Mehr Geld in Forschung und Ent­wicklung in­vestieren

Dieses Interview erschien im Dezember letztes Jahr in Debate.Energy:

Herr Stelter, Europa will der erste klimaneutrale Kontinent werden und gleichzeitig den Wohlstand erhalten. Was denken Sie als Ökonom: Geht das zusammen? 

Viele Ökonomen werden jetzt sagen: „Natürlich können wir das! Die Energiewende bietet riesige Chancen, und neue Technologien bringen neue Arbeitsplätze.“ Die Empirie spricht leider dagegen: Die Windkraft kommt nicht aus Deutschland, sondern mittlerweile überwiegend aus China. Bei der Solarenergie ist es genauso – wir haben sie mit 82 Milliarden Euro subventioniert, die Industrie sitzt aber heute in Asien. Was ich damit sagen will: In der Theorie kann man mit grünen Technologien Wohlstand schaffen. Aber so, wie wir es machen, wird es nicht funktionieren. 

Was müsste man stattdessen tun?

Man müsste drastisch mehr Geld in Forschung und Entwicklung investieren. Und zwar ergebnisoffen und nicht eingeschränkt durch politische Vorgaben. Wir brauchen zum Beispiel eine CO2-neutrale Energiequelle, die weltweit in großem Umfang zur Verfügung steht – allein mit Wind und Sonne wird das nicht möglich sein. Die EU könnte jedes Jahr Hunderte Milliarden in die Forschung stecken, um beispielsweise die nächste Generation von risikofreien Atomkraftwerken zu entwickeln. Diese produzieren keinen Müll und könnten den bestehenden atomaren Abfall verbrennen. Das könnte echtes Wirtschaftswachstum bringen. Stattdessen reden wir nur über Verbote und Verzicht, obwohl die Menschheit immer durch Innovationen vorangekommen ist. Das Traurige an der aktuellen Lage: Nur ein wirtschaftlich starkes Europa und ein wirtschaftlich starkes Deutschland können die kostspieligen Klimaschutzanstrengungen überhaupt weiter fortsetzen. Sonst bekommen wir Verteilungskonflikte, bei denen der Klimaschutz der Verlierer sein wird. Was wir im Moment tun, ist jedenfalls nicht nachhaltig.

Was stört Sie besonders an der aktuellen Politik? 

Ökonomen mögen zwei Dinge: Effizienz und Effektivität. Die Maßnahmen sollen etwas bewirken, und sie sollen effizient sein. Das heißt: Pro eingesetztem Euro sollte man möglichst viel CO2 sparen. In der Realität ist es oft aber völlig anders. Der „Economist“ hat beispielsweise vorgerechnet, was sich der Senat in Berlin die Förderung von Lastenfahrrädern kosten lässt. Pro Tonne eingespartes CO2 kommen pro Jahr mehr als 50.000 Euro zusammen. Dann gibt es noch das viel gepriesene Neun-Euro-Ticket: Der Preis pro eingesparter Tonne CO2 liegt bei rund 1.600 Euro pro Tonne CO2. Das kann man natürlich alles machen. Allerdings gäbe es viele Maßnahmen, die jedes Jahr nur ungefähr 100 Euro pro Tonne eingespartem CO2 kosten.

Wäre es intelligenter, Maßnahmen woanders zu bezahlen, wo die eingesparte Tonne viel weniger kostet? 

Ja, denn in Deutschland sind wir bei der Energieeffizienz schon viel weiter als andere Länder. Relativ zum Bruttoinlandsprodukt brauchen wir darum sehr wenig Energie. Umgekehrt bedeutet das: Alle weiteren Maßnahmen zur CO2-Vermeidung sind bei uns überproportional teuer. Darum sollten wir in Deutschland mehr auf diejenigen Maßnahmen blicken, die etwas bringen – und weniger auf diejenigen, die im Fernsehen gut aussehen. Das kann auch bedeuten, dass wir teilweise auf globaler Ebene helfen. Laut Pariser Klimaabkommen und seiner Verlängerung in Glasgow ist das auch zulässig, sodass wir uns solche Maßnahmen im Ausland auf unsere Klimaziele anrechnen lassen könnten. Die Politik hat bei uns aber einseitig beschlossen, davon nicht Gebrauch zu machen. Damit legt sie uns darauf fest, hierzulande teure Maßnahmen durchzuführen – und sie setzt diese zudem extrem ineffizient und ineffektiv um. Das wird uns perspektivisch überfordern.

