Mehrwert­steuer­senkung wird ohne Wirkung bleiben

Dieser Kommentar von mir erschien bei Cicero:

Ab 1. Juli 2020 beschert uns die Regierung die befristete Senkung der Mehrwertsteuer, aber nur für ein Zeitfenster von sechs Monaten. Denn insbesondere die begrenzt verfügbare Ersparnis soll den Kaufanreiz besorgen. Die Politik verspricht sich davon, die Corona-Rezession zu überwinden oder sie zumindest deutlich zu mildern. So groß die Überraschung im ersten Moment der Ankündigung war, so gering aber dürfte die Wirkung für die Konjunktur am Ende sein. Aus folgenden Gründen:

1. Brauchen wir ein Konjunkturprogramm?

Nach dem tiefen Einbruch im ersten Halbjahr dürfte sich die Wirtschaft in Deutschland spürbar erholen. Auch in den Hauptabsatzmärkten für deutsche Produkte dürfte es wieder aufwärtsgehen. Doch wird die Erholung nicht ausreichen, um die Wirtschaft bei uns auf das Vor-Corona-Niveau zu hieven. Dazu war der Einbruch zu tief, deutlich tiefer als in Folge der Finanzkrise und zudem weltweit. Deutlich gestiegene Arbeitslosigkeit – je nach Land offen ausgewiesen (z. B. USA) oder durch staatliche Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld versteckt (Deutschland) –, sinkende Einkommen, gestiegene Verschuldung der Unternehmen aus Rettungsmaßnahmen und die hohe Unsicherheit, wie es nach dem Schock weitergeht, dürften sich auch in den kommenden Monaten dämpfend auf die Wirtschaft auswirken. Hinzu kommt die nicht unbegründete Sorge vor einer weiteren Infektionswelle, wie ein Blick nach China und Japan in diesen Tagen unterstreicht.

Ohne Maßnahmen der Regierungen weltweit wird es in diesem Umfeld keinen raschen Aufschwung geben. Je länger jedoch Arbeitslosigkeit und gedämpfte wirtschaftliche Entwicklung anhalten, desto größer der langfristige Schaden. Die Ökonomen sprechen von „Hysterese“. Diesem Effekt gilt es vorzubeugen und staatliche Ausgabenprogramme können hier einen Beitrag leisten, wenn sie schnell wirksam werden und vor allem an den richtigen Bereichen ansetzen. So mag beispielsweise die Idee, mehr in die Entwicklung von Wasserstofftechnologie zu investieren, richtig sein, mit Blick auf die gewünschte konjunkturelle Wirkung ist sie aber schon allein aufgrund des Zeitbedarfs zur Umsetzung irrelevant.

2. Ist eine temporäre Maßnahme sinnvoll?

Auf jeden Fall. Es geht bei Konjunkturprogrammen per Definition um Kurzfristmaßnahmen, um eine wirtschaftliche Erholung zu befördern. Es geht um einen Impuls. Setzt man dagegen auf staatliche Industriepolitik wie bei Wasserstoff oder früher der Solarindustrie, hat das mit Konjunkturpolitik nichts zu tun, sondern es handelt sich um Strukturpolitik mit der Gefahr, planwirtschaftliche Auswüchse anzunehmen. Die Energiewende ist ein gutes Beispiel, wo für die Förderung der Solarindustrie 82 Milliarden Euro ausgegeben wurden – Geld der Bürger – mit dem Effekt, den hiesigen CO2-Ausstoß um zwei Prozent zu reduzieren und China eine neue Industrie zu verschaffen.

So gesehen ist das Konjunkturpaket der Regierung eine Mischung aus Struktur- und Konjunkturpolitik. 50 Milliarden für „Klimaschutz und Zukunftstechnologien“ sind eindeutige Strukturausgaben, wobei offen ist, ob diese wirklich in Zukunft zu höherem Wohlstand hierzulande führen. Die Entlastung der Kommunen von den Unterbringungskosten für Hartz IV- Empfänger (4 Mrd. p. a.), Ausbau von Kindertagesstätten und Ganztagsschulen (3 Mrd.), die Deckelung der Sozialabgaben (5,3, Mrd. in 2020) und die Senkung der EEG-Umlage (11 Mrd.) haben ebenfalls nicht den Charakter von Konjunkturmaßnahmen. Bei allen geht es um längst überfällige Korrekturen, und auch den Bürgern bringt es nichts. Sie haben nicht mehr in der Tasche, sondern sollen in Zukunft nicht noch mehr weggenommen bekommen. Man muss wohl Politiker sein, um den (vorläufigen) Verzicht auf mehr Abgaben als „Entlastung“ zu verkaufen.

Als Konjunkturmaßnahmen bleiben da die rund vier Milliarden für Familien in Form der Einmalzahlung von 300 Euro pro Kind, den Besserverdiener gleich wieder über die Steuer abliefern dürfen und eben die Mehrwertsteuersenkung. 20 Milliarden weniger will der Staat in den kommenden sechs Monaten einnehmen. Auf diesen einmaligen Maßnahmen stützt sich nun also die Hoffnung, die deutsche Wirtschaft zu einem selbsttragenden Aufschwung zu führen.

