Plädoyer für den Umbau

Dieser bearbeitete und gekürzte Auszug aus meinem neuem Buch “Ein Traum von einem Land: Deutschland 2040” (Kapitel “Investitionen sind Pflicht”) erschien bei manager-magazin.de:

Deutschland soll auch im Jahr 2040 ein glückliches und wohlhabendes Land sein, in dem sozialer Friede herrscht und Wohlstand gerecht verteilt wird. Wir müssen heute die Weichen richtig stellen, damit dies Realität werden kann.

Deutschland steht nicht so gut da, wie es von der Politik gerne dargestellt wird. Wir haben die zurückliegenden zehn guten Jahre nicht dazu genutzt, die Grundlagen für die Sicherung des künftigen Wohlstands unserer alternden Gesellschaft zu schaffen. Im Vordergrund stand staatlicherseits der Konsum, während die Unternehmen ihre Investitionen im Inland zurückfuhren. Der Aufschwung wurde von externen Faktoren getragen – niedrige Zinsen, schwacher Euro, Globalisierung. Diese Faktoren sind allesamt nicht nachhaltig. Nun steht Deutschland vor der Herausforderung einer strukturellen Anpassung seiner Schlüsselindustrien und den negativen Folgen einer zu starken Exportanhängigkeit. Im Verein mit einem erheblichen Investitionsstau und mangelnden Rücklagen für die Kosten einer alternden Gesellschaft deutet dies auf eine Zukunft heftiger Verteilungskämpfe und zunehmender politischer Spannungen hin. Um diese Herausforderungen meistern zu können, gilt es, den Wohlstand zu erhalten. Dies setzt voraus, dass wir Lösungen für zwei grundlegende Probleme finden: den Rückgang der Erwerbsbevölkerung und die Stagnation der Produktivitätsfortschritte.

Es gibt vielfältige Ansatzpunkte, um den Umfang der Erwerbsbevölkerung zu stabilisieren beziehungsweise dessen Rückgang zu verlangsamen. Sie reichen von einer höheren Erwerbsbeteiligung aller Bevölkerungsschichten über eine Erhöhung des Renteneintrittsalters bis zu einem Wachstum der Jahresarbeitszeit. Einwanderung kann dabei aufgrund der Schwierigkeit, qualifizierte Menschen aus anderen Ländern in ausreichender Zahl zu mobilisieren, nur einen geringen Beitrag leisten. Die Berechnungen zeigen, dass diese Maßnahmen zumindest für die Zeit bis 2030 ausreichen würden, um den Rückgang des Umfangs der Erwerbsbevölkerung zu verlangsamen.

Die Steigerung der Produktivität ist der wohl zentrale Hebel für die kommenden Jahrzehnte. Die Maßnahmen reichen von mehr Investitionen von Staat und Privaten über eine Bildungs- und Innovationsoffensive bis zur Automatisierung und Digitalisierung. Gesamtwirtschaftlich gibt es erhebliche Effizienzreserven, die es zu mobilisieren gilt. Der Staatssektor muss dabei mit überdurchschnittlichen Fortschritten vorangehen und die Zahl seiner Beschäftigten sowohl absolut als auch im Verhältnis zu den anderen Sektoren der Wirtschaft verringern. 

Investitionen sind Pflicht

Bevor wir uns der Verteilung von Wohlstand widmen – dem Lieblingsthema der Politik –, müssen wir eine Leitplanke einziehen: das Mindestniveau an Investitionen, um den Wohlstand auch in Zukunft zu sichern. Ohne ausreichende Investitionen wird es nicht möglich sein, den Wohlstand im Land zu erhalten.

2019 sah das so aus: Das BIP belief sich nach einem Jahr mit Nullwachstum auf 3,436 Billionen Euro und wurde folgendermaßen verwendet:

  • Exportüberschuss. 208 Milliarden Euro, die als Forderung an das Ausland das Auslandsvermögen erhöhen.
  • Konsum der privaten Haushalte. 1.794 Milliarden Euro.
  • Konsum des Staates. 699 Milliarden Euro, wobei darunter so diverse Kategorien wie die Kosten von Schulen (die man eher als Investitionen ansehen kann), der öffentlichen Sicherheit und die Sozialleistungen zusammengefasst sind.
  • Bruttoinvestitionen. 735 Milliarden Euro. „Brutto“ bedeutet, dass im Jahr 2019 der genannte Betrag für Investitionen ausgegeben wurde. Zieht man davon die Wertverluste vorhandener Anlagen ab (Alterung, Abnutzung), so ergeben sich die Nettoinvestitionen, die für den Kapitalstock und damit die künftige Leistungsfähigkeit entscheidend sind.

