„Negativ­zins: Handeln statt Jammern!“

Die Verzinsung zehnjähriger Bundesanleihen ist negativ, Anleger verlieren damit Geld. Das Problem dürfte sich nicht einfach beseitigen lassen jedenfalls nicht ohne Blessuren für Wirtschaft und Verbraucher.

Heute ist ein historischer Tag. Zum ersten Mal in der Geschichte zahlen wir dem Bund Geld dafür, dass er sich bei uns für zehn Jahre verschuldet. Wer eine Bundesanleihe mit einer Laufzeit von zehn Jahren heute kauft, bekommt garantiert über die Laufzeit der zehn Jahre weniger zurück, als er heute an den Staat überweist. Was bisher schon für Anleihen mit kürzerer Laufzeit gilt, gilt nun auch für diese Kategorie von Anleihen. Damit folgt Deutschland der Schweiz und Japan immer mehr in die Terra incognita des Negativzinses. Niemand weiß, wie die Reise enden wird. Gut wohl eher nicht.

Die Notenbanken der Welt, nicht nur die EZB, haben beschlossen, den Sparer zu enteignen. Es ist ein verzweifelter Versuch, die Weltwirtschaft aus der Stagnation zu befreien, den Euro zu retten und die Finanzkrise zu überwinden. Dabei sind die Notenbanken die Hauptverantwortlichen für die Überschuldung der westlichen Welt, deren Folgen wir immer mehr zu spüren bekommen. Mit ihrer jahrzehntelang zu laxen Geldpolitik haben sie eine Abwärtsspirale der Zinsen ausgelöst, die selbstverstärkend wirkt. Tiefe Zinsen heute machen noch tiefere Zinsen morgen erforderlich, um den Schuldenturm vor dem Einsturz zu bewahren.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich warnt seit Jahren vor den Folgen dieser Politik, die bei jeder Krise die Geldschleusen geöffnet, danach jedoch niemals wieder richtig geschlossen hat. Vergeblich. Denn die Abwärtsspirale, in der die Notenbanken gefangen sind, können sie nicht selber überwinden. Die Voraussetzung dafür ist so einfach gesagt, wie schwer realisiert: Die faulen Schulden müssen aus der Welt geschaffen werden.

Höhere Zinsen führen zur Pleitewelle

Die Welt ist so verschuldet wie nie zuvor. Die Gesamtverschuldung von Staaten, Unternehmen und privaten Haushalten lag 2015 bei 350 Prozent vom BIP in China, 370 Prozent in den USA, 457 Prozent in Europa und 615 Prozent in Japan. In allen Regionen sind die Schulden erneut deutlich schneller gewachsen als die Wirtschaftsleistung. Jedes Gerede vom Sparen ist eben nur Gerede. Aus der Überschuldung kann man sich nicht heraussparen. Es bleiben nur Pleiten, Schuldenrestrukturierung, Besteuerung und Monetarisierung über die Notenbankbilanzen, um das Schuldenmonster in den Griff zu bekommen. Keine dieser Alternativen ist politisch attraktiv.

Doch solange sich die Politik darum drückt, die Antwort auf die alles entscheidende Frage zu geben, wie wir die faulen Schulden und damit auch die Forderungen/Vermögen, die diesen entgegenstehen, aus der Welt schaffen, bleibt den Notenbanken keine andere Wahl, als mit immer mehr billigem Geld und dem Aufkaufen fauler Schulden die Illusion aufrechtzuerhalten, wir seien nicht pleite. Wir sind es aber.

Zinserhöhungen sind deshalb völlig unrealistisch. Denn was wäre die Folge? Eine Pleitewelle in den Krisenländern der Eurozone, und zwar von Staaten, privaten Haushalten, Unternehmen und Banken. Ein scharfer Einbruch der deutschen Exporte bedingt durch eine deutliche Aufwertung des Euro und einer heftigen Rezession in der Eurozone. Und vor allem ein erheblicher Vermögensverlust für uns Deutsche, sind wir doch die Hauptgläubiger der Eurozone.

Damit würden die Notenbanken entscheiden, auf welchem Weg die Bereinigung der faulen Schulden erfolgt. Nämlich auf dem brutalsten und auch für die Gläubiger teuersten Weg. Wie bei einer Unternehmensinsolvenz ist es auch bei der Insolvenz eines ganzen Landes aus Sicht der Gläubiger besser, einen geordneten Prozess durchzuführen, statt eines chaotischen. Deshalb halten die Notenbanken das System am Laufen und verhindern den Zusammenbruch des Schuldenturms, in dem sie mit billigem Geld quasi Zement in das Fundament spritzen. Dumm nur, dass wir zeitgleich immer neue Stockwerke auf den Turm draufsetzen.

Schuldenschnitt und Reformen für höhere Zinsen

Wenn wir es ernst meinen mit dem Wunsch nach höheren Zinsen, müssen zwei fundamentale Dinge geschehen: Zunächst sind die faulen Schulden in einem geordneten Prozess aus der Welt zu schaffen, was übrigens für die deutschen Steuerzahler nicht billig wird. Gut eine Billion Euro dürfte es uns kosten, die Folgen der verfehlten Euroeinführung und der „Euro-Rettungs-Politik“  zu bewältigen. Wie dies zu machen wäre, habe ich hier erklärt.

Dies dem Volk zu sagen, dürfte sich wohl jede Partei in Deutschland verweigern und stattdessen lieber die EZB weiter machen lassen wie bisher.

Doch selbst wenn sich die Politik dazu durchringen würde, das Notwendige mit Blick auf die Schulden zu tun, so genügt das nicht. Die Zinsen sind nicht nur wegen der Politik der EZB so tief. Sie widerspiegeln auch eine fundamentale Verschiebung in der Weltwirtschaft: Die Erwerbsbevölkerung stagniert bzw. beginnt zu schrumpfen und die Produktivitätszuwächse sind seit Jahren rückläufig. Diese beiden Faktoren sind es jedoch, die das langfristige Wirtschaftswachstum und damit den Zins beeinflussen. Gesellschaften, die schrumpfen, haben keine hohen Zinsen.

Die Antwort wäre ein Reformprogramm für Deutschland und Europa um das langfristige Wachstum zu stärken. Mehr Erwerbsbeteiligung von Frauen und Alten, mehr Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur. Kurz gesagt: weniger staatlicher Konsum und mehr Investition. Gerade die Älteren müssten möglichst lange arbeiten. Wir werden nicht darum herumkommen, die Leistungen für die ältere Gesellschaft zu senken.

