Mit Geldanlagen einen realen Gewinn zu erzielen wird schwierig werden

Dieses Interview erschien im Oktober in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ):

Die hohen Preise für Energie und Nahrungsmittel, die geldpolitische Straffung und der Ukraine-Krieg belasten die Wirtschaft. Droht eine globale Rezession?

Das Risiko einer schweren, weltweiten Rezession ist sehr, sehr hoch. Nach der Corona-Krise hatte die Weltwirtschaft eine Art «Zuckerschock», verursacht durch die grossen Staatshilfen und die Liquidität, welche Regierungen und Notenbanken in die Wirtschaft gepumpt haben. Dies trieb schon vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs die Inflation an. Hinzu kommt, dass bereits seit Jahren viel zu wenig in die Erschliessung fossiler Energiequellen investiert wird. Nun müssen die Notenbanken etwas tun gegen die Teuerung, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit behalten wollen. Deshalb erhöhen sie die Zinsen. Hinzu kommt noch, dass der Dollar so stark ist. Das verteuert die Rohstoffe, die in Dollar gehandelt werden, also auch das Öl. So erklären sich unter anderem die hohen Benzinpreise in Europa. Dieser giftige Cocktail führt zu einer Belastung der Kaufkraft der Haushalte, zu einer massiven Belastung der Unternehmen.

Was meinen Sie mit «Zuckerschock» für die Wirtschaft?

Die Wirkung der Stimuli von Regierungen und Notenbanken in der Corona-Krise war stark, hat aber rasch nachgelassen – so wie Traubenzucker einem Sportler auch nur kurzfristig Energie gibt. Die Staaten haben den Bürgern in der Krise Geld in die Tasche gesteckt, das war der grosse Unterschied zur Finanzkrise von 2008. Im Prinzip war das Helikoptergeld. Dieses Geld hat dann die Nachfrage befeuert, und diese traf auf ein verknapptes Angebot, als die Corona-Krise abebbte. Hinzu kamen dann noch gestörte Lieferketten. Das führte zu Inflation.

Und dann mussten die Zentralbanken dagegenhalten . . .

Die Notenbanken haben gegengesteuert, die US-Notenbank schneller als die anderen. Das Ergebnis ist, dass das Geldmengenwachstum real rückläufig ist. Jetzt verknappt sich die Liquidität. Und wenn Liquidität sich in dem Masse verknappt, dann sehen wir Stress im Finanzsystem. Die Vermögenspreise sinken, und der Druck auf Schuldner steigt.

Ein wichtiger Grund für die Abschwächung der Wirtschaft ist aber doch der Ukraine-Krieg?

Wahrscheinlich hätte es in Europa auch ohne den Ukraine-Krieg eine deutliche Wirtschaftsabschwächung gegeben. Dafür sprechen die demografische Entwicklung, die hohen Schulden, die unzureichenden Produktivitätsfortschritte sowie die zu geringen Investitionen der Staaten in die Infrastruktur. Die ganzen Probleme der Euro-Zone wurden verschleppt. Nach dem künstlichen Boom durch die Corona-Stimuli ist die europäische Wirtschaft jetzt wieder auf ihren schwachen Wachstumstrend zurückgefallen. Gleichzeitig hat sich die Inflation in der Euro-Zone verfestigt, weil die Europäische Zentralbank nicht konsequent war und ihre Geldpolitik nicht früher gestrafft hat. Zu diesen ganzen strukturellen Problemen kam dann im Februar der Ukraine-Krieg hinzu. Und dieser hat die Energiepreise noch einmal nachhaltiger nach oben getrieben.

Die wenigsten Beobachter hatten mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine gerechnet . . .