Von den Einnahmen des Jahres 2019 wurden also von den privaten Haushalten, den Unternehmen und vom Staat rund 21,5 Prozent darauf verwendet, in die Zukunft zu investieren. Diese Zahl sagt – ebenso wie der absolute Wert, der hinter ihr steht – nichts darüber aus, ob in Deutschland genug investiert wird. Es hat sich gezeigt, dass in den vergangenen Jahren zu wenig investiert wurde.

Frankreich investiert mehr in die eigene Zukunft als Deutschland

Was die Gesamtinvestitionen angeht, so gibt es Länder wie Großbritannien, die deutlich schlechter abschneiden als Deutschland. Allerdings dürfte es kaum ratsam sein, sich an den Schlechteren zu orientieren. Deutschland bleibt hinter etlichen anderen Nationen zurück. Japan, das Land, das Deutschland hinsichtlich der demografischen Entwicklung rund 20 Jahre voraus ist, investiert relativ zum BIP fast 3 Prozentpunkte mehr. Das ist ein erheblicher Unterschied. Selbst Frankreich investiert mehr in die eigene Zukunft als Deutschland.

Der Blick auf den Privatsektor lässt erkennen, dass Deutschland auch hier nur im unteren Teil des Mittelfelds liegt. Dies spiegelt die Investitionsschwäche der Unternehmen im Inland wider.

Besonders dramatisch sind die Zahlen für den Staatssektor. Nur in Irland, Italien und Portugal investiert der Staat weniger als im vermeintlich so reichen Deutschland. Die Unterschiede mögen gering erscheinen, sind jedoch in Wahrheit gigantisch. Wenn Frankreich beispielsweise 1,1 Prozentpunkte mehr investiert, bedeutet dies, auf Deutschland übertragen, 38 Milliarden Euro an staatlichen Investitionen mehr. Mehrere 100 Milliarden Euro sind erforderlich, um allein nur die in den vergangenen Jahren unterlassenen Investitionen nachzuholen.

Deutschland steht im Bereich der Digitalisierung besonders schlecht da. So belegte es in einer internationalen Vergleichsstudie zum digitalen Fernunterricht infolge der Corona-Krise den letzten Platz. Kein Wunder, wenn viele Schulen nicht einmal über einen Internetanschluss verfügen. In Berlin war der Anschluss der 700 Schulen im Sommer 2020 – also nach den Erfahrungen mit Corona – noch nicht einmal beantragt. Wenn man die Umsetzungsgeschwindigkeit an den Berufsschulen zugrunde legt, mit denen die Stadt Berlin begonnen hat, so dauert es noch 20 Jahre bis zur Realisierung.

Investitionen statt Konsum

Jeder Euro, der einmal verdient wurde, kann nur einmal ausgegeben werden. Damit will ich nicht sagen, dass der Staat keine Schulden machen sollte. Im Gegenteil: Zu einer vernünftigen Politik gehört, eine gewisse laufende Staatsverschuldung zuzulassen. Solange die Schulden im Einklang mit der Wirtschaft wachsen, sind sie sogar zu begrüßen, bieten sie doch unter anderem eine bessere Möglichkeit für die Verwendung der inländischen Ersparnisse als den Export ins Ausland. Dort wurden zumindest bisher keine guten Erträge erwirtschaftet.

Wir haben es im ökonomischen Sinne mit einer harten Budgetrestriktion zu tun. Deutschland erwirtschaftet pro Jahr ein bestimmtes Einkommen – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – und gibt dieses Geld für verschiedene Zwecke aus. Eine grundlegende Unterteilung ist diejenige in Konsum, also die Befriedigung heutiger Bedürfnisse, und Investitionen zur Sicherung der Produktion und mithin der künftigen Einkommen.