Doch was macht die Politik? Mütterrente, Lebensleistungsrente, jetzt Grundrente. Alles geht in Richtung Konsum und weniger Erwerbsbeteiligung. Und damit in Richtung tiefer Zinsen.

Wer wieder höhere Zinsen will, muss und kann handeln. Da ist es doch viel einfacher, die Schuld bei der EZB zu suchen. Die hat uns zwar in die Krise geführt. Beenden kann sie sie jedoch nicht!

WiWo.de: „Negativzins: Handeln statt Jammern!“, 14. Juni 2016

Cicero.de: Wer jetzt dem Staat Geld leiht, zahlt auch noch dafür, 14. Juni 2016

Kommentare (25) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Bakwahn
    Bakwahn sagte:

    Abschließend:
    Übrigens liebe VWLer:
    Die griechische Drachme, der portugiesische Escudo, die spanische Pesete, die italienische Lira und gerade auch der französische Franc waren in ihrer langen Geschichte stets Weichwährungen, weil in diesen Volkswirtschaften „südländisch“ gewirtschaftet wurde. Das verdrängen nicht nur die Euro-Illusionisten, sondern auch gestandene VWLer.
    Seit sechs Jahren retten wir Griechenland und den Euro. Die Hälfte seiner Lebenszeit existiert und überlebt der Euro im Rettungsmodus mit gigantischen Rettungsschirmen und Geldschöpfungen der EZB. Rekordarbeitslosigkeiten in den südlichen Krisenländern, soziale Katastrophen, ganze Jugendgenerationen werden dem Projekt “Eurorettung” geopfert, dazu Firmenpleiten und marode Banken; die Schuldenstände der Krisenländer sind heute höher als bei Ausbruch der Krise. Streitereien und Entzweiungen der Länder untereinander, Beleidigungen und Erpressungen etc. Und das deutsche Wahlvolk wehrt sich nicht!?
    Was ist das für eine kranke Währung! Weg mit ihr!

    Solange die Deutschen die negativen Auswirkungen der „Rettungsaktionen“ nicht zu spüren bekommen, solange Negatives für die großen Massen in Erfahrungsferne gehalten wird – u.a. eben auch durch die exorbitanten Geldschöpfungen der EZB ex nihilo -, solange wählt man die Altparteien = Blockparteien.

    Lassen wir den Club Méditerranée seine Fete feiern

    Deutschland muß raus aus diesem Euro! Wir brauchen kleinere Währungsverbünde, z.B. einen Nord-Euro ohne Frankreich. Dann können die Tsiprases, Renzis, Hollandes, Rajoys, Junckers, Schulzens, Draghis, Dijsselbloems mit ihrem alternativlosen Euro endlich machen, was sie wollen. Sie können Euros drucken, bis die Druckerschwärze teurer ist als die Scheine. Sie können sich gegenseitig retten, herzlich gerne auch mehrmals täglich. Sie können eine Haftungsunion, Transferunion, Fiskalunion, Bankenunion einrichten und sie können einen Schuldentilgungspakt beschließen und Eurobonds aufnehmen. Sie können milliardenschwere Konjunktur- und Wachstumsprogramme auflegen und ihre Bevölkerungen damit beglücken.
    Dann hat der Club Méditerranée seine uneingeschränkte Souveränität zurück und kann in seinen dann wiedergewonnenen lateinisch-mediterranen Lebensformen unter Frankreichs Führung schwelgen und feiern bis er in Rotwein und Champagner absäuft.

    Live aus Hamburg aus dem „Käpt´n Brass“, St.Pauli – 1 Uhr Ortszeit, Sonntag
    Texte geschrieben, aktualisiert und überarbeitet bei reichlich Flensburger Pilsener, „Bölkstoff“; die Flasche mit dem charakteristischen Bügelverschluß, „PLOPP“.
    Zwei süße Serviermädchen schmeißen den Laden hier; eine vollschlanke, üppige Brünette – voluptuous – sehr freundlich, oft lächelnd und eine fesche, schlanke Blondine, sehr hübsch, attraktiv. Sehr anregend; manchmal erhasche ich ein aufmunterndes Lächeln; das nenne ich eine florierende Wirtschaft.
    http://www.reeperbahnbummel-online.com/virtuelle-kieztour/kaeptn-brass-gerhardstrasse-hamburg-st-pauli/

    Bakwahn
    Hamburg Bangkok Düsseldorf

    Antworten
  2. Bakwahn
    Bakwahn sagte:

    Ich habe alle Kommentare gelesen, zur Kenntnis genommen und in meinem Herzen bewegt.
    Live aus Hamburg aus dem „Käpt´n Brass“, St.Pauli; eines meiner Wohnsitze.
    Hier meine Antwort; ein paar Blicke im Lichte eines kulturell-historischen Scheinwerfers.

    Giorgio Agamben und die lateinsch-mediterrane Lebensart

    Der italienische Philosoph Giorgio Agamben hat Anfang des Jahres 2013 unter Intellektuellen für viel Wirbel gesorgt hat: Que l’Empire latin contre-attaque! Das lateinische Imperium schlägt zurück! Dazu gab es Artikel z.B. von Thomas Assheuer (Zeit) und Jürgen Kaube (FAZ), dazu viele Kommentare der Leser, die sich mit besagtem Agambenaufsatz und Interview beschäftigen.
    Agamben befürchtet, daß die romanisch geprägten Südländer in der durch den wirtschaftlichen Hegemon Deutschland beherrschten Eurozone ihre kulturellen Selbstverständlichkeiten und ihre spezifische Lebensweise einbüßten.
    Die angeblich so knallharten Forderungen – Geld und Hilfe nur gegen Austerität und strukturelle Reformen – bedeuteten die zwangsläufige Übernahme von Tugenden und Einstellungen sowie eines Arbeitsethos und Lebensstils, die der deutschen protestantischen Ethik entsprächen, was ein nicht hinzunehmender Angriff auf die lateinisch-mediterrane Identität und Mentalität, auf ihre Lebensform darstelle. Sich den Imperativen einer kapitalistischen Marktwirtschaft zu unterwerfen „würde zum Verschwinden eines Kulturguts führen, das vor allem in einer Lebensform liegt.“ (Agamben) Die besondere lateinisch-mediterrane Kultur gilt es also zu verteidigen.
    Assheuer von der Zeit resümiert: „Frankreich hat Kultur. Deutschland nur Zivilisation.“
    Hier werden die Differenzen deutlich und es drängt sich der Verdacht auf, wir sollen ihnen diesen Lebensstil per Transferunion finanzieren.
    Diese komische Protestbewegung, die im Frühjahr in Frankreich entstanden ist und über die mitfühlend-zustimmend auf Arte und im ÖR (Weltspiegel, Auslandsjournal) berichtet wird, will nichts anderes als sichere, gut bezahlte Jobs im öffentlichen Dienst, in staatlichen und halbstaatlichen Unternehmen. Wo leben diese Traumtänzer eigentlich?