Neben dem Klimaschutz dominieren gerade die Energie- und eine mögliche Wirtschaftskrise die Nachrichten. Wie steht es derzeit um die Wirtschaft in Deutschland? 

Wenn ich mit Unternehmen spreche, höre ich sehr oft: „Wir haben keine Basis, um zu entscheiden, ob der Standort Deutschland dauerhaft bestehen kann. Wir sind im Wettbewerb mit Firmen aus den USA, die teilweise ein Zehntel unserer Energiekosten haben. Und wir erkennen keine Bereitschaft der Politik, ernsthaft etwas daran zu ändern.“ Darum sehe ich die große Gefahr, dass sich die Deindustrialisierung fortsetzt – was sehr problematisch wäre: Der Sektor ist ja deshalb so wichtig für Deutschland, weil um ihn herum viele Dienstleistungen entstehen. Außerdem werden beispielsweise in der Chemie- oder Automobilindustrie sehr gute Gehälter gezahlt.

Ist dieser Trend denn ganz neu? 

Nein. Den Trend zur Deindustrialisierung haben wir schon vor Corona gesehen. Ursachen waren Standortverlagerungen aufgrund der Globalisierung, der zunehmende Fachkräftemangel und die schon damals steigenden Energiekosten. Der Corona-Schock hat die Unternehmen zusätzlich geschwächt, dann kamen die gestörten Lieferketten, die Inflation und schließlich – mit dem Ukraine-Krieg – der ultimative Energiekosten-Schock. All das führt zu einer starken Beschleunigung von Trends, die schon zuvor gegen Deutschland gesprochen haben. Natürlich wird die Wirtschaft darauf reagieren – in vielen Fällen heißt das aber: Unternehmen investieren lieber woanders. Das hat massive Folgen, etwa auf die Finanzierung des Sozialstaats oder von Klimaschutzmaßnahmen.

Sie sind viel in der Welt unterwegs. Gibt es Regionen oder Länder, die aus Ihrer Sicht den Klimaschutz intelligenter angehen als wir?  

Zunächst einmal finde ich alle Länder intelligenter, die auf einen Mix aus Atomkraft und anderen Erzeugungsarten setzen. Schweden hat Wasserkraft und Atomkraft, und für mich ist diese Mischung aus Atomkraft und erneuerbaren Energien der richtige Weg. Es gibt auch in den USA einige ganz gute Dinge: Die Amerikaner subventionieren teilweise Produktionsprozesse, die CO2 binden. Bei uns wird hingegen gesagt: Das CO2 soll erst gar nicht entstehen. Aber es ist doch vernünftig, wenn man das Kohlendioxid verwenden kann. Daneben geht es um die richtigen Anreizsysteme und darum, Dinge wie Carbon Capture and Storage nicht von vorneherein aus ideologischen Gründen auszuschließen.

Gibt es besonders wirksame Anreizsysteme? 

Das beste Anreizsystem wäre ein weltweiter CO2-Preis. Dann müsste der Klimaschutzminister nichts weiter tun, als dafür zu sorgen, dass dieser CO2-Preis planbar steigt. Ansonsten könnte er sich auf seine zweite Rolle als Wirtschaftsminister konzentrieren und den deutschen Unternehmen durch die akute Energiepreiskrise helfen.

debate.energy: “Mehr Geld in Forschung und Entwicklung investieren”, 08. Dezember 2022