Restposten aus Deutschland trifft auf Elite Frankreichs

Dieser Kommentar von mir erschien bei Cicero:

Mit Ursula von der Leyen sendet Deutschland ein politisches Leichtgewicht nach Brüssel. Aus Frankreich dagegen wechselt IWF-Chefin Christine Lagarde an die Spitze der Europäischen Zentralbank. Damit ist Frankreich der große Gewinner des europäischen Personalpokers.

Mit Ursula von der Leyen wechselt nicht gerade ein Schwergewicht mit nachweisbaren Erfolgen nach Brüssel. Aber das muss man an dieser Stelle nicht groß betonen, das kann man überall lesen. Der Zustand der Bundeswehr, trotz Millionen für externe Berater, die über mehr oder weniger geordnete Ausschreibungen an ihre Aufträge kamen, spricht für sich selbst. Wer weiß, ob von der Leyen angesichts der anstehenden Untersuchungen überhaupt ihre Amtszeit als Kommissionspräsidentin wird ausüben können.

Viel wichtiger ist ohnehin ein anderer Beschluss, der gestern in Brüssel getroffen wurde. Mit Christine Lagarde übernimmt eine Vertreterin der französischen Elite das wichtigere Amt als Präsidentin der Europäischen Zentralbank. Einmal mehr trifft ein politischer Restposten aus Deutschland auf die Elite Frankreichs und die Verschiebung der Gewichte in der EU und vor allem der Eurozone, wird weiter in Richtung Paris erfolgen. Zulasten des deutschen Steuerzahlers, dessen Interessen ohnehin niemand mehr wahrnimmt.

Die Geschichte des einseitigen Eurogewinners Deutschland

Im Kern möchte der französische Präsident Emmanuel Macron die Krise, die durch zu viel billiges Geld und zu viele Schulden verursacht wurde, mit noch mehr Schulden bekämpfen. Ein Eurofinanzminister soll finanzielle Mittel europaweit verteilen, mit dem Ziel bei Schocks und schlechter Entwicklung in einem Land mit gezielten Ausgabenprogrammen die Konjunktur zu beleben. Sein Ziel ist ein keynesianischer Superstaat mit eigenem Budget gespeist aus eigenen Steuereinnahmen und – besonders wichtig – eigener Verschuldungsmöglichkeit. Dahinter liegt die Idee, dass nur auf diese Weise eine gleichmäßige Entwicklung in der Eurozone erzielt werden kann. In die gleiche Richtung zielen die Vollendung der Bankenunion (die ökonomisch auf eine Sozialisierung der faulen Privatschulden in einigen Ländern hinausläuft; Stichwort: italienische Banken) und Überlegungen für eine eurozonenweite Arbeitslosenversicherung.

Die Bundesregierung wird aus Angst um den Euro und die vermeintlichen Vorteile, die wir aus diesem ziehen, dem Ansinnen Macrons am Ende entgegenkommen. Schon jetzt wird die öffentliche Meinung darauf vorbereitet, in dem auf allen Kanälen die undifferenzierte Geschichte des einseitigen Eurogewinners Deutschland, der nun „auch mal etwas tun müsse“, verbreitet wird. Eine Sichtweise, die so pauschal keineswegs richtig ist, wie an dieser Stelle immer wieder erläutert. Der Aufbau von wertlosen Forderungen kann nun wahrlich nicht als Gewinn bezeichnet werden.

Von der Leyen wird deutsche Interessen opfern

Wir können also davon ausgehen, dass sich die Eurozone in Richtung offener Transferunion bewegen wird, gehen doch die Überlegungen der Kommission in die gleiche Richtung. Eine Ursula von der Leyen wird sich immer daran erinnern, wem sie diesen Job verdankt (nämlich Emanuel Macron) und problemlos deutsche Interessen opfern, dient es doch „der europäischen Sache“ und der eigenen Karriere.