Heute werden rund 72 Prozent der Einnahmen konsumiert und 22 Prozent investiert. 6 Prozent fließen als Ersparnis ins Ausland. Es ist bekannt, dass in den kommenden Jahren aufgrund des starken Anstiegs des Anteils der Menschen im Rentenalter der Druck in Richtung einer höheren Konsumquote zunehmen wird. Nichts anderes steht hinter den geschätzten Milliardenlücken für künftige Renten-, Pensions- und Gesundheitszahlungen. So rechnet die Bundesbank vor, dass nach heutiger Gesetzeslage die Beitragssätze in der Rentenversicherung bis 2040 um rund ein Drittel auf 24 Prozentpunkte steigen und parallel dazu der Bundeszuschuss von rund 3,2 Prozent des BIP auf 4,5 Prozent anwächst – ein Anstieg um immerhin 40 Prozent. Abgesehen davon, dass Deutschland schon heute als Zuschuss zur Rentenkasse über 30 Prozent mehr Mittel aufwendet als für Investitionen, drohen dann weitere erhebliche Einsparungen an Investitionen, werden doch parallel auch die Lasten für Pensionen und Gesundheitsversorgung steigen.

Es ist absehbar, dass diese Umverteilung mit erheblichen sozialen Spannungen verbunden sein wird. Deshalb ist es für die Politik attraktiv, neben dem Ausweg über eine höhere Verschuldung bei jenen Positionen zu sparen, deren Schmälerung unmittelbar als weniger schmerzhaft empfunden wird. Das waren und werden auch weiterhin die Investitionen sein.

Diese Strategie (zu) geringer Investitionen ist in mehrfacher Hinsicht falsch. Zu geringe staatliche Investitionen verschlechtern die Standortbedingungen. Insofern tragen sie dazu bei, die Neigung zu privaten Investitionen zu verringern – was wiederum das dringend notwendige Wachstum der Produktivität hemmt.

Was folgt daraus? Deutschland muss sich ein Mindestinvestitionsniveau vornehmen. Gemessen an den Verhältnissen in den anderen führenden Industrienationen bedeutet dies:

  • Die gesamtwirtschaftlichen Investitionen sollten ein Niveau von 25 Prozent des BIP erreichen.
  • Die staatlichen Investitionen sollten auf 3,5 Prozent des BIP steigen (diese Quote entspricht in etwa jener Frankreichs und liegt noch immer deutlich hinter der japanischen).

Wie hoch soll die Staatsquote sein?

Nach Angeben des Statistischen Bundesamts beliefen sich die Ausgaben des Bundes, der Länder und Gemeinden sowie der Sozialversicherungen im Jahr 2018 auf 1.429 Milliarden Euro. Dieser Betrag entspricht 43 Prozent des BIP. Mit dieser Staatsquote liegt Deutschland leicht unter dem Durchschnitt von EU (45,6 Prozent) und Eurozone (46,8 Prozent). Besonders hoch ist der Staatsanteil in Frankreich (56 Prozent). Aber auch in Finnland (53,1 Prozent), Schweden (49 Prozent) und Österreich (48,5 Prozent) liegt die Staatsquote über dem Niveau in Deutschland.

Angesichts der demografischen Entwicklung und der in Verbindung damit wachsenden Kosten ist davon auszugehen, dass die Staatsquoten in ganz Europa, Deutschland eingeschlossen, weiter steigen werden. Es gibt keinen empirischen Wert für die Staatsquote, der sich als „zu hoch“ einstufen ließe. Allerdings hat sich gezeigt, dass in der deutschen Wirtschaft dringend mehr Ressourcen gebraucht werden, um den Wohlstand in Deutschland zu erhalten. Dies bedeutet: Die Produktivität muss steigen, und der Staatssektor muss, was die Zahl seiner Beschäftigten angeht, verkleinert werden.

