einem Land”, 25. August 2021