Eurobonds müsste man dazu gar nicht formell beschließen, würden diese sich doch automatisch aus der zunehmenden Verschuldung auf Zentralstaatsebene ergeben. Damit würde das offiziell, was die Europäische Zentralbank ohnehin schon durch die Hintertür praktiziert: die Vergemeinschaftung der Schulden von Staaten und perspektivisch auch teilweise der von Privaten in der Eurozone.

Umverteilung in Billionenhöhe

Womit wir bei dem wichtigeren Job wären, der Präsidentin der EZB. Schon jetzt ist es so, dass die EZB mit ihrer Politik – übrigens ohne jegliche demokratische Legitimierung – erhebliche Umverteilung innerhalb Europas organisiert. Dabei ist sie gar nicht zu kritisieren, bestünde die Eurozone doch ohne die EZB schon lange nicht mehr. Nur durch Negativzins und milliardenschwere Aufkaufprogramme konnte die EZB die Eurozone vor dem Kollaps bewahren und den Politikern Zeit kaufen – die diese freilich nicht nutzten. Zu groß ist die Angst vor dem Wähler angesichts der erforderlichen Abschreibung von Schulden in Billionenhöhe und der unumgänglichen Neuordnung der Eurozone. Das bedeutet: Austritte von Staaten, die im Euro nie und nimmer wieder wettbewerbsfähig werden, wie beispielsweise Italien.

Chistine Lagarde wird nicht davor zurückschrecken, extreme geldpolitische Maßnahmen zu ergreifen, um den Euro zu erhalten. Dass damit die EZB faktisch Politik macht und Vermögen in Billionenhöhe zwischen den Staaten umverteilt, stört dabei nicht. Vor allem deshalb, weil es zulasten der soliden Staaten wie Deutschland und der Niederlande geht und zugunsten der Krisenländer. Vor allem Frankreich, hoch verschuldet und mit deutlich schlechterer Haushaltsdisziplin als Italien dürfte dann von deutschem Steuergeld profitieren. Die schon heute hohen und heftig umstrittenen TARGET2-Forderungen der Bundesbank werden in den kommenden Jahren explodieren.

Politik hat Vertragsbrüche toleriert

Die Maßnahmen, auf die wir uns einstellen müssen, sind lang und werden bereits vorbereitet: Neben weiteren Maßnahmen um den Bürgern die Flucht aus dem System zu erschweren (Reduktion Bargeldumlauf, Beschränkung freien Goldbesitzes, Kapitalverkehrskontrollen), ist es vor allem die direkte Staatsfinanzierung, die in unterschiedlichen Formen auf die Agenda kommt.

Denkbar ist das sogenannte Helikopter-Geld, also Geldgeschenke an die Staaten zum Zwecke der Konjunkturankurbelung und die Monetarisierung der Schulden durch den Aufkauf weiterer Schulden und Annullierung über die Bilanz der Notenbank. Dass dies durch die Verträge von Maastricht ausgeschlossen ist, dürfte in der nächsten Krise niemanden kümmern. Bisher hat die Politik vielfältige Arten von Vertragsbrüchen toleriert und befördert. Ganz so wie bei der gescheiterten Lateinischen Münzunion ist die Bereitschaft Regeln zu brechen, um ein nicht lebensfähiges Konstrukt zu erhalten, unbegrenzt.

Schließung krisenbedingter Haushaltslücken

Christine Lagarde beweist in ihrer bisherigen Rolle, dass es ihr mehr um französische Interessen als um europäische geht. So forderte sie bei einer Tagung in Berlin im April vergangenen Jahres, eine zentrale Fiskalkapazität für den Euroraum. Jedes Euro-Land soll demnach pro Jahr 0,35 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den Topf einzahlen (für Deutschland sind das also rund 14 Milliarden Euro), um krisenbedingt entstandene Haushaltslücken anderer Mitgliedstaaten zu schließen. Das ist ganz auf der Linie des französischen Präsidenten, der genau in einem solchen Umverteilungsmechanismus von den vermeintlich „reichen“ Staaten zu den „ärmeren“ Staaten eine Lösung auch für seine Staatsschuldenprobleme sieht. Zu den „ärmeren“ Staaten würde im Falle des Falles auch Frankreich gehören. (Mit den „reichen“ Staaten ist Deutschland gemeint, obwohl wir, wie ich vielfach gezeigt habe, eher die ärmeren der Eurozone sind.)

