Mehr Geld für Europa – doch wozu?

Im Bundestagswahlkampf spielten der Zustand der EU und die Überlegungen der Parteien zur künftigen Rolle Deutschlands in der EU keine große Rolle. Alle Parteien, mit Ausnahme der AfD, betonten in ihren Wahlprogrammen die europäische Solidarität – gerade mit Blick auf die Überwindung der Corona-Folgen und den Kampf gegen den Klimawandel. Lediglich beim Geld gab es eine klare Trennlinie. Während FDP und Union betonten, dass es sich beim Wiederaufbaufonds keineswegs um ein dauerhaftes Instrument und damit den Einstieg in eine Transfer- und Schuldenunion handle, machten SPD, GRÜNE und DIE LINKEN deutlich, dass sie genau dies wünschten. Mehr Transfers aus Deutschland in die EU und mehr eigene Einnahmen für Brüssel werden als konsequente nächste Schritte im europäischen Einigungsprozess gesehen.

Abgesehen davon, dass der Bundesrechnungshof bereits jetzt vor erheblichen finanziellen Risiken warnt, wird die entscheidende Frage nicht gestellt: Wozu sollen eigentlich mehr Mittel an die EU überwiesen werden?

Die Europäische Union, die sich im Jahre 2000 vorgenommen hatte, bis 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt“ zu werden, hat dieses Ziel in jeder Hinsicht verfehlt. Ausgaben für Forschung und Entwicklung, Patentanmeldungen, Anzahl Hightech-Unternehmen, Bildungsniveau, Weltklasse-Universitäten, Digitalisierung, Produktivitätsfortschritte – wohin man auch blickt, nirgendwo ist die EU vorn dabei.

Erst Reformen, dann Geld

Zwar machen die Politiker große Versprechen in ihren Reden, so zuletzt wieder Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Blickt man jedoch auf das Handeln, muss man feststellen, dass es der EU nicht an Geld mangelt, sie es aber bevorzugt für Projekte ausgibt, die mit „Zukunft“ herzlich wenig zu tun haben. Nur gut 87 Milliarden (8 Prozent) der 1.134.583.000.000 Euro des EU-Haushalts über sieben Jahre, werden für Binnenmarkt, Innovation und Digitalisierung verwendet: weniger als ein Viertel der Gelder, die in die Subventionierung der Landwirtschaft (325 Milliarden) oder die Umverteilung in ärmere Regionen (392 Milliarden) fließen und nur geringfügig mehr als für die EU-Verwaltung (76 Milliarden). Es handelt sich bei der EU um eine gigantische Umverteilungsmaschinerie.

Wie hier zusätzliche Mittel aus Deutschland eine Besserung herbeiführen sollen, ist mehr als unklar. Es wird Zeit, dass wir anerkennen, dass die EU genauso wie Deutschland grundlegende Reformen benötigt. „Erst Reformen, dann Geld“ sollte das Motto lauten.

handelsblatt.com: “Erst Reformen, dann Geld – So sollte Deutschlands Angebot an die EU lauten”, 1. Oktober 2021