    Live aus Hamburg aus dem „Käpt´n Brass“, St.Pauli – 23 Uhr Ortszeit
    Bakwahn
    Hamburg Bangkok Düsseldorf

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  3. Bakwahn
    Bakwahn sagte:

    Danke, Contumax, für Ihren aufmunternden Kommentar.
    Das folgende habe ich aus den Tiefen meiner Festplatte hervorgeholt. Es handelt sich um Kommentare zu Artikeln von Miriam Meckel (Wiwo), Theo Sommer (Zeit), zum Cicero und anderen. Jetzt überarbeitet und aktualisiert.

    Die Geschichtsvergessenheit deutscher Politiker, Intellektueller und gerade auch Ökonomen

    Die Reformation ist das wichtigste weil wirkungsmächtigste historische Ereignis der deutschen und (mittel)europäischen Geschichte. Eine ihrer historischen Langzeitwirkungen im Rahmen des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation hat zur Abspaltung des protestantisch geprägten germanischen Nordens vom katholisch geprägten romanischen Süden und Südwesten geführt; zwei Sprach- und Kulturkreise, die nicht zueinander paßten.
    Heute versucht die Politik mit aller Macht und unter Mobilisierung gigantischer finanzieller Ressourcen die Teile Europas, die nicht zusammengehören und auch nicht zusammen harmonieren, politisch und wirtschaftlich mit einer Schraubzwinge zusammenzupressen. Die Differenzen jedoch in Kultur, Mentalität und Identität sind ganz offensichtlich unübersehbar und nicht zu überbrücken.
    Der euroversessene links-grüne Mainstream-Journalismus, der eine Meinungshegemonie in unserer Öffentlichkeit etabliert hat, ist geschichts- und seinsvergessen,. Das gilt auch für die meisten unserer deutschen Politiker, denen es ganz offensichtlich an historischer Bildung und Urteilsvermögen mangelt. Dieser Versuch, Inkompatibles zu konvergieren, wird für die deutsche Nation in einem finanziellen und wirtschaftlichen Fiasko enden.
    Es wird blind und ideologisch gehandelt nach dem Motto:
    Euro, Euro über alles. Scheitert er, scheitert Europa.
    So ein Blödsinn.
    Das Projekt Euro ist gescheitert, aber nicht das Projekt Europa.

    Live aus Buxtetown am Esteriver – 19.6.2016 – 15 Uhr Ortszeit
    Bakwahn
    Hamburg Bangkok Düsseldorf

    Antworten
  4. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    @ Michael Stöcker

    >Sie verbreiten immer wieder IHR Glaubensbekenntnis.“
    Welches sollte ich Ihrer Meinung nach denn sonst verbreiten?>
    Es geht nicht darum, ein anderes Glaubensbekenntnis zu verbreiten, sondern – wie ich geschrieben habe – „WIDERLEGEN Sie doch einmal mit einem begründeten „ist nicht richtig“ die vom Dr. Stelter vorgetragenen Auffassungen.“

    >Es gibt keinen Dissens zwischen Dr. Stelter und mir. Oder wie interpretieren Sie seine Antwort auf meinen Einwand weiter oben?>

    Selbstverständlich gibt es einen Dissens zwischen Ihnen und Dr. Stelter. Daran ändert auch nichts, dass Dr. Stelter Ihnen sagt:
    > … ich denke wir sind nicht auseinander … Deshalb sage ich ja auch am Ende, wer die tiefen Zinsen ändern will, muss was ändern: Schulden, Verteilung, etc. Ohne Fiskalpolitik kommen wir nicht aus der Krise.>

    Der Dissens ergibt sich, weil Dr. Stelter AUCH sagt (in seinem Artikel, nicht in der Replik an Sie):

    >Die Antwort wäre ein Reformprogramm für Deutschland und Europa um das langfristige Wachstum zu stärken. Mehr Erwerbsbeteiligung von Frauen und Alten, mehr Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur. Kurz gesagt: weniger staatlicher Konsum und mehr Investition.>

    WENIGER staatlicher KONSUM … das ist etwas anderes als das, was Sie wollen.

    Denn Sie wollen nicht weniger Konsum und daher, um die Investitionen zu finanzieren, Staatsverschuldung – jedenfalls MEHR Staatsverschulung als Dr. Stelter bei gleich hohen Staatsausgaben für Investitionen des Staates, die auch er befürwortet, implizit fordert bzw. akzeptieren würde.

    Deshalb ohne Interpretation, sondern einfach nach dem, was der Text besagt:

    Dr. Stelter stimmt nicht mit Ihnen überein, auch wenn er das ausblendet. Das ist in Ordnung, wenn er verbindlich sein will. Und schließlich ist es ist sein Blog, wir sind hier nur Gäste. Ich bin allerdings NUR an Klärung interessiert, d. h daran, ob Auffassungen richtig oder falsch sind, und halte daher gewohnheitsmäßig immer zwischen die Augen – allerdings begründend und argumentativ.

    Zu Schuknecht:

    >Kein einziger Hinweis auf die völlig aus dem Ruder gelaufene Leistungsbilanz, die zu massiven strukturellen Fehlentwicklungen in Deutschland und Euroland beigetragen hat.,,, Zu hohe Kapazitäten im Exportsektor haben nicht nachhaltige TARGET Salden zur Folge sowie eine verlotterte Bildungs- und Verkehrsinfrastruktur. Kein einziges Wort hierzu von Schuknecht.>

    Abgesehen, dass Sie NICHT gegen Schuknecht argumentieren, wenn Sie darauf verweisen, WAS er NICHT sagt:

    Schuknecht muss EXPLIZIT nichts dazu sagen, weil er implizit etwas dazu sagt, wenn er Reformprogramme für ein höheres Wachstumspotenzial fordert.

