Nur Bares ist Wahres – Ab­schaffung des 500-Euro-Scheins ist der Ein­stieg in den Aus­stieg vom Bargeld

Folgender Kommentar erschien letzte Woche in der Börsen-Zeitung:

 

Noch nie gab es so viel Bargeld wie heute. Seit ihrer Einführung vor 14 Jahren hat sich der Wert der umlaufenden Euro-Noten verfünffacht. Politikern und Notenbankern gefällt diese Entwicklung nicht; sie wollen Bargeld als solches zurückdrängen. Als Begründung muss für Bargeldgegner wie Finanzminister Wolfgang Schäuble, Ex-US-Finanzminister Larry Summers oder Professor Kenneth Rogoff der Kampf gegen Terror und Kriminalität herhalten. Sie verweisen dabei auf Länder wie Italien und Frankreich, die bereits eine Obergrenze für Bargeldzahlungen haben. Sie blicken bewundernd nach Skandinavien: wer größere Beträge mit Cash bezahlt, macht sich dort als Krimineller verdächtig. In Schweden zahlen die Bürger fast nur noch mit Kreditkarte oder Smartphone. Ähnlich ist es in Dänemark. Ende des Jahres wird die Notenbank in Kopenhagen den Druck von Banknoten einstellen.

Dabei zweifelt selbst die Bundesbank, dass Terroristen oder Kriminelle wirklich an illegalen Handlungen gehindert werden, nur weil es eine Bargeldobergrenze gibt oder die großen Stückelungen abgeschafft wurden. Die gestiegene Nachfrage nach Geldscheinen erklärt sie schlicht mit deren Eigenschaft als Mittel zur Wertaufbewahrung. Offensichtlich ist das Bedürfnis in der Bevölkerung gestiegen, Geld in der Hand statt auf dem Konto zu haben. Eigentlich keine Überraschung nach dem Fast-Zusammenbruch unseres Finanzsystems 2008/2009 und der seither stetig gesunkenen und zum Teil bereits negativen Zinsen. Damit sind wir beim Kern der „Scheindebatte“: In Wahrheit geht es darum, Negativzinsen auf breiter Basis durchzusetzen. Die Abschaffung des 500-Euro-Scheins ist nur der Anfang.

Doch schon in der neuen Welt ohne die 500-Euro-Note wird das Horten von Bargeld teurer. Das englische Wirtschaftsforschungsinstitut Capital Economics hat in einer Studie ausgerechnet, dass es jährliche Kosten von 1 bis 2 Prozent verursacht, Geld im Tresor zu lagern. Bei großen Summen wird der Unterschied deutlich: Eineinhalb Kisten mit einem Fassungsvermögen von jeweils einem Kubikmeter genügen, gefüllt mit 1.000 Schweizer Franken-Scheinen, zur Lagerung von umgerechnet einer Milliarde US-Dollar. Mit 500 Euro-Scheinen braucht es bereits zweieinhalb Kisten und mit 100 US-Dollar-Noten zehneinhalb Kisten für die Aufbewahrung einer Milliarde US-Dollar.

Je höher die Kosten der Bargeldhaltung, umso mehr werden die Banken animiert, ihr Geld zu verleihen, und die Bürger und Unternehmen es auszugeben oder zu investieren – so der Gedanke der EZB und ihrer Herolde in der Wirtschaftsforschung. Die Wirtschaft werde angekurbelt und die Inflation könne anspringen. Und wenn die Sparer nicht mitspielen, werden sie zumindest dazu gezwungen, die Gläubiger durch ihre Strafzinsen zu subventionieren. Diese Mechanik der Konjunkturimpulse durch sanften Zwang funktioniert natürlich am besten, wenn es den Ausweg der Bargeldhaltung nicht mehr gibt. In einer Welt ohne Bargeld könnten die Verbraucher und Unternehmen dem Negativzins kaum ausweichen. Die Besteuerung der Bankguthaben könnte auf Knopfdruck funktionieren. Denkt man diese Logik zu Ende, könnte durch den Wegfall eines Vergleichspreises – nämlich dem der Bargeldaufbewahrung – auch die theoretische Untergrenze des Negativzinses wegfallen.

Richtig daran ist jedoch nur die Diagnose der Ausgangslage. Die Hoffnung, mehr Kredit würde höheres Wachstum erzeugen und zu höherer Inflation führen, hat sich bislang nicht erfüllt. Im Gegenteil: Die Nebenwirkungen werden immer offensichtlicher. Statt darüber nachzudenken, wie man nun die Dosis immer weiter erhöhen und vielleicht die Rezeption derselben verbessern kann, sollte man überprüfen, ob die Medizin die Richtige ist. Besser wirken würden eine Beseitigung des Schuldenüberhangs, eine Stärkung des Wachstums und eine nachhaltige Reform des Finanzsystems.

Die Beseitigung des Schuldenüberhangs ist der schmerzvolle, aber unvermeidbare erste Schritt zur Sanierung der westlichen Wirt­schaften. Die schmerzfreien Optionen des »Aus- dem-Problem-Herauswachsens« und der langsamen Rückzahlung durch die Schuld­ner funktionieren im heutigen Umfeld nicht mehr. Wir werden um eine Bereinigung durch Schuldenschnitte und eine Umver­teilung von Gläubigern zu Schuldnern nicht herumkommen. Letzteres geschieht zwar implizit schon heute: Sparer subventionieren Staaten. Nicht zu handeln, würde jedoch den Vermögensschaden noch viel größer machen.

Den Schritt der offenen Schuldenbereinigung scheut die Politik aus Angst vor dem Wähler. Deshalb bleiben die Notenbanken gefangen in einer Politik, die immer tiefere Zinsen erforderlich macht, um den Schuldenturm vor dem Einsturz zu bewahren. Das Problem: Negativzinsen, die eine schleichende Entwertung von Schulden und Forderungen zum Ziel haben, wirken sehr langsam. Gleichzeitig können wir schon erkennen, dass sie die Stagnation verstärken, wie dieser Effekt die Wirkung negativer Zinsen übertrifft und die Schulden relativ zum Einkommen weiter wachsen, anstatt zu sinken. Damit wächst das Problem noch weiter an, und noch drastischere Einschränkungen und Eingriffe in die Märkte sind zu erwarten. Ist mit dem 500-Euro-Schein erst einmal ein Tabu gefallen, ist die Einschränkung des Bargelds nicht mehr weit. Und weil ja auch Gold von der Lagerung her noch effizienter ist, wäre auch das Verbot des privaten Besitzes von Gold nur der nächste logische Schritt. Ein Blick in die Geschichte – siehe die USA zur Zeit der Großen Depression – lehrt, dass es keine abwegige Überlegung ist.

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungs­gerichts, Hans-Jürgen Papier, hält das Beschränken von Bargeld für verfassungswidrig. Mit vagen Vermutungen und globalen Verdächtigungen wie sie die Bargeldgegner anführen, sei ein solcher Eingriff in die Vertragsfreiheit und Privatautonomie nicht legitimierbar. Diese – sicher fundierte – juristische Einschätzung konnte jedoch die Abschaffung des 500-Euro-Scheins nicht verhindern. Bleibt abzuwarten, ob der grundgesetzliche Schutz des Eigentums die schleichende Enteignung einer willkürlich definierten Bevölkerungsgruppe – in diesem Fall der Geldhalter – zum Zwecke der Lösung einer Schuldenkrise verhindern kann.