Zwar umfasst die Staatsquote sämtliche Ausgaben des Staates, dennoch lohnt es sich, eine Grenze einzuziehen. Bei der Bestimmung dieser Grenze spielen die folgenden Überlegungen eine Rolle:

  • Die heutige Staatsquote ist durch den starken Rückgang der Zinsaufwendungen wegen des niedrigen Zinsniveaus nach unten verzerrt.
  • Die Politik der „schwarzen Null“ hat die offiziell ausgewiesene Verschuldung (zumindest bis zur Corona-Krise des Jahres 2020) gesenkt – und damit auch die Staatsquote.
  • Die unterlassenen Investitionen haben die Staatsquote gesenkt, müssen nun aber nachgeholt werden. Zusätzliche Investitionen im Umfang von 450 Milliarden Euro allein in den kommenden zehn Jahren zwecks Aufholung des Investitionsrückstands entsprächen bereits einer rund 1,3 Prozentpunkte höheren Staatsquote.
  • Der Anstieg der Zahlen derer, die Renten beziehen, wird zu deutlichen Ausgabensteigerungen führen. Allein schon der Bundeszuschuss zur Rentenkasse steigt um mindestens 1,5 Prozent des BIP, während die Rentenbeiträge von heute rund 240 Milliarden Euro mindestens um ein Drittel steigen, was weiteren 2,5 Prozent des BIP entspricht. Überschlägig führt bereits dieses Minimalszenario zu einem Anstieg der Staatsquote um 4 Prozentpunkte.
  • Ähnlich steigen die Aufwendungen für Pensionen und Gesundheitsversorgung. Ein prozentual gleichlaufender Anstieg ist mindestens zu erwarten.

Werden keine Gegenmaßnahmen ergriffen, so wird die Staatsquote in den kommenden Jahren rasch über 50 Prozent des BIP hinaus anwachsen. Eine Erhöhung des Wachstumspotenzials ergäbe sich daraus nicht, im Gegenteil.

Die Notwendigkeit einer Begrenzung des Staatsanteils ist offensichtlich. Deshalb sollten wir uns zeitlich gestreckte Ziele vorgeben (gegenüber dem Vor-Corona-Stand):

  • 2020 bis 2025. Konzentration auf Investitionen: + 1,5 Prozentpunkte
  • 2025 bis 2030. Zusätzlicher Anstieg wegen der Alterung:+ 1,5 Prozentpunkte
  • 2030 bis 2040. Schrittweiser Anstieg um 3,0 Prozentpunkte

Im Jahr 2040 läge dann die Staatsquote bei 49 Prozent des BIP. Sie unter 50 Prozent zu halten ist angesichts der Rahmenbedingungen ein wichtiges, jedoch nur unter erheblichen Anstrengungen erreichbares Ziel.

Prioritäten bei den Staatsausgaben neu ordnen

Die Begrenzung der Staatsquote zwingt dazu, Prioritäten zu setzen. Wenn die Ausgaben für Investitionen steigen und der Staatsanteil zugleich gedeckelt werden sollt, muss die Struktur der Staatsausgaben überprüft werden. Die Zusammensetzung der Staatsausgaben zeigt, wo der finanzielle Schwerpunkt der Staatstätigkeit liegt: bei der Umverteilung der Einkommen.

Die Zinsausgaben sind in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Die Subventionen sind immer noch erheblich und generell auf ihre Sinnhaftigkeit zu hinterfragen. Die Bruttoinvestitionen liegen auf dem viel zu geringen Niveau von 70 Milliarden Euro. Die Personalkosten belaufen sich auf rund 250 Milliarden Euro.

786 Milliarden Euro – immerhin mehr als 50 Prozent der Staatsausgaben – entfielen im Jahr 2017 auf Sozialleistungen (Sach- und Geldleistungen) an private Haushalte, also Sozialhilfe, Wohn- und Erziehungsgeld, Gesundheitsfürsorge, Renten und Arbeitslosenhilfe. Insgesamt werden die Kosten des Sozialstaats auf 1.000 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.

Wie sollte die Struktur der Staatsausgaben künftig beschaffen sein? Wie dargelegt, müssen ab sofort rund 45 Milliarden Euro mehr investiert werden. Wie sollten diese Beträge aufgebracht werden? Die Personalkosten dürften zumindest kurzfristig nicht beeinflussbar sein, setzen Effizienzgewinne im öffentlichen Sektor doch zunächst entsprechende Investitionen voraus. Vorleistungen und Zinsen sind ebenfalls kaum zu beeinflussen, Subventionen müssen abgebaut werden. Doch selbst wenn man eine Halbierung der Subventionen auf 14 Milliarden Euro annimmt, bleibt eine Finanzlücke von rund 30 Milliarden pro Jahr.