    Bezogen auf die Angleichung der Leistungsbilanzen in der Eurozone funktioniert das so: Reformen in den Defizitländern führen zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, damit attraktiveren Produkten für uns, die wir vermehrt einführen. Außerdem würden wir in reformfähige und -willige Länder auch mehr investieren. Das ist der Mechanismus, der zumindest tendenziell den Ausgleich schaft – und nicht ein EINSEITIGER Abbau unseres Exportsektors, der uns in ein Desaster treiben würde, in dem von Bildungspolitik und Verkehrsinfrastruktur keine Rede mehr sein könnte. Wer mit der Energiewende, Rentneralimentation und Zuwanderungspolitik ein so großen Rad wir drehen, der braucht einen starken Exportsektor – dann jedenfalls, wenn das alles nicht zu großen Teilen über Staatsverschuldung finanziert werden soll.

    Kurzum:

    Seinen Mechanismus müssten Sie kritisieren, wenn Sie Schuknecht kritisieren wollen.

    Das geht schon, wenn man dabei – so würde ich argumentieren – darauf hinweist, dass die VORAUSSETZUNGEN für erfolgreiche Reformländer wie Irland, Schweden Neuseeland, Brasilien und Chile andere sind als die für die Peripherieländer der Eurozone.

    Der von Ihnen zuletzt verlinkte Hinweis auf die output-Lücke und das Plädoyer für Helikoptergeld und eine lockere Fiskalpolitik ist die alte Leier – siehe Wermuth am Herdentrieb.

    Die Arbeitslosigkeit kann man abbauen und die output-Lücke kann man schließen, wenn man „sticky wages“ wegreguliert.

    Das muss man nicht und es gibt gute Gründe, es nicht zu wollen.

    Wenn so, dann soll man aber auch nicht jammern, wenn die Dinge so sind wie sie sind, und auch nicht versuchen, mit höchst zweifelhaften Mitteln, u. a. einer verantwortungslosen, weil letztendlich ins nächste Desaster führenden Fiskalpolitik der zugegeben trostlosen Lage zu entkommen.

    Antworten
    • Daniel Stelter
      Daniel Stelter sagte:

      Nachdem hier auch über die Interpretation meiner Aussagen diskutiert wird, ein Versuch, es wirklich knapp zusammenzufassen:

      1. Der Kapitalismus ist eigentlich ein Debitismus, in dem Schuldendruck zu Mehrprodukt und damit mehr Wohlstand führt.
      2. Werden die Schulden zu produktiven Zwecken aufgenommen, kann das recht lange funktionieren, dennoch gibt es eine gewisse Tendenz zur Vermögenskonzentration, weil einfach einige besser wirtschaften als andere.
      3. Hier kann durch etwas (!) Umverteilung stabilisiert werden.
      4. Um den Druck aus dem System zu nehmen, denn dieser ist unangenehm, versucht die Politik, möglichst viel Umverteilung und Regulierung (Löhne, Arbeitszeit etc.).
      5. Damit schwächt sie jedoch die Dynamik des Systems,
      6. was wiederum den Anreiz gibt, dies durch Schulden, die nicht produktiven Zwecken dienen, zu kaschieren …
      7. … besonders dann, wenn durch neue Konkurrenz (China, ehem. Ostblock) der Lohndruck zunimmt
      8. Unproduktive Schulden sind dann staatliche Konsumschulden und private Konsumschulden und Schulden zum Kauf vorhandener Assets.
      9. Das Ganze wird verstärkt durch ein Geld-/Bankensystem, welches immer mehr dereguliert wurde, um eben dieses Schuldenwachstum zu fördern.
      10. Nun, wo diese Schulden sich als immer untragbarer erweisen, weil die Realwirtschaft die Zinsen erwirtschaften muss, ohne, dass man diese durch Investitionen gestärkt hätte, haben wir die Krise.
      11. Die Notenbanken, bisher schon Komplizen im Spiel, haben noch mal alles gegeben, um den Schuldenturm zu stabilisieren.
      12. Dennoch erkaltet die Wirtschaft immer mehr,…
      13. … zusätzlich geschwächt von der demografischen Entwicklung und abnehmenden Produktivitätszuwächsen
      14. Jetzt haben wir das Endspiel, wo es darum geht, die Schulden wieder auf ein stabileres Niveau zur Realwirtschaft zu bringen.
      15. Weil wir nicht mehr Schulden machen können, haben wir auch eine Nachfragelücke.
      16. Vermögensverteilung ist natürlich ungleicher nach einem solchen Prozess, weil nur die Vermögen profitieren. Einkommen sind auch ungleicher, weil nicht alle im globalen Wettbewerb bestehen können.
      17. Wir müssen entweder die Wirtschaft deutlich stimulieren (unmöglich, denke ich, im erforderlichen Ausmaß), oder die Schulden senken und das langfristige Wachstumspotenzial erhöhen.
      18. Schuldenschnitt wäre das Beste, kommt aber nicht. Inflation nicht einfach, deshalb Helikopter und direkte Staatsfinanzierung, um a) die Nachfrage zu stärken und b) doch Inflation zu erzeugen.
      19. Dann sollte der Staat aber INVESTIEREN und nicht mehr Geld für KONSUM (Soziales, Flüchtlinge, Militär,…) ausgeben, sondern alles für Infrastruktur, Bildung etc., damit wir nach der Schuldenbereinigung etwas haben, auf dem wir aufbauen können.
      20. Eurokrise etc. ist hier nur eine zusätzliche Komplexität, weil wir Forderungen über die Grenze haben. Etwas, was wir beenden sollten.

      Nachtrag zu der deutschen „Exportpolitik“: Ich halte sie für falsch, weil nicht in unserem Interesse. Sie ist aber nicht die „Ursache“. Das billige Geld hat in den heutigen Krisenländern einen Boom ausgelöst, der nicht aus dem Inland zu befriedigen war. Hätte es D nicht gemacht, hätten es andere Länder gemacht. Wir sind definitiv nicht die Gewinner des Euro, siehe dazu meinen entsprechenden Kommentar.

      Somit ist die Lösung für Europa nicht, dass wir jetzt auch die Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Die Lösung ist: Mehr Investition in D, Schuldenrestrukturierung und eine Neuordnung der Eurozone. Für alle drei Dinge liegt die Wahrscheinlichkeit, dass es unsere Politik freiwillig tut, bei NULL. Deshalb wird es unfreiwillig, schmerzhaft und teuer passieren.