3. Ist die Senkung der Mehrwertsteuer der richtige Weg?

Pro Kopf der Bevölkerung entsprechen die 20 Milliarden, von denen die Regierung ausgeht, rund 250 Euro. Dies unter der Annahme, dass die Senkung der Steuer wirklich von den Unternehmen an die Bürger weitergegeben wird. Die Erfahrung Großbritanniens mit einer derartigen Maßnahme nach der Finanzkrise zeigt, dass rund 75 Prozent der Senkung wirklich weitergegeben wird, während 25 Prozent zur Stärkung der Gewinne der Unternehmen verwendet wird. Dann sind wir bei rund 185 Euro pro Kopf.

Jetzt wissen wir aber, dass die Steuersenkung bei der Masse der Einkäufe keine spürbare Rolle spielt. Wenn man bei einem Einkauf von Lebensmitteln oder im Restaurant bei einer Rechnung über 100 Euro inklusive Mehrwertsteuer nach der Senkung (von sieben auf fünf Prozent) nur noch 98,13 Euro bezahlt, führt das über die Zeit zwar zu einiger Einsparung aber sicherlich nicht in dem Umfang, der dazu führt, dass die Bürger angesichts der oben genannten Unsicherheit mehr ausgeben.

Offensichtlich macht sich die Senkung der Mehrwertsteuer nur bei Großanschaffungen richtig bemerkbar. Wer sich einen Sportwagen für 100.000 Euro gönnt, spart etwas mehr als 2.500 Euro. Vermutlich hätte der Käufer diesen Rabatt im heutigen Umfeld noch heraushandeln können oder aber ihn gar nicht gebraucht. Ohnehin liegt der Verdacht nahe, dass der Sportwagen als Firmenwagen zugelassen wurde und dort die Mehrwertsteuer ohnehin nicht anfällt.

Fraglich ist so oder so, ob man die Entscheidung für den Sportwagen – oder alternativ eine schöne Uhr, neue Möbel oder eines neuen Dachs – von der Tatsache abhängig macht, dass man 2.500 Euro spart. Zweifel sind angebracht. Denn viel entscheidender für die Bereitschaft, große Ausgaben zu tätigen, sind die wirtschaftlichen Aussichten – die bleiben unsicher wie gezeigt – und die Einschätzung künftiger Lasten. Dass die Politik keinen Tag darauf verzichtet, künftige Steuererhöhungen und Vermögensabgaben zu diskutieren, wirkt da schwerer als die Aussicht auf ein paar Euro, die man heute spart und morgen mit höheren Steuern zurückzahlen muss.

4. Gäbe es eine Alternative?

Geht es darum, die Krise mit Schwung zu überwinden, muss man zeitlich begrenzt Ausgaben anreizen. Diese müssen nach Lage der Dinge vor allem den einfachen Konsum überproportional fördern, weil hier im Unterschied zu normalen Rezessionen überproportional großer Schaden entstanden ist: Restaurants, Hotels, Geschäfte sollten profitieren.

Zum Teil erreicht das die Einmalzahlung an Familien, besser aber wäre es, allen Bürgern einen befristeten Anreiz zu geben, zum Beispiel durch Konsumgutscheine, die Ende Oktober verfallen. Damit hätten alle Bürger einen starken Anreiz, diese Konsumgutscheine zu nutzen, was zu einem entsprechenden Nachfrageschub führt.

5. Bleibt es bei dem aktuellen Konjunkturprogramm?

Sicherlich nicht. Aus vergangenen Pandemien wissen wir, dass das Wachstum der Wirtschaft nicht zum Niveau vor der Krise zurückkehrt. Da das Wachstum schon vor Corona in Europa und den USA enttäuscht hat, werden alle Staaten mehr Maßnahmen ergreifen, um die Wirtschaft zu beleben, in Europa verbunden mit dem Wunsch den CO2-Ausstoß zu senken. Dies wird zunehmend direkt von den Notenbanken finanziert werden.

Für Deutschland bedeutet dies, in dieser Entwicklung nicht abseits zu stehen. Dies sollte aber intelligent erfolgen. Konkret sollten wir:

  • eine nachhaltige Entlastung der Bürger vor allem im unteren und mittleren Einkommensbereich realisieren;
  • deutlich mehr im Inland investieren – Bildung, Infrastruktur, Digitalisierung;
  • die Unternehmen von den Schulden entlasten, die sie im Zuge der Corona-Krise aufnehmen mussten.

So bietet die Corona-Krise eine Chance für einen Neustart in Deutschland. Ausführlich beschreibe ich das Programm in der aktuellen Ausgabe von Cicero.

Insgesamt wird die Mehrwertsteuersenkung bestenfalls ein Strohfeuer auslösen. Denn es werden die ohnehin geplanten Ausgaben sein, die in diesen kommenden sechs Monaten erfolgen. Und dann? Spätestens, wenn im Wahljahr 2021 die Mehrwertsteuer wie angekündigt wieder angehoben werden soll und hitzige Diskussionen darum geführt werden dürften, werden wir merken, wie lange uns Corona und seine wirtschaftlichen Folgen noch beschäftigen werden. Die Pandemie und unsere Reaktion darauf bleiben eine Zäsur.

cicero.de: “Weshalb die Wirkung verpuffen wird”, 16. Juni 2020