Das Problem dabei: Die Forscher der Institution, der Lagarde bisher vorsteht, haben eindrücklich vorgerechnet, dass eine Umverteilungsunion der Eurozone nichts bringt: Fiskalische Transfers tragen selbst in den USA, wo der Anteil der Umverteilung zwischen den Bundesstaaten deutlich über dem Niveau zwischen den Mitgliedsländern der Eurozone liegt, nur wenig dazu bei, Schocks auf Ebene der Bundesstaaten aufzufangen. So rechnet der Internationale Währungsfonds vor, dass in den USA bis zu 80 Prozent eines lokalen Schocks über Umverteilung aufgefangen werden. Also bei einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um ein Prozent, der Konsum nur um 0,2 Prozent zurückgeht. Dieser Risikopuffer ist aber vor allem die Folge privater Kapitalflüsse. Der Staat hat nur einen Anteil von 15 Prozent. Bei uns in Deutschland liegt der Anteil staatlichen Ausgleichs im regionalen Krisenfall noch unter dem Niveau in den USA.

Die Umverteilung stärkt antieuropäischen Kräfte

In der Eurozone werden nach dieser Studie weniger als 40 Prozent eines lokalen Schocks über Umverteilung aufgefangen, was natürlich innerhalb einer Währungsunion unbefriedigend ist. Dies liegt aber weniger an dem geringen Grad „staatlicher Solidarität“, sondern am Fehlen der privaten Kapitalströme. Selbst wenn wir den Grad der staatlichen Umverteilung auf das US-Niveau verdreifachen, ändert sich an dieser Lage nichts.

Mehr fiskalische Solidarität innerhalb der Eurozone ist nicht nur sinnlos, weil ohne entscheidende Wirkung mit Blick auf das eigentliche Problem, sondern verbraucht erhebliches politisches Kapital. Am Ende stärkt ein solcher Umverteilungsmechanismus nur die antieuropäischen Kräfte.

Doch was schert es die französische Chefin des IWF, dass ihre eigenen Studien zeigen, dass es nichts bringt? Nichts. In einer perfekten Arbeitsteilung mit dem französischen Präsidenten nutzt sie das ökonomische Desinteresse deutscher Politiker, um zu einer Umverteilung innerhalb der Eurozone zu gelangen, deren Dimensionen wir nicht mal erahnen können.

Frankreich ist der große Gewinner

Womit klar ist, dass Frankreich der große Gewinner des europäischen Personalpokers ist. Die Bundesregierung – konkreter Angela Merkel – haben mit Manfred Weber auf einen Kandidaten gesetzt, von dem schon vor der Wahl klar war, dass er als Leichtgewicht niemals in der Rolle des Kommissionspräsidenten durchzusetzen ist. Ursula von der Leyen, ohnehin politisch angeschlagen, darf nun in Brüssel versuchen, besser zu agieren als bei der Bundeswehr.

Christine Lagarde hingegen, kann die wohl wichtigste Institution Europas nach französischem Gusto prägen und geldpolitisches Neuland mit noch negativeren Zinsen, direkter Staatsfinanzierung und Schuldenmonetarisierung erkunden. Viel mehr noch wird sie eine schwache Kommission und eine schwache deutsche Regierung in Koordination mit den Krisenländern der Eurozone, angeführt von Frankreich, in eine Transferunion treiben. Wie immer zahlen die Steuerzahler und Sparer für die Kompromisse, die unsere Politiker im eigenen Machterhaltungsinteresse eingehen.

→ cicero.de: “Restposten aus Deutschland trifft auf Elite Frankreichs”, 3. Juli 2019