      Ich hoffe, dies hilft ein wenig.

      LG und DANKE für die aktive Diskussion!

      DSt

      Antworten
      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        Besten Dank für die umfangreiche Klarstellung Ihrer Position.

        Ich bemerke dazu erst einmal:

        Unter 19. stimmen Sie bezüglich der Staatsausgaben nicht mit M. Stöcker überein, der prinzipiell keine Begrenzung der Staatsausgaben für Konsum befürwortet. Da sie beide für Investitionen des Staats plädieren, heißt dies bei M. Stöcker ZWANGSLÄUFIG höhere Neuverschuldung des Staates und bei Ihnen je nach Investitionsvolumen geringere oder keine Das ist ein bedeutsamer Unterschied, bei dem ich auf Ihrer Seite bin, wobei offen bleiben kann, ob sich UNSERER Staat angesichts der Lage und Kosten nicht doch neuverschulden sollte.

        Zu Ihren anderen Auffassungen:

        1. „ Kapitalismus ist eigentlich ein Debitismus“

        Er ist de facto einer. Die Frage, die ich interessant finde, lautet: MUSS er einer sein oder ist er nur umständehalber einer solcher geworden. M. Stöcker ist mit Bezug auf Binswanger der Meinung, dass er notwendigerweise einer sein muss. Ich bin der Überzeugung, dass dies falsch ist und eine arbeitsteilige, Sachkapital einbeziehende Wirtschaft sehr wohl aus sich heraus, d. h. insbesondere durch Innovationen organisch wachsen kann. Für hohe Effektivität braucht sie allerdings ein normierendes Tauschmittel – Geld. Ich glaube nicht, dass es dem Volumen nach NUR durch sich ausweitende Schuldverhältnisse (Kreditgenerierung) mitwachsen kann. Aber kein Zweifel: Der Verschuldungsmechanismus war und ist prinzipiell ein enormer Wohlstandsbeschleuniger im Kapitalismus, allerdings mitunter ist er auch ein zerstörerischer.

        3. „etwas (!) Umverteilung: An sich ist sie nicht erforderlich. Wichtig ist lediglich, dass Vermögen produktiv eingesetzt wird und damit u. a. Beschäftigung schafft. Das wird es aber nicht mehr hinreichend bei uns, weil die Wachstums- und damit die Renditeperspektiven in den Entwicklungsländern größer sind, allerdings durch Rechtsunsicherheit etc. auch gehemmt werden.

        5. „damit schwächt sie jedoch die Dynamik des Systems“: Das wäre nicht weiter bedrohlich, wenn die Ansprüche der Menschen auch an Dynamik verlören. Dass sie es nicht tun, ist ein großes Problem. Es kann von der Politik nicht gelöst werden. Die hoch risikobehaftete Lösung heißt: Anpassung nach unten durch erzwungenen Verzicht.

        9. „Schuldenwachstum zu fördern“: Schuldengetriebenes Assetwachstum als SURROGAT für Einkommensstagnation. Das war der unausgesprochene Konsens (Politik, Banken, Rating Agenturen etc.), der u. a. gerade lehrbuchmäßig zur Sub Prime-Krise geführt hat.

        11. „Die Notenbanken … noch mal alles gegeben“: Wenn die Verschuldung zur Krise geführt hat, kann nicht noch mehr Verschuldung aus der Krise herausführen, und dies auch dann nicht, wenn der Schuldendienst verbilligt wird. An dieser Logik kommt man nicht vorbei. Notenbanker wie Draghi wissen das natürlich, haben aber kein anderes Mittel, um den „Schuldenturm zu stabilisieren“. Daher neben der offiziellen Begründung, das Inflationsziel erreichen zu wollen, auch die ehrlichere: Wir akkommodieren die Staaten, damit sie reformieren können. Das tun diese aber nicht hinreichend, weil sie es nicht können, wegen Sanktionierung durch Abwahl.

        Zu „Exportpolitik“ etwas am anderen Thread. M. Stöcker sprach oben allerdings oben von „zu hohen Kapazitäten im Exportsektor“. Die sehe ich nicht. Schuknecht kann man damit jedenfalls nicht angreifen.

  5. Bakwahn
    Bakwahn sagte:

    Auch Daniel Stelter beschwört ökonomische und politische Spielregeln, die von den Staaten des Euros einzuhalten sind.
    „Deshalb muss in den Verhandlungen zum Schuldentilgungsfonds eine weitgehende europäische Integration oder eine wasserdichte No-Bail-out-Klausel vereinbart werden, die für Regierungen bindend ist.“
    Wenn ich lese „eine weitgehende europäische Integration“, dann überkommt mich ein abgrundtiefes Grauen, und wenn ich lese „eine wasserdichte No-Bail-out-Klausel“ dann überkommt mich ein schallendes Lachen, welches bald in blankes Entsetzen übergeht.
    Auch Stelter übersieht in seinem Optimismus – neue, vielleicht auch bessere Regeln, brächten den Euro und die Krisenländer wieder auf Kurs -, daß die mediterranen Länder auch die neuen Regeln nicht einhalten werden.
    Der Historiker Dominik Geppert schreibt in seinem Buch „Ein Europa, das es nicht gibt“:
    „Eine zentrale Lehre der vergangenen Jahre lautet jedoch, dass man sich auf die Einhaltung auch elementarer Regeln in der EU und in der Eurozone nicht verlassen darf. Weder der Maastricht-Vertrag noch der Stabilitäts- und Wachstumspakt oder der Fiskalpakt haben dafür gesorgt, daß sich die Mitglieder der Währungsunion an die getroffenen Abmachungen hielten.Die Vereinbarungen sind umgedeutet, verbogen und gebrochen worden.“
    Alle anderen Vorschläge, die ich aus jüngster Zeit kenne – ob von Wirtschaftsjournalisten, Politikern, Soziologen oder von Finanzexperten, VWLern, Ökonomen – formulieren ebenfalls neue Regeln, mit denen dann die Eurozone mit allen Mitgliedern erhalten werden könne.
    Jedoch:
    Die Rückkehr zu Regeln, die auch wirklich konsequent und verbindlich eingehalten werden, diese Hoffnung ist ein feuchter Mythos, ein Phantasma. Alle, die solch optimistischen Vorschläge unterbreiten, sind Bewohner des Luftschlosses Eurotraum. Gesetze, Vereinbarungen, Regeln, Pakte werden durch den Club Mediterrane immer wieder pulverisiert und im Ground Zero, in einem Schwarzen Loch versenkt.
    Die jeweiligen nationalstaatlichen Politik-, Wirtschafts- und Sozialregimes sind einfach zu unterschiedlich. Der Euro scheitert an völlig unterschiedlichen wirtschaftskulturellen Vorstellungen und Mentalitäten in den Ländern der EU, insbesondere in den südlichen EU-Ländern.
    Wir Deutschen müssen uns daran gewöhnen, dass wir zugrunde gerichtet werden, denn Merkel und Schäuble und mit ihnen die CDU-CSU-SPD-Grünen-Linken werden bis ans Ende ihrer Tage in Nibelungentreue an diesem Einheitseuro festhalten.