Dennoch gibt es Ansatzpunkte zu der Frage, wie der Staat mehr Mittel für Investitionen freisetzen könnte.

Umbau des Sozialstaats

Ein naheliegender – wenn auch politisch unerwünschter – Gedanke ist, den Sozialstaat auf Effizienz zu trimmen. Ansatzpunkte dafür gibt es genügend, und diese haben zunächst nichts mit Leistungskürzungen zu tun.

So stiegen die Verwaltungsausgaben für den Sozialstaat seit 1970 um 40 Prozent schneller als das BIP. Dies ist nicht nur mit einem größeren Sozialstaat zu erklären, sondern deutet darauf hin, dass die öffentliche Hand immer mehr Menschen beschäftigt, um die Umverteilung zu organisieren. Das dürfte nicht daran liegen, dass die Staatsbediensteten weniger arbeiten als früher. Grund ist stattdessen, dass die Gesetze immer komplizierter und umfangreicher geworden sind. Statt systemisch zu denken und Komplexität zu reduzieren, hat die Politik die Komplexität überproportional erhöht und damit aus der Sozialversicherung ein Arbeitsbeschaffungsprogramm gemacht. Doch genau das braucht Deutschland angesichts des demografischen Wandels nicht. Stattdessen muss der Akzent in diesem Bereich besonders stark auf Effizienz und Einsparung von Arbeitskräften gesetzt werden.

Aus diesem Grund muss die Sozialgesetzgebung von Grund auf neugestaltet werden. Ziel sollte sein, alle Sozialleistungen zu bündeln und durch pauschale Geldzahlungen zu ersetzen.

Kosten der Umverteilung

Vor allem muss die heutige Praxis eingestellt werden, Abgaben von den Bürgerinnen und Bürgern zu erheben und dann in praktisch gleicher Höhe wieder an diese zurückzugeben. Die Mitte der Bevölkerung – Alleinstehende mit einem Einkommen von 33.480 Euro beziehungsweise Familien mit zwei Kindern und 70.000 Euro brutto im Jahr führen 14.995 Euro an den Staat ab (direkte, indirekte Steuern und Sozialabgaben) und erhalten auf verschiedenen Wegen 14 330 Euro zurück. Was bleibt, ist ein Minus, bedingt durch die Kosten dieser Umverteilung. Besser wäre es, die Sozialleistungen auf das untere Drittel der Bevölkerung zu beschränken und durch das obere Drittel bezahlen zu lassen.

Was im Argen liegt, zeigen auch folgende Zahlen: Während die Gesamtausgaben der Bundesagentur für Arbeit seit 2002 bis zum Beginn der Corona-Krise um mehr als 41 Prozent gesunken sind – der guten Konjunktur sei Dank –, sind die Verwaltungsausgaben um 81 Prozent gestiegen. Jedes privatwirtschaftliche Unternehmen wäre im Zuge einer solchen Entwicklung schon lange pleite! Insgesamt arbeiten rund 370 000 Menschen für eine Sozialversicherung, allein für die gesetzlichen Krankenversicherungen sind es 145 000.

Wie enorm die Einsparpotenziale sind, zeigen auch die folgenden Daten: Deutschland leistet sich (Stand 2017) elf allgemeine Ortskrankenkassen, 85 Betriebskrankenkassen und je sechs Ersatz- und Innungskassen. Dass sich ein solcher Wildwuchs beschneiden lässt, hat Österreich vorgemacht. Statt 21 Sozialversicherungsträgern hat man nunmehr fünf, neun regionale Krankenkassen wurden zu einer zusammengelegt. Verbunden damit war eine Verringerung der Zahl der Aufsichtsgremien. Letzteres ist in Teilen der Politik ein besonders unbeliebter Punkt, fallen doch Versorgungsposten weg. Schon deshalb sollte es Deutschland seinem Nachbarn gleichtun.