Mit den Sanktionen gegenüber Russland war sich der Westen und im Übrigen auch die EU bemerkenswert einig, das war eine gute Leistung. Nun verschärfen sich aber die Probleme in Europa. Dass Putin Europa erpresst, konnte niemanden überraschen. Deshalb hätte man schon im Februar auf europäischer Ebene überlegen sollen, was man tun kann, um das eigene Energieangebot massiv zu erhöhen. Die Niederländer könnten beispielsweise ihre Gasfelder wieder abpumpen. Die Deutschen könnten ihre Kohlekraftwerke wieder anwerfen und vor allem ihre Atomkraftwerke nicht abschalten. Zudem hätte man sich stärker um Importe bemühen sollen, zum Beispiel in Katar mit Angeboten mehrjähriger Verträge. Für die Amerikaner ist der Krieg nicht so ein grosses Problem. Die USA exportieren Waffen und sind punkto Energieversorgung relativ autark.

Und hinzu kommen nun noch atomare Drohungen von russischer Seite. Wie kommt es, dass die Finanzmärkte hierauf nicht noch stärker reagieren?

An den Börsen hat es dieses Jahr schon sehr deutliche Korrekturen gegeben. Aber auch ohne so ein extremes Szenario gehe ich davon aus, dass die Unternehmensgewinne unter Druck kommen. Viele Akteure an den Finanzmärkten unterschätzen die Situation. Sie gehen davon aus, dass die Inflation und die Zinsen rasch wieder sinken werden und dass das Rally an den Aktienmärkten dann weitergeht. Aber eigentlich war die Entwicklung der Jahre 2011 bis 2021, als die Vermögenspreise wegen der ultraniedrigen Zinsen quasi aufgebläht wurden, nicht normal. Ich glaube nicht, dass wir wieder in diese Welt zurückkehren. In den 1970er Jahren haben Investoren mit Aktien zehn Jahre lang nach Abzug der Inflation keine Rendite erzielt. Ein solches Szenario kann ich mir für die nächsten Jahre sehr gut vorstellen.

Wie kommen Sie darauf?

Auf der einen Seite müssen die Notenbanken ihre Geldpolitik wegen der hohen Inflation straffen. Gleichzeitig sollen aber die Vermögenspreise – also unter anderem die Aktienkurse und Immobilienpreise – nicht total kollabieren. Dies spricht dafür, dass die Inflation in der Realwirtschaft in den nächsten Jahren höher ausfallen wird, während die Vermögenspreise gleichzeitig zurückgehen – real gesehen, also nach Abzug der Teuerung. Früher oder später werden aber wieder die ungelösten Probleme ins Spiel kommen, welche dazu führen werden, dass die Gewinne der Unternehmen pro Aktie sinken werden. Und damit wird dann plötzlich deutlich, dass die Aktienkurse auf überhöhten Gewinnschätzungen beruhten und teuer waren. Das liegt auch daran, dass sich viele Unternehmen in den vergangenen Jahren Geld geliehen haben, um damit eigene Aktien zu kaufen.

Also könnten die Aktienkurse vieler Unternehmen in nächster Zeit unter Druck bleiben. Wie sieht es bei den Immobilienpreisen aus? Diese haben in den vergangenen Jahren ja auch stark von der Vermögenspreisinflation profitiert . . .

Immobilien sind die wichtigste Vermögensklasse weltweit. Die Preise und der Sektor haben sich in den vergangenen 20 Jahren weltweit gigantisch entwickelt. Den riesigen Anstieg der Preise kann man zum Teil mit dem wirtschaftlichen Aufschwung erklären, aber vor allem mit dem Zinsrückgang. Dieser hat zu einer immer grösseren Bereitschaft der Banken geführt, Immobilienkäufe zu finanzieren. Die Folge war eine immer höhere Verschuldung. Auch hier ist zu hoffen, dass die Inflation dabei hilft, dass die Preise in den nächsten Jahren nominal stabil bleiben und real an Wert verlieren. Die Regierungen und Notenbanken stehen hier in den kommenden Jahren vor einer Gratwanderung. Dies hat man gerade erst in Grossbritannien gesehen.

