Neustart in der Klimapolitik

Deutschland ist wenig sonnig, dicht besiedelt und hat einen hohen Energiebedarf. Wir verfügen über die drittniedrigsten Solar- und Windressourcen der Welt im Vergleich zu unserem Gesamtenergiebedarf. → carbontracker.org: “The Sky is the Limit”

Klartext: Fast nirgendwo ist es so schwer, die Versorgung auf Erneuerbare Energien umzustellen wie bei uns. Dass dies nicht nur in der Theorie so ist, zeigt das erste Halbjahr 2021. Weil der Wind weniger blies, steuerte die Windkraft nur 22 Prozent zur Stromversorgung bei statt 29 Prozent wie im Vorjahr. Neun Prozent entfiel auf Fotovoltaik und sechs Prozent auf Biogas. Zwölf Prozent steuerten Atom- und 27 Prozent Kohlekraftwerke bei. Also genau die Erzeugungsquellen, die wir nach Auffassung vieler Beobachter möglichst rasch vom Netz nehmen sollen. Nun könnte man denken, die Programme der Parteien zur Bundestagswahl adressieren das offensichtliche Problem und zeigen auf, wie man trotz schlechter Rahmenbedingungen, Klimaschutz und Versorgungssicherheit unter einen Hut bringt. Doch weit gefehlt, es wimmelt von Allgemeinplätzen und Versprechen. Dies hindert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nicht daran, in einer Studie GRÜNE und LINKE  für ihre Absichten beim Klimaschutz zu loben. Die gute Platzierung dieser Parteien ergibt sich bei genauerem Hinsehen aus drei Gründen:

  • der Erklärung bis 2030 die Kohlekraftwerke stillzulegen,
  • der Erklärung bis 2030 den Verbrenner zu verbieten
  • Fokussierung auf staatliche Steuerung und Verbote sowie Misstrauen gegen den Markt.

Eine glaubwürdige Antwort, wie die Lücke der Stromversorgung geschlossen werden soll, fehlt in den Programmen genauso wie bei den anderen Parteien.

Womit wir beim Kernproblem der deutschen Klimapolitik sind. Sie entfernt sich zunehmend von der Realität und basiert auf einem Wettlauf, sich in Versprechen zu überbieten. Getrieben wird die Politik nicht zuletzt von Instituten wie dem DIW oder der Agora Energiewende, die regelmäßig Studien veröffentlichen, wie ein klimaneutrales Deutschland realisiert werden kann, ohne dabei die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen zu berücksichtigen. Ganz zu schweigen von der technischen Realisierbarkeit, die in wesentlichen Bereichen, wie der Speicherung von Energie für Zeiten ohne Wind und Sonne, auf noch zu erfolgende Innovationen setzt.

Wir brauchen dringend einen Neustart in der Klimapolitik, denn das Motto „Es-wird-schon-gut-gehen“ taugt nicht zur Sicherung von Wohlstand hierzulande. Statt alles auf eine Karte zu setzen, sollten wir verstärkt nach Möglichkeiten suchen, grüne Energie zu importieren und unsere Mittel auf Forschung und Entwicklung konzentrieren. Dann können wir nicht nur einen Beitrag leisten, deutlich mehr als unseren Zwei-Prozent-Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß zu reduzieren, sondern wirklich die Zukunftsindustrien aufbauen, die grünen Wohlstand für morgen bedeuten. Voraussetzung ist allerdings, dass die kommende Bundesregierung erkennt, dass die Idee, Energielücken über Einschränkungen des Verbrauchs zu schließen, die wichtigste Voraussetzung für Klimaschutz gefährdet: die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.

handelsblatt.com: “Die deutsche Klimapolitik braucht dringend einen Neustart”, 17. September 2021