    Live aus Buxtetown am Esteriver – 13 Uhr Ortszeit
    Bakwahn
    Hamburg Bangkok Düsseldorf

    Antworten
    • Contumax
      Contumax sagte:

      “Luftschloss Eurotraum”.
      Beifall für Ihre beiden Kommentare. Und Danke für den Hinweis auf Geppert. Für die Deutschen wird es ein böses Erwachen geben.

      Antworten
    • Dietmar Tischer
      Dietmar Tischer sagte:

      Sie müssen unterscheiden zwischen

      a) KONZEPTEN, anhand derer Lösungen MÖGLICH sein sollen.

      Wer Derartige vorschlägt, sollte sagen:

      Wenn dieser oder jener Staat oder alle x, y oder z täten, würde dies zu u, v oder z führen.

      Wegen des WENN ist das hypothetisch mit Blick auf das, was TATSÄCHLICH geschieht

      und

      b) der REALITÄT, die möglich oder auch nicht möglich ist, u. a. auf der Basis von Verträgen, Drohungen, Zufallsereignissen etc.

      Was dies betrifft, haben Sie recht:

      Da die INTERESSEN der Nationalstaaten, letztlich deren Bevölkerungen extrem UNTERSCHIEDLICH sind, ist mit Regeln in der EU nicht viel und in der Währungsunion praktisch nichts zu erreichen. Sie werden kontinuierlich gebrochen, wobei man sich mitunter auch noch mit einem „auf gutem Wege“ auf die Schulter klopft.

      Der EINZIGE gemeinsame Nenner, den ich zu erkennen vermag, besteht darin, dass man den Zerfall der EU und vor allem den der Währungsunion zu verhindern such.

      Die Begründung ist ehrlich und defätistisch zugleich (siehe Brexit):

      Wird der Status quo verändert, erwächst großer Schaden.

      Das wird die Menschen mehrheitlich vielleicht dazu bringen, am Status quo festzuhalten.

      Es wird NICHTS, aber auch GARNICHTS dazu beitragen, irgendetwas für die Verbesserung des Status quo zu leisten.

      Dazu müsste dieser etwas POSITIV erfahrbares sein.

      Das ist er nicht nach der Überzeugung einer wachsenden Anzahl von Menschen in Europa.

      Daher düstere Perspektiven, Eiszeit eben.

      Antworten
    • Daniel Stelter
      Daniel Stelter sagte:

      Lieber Bakwahn, tja, so optimistisch, wie Sie vermuten, bin ich nun wahrlich nicht. Es gibt ja gar Leser, die drohen wegen der „deprimierenden Lektüre“ dieser Seiten mit Selbstmord! Ich glaube überhaupt nicht an eine Implementierung von No-Bail-out Lösungen. Wenn man daran nicht glaubt, so kann man als Leser des in der SZ erschienenen Kommentars nur einen Schluss ziehen: Der Euro muss neu definiert werden, was die teilnehmenden Länder betrifft. Genau diese „self-discovered logic“ wollte ich erreichen. Wenn ich nämlich wie Sie argumentiere, laufe ich Gefahr, die Leser zu verlieren für mein Ansinnen, der geordneten Schuldenrestrukturierung, welches natürlich auch im Zuge einer geordneten Auflösung der Eurozone erforderlich wäre!

      Kommt aber nicht, sondern Chaos. Leider.

      Antworten
  6. Bakwahn
    Bakwahn sagte:

    Dysfunktionale Volkswirtschaften

    Wieder einmal ein feiner, mit vielen sachlichen Darstellungen und daraus folgenden Argumenten geschriebener Artikel zum Stand der „Euro- und Griechenlandrettung“.
    Jedoch:
    Im Euroraum sind völlig unterschiedliche Gesellschaften und Volkswirtschaften in unheilvoller Weise aneinandergekoppelt; stark differierend in Leistungs-, Wettbewerbs-, Produktivitäts- und Innovationsfähigkeit. Es handelt sich um eine katastrophal dysfunktionale Währungsunion.
    Die jeweiligen nationalstaatlichen Politik-, Wirtschafts- und Sozialregimes sind einfach zu unterschiedlich. Der Euro scheitert an völlig verschiedenartigen wirtschaftskulturellen Vorstellungen und Mentalitäten in den Ländern der Eurozone, insbesondere in den mediterranen Ländern.
    Die Eurozone hat den Maastrichtvertrag, der vernünftige Regeln für eine nachhaltige und funktionierende Wettbewerbs- und Marktordnung enthielt, nicht nur endgültig suspendiert, sondern in sein komplettes Gegenteil verkehrt. Wettbewerb, Subsidiarität, Eigenverantwortung hat man verabschiedet. Stattdessen sind wir in einer Transfer-, Schulden- und Haftungsunion gelandet.
    Die „Eurorettung“ hat längst die EZB übernommen. Sie betreibt Staatsfinanzierung und hält mit ihrer Politik des superbilligen Geldes viele überschuldete Euroländer, deren marode Banken und sogar torkelnde Unternehmen über Wasser.

    Im Folgenden argumentiere ich nicht ökonomisch und finanztechnisch, sondern historisch-kulturell.
    Die europäische politische Nomenklatura, die Euro- und Integrationsillusionisten und auch viele Volkswirtschaftler täuschen sich fundamental über die kulturelle Heterogenität, Ungleichartigkeit und Verschiedenartigkeit der europäischen Nationen; ihre unterschiedlichen Wirtschaftskulturen, Mentalitäten, Lebens- und Arbeitsauffassungen.
    Die Euroromantiker wollen nicht das jeweilige Wesen, Typische, Eigene, Essentielle der europäischen Gesellschaften, ihre je eigenen nationalstaatlichen Politik-, Wirtschafts- und Sozialregimes, die ich mit Hegel Substanz nenne, erkennen und respektieren. Europas Heterogenität und Pluralität. Hegelianisch formuliert: Die Euroträumer werden nicht im Euro-Paradies landen, in der „Poesie aller Herzen“, sondern in der „Prosa der Verhältnisse“, eine Verkehrung der ursprünglichen Absicht.