Sie sprechen die jüngsten Marktturbulenzen in Grossbritannien nach der Ankündigung der Haushaltspläne der neuen konservativen Regierung unter Premierministerin Liz Truss an. Am Ende musste die Bank of England einspringen, um die Finanzmärkte zu beruhigen. Was zeigt diese Episode?

Mich hat diese Entwicklung total fasziniert. Die heftige Reaktion an den Anleihemärkten hing vor allem mit den britischen Pensionsfonds zusammen. Grundsätzlich geht man ja davon aus, dass diese das Geld der Versicherten sicher anlegen. Und dann stellt sich heraus, dass sie mit riskanten Finanzinstrumenten hantiert haben, die Kredithebel einsetzen. Die anschliessend notwendige Intervention der Bank of England zeigt, dass die Pensionsfonds die Taschen von Bankern gefüllt haben und dass hier wenige Jahre nach der Finanzkrise weiterhin ein grosses Rad gedreht wird.

Am Schluss sind wir wieder an dem Punkt, den Sie ja seit Jahren anführen. Es sind einfach zu viele Schulden im System.

Das Grundproblem besteht weiter. Die Regierungen und Notenbanken machen seit Jahrzehnten eine Politik, die Schuldner begünstigt. Und immer wenn es eine Krise gab, hauten die Notenbanken die Schuldner wieder raus. Parallel dazu stiegen die Vermögenspreise. Nur profitierte die Realwirtschaft nicht davon, was zu einem anämischen Wirtschaftswachstum führte. Das viele Geld war ja unproduktiv. Mit der Corona-Krise kam dann ein Trendbruch, und die Inflationsraten stiegen. Nun müssen die Notenbanken handeln. Aufgrund der hohen Schulden sind sie aber nur begrenzt handlungsfähig.

Wie weit werden die Notenbanken aus Ihrer Sicht bei der Straffung der Geldpolitik gehen?

Ich könnte mir vorstellen, dass die US-Notenbank Federal Reserve ihre Straffung der Geldpolitik so lange durchzieht, bis die US-Wirtschaft in einer offiziellen Rezession steckt. Die EZB wird weniger lange durchhalten. Genaugenommen ist sie nicht einmal jetzt auf einem Straffungskurs. Sie erhöht zwar die Leitzinsen, gleichzeitig stützt sie aber Italien mit Anleihekäufen. Die EZB wird sich im Zweifelsfall immer für die Staatsfinanzen entscheiden, und deshalb dürfte sich die Inflation in Europa strukturell verfestigen.

Der Euro hat gegenüber dem Dollar und dem Franken in diesem Jahr sehr stark abgewertet. Zeigt dies das Glaubwürdigkeitsproblem der EZB?

Der Dollar ist sehr stark, das muss man sehen. Aber der Euro ist auch gegenüber dem Franken deutlich schwächer. Die EZB steht jetzt schon unter dem Primat der Fiskalpolitik. Die Schwäche des Euro zeigt, dass die Euro-Zone die Grundprobleme der Wirtschaft nicht lösen kann.

Für wie gross halten Sie die Gefahr, dass die Euro-Zone auseinanderbricht?

Die Politik hat den unbedingten Willen, die Euro-Zone zusammenzuhalten. Am Ende dürfte die Euro-Zone zu einer Transferunion werden, Deutschland wird hier nachgeben. Der Euro dürfte länger halten, als viele denken. Trotzdem wird es den Euro-Raum in seiner jetzigen Form in 30, 40 Jahren nicht mehr geben. Der Euro wird in schwieriges Fahrwasser kommen, wenn Deutschland nicht mehr kann und überfordert ist. Wenn Deutschland so weitermacht, dann ist spätestens in den dreissiger Jahren der Ofen aus. Alle Lebenslügen der deutschen Politik werden platzen. Das Land hat viele Probleme und muss viel nachholen: Die Infrastruktur und das Bildungssystem sind kaputt, bei der Digitalisierung hinkt Deutschland hinterher. Gleichzeitig trifft die Energiekrise deutsche Unternehmen sehr hart. Auch die Klimapolitik trägt nicht dazu bei, die eigene Leistungsfähigkeit zu stärken.

