„Ölaktien – Steinzeit­papiere oder lohnende Investments?“

Sucht man günstig bewertete Aktien, stolpert man zwangsläufig über die Ölwerte. Die Aktien der Ölproduzenten locken mit hohen Dividendenrenditen. Fragt sich nur: wie lange noch?

Es ist schwer, im heutigen Umfeld moderat bewertete Aktien zu finden. Umso mehr stechen die Aktien von Ölförderern ins Auge; sie scheinen zu den günstigeren Werten zu gehören – zumindest wenn man sich am Kurs-Buchwert-Verhältnis orientiert. Also der Marktkapitalisierung relativ zum Wert der Aktiva des Unternehmens. Laut Bank of America sind die US-Energiewerte so billig zu haben, wie noch nie im Betrachtungszeitraum seit 1986. Relativ zum Aktienindex werden sie nach dieser Bewertungsformel mit einem Abschlag von 45 Prozent gehandelt, verglichen mit einem Durchschnitt von 15 Prozent. Zeit also zuzugreifen?

Nun bedeutet eine relativ günstige Bewertung noch lange nicht, dass es eine gute Idee ist, eine Aktie zu kaufen. Denn es kann sehr wohl sein, dass die Bewertung richtigerweise eine schlechte zukünftige Entwicklung widerspiegelt. Im hier genannten Bewertungsmaßstab ist es durchaus fraglich, ob die Buchwerte wirklich noch so hoch sind wie angenommen. Ein Blick auf die Meldungen der vergangenen Woche genügt. So meldete Royal Dutch Shell einen Quartalsverlust von sechs Milliarden US-Dollar, nachdem zwei große Explorationsvorhaben in Kanada und Alaska abgesagt wurden, was immerhin Abschreibungen von 8,3 Milliarden zur Folge hatte. Auch so können sich Buchwerte und Marktwerte einander annähern, sicherlich nicht zur Freude der Aktionäre!

Wer kaufen will, muss also nicht nur auf die zweifellos günstige Bewertung schauen, sondern auch die Frage beantworten, wie es denn fundamental mit den Unternehmen weitergeht. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass der derzeitige Ölpreisrückgang länger andauert als von vielen prognostiziert und sich nicht mehr alleine mit der „Fracking“ -Revolution in den USA erklären lässt. Konjunkturrisiken in China, Liquiditätsnöte der Produzenten und ein zunehmender Strukturwandel in den Verbraucherländern führen zu einer gänzlich neuen Lage am Markt. Wer hätte gedacht, dass den Saudis einmal das Geld ausgehen würde? Nun warnt der IWF, dass das Land in finanzielle Schwierigkeiten geraten wird, sollte der Ölpreis sich nicht erholen oder die Ausgaben drastisch eingeschränkt werden.

Alternative Energien auf der Überholspur

Die Steinzeit endete bekanntlich lange, bevor die Welt keine Steine mehr hatte. Das Ölzeitalter wird ebenfalls weit vor dem oft beschworenen Ende der fossilen Brennstoffe enden. Dabei liegt das nicht an den zunehmenden Subventionen für alternative Energien, wie wir das in Deutschland so gerne machen, sondern an der Tatsache, dass sie keine Subventionen mehr brauchen. Prognostizierte die International Energy Agency (IEA) vor sechs Jahren die Erzeugung von rund 20 Gigawatt aus Solarenergie im Jahr 2015, so liegt die weltweite Kapazität tatsächlich bei 180 Gigawatt. Diese Explosion der Kapazitäten ging mit einem erheblichen Preisverfall einher. Sogar in den USA war die Hälfte der neu installierten Kapazitäten in den vergangenen zwei Jahren Solarenergie.