    Live aus dem Biergarten Stoffeln zu Düsseldorf – 18 Uhr Ortszeit
    Bakwahn
    Hamburg Bangkok Düsseldorf

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  7. Finanzanwalt
    Finanzanwalt sagte:

    Verstehe ich nicht: Privatmann verschuldet sich für die nächsten 15 Jahre fest zu 2,x % p. a.. In 2 Jahren startet eine rapide Zinswende. Nach weiteren 3 Jahren könnte erwähnter Privatier sich nur für nicht unter 7 % p. a. verschulden. Muss er aber nicht, weil er noch 10 Jahre Niedrigstzins fest hat. Wieso geht er pleite?

    Dito Unternehmer, der heute schon keinen neuen Kredit aufgenommen hat (sonst müsste EZB ja nicht mit Negativzins strafen), weil eine lohnende Investition nicht in Sicht ist. Muss also auch nicht in 5 Jahren teurer umschulden. (Teureren neuen) Kredit brauchte er nur, wenn sich dann auf einmal ein lohnendes Investitionsvorhaben auftun sollte. Dann ist ihm der höhere Zins aber egal, weil es sich auch damit lohnt!

    Wer sich heute noch eine überteuerte Immobilie ans Bein bindet, tut das mangels alternativen Anlagegelegenheiten überwiegend mit eigenem Geld. Wer auf Kredit spekuliert, täte das auch bei höheren Zinsen. Wenn er nicht (banktypisch) falsch beraten worden ist, ist er bewusst ein (hohes) Risiko eingegangen. Das soll ihm die EZB durch Billigstfinanzierung der involvierten Kreditwirtschaft dauerhaft abnehmen dürfen, damit die Banken und er ihre Zombie – Existenzen verlängern und deren Manager ihre Boni lange geniessen können?

    Wenn die seriösen Marktteilnehmer bei steigenden Zinsen ohne Schuldenschnitt dauerhaft klar kommen, müssten doch nur die Zocker in Schwierigkeiten geraten. Die Kollegen Insolvenzverwalter wissen sehr gut, wie sie an das Vermögen der Hinterleute kommen und Staatsanwälte, wie sie (wenn der politische Wille dazu vorhanden ist) spendable Vorstände für Selbstbedienung zahlen/büssen lassen können. Siehe Arcandor – Pleite. Zockertum an sich ist kein unmittelbarer Ausfluss billiger Kredite sondern gab es immer und wird es weiter geben. Erst recht, wenn man verantwortungsloses Handeln mit einem Schuldenschnitt auch noch belohnt. Ein persönliches Risiko läuft von den Verursacher bis heute keiner. Damit initiiert man kein Umdenken. Und weiter zieht die Karawane. Warum nicht die, die die Lage verschuldt haben, dafür zahlen lassen und nur die auf fangen, die unverschuldet mit in den Strudel hineingezogen werden?

    Lässt man die Niedrig – Zins – Surfer wirklich aus “echter Sorge ums Ganze” gewähren oder aus anderen, vielleicht unbewussten Gründen? Verbundenheit zu einem System, von dem man im Ruhestand als gut bezahlter Vortragsredner in finanzielle Regionen gehoben wird, die man als Bremsklotz am Siegeswagen der Finanzbranche schwerlich erreichen würde? Keine AKW – Katastrophe ohne finales menschliches Versagen. Nicht die Gesetzeslage ist das Problem, sondern deren von Kognitiver Dissonanz bestimmte Anwendung.

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    • Daniel Stelter
      Daniel Stelter sagte:

      Wenn die Zinsen steigen, fallen alle Asset-Preise (also wenn es kein (hyper)inflationäres Umfeld ist). Dann kommen auch die unter Druck, die mit wenig Schulden gearbeitet haben, weil ihr EK-Anteil sinkt und sie unter Umständen bei der nächsten Umschuldung nachschießen müssen. Der Zusammenhang: Der höhere Kaufpreis für Ihr Nachbarhaus steigert auch den Wert Ihres Hauses. Da die Banken auf Basis der höheren Bewertungen Kredite vergeben haben, ist das ein Problem. Sie verlieren Forderungen und sind insolvent. Dann geht es abwärts in die Fisher-Spirale nach unten. Deshalb kann man sich dem nur entziehen, in dem man gar keine Schulden hat, wenig Forderungen an Banken, Versicherungen etc. und dann auch noch in einer sicheren Gegend wohnt.

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      • Finanzanwalt
        Finanzanwalt sagte:

        Herzlichen Dank für die Antwort. Keine Schulden, keine Sorgen. Und kein Vermögen, – wenn nicht schon vorhanden. Ganz verstanden habe ich es nicht. Wahrscheinlich muss man es allgemein sehen, nicht logisch.

    • Dietmar Tischer
      Dietmar Tischer sagte:

      Sie verbreiten immer wieder IHR Glaubensbekenntnis.

      WIDERLEGEN Sie doch einmal mit einem begründeten „ist nicht richtig“ die vom Dr. Stelter vorgetragenen Auffassungen.

      >Die Zinsen sind nicht nur wegen der Politik der EZB so tief. Sie widerspiegeln auch eine fundamentale Verschiebung in der Weltwirtschaft: Die Erwerbsbevölkerung stagniert bzw. beginnt zu schrumpfen und die Produktivitätszuwächse sind seit Jahren rückläufig. Diese beiden Faktoren sind es jedoch, die das langfristige Wirtschaftswachstum und damit den Zins beeinflussen. Gesellschaften, die schrumpfen, haben keine hohen Zinsen.>

      So ist es, wobei ich hinzufüge, dass zu der fundamentalen Verschiebung der Weltwirtschaft auch die Globalisierung gehört, durch die die Gewerkschaften in den entwickelten Volkswirtschaften unter Druck gerieten, Lohnsteigerungen nicht mehr so wie vorher durchsetzbar waren und die Verbraucherbreise deutlich weniger stiegen. Dass war die faktische Begründung der Notenbanken, mit Niedrigzinsen eine überakkommodierende Geldpolitik zu betreiben. Warum sollten die Leitzinsen nicht gesenkt werden, wenn es keine Inflationsgefahren gibt?