Was würde dies für die Schweiz bedeuten?

Wenn Deutschland «den Bach runtergeht», wird es auch für die Schweiz zu einer grossen Herausforderung, den Wohlstand zu erhalten. Eine schlechte Entwicklung in der Euro-Zone zieht den ganzen Kontinent mit hinunter. Dem dürfte sich auch die Schweiz nicht entziehen können.

Wie können Sparer und Anleger in einem solchen Umfeld ihr Kapital erhalten?

Im nächsten Jahrzehnt wird es wegen der höheren Inflation sehr schwierig, mit Geldanlagen einen realen Gewinn zu erzielen. Wer es in den nächsten zehn Jahren schafft, weniger zu verlieren als die anderen, hat schon gewonnen.

Sie halten Aktien und Immobilien tendenziell für teuer. Sollte man also in Anleihen investieren – jetzt, wo es hier wieder höhere Zinsen gibt?

Anleihen sind wieder etwas attraktiver geworden, aber aufgrund der hohen Inflation dürfte man hier in den nächsten Jahren keinen realen Ertrag erzielen.

Lässt sich das Vermögen mit Gold retten? In den 1970er Jahren hat das Edelmetall die Sparer vor der hohen Inflation geschützt.

Man hört oft, der Goldpreis habe sich in den siebziger Jahren sehr gut entwickelt. Aber dabei ist zu berücksichtigen, dass der Goldpreis damals von einem staatlich manipulierten Preis startete, nicht von einem Preis auf dem freien Markt.

Welche Geldanlage würden Sie denn für die kommenden zehn Jahre empfehlen?

Ich kann das nicht vorhersagen, aber es scheint mir nicht unplausibel, dass wir vor einem Rohstoff-Superzyklus stehen. Es wird zurzeit ja sehr wenig in Öl, Gas und Kohle investiert. Nur ein Beispiel: Der Rückversicherer Münchener Rück hat gerade angekündigt, dass er wegen des Klimawandels keine neuen Öl- und Gasfelder mehr versichert und sich dort auch nicht mehr engagiert. Gleichzeitig wächst die Nachfrage weiter, und die zusätzlichen erneuerbaren Energien können das nicht auffangen. Dies spricht dafür, dass die Energiepreise weiter steigen. Das Gleiche gilt für die Preise der Rohstoffe, die für die ökologische Transformation nötig sind. Die grüne Politik sorgt letztlich dafür, dass die Rohstoffpreise weiter steigen.

Was wären die Folgen, wenn es in den nächsten Jahren so schwierig wird, das Vermögen zu erhalten? Droht Altersarmut?

Altersarmut ist definitiv ein Thema. In Deutschland ist sie sicherlich eine viel grössere Gefahr als in der Schweiz. Die Masse der Deutschen investiert ja nicht, sondern legt ihr Geld lieber auf das Sparbuch. Da kann man dann zuschauen, wie die Ersparnisse mit der Inflation erodieren.

Dann plädieren Sie also doch für die Aktienanlage?

In den nächsten Jahren könnten viele Vermögenswerte, auch Aktien, nominal stagnieren. Nach Abzug der Inflation könnten Anleger auch mit Aktien Geld verlieren. Wer sein Vermögen aber auf dem Sparbuch liegen lässt, verliert mindestens genauso viel.

nzz.ch: “Ökonom Daniel Stelter: ‘Im nächsten Jahrzehnt wird es wegen der höheren Inflation sehr schwierig, mit Geldanlagen einen realen Gewinn zu erzielen'”, 13. Oktober 2022