Zugleich scheint es die Politik ernst zu meinen mit der Begrenzung des CO2-Ausstoßes. Nach China hat nun auch Indien die Position gewechselt und wird sich beim Klimagipfel in Paris in das Lager jener Länder einreihen, die eine Abkehr von den fossilen Brennstoffen anstreben. 155 Länder, die für etwa 88 Prozent des CO2-Ausstoßes der Welt stehen, haben ihre Pläne zur Reduktion von CO2 bereits vorgelegt. In Summe planen sie eine Reduktion der Nachfrage nach fossilen Brennstoffen um 30 bis 40 Prozent.

Die Pläne der Ölmultis dürften noch anders aussehen. Nach wie vor gehen sie davon aus, dass der weltweite Bedarf an Öl wächst. Nur langsam scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Zeiten des Mengenwachstums zu Ende sind. Ohnehin kam das meiste Wachstum aus Schwellenländern, die, wie Indonesien, den Benzinpreis aus sozialen Gründen subventioniert haben. Auch hier dürfte nicht zuletzt aus Budgetgründen ein Umdenken einsetzen.

Droht den Ölkonzernen also dasselbe Schicksal wie den letzten Herstellern von Postkutschen oder analogen Filmen wie Kodak und Agfa? Vermutlich. Zwar gibt es immer auch Beispiele gelungener Transformation, siehe Fuji. Doch dies setzt voraus, dabei auf das richtige Pferd zu setzen – mit ziemlich digitalem Risiko: Es klappt oder es klappt nicht.

Volle Kassen und viel Einsparpotenzial

Auf der anderen Seite gibt es aber auch Aspekte, die die Branche interessant machen. Immer wenn eine Industrie über Jahre und Jahrzehnte hohe Gewinne gemacht hat, bestehen erhebliche Reserven zur Kostensenkung. Überdimensionierte Zentralen, überzogene Vergütungen und Überkapazitäten können abgebaut werden. Immer mehr Arbeiten können auf Zulieferer übertragen werden und mehr Kooperationen erfolgen. All dies dürfte den freien Cashflow der kommenden Jahre stärken, vor allem, wenn die Unternehmen nicht versuchen, durch aufwendige Investitionen das Unabwendbare doch noch zu verhindern.

Wie die FT am Beispiel von Royal Dutch Shell vorrechnet, kann das funktionieren. So hat die Firma Dividende und Investitionen im letzten Quartal aus dem laufenden Cashflow finanziert. Die Verschuldung liegt auf sehr tiefem Niveau. Damit ist es sehr wahrscheinlich, dass das Unternehmen auch in Zukunft die Dividendenzahlungen leistet. Die Dividendenrendite von deutlich über fünf Prozent kann sich sehen lassen.

Ein gewichtiges Argument ist die Zeit. Auch wenn meine Grundthese stimmt, reden wir beim Ende des fossilen Zeitalters nicht von Jahren, sondern von Jahrzehnten. In der Zwischenzeit kann der mittlerweile aufgrund des Preisdrucks erfolgte Kapazitätsabbau wieder zu knapperem Angebot und höherem Ölpreis führen. Oder es gelingt den Zentralbanken doch noch, die gewünschte Inflation zu erzeugen. Dann kommt wieder mehr Nachfrage ins Spiel. So oder so ist man mit der Aktie eines gut durchfinanzierten Rohstoffunternehmens nicht ganz so falsch aufgestellt. Es wird eben noch eine Weile dauern, bis wir gar kein Öl mehr verbrauchen.

Was also tun? Ich für meinen Teil halte Aktien von Royal Dutch Shell schon seit Jahren, musste also gegenüber den Höchstständen vom letzten Jahr einen Kursverlust hinnehmen. Angesichts der Tatsache, dass die Aktie seit 10 Jahren stabil zwischen 20 und 30 Euro pendelt, und mit Blick auf die Dividende scheint mir das Risiko, weiter dabeizubleiben, durchaus vertretbar. Bei den jetzt günstigeren Einstandskursen Positionen aufzubauen, allemal.

→  WirtschaftsWoche Online: „Ölaktien – Steinzeitpapiere oder lohnende Investments?“, 5. November 2015