      >Die Antwort wäre ein Reformprogramm für Deutschland und Europa um das langfristige Wachstum zu stärken. Mehr Erwerbsbeteiligung von Frauen und Alten, mehr Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur. Kurz gesagt: weniger staatlicher Konsum und mehr Investition. Gerade die Älteren müssten möglichst lange arbeiten. Wir werden nicht darum herumkommen, die Leistungen für die ältere Gesellschaft zu senken.>

      Das und nichts anderes:

      Weniger staatlicher Konsum und mehr Investitionen und NICHT mehr Verschuldung des Staates oder Helikoptergeld für den Staat, um Probleme lösen zu wollen, die ALLEIN durch Nachfrage nicht zu lösen sind.

      Richtig ist:

      Ohne Fiskalpolitik kommen wir nicht aus der Krise, aber nur mit Fiskalpolitik auch nicht.

      Schuhknecht liegt richtig.

      Er belegt das mit Beispielen von REFORMLÄNDERN.

      Die Anstrengungen gibt’s nicht zum Nulltarif. Das ist aber nicht „knechten“.

      Diffamieren Sie Schuhknecht nicht, sondern kommen Sie mit Fakten, wenn Sie anderer Meinung sind.

      Antworten
      • Michael Stöcker
        Michael Stöcker sagte:

        “Sie verbreiten immer wieder IHR Glaubensbekenntnis.”

        Welches sollte ich Ihrer Meinung nach denn sonst verbreiten? Wenn Sie sich meinen 10 Punkteplan von 2013 anschauen, dann sind viele Aspekte mittlerweile ganz oben auf der Agenda:

        Beispiel: Rising Inequality. Dagegen wirkt QE4P sowie eine höhere Erbschaftssteuer (II. und VIII.). In diesen Kontext gehört auch die Rentendiskussion (VII.).

        “WIDERLEGEN Sie doch einmal mit einem begründeten „ist nicht richtig“ die vom Dr. Stelter vorgetragenen Auffassungen.”

        Es gibt keinen Dissens zwischen Dr. Stelter und mir. Oder wie interpretieren Sie seine Antwort auf meinen Einwand weiter oben?

        “Schuhknecht liegt richtig.”

        Schuknecht liegt in einigen Punkten richtig, in den zentralen Aspekten aber voll daneben und/oder ignoriert sie einfach. Kein einziger Hinweis auf die völlig aus dem Ruder gelaufene Leistungsbilanz, die zu massiven strukturellen Fehlentwicklungen in Deutschland und Euroland beigetragen hat. Statt einseitig auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu verweisen wäre ein ergänzender Hinweis auf das Stabilitätsgesetz von 1967 hilfreich gewesen.

        Zu hohe Kapazitäten im Exportsektor haben nicht nachhaltige TARGET Salden zur Folge sowie eine verlotterte Bildungs- und Verkehrsinfrastruktur. Kein einziges Wort hierzu von Schuknecht. Statt dessen sucht er die Schuld ausschließlich bei den Defizit”sündern” und fabuliert weiter von der Vertrauens-Fee:
        https://www.project-syndicate.org/commentary/consumer-confidence-policy-success-by-robert-skidelsky-2015-04/german. Das Vertrauen ist mittlerweile so “groß”, dass die Bürger sich windigen Heilsbringern zuwenden.

        LG Michael Stöcker

      • Daniel Stelter
        Daniel Stelter sagte:

        Ich bleibe hier einfach beim Irrsinn der Doppel-Null. Lieber im eigenen Land investieren als dem Ausland noch mehr Kredit zu gewähren, der nicht bedient werden kann.

      • Daniel Stelter
        Daniel Stelter sagte:

        Natürlich spielt der „Angebotsschock“ auf dem Arbeitsmarkt eine wesentliche Rolle bei Deflation/Lohndruck. Erwähne ich sonst immer wieder, habe es hier vergessen. Ich denke auch, nur einfach die „Notenpresse“ (Ich weiß, dass es so nicht ist!) anzuwerfen, löst die Probleme natürlich nicht. Man muss das mit anderen Maßnahmen verbinden.

  8. Michael Stöcker
    Michael Stöcker sagte:

    Lieber Herr Stelter,

    ich teile vieler Ihrer Einsichten und Einschätzungen; aber beim Thema Zinsen liegen wir fundamental auseinander. Die Geldpolitik hat nur (noch) dieses Instrument und ist auf eine adäquate Fiskalpolitik angewiesen. It takes two to tango.

    Es sind von daher nicht die Zentralbanken für dieses Zinsdesaster verantwortlich, sondern insbesondere die neoliberale Politikerberatung (OK: die meisten ZBen haben ihren Segen hierzu gegeben). Unsere Politiker haben dann genau das gemacht, was ihnen ihre Berater geraten hatten: Steuern senken (trickle down), Finanzmärkte deregulieren (optimale Assetallokation), Rente privatisieren (privare = berauben) etc. Nun ist der Raubzug beendet und die Geldakkumulation bei den 1 % hat zu einer tödlichen Selbststrangulierung der Gesamtwirtschaft geführt. Die Trickle-down-Theorie wurde übrigens schon vor über 2000 Jahren widerlegt. Die Bibel nennt es den Matthäus-Effekt. Der Volksmund bringt es etwas derber auf den Punkt: Der Teufel schei… immer auf den größten Haufen.

    Niedrige Zinsen sind die unmittelbare Folge dieser verfehlten Fiskalpolitik.

    Die EZB ist nicht für das Zinsniveau verantwortlich; das ist ein weit verbreiteter Irrtum. Zinsen sind nach Schumpeter ein Gewinnbestandteil. Gewinne kann es aber nur in einer wachsenden Wirtschaft geben. Dafür wiederum sind Investitionen notwendig. Ohne staatliche Investitionen in Bildung und Infrastruktur wird es ein Trickle-down für uns alle geben. Leider ist diese Erkenntnis immer noch nicht angekommen: http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2016/06/noch-einmal-mario-draghi-und-die-geldpolitik/. In meinem Kommentar vor Ort finden Sie einen Link zu einem Vortrag von Peter Praet. Diesen Vortrag aus dem Jahre 2012 beim Geldsymposium der Bundesbank kann allen Lesern von bto wärmstens empfehlen, die sich um ein besseres Geldverständnis bemühen.

    LG Michael Stöcker

    Antworten

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