„Überschätzen die Märkte Macron?“

Dieser Kommentar erschien bei der WirtschaftsWoche Online:

Investoren kaufen zunehmend vermeintlich günstige Aktien aus Europa. Frankreichs neuer Präsident Macron macht zusätzlich Mut. Warum die Märkte Gefahr laufen, Macron zu überschätzen und die wahren Probleme zu ignorieren.

Unstrittig gehören die europäischen Börsen zu den günstigeren der Welt. Dies vor allem im Vergleich mit den USA, die sich, wie hier letzte Woche diskutiert, auf einem luftigen Niveau befinden. Für diesen Abschlag gibt es gute Gründe. Zum einen sind europäische Unternehmen strukturell weniger profitabel und der Anteil des Technologiesektors ist deutlich geringer. Zum anderen hat das mit den Aussichten für den Kontinent zu tun: schlechte demografische Entwicklung, schwache Produktivitätszuwächse, reformunwillige Bevölkerungen, verkrustete Strukturen in der Politik, Unfähigkeit, mit dem Migrationsdruck umzugehen und eine vollkommen heterogene Währungsunion. J.P Morgan zufolge haben die Mitglieder der Europäischen Währungsunion weniger gemein, als eine fiktive Währungsunion aller Länder der Welt, die mit einem „M“ beginnen. Knapp gefasst könnten wir froh sein, wenn es bei einem japanischen Szenario geringen Wachstums für Europa und vor allem der Eurozone bliebe. Realistischer ist, dass der politische Wille, das Projekt trotz aller Probleme zusammenzuhalten, immer geringer wird und es irgendwann knallt. Die Notfallpläne für einen Zerfall der Euro-Zone gehören keinesfalls in den Papierkorb.

Neue Antworten nötig

Ein „Weiter-so“ kann es offensichtlich nicht geben. Die deutsche Politik mag das zwar noch glauben, wie die unsinnige Diskussion zu den Steuermehreinnahmen zeigt. Angesichts eines Handelsüberschusses von fast zehn Prozent vom BIP ist es dringend erforderlich, den deutschen Ersparnisüberhang in eben dieser Höhe zu senken (zum Zusammenhang von Handelsüberschuss und Ersparnis mehr hier). Nachdem private Haushalte (zu Recht) und Unternehmen (zu Unrecht) sparen, muss der Staat mehr ausgegeben. Deshalb sollten die Steuern gesenkt und die Investitionen erhöht werden. Es ist weder in unserem Interesse in einer überschuldeten Welt immer größere Forderungen gegen faule Schuldner aufzubauen, noch durch die exzessiven Überschüsse ein Argument für Protektionismus zu liefern. Dieser kann übrigens auch unter dem Deckmantel des Umweltschutzes zuschlagen und unserer Vorzeigeindustrie über Nacht die technologische Basis ihrer Wettbewerbsvorteile rauben.

So hängen alle Hoffnungen für eine Sanierung von EU und Eurozone am neuen französischen Präsidenten. Wird ihm gelingen, was seinen Vorgängern nicht gelungen ist? Ich bin skeptisch.

Die Zukunft der EU wird sich an der Migrationsfrage entscheiden. Während wir vor einer Schrumpfvergreisung stehen, verdoppelt sich die Bevölkerung im Nahen Osten und Afrika in den nächsten 30 Jahren, was einem Anstieg um rund eine Milliarde Menschen entspricht. Ohne eine Begrenzung und Steuerung der Migration wird es nicht möglich sein, Kultur und Wohlstand Europas zu erhalten. Dies bedeutet aber die Bereitschaft zur Sicherung der Außengrenzen (verbunden mit den unschönen Bildern) und zugleich deutlich größere Anstrengungen, die legalen Zuwanderer in unsere Arbeitsmärkte zu integrieren. Bis jetzt sieht es nicht danach aus, als hätten die Regierungen Europas die Tragweite der Herausforderung erkannt. Auch Macron blieb bei diesem Thema vage.

Sanierung der Eurozone

Deutlich konkreter sind seine Vorstellungen zur Sanierung der Eurozone. „Teurer Freund“ titelte der Spiegel in dieser Woche und verwies darauf, dass die Überlegungen Macrons vor allem den deutschen Steuerzahler belasten. Ein weiteres Beispiel für die negativen Folgen unserer Exportobsession, die von der Tatsache ablenkt, dass wir Deutschen zu den Ärmsten in der Eurozone gehören. In praktisch allen anderen Ländern verfügen die privaten Haushalte über ein höheres Vermögen als bei uns.

Abgesehen von der Finanzierung stellt sich die Frage, ob die Maßnahmen die Macron vorschlägt, überhaupt die Lösung brächten. Ein Eurozonen-Budget, überwacht von einem Eurozonen-Parlament und gesteuert von einem Eurozonen-Finanzminister ändert zunächst wenig. Es wäre eine Umverteilungsmaschinerie mit dem Ziel, über eine offizielle Transferunion (statt der inoffiziellen, welche die EZB derzeit umsetzt) einen Ausgleich zwischen den Ländern und vor allem den verschiedenen Konjunkturzyklen zu erzielen. Um einen solchen Ausgleich zu erzielen, muss es sich allerdings um erhebliche Summen handeln, die faktisch eine Verschuldungskompetenz auf der Eurozonen-Ebene erforderlich macht. Macron strebt – nicht als Erster – eine Lösung der durch zu viel Schulden ausgelösten Krise durch noch mehr Schulden an. In die gleiche Richtung gehen auch seine Überlegungen zur vollständigen Umsetzung der Bankenunion, die nichts anderes als eine Sozialisierung fauler Privatschulden ist.

Es gibt also noch die Erwartung, man könnte die Probleme durch mehr Umverteilung lösen. Leider ist dem nicht so. Wir haben es zu tun mit:

  • einer strukturell fehlenden Wettbewerbsfähigkeit vieler Länder in der Eurozone. Die wird durch mehr Umverteilung verfestigt, nicht gelöst. Man denke nur an die über 100-jährige Währungsunion zwischen Nord- und Süditalien.
  • Einer Überschuldung von Privaten (faule Banken) und Staaten. Daran ändern mehr Transfers nichts. Das geht nur, wenn man die Schulden bereinigt. Wie das ginge, habe ich unter anderem hier erklärt.
  • Einem strukturellen Trend zu geringerem Wachstum aufgrund Demografie und Produktivitätszuwächsen. Daran ändert mehr Umverteilung auch nichts.

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass wir uns in den kommenden Monaten mit Scheinthemen beschäftigen, die zwar zu mehr Umverteilung zu unseren Lasten innerhalb von EU und Eurozone führen werden, nicht jedoch die eigentlichen Probleme lösen. Derweil wächst der politische Druck weiter. In Italien liegt das BIP real immer noch deutlich unter dem Vorkrisenstand und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Eurokrise in die nächste Phase tritt.

Genießen wir den Frühling

Gut möglich, dass sich die Erholung in der Eurozone und damit an den Märkten in der Hoffnung auf den „Macron-Effekt“ in den kommenden Wochen und Monaten fortsetzt. Genießen wir den Frühling und freuen uns an steigenden Kursen von Aktien und Euro, ohne zu vergessen, dass es nur eine vorübergehende Phase ist. Solange die Politik sich vor den harten Entscheidungen drückt, kann es nur eine kurze Pause im japanischen Szenario Europas sein. Spätestens, wenn Italien wählt, hat die Krise uns wieder.

→ WiWo.de: „Überschätzen die Märkte Macron?“, 18. Mai 2017