Der Umbau des Sozialsystems ist ein umfangreiches Unterfangen, das sich nicht auf ein paar Seiten abhandeln lässt. Ich möchte deutlich machen, dass Deutschland keine andere Wahl hat, als sein Sozialsystem so auf Effizienz zu trimmen, dass es zu einem höchstmöglichen Wohlstand für die Bevölkerung beiträgt. Dieser Umbau bedeutet gute Leistungen für diejenigen, die sie benötigen, und tragbare Lasten für diejenigen, die sie durch ihre Steuern und Beiträge finanzieren.

Umbau des Gesundheitssystems

Wie wichtig eine gute Gesundheitsversorgung ist, haben die Ereignisse des Jahres 2020 eindrücklich offenbart. Während Deutschland nach den USA, der Schweiz und Norwegen das teuerste Gesundheitssystem der Welt hat, liegt die Lebenserwartung der Bevölkerung in Deutschland unter jener in anderen Ländern, die deutlich weniger Mittel für die Gesundheitsversorgung aufwenden. Nur die Lebenserwartung der Menschen in den USA ist noch geringer als die der Deutschen, obwohl die Gesundheitsversorgung dort mehr kostet.

Man sollte angesichts der Corona-Pandemie nicht den Schluss ziehen, es müsse einfach nur mehr Geld ins Gesundheitssystem fließen. Wie die anderen Länder zeigen, kann man mit einem deutlich geringeren finanziellen Einsatz bessere Ergebnisse erreichen. Dies ist deshalb relevant, weil Deutschland auch ohne die Ereignisse des Jahres 2020 aufgrund der demografischen Entwicklung mit strukturell steigenden Gesundheitskosten rechnen muss. Ziel sollte es sein, die Gesundheitsausgaben auf dem heutigen Niveau von rund 11,5 Prozent des BIP zu stabilisieren.

Das bedeutet übersetzt, dass das Gesundheitswesen ein Effizienzsteigerungsprogramm braucht. Gerade in diesem Bereich war es schon immer leicht, mit Verweis auf den unstrittigen Wert der Gesundheit für höhere Ausgaben zu werben. Offensichtliche Ansatzpunkte für Maßnahmen zur Effizienzsteigerung wurden bereits genannt – Stichwort Krankenkassen. 145 000 Beschäftigte allein in diesem Sektor sind zu viele. Das deutsche Gesundheitswesen steht seit Jahren unter konstantem Kostendruck. Es wurde bereits eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um den Kostenanstieg zu begrenzen, durchaus mit Erfolg. Diese Politik muss fortgesetzt werden.

Umbau der Staatsverwaltung

Zunächst ist festzuhalten, dass der Staat in Deutschland nicht auffallend mehr für die Verwaltung ausgibt als in vergleichbaren anderen Ländern. Blickt man hingegen auf den Anteil der Verwaltungsausgaben an den gesamten Staatsausgaben, die hierzulande vor allem von den Ausgaben für Soziales dominiert werden, so erkennt man, dass Deutschland gemessen an dieser Größe im Mittelfeld liegt. Auch in diesem Bereich gilt es also, Einsparungen zu erzielen. Diese sind realisierbar, wenn Deutschland (endlich!) den bedauerlichen Rückstand bei der Digitalisierung der Verwaltung abbaut.

Dabei dürfte es aber vor allem darum gehen, die Effektivität der Öffentlichen Verwaltung zu heben. Insgesamt braucht Deutschland einen Modernisierungsschub, bei dem die Funktionsfähigkeit und die Interaktion mit den Bürgerinnen und Bürgern im Vordergrund steht und nicht so sehr das Ziel, zu sparen.

Dazu beitragen könnte auch eine Neuordnung der Arbeitsteilung zwischen den Kommunen, den Ländern und dem Bund. Dabei geht es vor allem um die Rückkehr zum Prinzip der Subsidiarität. Nicht selten werden Dinge auf der übergeordneten Ebene geregelt, was zu einer gewissen Bürgerferne führt und damit nicht unbedingt zu besseren Entscheidungen.

Alle hier diskutierten Maßnahmen sind machbar. Sie zu ergreifen ist eine Frage des politischen Willens. Angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, ist es unerlässlich, entschieden zu handeln, bevor man sich den Themen widmet, die heute den politischen Diskurs bestimmen: der Verteilung des Wohlstands im In- und Ausland.

manager-magazin.de: “Deutschlands Zukunft wird aus Mut gemacht”, 10. Februar 2021